Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 40 St. Viktor, Südturm 1450

Beschreibung

Große Viktor-Glocke in der Glockenstube des Südturms. Bronze. Glockengießer: Wilhelm van Arnheim. Konstruktion: Oktavglocke, leichte Rippe. Gewicht 2300 kg, Schlagton: h° + 3. Die sechs Henkel der Krone sind mit doppeltem Seilstabmuster verziert, die Haube ist durch sieben Grate gegliedert. Am Hals verlaufen zwischen drei Rundstegen auf zwei Zeilen verteilt Inschriften unterschiedlicher Höhe. Die erste Zeile enthält ein Gebet an den hl. Viktor in Latein (A), die zweite eine Anrufung und ein christliches Bekenntnis (B) sowie die Meisterinschrift mit Datum als Glockenrede in Mittelniederländisch (C). Ankerkreuze in einem Kreis markieren den Beginn der Inschrift A (dort mit aufgesetztem kleinem Kreuz) sowie den Anfang von B und schließen das Gussdatum vor der Meisterinschrift ein. Unter der Schrift ein von Hand geritzter Bogenfries, unterbrochen von dem Stiftskreuz (in Form eines griechischen Kreuzes mit gestuften und spitz auslaufenden Balken) und dem Stadtwappen von Arnheim. Das Wappen wird von einem undeutlich gegossenen Weinlaubfries flankiert und ist umgeben von drei Gießersiegeln mit schwer leserlichen Umschriften (D). Der Wappenführer ist aber eindeutig als Willem zu identifizieren. Stegkombinationen auf dem Wolm vervollständigen die Zier. Nach Pels1) hing die Große Viktor-Glocke bereits 1734 im südlichen Viktorturm. 1945 wurde sie durch Granatbeschuss stark beschädigt,2) 1953 von der Firma Witte in Leverkusen aufwändig repariert und wieder läutbar gemacht, 1954 in den restaurierten Glockenstuhl hochgezogen.3)

Inschrift D nach Bund.4)

Maße: H. 151 cm (ohne Krone); Dm. 159,5 cm; Bu. 3,3 cm (A), 2,5 cm (B, C), ca. 1 cm (D).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Kath. Propsteigemeinde St. Viktor Xanten (Foto Paul Ley/Helmut Kernder) [1/2]

  1. A

    + Jncola · celestis · d(omi)ni · fortissi(m)e · testisa) ·victor · s(an)c(t)e · tuis · famulis · peteb) · dona · salutis ·Morbos · tolle · fame(m) · remove · pec(cat)a · rep[elle]b) ·5)

  2. B

    + ihesus · maria · iohannes · chr(is)t(us)c)· rex · uenit · in · paced) · deus homo · factus · est ·

  3. C

    + anno · d(omi)ni · mccccl + willem · van · aernheme) · heft · mif) · gemackt

  4. D

    willem [k]l[o]kengit[t]e[r]g)

Übersetzung:

(A) Du Himmelsbewohner, des Herrn überaus tapferer Zeuge, heiliger Viktor, bitte für deine Diener um die Gaben des Heils. Nimm die Krankheiten hinweg, beseitige den Hunger, vertreibe die Sünden.

(B) Jesus, Maria, Johannes. Christus, der König, kommt in Frieden. Gott ist Mensch geworden.

(C) Im Jahre des Herrn 1450 hat Wilhelm von Arnheim mich hergestellt.

Versmaß: Hexameter, zweisilbig leoninisch gereimt (A).

Wappen:
Stadt Arnheim6)

Kommentar

Das an den Kirchenpatron gerichtete Bittgebet (A) ist wortgleich in einer Brüsseler Handschrift des 15. Jahrhunderts überliefert, die eine ganze Sammlung liturgischer Texte zu den Märtyrern der Thebäischen Legion enthält. In Inschrift B folgt auf die Anrufung eine leicht abgewandelte Fassung der häufig belegten Glockeninschrift „O Rex glorie veni cum pace. Homo deus factus est“.7) Der erste Teil, der zu den am meisten verbreiteten Glockeninschriften zählt und seit 1200 belegt ist, wird mit der Friedensbitte der Messliturgie oder mit dem Ritus der Kirchweihe in Verbindung gebracht.8) Nicht ganz eindeutig ist die Übersetzung des venit: das Wort kann mit ‚kommt‘ übersetzt werden, aber auch mit ‚ist gekommen‘ – beide Übersetzungen ergeben theologisch einen guten Sinn. Der zweite Teil bezieht sich wohl auf das Glaubensbekenntnis.9)

Hinter der Angabe des Gussdatums steht eine Meisterinschrift mit dem Namen und der Herkunft des Meisters Wilhelm van Arnheim. Der Ortsname Aernhem ist mittlerweile eindeutig identifiziert10); er wurde früher falsch gelesen,11) weil die Glockenspeise zwischen den mittleren Buchstaben verlaufen ist.

Die Große Viktor-Glocke im Xantener Dom ist das einzige bekannte mit dem Namen Wilhelms von Arnheim signierte Werk. Die ebenfalls 1450 gefertigte Johannes-Glocke (Nr. 41) stammt zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit vom selben Gießer, ist aber nicht signiert.12) Die These, Wilhelm von Arnheim könne mit Wilhelm van Wou identisch sein, wird kontrovers diskutiert.13) Als gesichert kann gelten, dass für die Inschriften der Xantener Glocken von 1450 und der von Wilhelm van Wou signierten Glocke von 1461 (Nr. 46) nicht dieselben Schriftmodel verwendet wurden. Neben der unterschiedlichen Buchstabenhöhe schließen auch die Qualitätsunterschiede zwischen der schlicht gestalteten Minuskel der Großen Viktor-Glocke und der ausgefeilten, mit etlichen Zierelementen versehenen Schrift auf der Helena-Glocke dies aus. Der Gesamteindruck der Schrift und der Zierformen an der Viktor-Glocke leidet allerdings darunter, dass diese beim Guss an vielen Stellen gedrückt und dadurch verformt oder gar unkenntlich wurden. Die Glockeninschriften weisen auch Unterschiede in der Strichführung auf, deutlich erkennbar etwa bei der Oberlänge des d. Auffälligster Buchstabe der Viktor-Glocke ist das x, bestehend aus einem senkrechten Schaft und einem kurzen, kräftigen Mittelbalken. Der Schaft ist am oberen Ende zu beiden Seiten umgebrochen, am unteren spaltet er sich in rex nach rechts und unten, im Wort xpt (Christus) nach rechts, links und unten. Die Worttrennung erfolgt durch nicht sehr gut ausgeprägte Blatt- oder Blütenornamente, Kürzungen durch liegende Rauten.

Textkritischer Apparat

  1. miles Pels, Clemen, Walter.
  2. Text verdrückt.
  3. Befund: xpt.
  4. pacem Clemen, Walter.
  5. nh unsauber gegossen; acreden Pels, Schaeben; Aereden Clemen.
  6. heft mi] heeft mey Pels.
  7. [...] wi [...] / [...] va[...] / wou [...] Poettgen (in Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou [1999/2000], S. 159, auf Grund von Abgüssen).

Anmerkungen

  1. Pels II, Deliciae (1734), p. 60.
  2. Sie war vom Bord aus auf 72 cm Länge gesprungen, ein 40 cm großes Stück war aus dem Schlagring herausgebrochen, die Durchmesseroberkante wies einen Durchschuss von 8 cm auf, der Klang der Glocke war dahin. Außerdem waren zwei Kronenbügel völlig zerstört, zwei weitere halb und der Kronenmittelbügel ganz abgebrochen. Stiftsarchiv Xanten, Gutachten Schaeben vom 15.3.1954.
  3. Stiftsarchiv Xanten, Fotodokumentation Dr. Koch mit Angabe der Daten. Nach dem Urteil von Schaeben hat sie „ihre außergewöhnlich reiche Klangstruktur“ behalten. Schaeben bezeichnet die Reparatur insgesamt als „Meisterstück“ (Schaeben, Berichte und Gutachten 1954/55).
  4. In Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou (1999/2000), S. 159, Lesung auf Grund einer „Analyse unterschiedlich dunkler und kontrastreicher Ausdrucke der Vorlage.“
  5. Alb[ert] Poncelet, Hymni, Sequentiae, in: Analecta Bollandiana 6 (1887), S. 353–404, hier S. 379: „Incola celestis, Domini fortissime testis”.
  6. Doppeladler.
  7. Vgl. z. B. DI 49 (Darmstadt/LK Darmstadt-Dieburg/LK Groß-Gerau [1999]), Nr. 2; DI 65 (Kärnten 2 [2006]), Nr. 457 (hw.oeaw.ac.at/inschriften/kaernten-2/teil3/kaernten-2-obj457.xml, Aufruf am 29.8.2024).
  8. Poettgen, Theologie (1999), S. 75f.; Walter, Glockenkunde (1913), S. 164; DI 1 (Main- und Taubergrund 1942]), Nr. 441. Vgl. auch DI 62 (Landkreis Weißenfels [2005]), Nr. 9 und DI 64 (Landkreis Querfurt [2006]), Nr. 7.
  9. Vgl. DI 49 (Darmstadt/ LK Darmstadt-Dieburg/LK Groß-Gerau [1999]), Nr. 2.
  10. Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou (1999/2000), S. 159 und passim.
  11. Schaeben liest noch in seinem Bericht vom 6. Juni 1955 Acreden (nach Pels).
  12. Zu archivalischen Belegen für den Glockengießer Wilhelm im Stadtarchiv Arnheim siehe Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou (1999/2000), S. 33.
  13. Ebd., S. 162–171.

Nachweise

  1. Pels II, Deliciae (1734), p. 60.
  2. Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 142.
  3. Walter, Glockenkunde (1913), S. 244.
  4. Schaeben, Berichte und Gutachten 1954/55 (Stiftsarchiv Xanten; dort weiteres Material).
  5. Bader, Dom I (1978), S. 286.
  6. Cuno in: Heckes, Restaurations-Bau (1989), Glocken, S. 4.
  7. Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou (1999/2000), S. 159 und Abb. 11, 14–21.
  8. Kizik, Funktion (2001/2002), S. 9.
  9. Ley/Kernder, „Mit heiterer Stimme“ (2005), S. 19–22 und Abb. 8–16.

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 40 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0004003.