Inschriftenkatalog: Stadt Xanten

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 92: Stadt Xanten (2017)

Nr. 28 Stiftsmuseum um 1370–1380

Beschreibung

Hostienmonstranz,1) vergoldetes Silber, getrieben, gegossen, graviert, Email, Bergkristallzylinder, später (um 1520) hinzugefügt ein Schmuckfries mit bunten Edelsteinen. Geschweifter Fuß mit gravierten Fabelwesen auf der Oberseite. Der sechsseitige Schaft ist durch mit Email hinterlegte Maßwerkfenster aufgelöst, am Nodus ebenfalls emaillierte, rautenförmige Rotuli mit Rosetten. Ein Sockel mit sechs Emailporträts von Männern und Frauen, vielleicht alttestamentlichen Gestalten und Sibyllen, trägt das zylindrische Ostensorium aus Bergkristall. Die Lunula wird von zwei knienden Diakonen getragen;2) sie halten ein Spruchband mit einer gravierten Inschrift (dem Beginn einer Hymnensequenz) in der Hand (A). Der Sockel der Lunula ist auf der Vorder- und der Rückseite mit einem Wappenschild und den Stifternamen belegt (B), beides auf schraffiertem Grund graviert. Um den Zylinder sind sechs schlanke Strebepfeiler über emaillierten Volutenkonsolen angeordnet. Sie tragen gegossene Figürchen von Heiligen und auf den Stirnseiten je drei übereinander angeordnete männliche und weibliche Figuren in zeitgenössischem Gewand. Im Turmaufsatz stehen unter Baldachinen gegossene Figuren der Heiligen Georg, Paulus, Matthias, Johannes des Täufers sowie eine Verkündigungsgruppe. Der Turmhelm endet in einem Astkruzifix mit Titulus (C) in erhaben ausgeführten Buchstaben als Bekrönung. 1998 konserviert und restauriert durch Herbert Cürvers sen. und jun., Kevelaer. 2001–2003 Restaurierung durch Franz Schott im Bayerischen Nationalmuseum München.

Maße: H. 66,5 cm; Dm. 20,5 cm (Fuß); Bu. ca. 0,4 cm (A), ca. 0,8 cm (B), ca. 0,2 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A), gotische Minuskel (B), Kapitalis (C).

StiftsMuseum Xanten (Foto Stephan Kube) [1/3]

  1. A

    Ecce panis Angelorum3)

  2. B

    joh(annes) // he(n)r(icus) // fr(atr)es // tyg(e)la)

  3. C

    INRI4)

Übersetzung:

(A) Siehe, das Brot der Engel.

Versmaß: Hymnenvers (trochäischer Dimeter) (A). 

Wappen:
Stift St. Viktor5)

Kommentar

„Ecce panis angelorum“ ist die erste Zeile der 21. Strophe des Hymnus „Lauda, Sion, Salvatorem“, der Sequenz der Fronleichnamsmesse, verfasst von Thomas von Aquin im Auftrag Urbans VI. um 1263.6) Aufgrund des unmittelbaren Bezugs auf die Hostie ist dieser Text auch anderwärts als Inschrift an Ostensorien und Sakramentshäuschen angebracht.7)

Die Inschriften A und B weisen deutliche stilistische Unterschiede auf, die nicht nur technisch bedingt sind. Während in der Stifterinschrift die Schäfte deutlich erkennbar gebrochen sind, sind die Brechungen in A zu Quadrangeln reduziert. Der Balken des e ist bei den Stifternamen gerade bis zum Bogen durchgezogen, in Inschrift A aber verkürzt und am unteren Ende nach außen umgebogen. Als Versal wird dort ein pseudounziales A ohne Mittelbalken verwendet, dessen Schäfte oben zusammentreffen. Das untere linke Schaftende und das Ende des links überstehenden Deckbalkens sind eingerollt. Der dekorativ ausgeführte Hymnenvers war unmittelbar unter der Lunula angebracht, die die Oblate aufnahm. Er dürfte zur Grundausstattung der Monstranz gehört haben. Die Stifternamen und das Wappen hingegen wurden offensichtlich individuell bestellt.

Heinrich von Tygel (oder Tegelen), verstorben am 8. Januar 1382 in Nimwegen,8) war Vikar des Barbaraaltars im Dom zu Xanten9) und am Stift Monterberg bei Kalkar10). 1352 erhielt er ein Kanonikat in Xanten11) und ist im selben Jahr als Kellner, 1354 als Presbyter12) und 1356–1380 als Fabrikmeister nachgewiesen.13) Johann von Tygel, sein Bruder, war Pfarrer in Birten14) und seit 1326 Stiftsherr in Xanten.15) Als Kellner wird er 1342 genannt.16)

Seit Fritz (1982) wird die Turmmonstranz nach Köln oder in den Raum Niederrhein/Niederlande lokalisiert und um 1370–1380 datiert17). Sie gehört damit zu den ältesten Hostienmonstranzen des Rheinlandes. Ob Johann, der am 19. März 1377 verstarb,18) die Herstellung der Monstranz testamentarisch verfügt hat, wie in der kunsthistorischen Literatur vermutet,19) und die Anfertigung demnach kurz nach seinem Tod anzusetzen ist, ist nicht belegt.20)

Textkritischer Apparat

  1. Hölker und Schiffler mit fehlerhafter Lesart.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. nach Hölker (1925): B-13. Bei Clemen, KDM Kreis Moers (1892), S. 133, nur kurz erwähnt.
  2. Vgl. den Diakon mit Lunula in Basel, Kat. Basler Münsterschatz (2001), Nr. 43, S. 146, Abb. 134.
  3. Aus der Sequenz des Fronleichnamsfestes (Analecta Hymnica, Bd. 50 [1907], Nr. 385; Walther, Initia Carminum [1959], Nr. 5120).
  4. Nach Io 19,19.
  5. Lateinisches Kreuz.
  6. Adam, Gebete (1987), S. 62–67 und 215. In dem volkstümlichen Kirchenlied „Deinem Heiland, deinem Lehrer“, das F. X. Riedel 1773 nach dem „Lauda Sion“ dichtete, kehrt das „Ecce panis angelorum“ in einer Zusammenfassung der 21. und 22. Strophe des „Lauda Sion“ mit dem Text „Seht, das ist der Engel Speise“ wieder (Gotteslob [1997], Nr. 997, Strophe 11, S. 1104). „O panis angelorum“ heißt es dann auch in der zweiten Zeile des dreistrophigen Hymnus „O esca viatorum“, heute als Kirchenlied „O wunderbare Speise“ bekannt, 1649 entstanden und als Kirchenlied ausgestaltet, vgl. Adam, Gebete (1987), S. 72f. und 216; Gotteslob (1997), Nr. 503. Über die nähere Entwicklung des Kirchenliedes siehe Becker u. a., Geistliches Wunderhorn (2001), S. 239–248. Zum Kirchenlied „Gott sei gelobet und gebenedeit“ aus dem 14. Jh. s. ebd., S. 76–83.
  7. Vgl. z. B. DI 58 (Stadt Hildesheim [2003]), Nr. 165 (1. H. 15. Jh.).
  8. Weise, Memorien (1937), S. 6, zum 8. Januar.
  9. Als Vikar belegt in Weiler, Urkundenbuch (1935), Nr. 674 vom 8. März 1336 und Nr. 757 vom 11. Mai 1346; ebd. Nr. 734 und 735, beide vom 9. Mai 1344, wird er als Vikar des Barbaraaltares genannt.
  10. Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 100.
  11. Classen, Archidiakonat (1938), S. 116.
  12. Ebd.
  13. Beissel, Bauführung II (1889), S. 2.
  14. Weiler, Urkundenbuch (1935), Nr. 738 von 1344 Mai 9.
  15. Ebd., Nr. 569 von 1326 Mai 30.
  16. Ebd., Nr. 716 von 1342 Juni 20.
  17. So auch bei Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 100, und in Kat. Stiftsmuseum Xanten (2010), S. 146. Perpeet-Frech, die die Stifternamen nicht entziffern und daher nicht historisch einordnen konnte, datiert unter Heranziehung archivalischer Quellen den Fuß um 1400, die restlichen Teile der Monstranz in die Mitte des 15. Jh. (Monstranzen [1964], S. 221f., Nr. 172). Zur detaillierten Beschreibung, kunsthistorischen Einordnung und zu weiterführender Literatur siehe Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 97–100.
  18. Weise, Memorien (1935), S. 35, zum 19. März.
  19. Fritz, Goldschmiedekunst (1982), S. 241, danach Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 100, und Kat. Stiftsmuseum Xanten (2010), S. 146.
  20. Bei Pels sind die Gebrüder Tygel unter anderen Xantener Kanonikern in einem Schreiben des Dechanten Otho von Alpen erwähnt, das er an der Vigil der hl. Jungfrau und Märtyrerin Katharina (dem 24. November) 1354 verfasst hat. (Pels I, Stella lucida [1733], p. 14).

Nachweise

  1. Hölker, Inventar (1925), B-13.
  2. Schiffler, Inventar (1981), Mp. 3, Kirchenschatz – vasa sacra (1981), Nr. 20.
  3. Fritz, Goldschmiedekunst (1982), S. 241 (A) und Abb. 391f.
  4. Grote, Schatz von St. Viktor (1998), S. 100 und Abb. S. 98f.
  5. Guster, Hostienmonstranzen (2009), S. 310–313.
  6. Kat. Stiftsmuseum Xanten (2010), Nr. VI/15, Abb. S. 146f.

Zitierhinweis:
DI 92, Stadt Xanten, Nr. 28 (Paul Ley u. Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009k0002809.