Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 656a† Karmeliterkloster (1611)/1621 o. 1622

Beschreibung

Grabstein(?) des Dekans von St. Andreas Gregor Gutmeyer, im Kreuzgarten(?).1) Querrechteckiger Stein mit Umschrift, Credo (A) auf wohl nach innen abgefastem Rand, im Feld fünf- bis sechszeiliger Sterbevermerk (B).

Nachzeichnung bei Milendonk, eingeklebt.

  1. A

    + Credo in sp(i)r(it)uma) sanctum / vnam sanct(am) catholic(am) Apostolic(am) Eccl(es)iam SS.b) communionem in / remissionem pec(ca)t(or)um Carnis / resur(ec)tio(ne)m et vitam aeternam Amen.

  2. B

    Quem in novissimu(m) diem suae sui solius quietis / locum 1607 abhincc) anno coepit huncce deo pro/pitio 1611,d) mensis novembris 22., absolvit Grego/rius Gutmeyere) S(acro)s(anctae) Th(eo)l(og)iae D(octor) Decan(us) apud / S(anctum) Andream in / Wormbsf)

Übersetzung:

Ich glaube an den Heiligen Geist, an eine heilige, katholische und apostolische Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden, die Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben, Amen. – 1. Den Platz, den er für den letzten Tag seines einsamen Todesschlafes eben von diesem Jahr 1607 an (zu bereiten) begonnen hatte, vollendete durch Gottes Gnade am 22. November 1611/1621/1622 Gregor Gutmeyer, Doktor der hochheiligen Theologie und Dekan an St. Andreas in Worms. 2a. Den Platz, den er für den abschließenden (letzten) Tag (seines Lebens) als Ort seiner Ruhe – und nur der seinigen – im Jahr 1607 für die Zukunft in Besitz genommen hatte, nahm nach Gottes gnädigem Willen am 22. November 1621/1622 endgültig an/ein Gregor Gutmeyer, Doktor der hochheiligen Theologie und Dekan an St. Andreas in Worms. 2b. Den Platz, den er als Ort seiner Ruhe – und nur der seinigen – bis zum Tag des Jüngsten Gerichts im Jahre 1607 für die Zukunft in Besitz genommen hatte, ... 3. Den Platz, den er im Jahre 1607 als seinen nur ihm allein gehörenden Ruheplatz bis zu seinem letzten Tag eingenommen hatte, gab durch Fügung des gnädigen Gottes frei am 22. November 1611/1621/1622 Gregor Gutmeyer, Doktor der hochheiligen Theologie und Dekan an St. Andreas in Worms. 4. Seinen letzten Tag, im Hinblick auf den er diesen für ihn allein bestimmten Platz seiner Ruhe (Grabplatz) im Jahre 1607 für die Zukunft begann, vollendete nach Gottes gnädigem Willen am 22. November 1621/1622 Gregor Gutmeyer, Doktor der hochheiligen Theologie und Dekan an St. Andreas in Worms.

Kommentar

Ein Credo, das das Bekenntnis zur katholischen Kirche und den Erlösungsgedanken hervorhebt, umgibt die Grabinschrift des in den Klerikerlisten als Dekan von St. Andreas bisher nicht nachgewiesenen Gregor Gutmeyer. Daß es sich bei dem vom Chronisten abweichend überlieferten Namen um eine Verschreibung handelt, geht eindeutig aus einer wenig danach mitgeteilten Stiftung hervor, in der es heißt: „Anno 1622 die 22 novembris R.D. Gregorius Gutmeÿer, S.T. Doctor, Decanus ad S. Andream, concionator summae aedis primarius, qui legavit conventui 100 florenos“.2) Alle Merkmale treffen eben auf Gregor Gutmeyer zu, der mit identischen Titeln im Statutenbuch des Paulusstiftes vorkommt, und zwar letztmalig als Lebender erwähnt nach dem 3. Januar 1618, als er mit der Präbendierung des Herrn von Walderdorff befaßt war. Zum 17. Dezember 1621 verfügte das Kapitel von St. Paul die Übergabe der Behausung des „Herrn Guttmaÿer seeligen“ an Caspar Fabritius;3) demnach müßte Gutmeyer kurz zuvor, eben am 22. November 1621 gestorben sein. In den Aufzeichnungen Milendonks stehen jedoch eindeutig die Jahreszahlen 1607 und 1611. Da zudem der komplizierte und zudem nicht zuverlässig überlieferte Text des Steines eine wirklich zweifelsfreie Deutung verwehrt, wurden oben mehrere Übersetzungsmöglichkeiten angegeben,4) die nachfolgend mit den Informationen aus dem Aktenmaterial zu einer Sachaussage und Datierung verbunden werden müssen.

Gemäß der ersten Variante teilt die Inschrift nur mit, ab wann das Grabmal oder der Bestattungsplatz Gutmeyers hergerichtet und wann es oder er vollendet wurde; merkwürdig wäre dabei die Angabe eines Tagesdatums, zu welchem später dann zusätzlich noch eine Stiftung von 100 Gulden getätigt wurde. Daß es eine inhaltliche Verklammerung zwischen Inschrift und Stiftung gegeben haben muß, geht aus dem identischen Tagesdatum zweifelsfrei hervor, die Jahreszahl könnte jedoch falsch überliefert sein. Ist sie nicht auf 1621 oder 1622 zu emendieren, müßte die Stiftung von 1622 nach Maßgabe der Vollendung eines Grabmales vorgenommen worden sein. Denkbar wäre aber immerhin, daß sich Inschrift und Stiftung sogar auf dieselbe Sache beziehen und mit dieser Stiftung überhaupt erst der Vorgang des Begräbnisses abgeschlossen wurde, wie es diese erste Deutung der Inschrift vorsieht. Demnach ließe sich der Todesfall auf eben jenen Tag, den 22. November 1622, beziehen, wenn man dem Statutenbuch eine falsche Jahreszählung unterstellt; trat der Tod am 22. November 1621 ein, wäre die Stiftung immerhin am ersten Anniversartag erfolgt und könnte mit dem Datum 22. November 1622 als Vollendung jenes umfangreichen Vorganges von Grabplatzwahl, Herstellung von Denkmal und und damit zusammenhängenden Vorkehrungen gelten; in diesem Falle wäre das Datum in Variante 1 nicht in erster Linie auf die technische Fertigstellung eines Denkmales, sondern auf den Abschluß eines vielschichtigen Vorganges bezogen. In höchstem Maße ungewöhnlich, wenn nicht unmöglich erscheint aber die Überlegung, der 22. November 1611/1621/1622 sei nicht der Todestag, sondern stehe als Zäsur im tätigen Leben Gutmeyers, wie es der dritte Vorschlag suggeriert. Die Varianten 2 und 2a tragen dem Rechnung, indem der Todesfall als Einnehmen des letzten Ruheortes umschrieben wird; dann müßte man aber unter Berufung auf das Statutenbuch eine Verlesung der Jahreszahl 1621 zu 1611 voraussetzen.

Einer vierten Variante fehlen zwar die wortspielerischen Gegenüberstellungen von coepit/absolvit als Beginnen und Vollenden oder cepit/absolvit als Annehmen und Freimachen sowie die Anspielungen auf den Tag des Jüngsten Gerichts, doch erfüllt sie die Forderung, den Todestag auf einem Grabstein kenntlich zu machen und schließt in der betreffenden Wendung diem absolvere an antike Vorbilder etwa in Avienus, Orbis terrarum 544 an. Zugegebenermaßen befremdet in diesem Falle der Satzbau erheblich; das mag in der ohnehin weit gesperrten Formulierung begründet liegen oder auch in der wenig sorgfältigen Abschrift, so daß man als intendierten oder nur verstellten Text Quem in locum novissimum diem ... konjizieren könnte. Als Datum kämen dann 1621 und 1622 in Betracht, je nachdem ob man dem Statutenbuch (1621) vertraut und auch eine nachträgliche Stiftung am ersten Anniversar gelten läßt.

Dekan an St. Andreas Gregor Gutmeyer, laut Stiftung auch erster Domprediger, verfügte in Worms wohl über mehrere stiftische Pfründen, ließ sich jedoch bei den Karmelitern begraben; häufiger war freilich die Übung anderenorts Bestatteter sich dort zusätzliche Anniversarfeiern zu stiften.5)

Textkritischer Apparat

  1. Abkürzungen und Zeileneinteilung folgen der Nachzeichnung, wenngleich Korrektheit nicht in allen Fällen gegeben scheint; Varianten der Wormser Abschrift sind nicht berücksichtigt.
  2. So für sanctorum.
  3. abhin Milendonk (F), abhic (W). Vorschlag Dr. Rainer Jakobi, Philologisches Seminar der Universität Bonn:1607 ab X. inc (ab Christi incarnatione) – kaum am Beginn des 17. Jh.s denkbar – Inkarnationsjahre v.a. im 11. u. 12. Jh. benutzt, später anno salutis u.ä.
  4. 1611 Milendonk; Verlesungshypothesen zu 1621 und 1622 wären durch Unterlagen des Paulusstiftes möglich, vgl. unten.
  5. Düttmarus Milendonk; Verlesung aus Milendonks Seelbuchexzerpt fol. 413 und Aufzeichnungen wie ante erkannt.
  6. Der Sprachwechsel so kaum im Original.

Anmerkungen

  1. Eigenartigerweise eingeleitet mit „Inscriptio lapidum sepulchralium in horto Carmeli Wormatiensis“.
  2. Milendonk fol. 413.
  3. HStA Darmstadt, Abt. C 1 B Nr. 58 fol. 6v-8v.
  4. Für Anregungen und Übersetzungsvorschläge sei gedankt Frau Dr. Renate Neumüllers-Klauser, Heidelberg, Herrn Prof. Dr. Fidel Rädle, Göttingen, Herrn Sebastian Scholz, Mainz, Herrn Prof. Dr. Otto Zwierlein, Bonn. Der letzte Übersetzungsvorschlag vom Bearbeiter entgegen philologischen Bedenken aus dem Satzbau.
  5. Milendonk fol. 374 passim.

Nachweise

  1. Milendonk, Chronicon Carmelitorum fol. 412v (F), III fol. 66 (W).

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 656a† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k00656a9.