Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 342† Dom, Kreuzgang 1497?

Beschreibung

Spruchinschrift, angeblich 1497 an einer Kreuzgangaußenwand gefunden, mit Kreide geschrieben.1)

Nach Lateinischer Bistumschronik.

  1. Istinc inermes sunt omnes undique cives.Creverit dum numer(us) q(ui)nge(n)t(us)a) cler(us) abibit.Wangia tacebis · c · quintu(m)b) du(m) retinebis.

Übersetzung:

Von da an sind wehrlos in jeglicher Hinsicht alle Bürger. Noch bevor die Zahl 500 gewachsen sein wird, wird der Klerus ausziehen. Schweigen wirst du, Worms, wenn du zum fünften Male 100 schon haben wirst.

Kommentar

Leicht abgesetzt und unterstrichen führt der unbekannte Gewährsmann nach der Inschrift an: „eventus huius vaticinii contigit anno 99“; gemeint ist der Auszug des hohen Klerus der Stifte und Pfarrkirchen am 9. September 1499. Die Zahl 500 bezieht sich daher auf die Jahreszahl 1500; bevor die erreicht wird, soll der Auszug stattfinden, dauern wird „das Schweigen“, die Unterbrechung der Meßfeiern, bis nach 1500.

Das Zustandekommen der Inschrift und insbesondere ihr Charakter als Vatizinium jenes denkwürdigen Ereignisses sind nicht leicht geklärt. Falls es sich nicht doch um eine als Inschrift verbrämte Nachdichtung aus der Rückschau der Ereignisse handelte und tatsächlich schon 1497 ein solcher Spruch in teils leoninischen Hexametern an die Wand geschrieben worden war, müßte man doch vermuten, daß eben schon vor September 1499 über einen Auszug des Klerus nachgedacht worden war;2) in der Tat ist die Androhung eines Auszuges schon für April und Mai 1499 belegt, und zum Jahr 1497 beklagte Reinhard Noltz, daß die Pfaffen aus dem Dom- und anderen Stiften der Stadt ihre „helthumb“, also liturgische Geräte und Reliquien, nach Oppenheim, Mainz und anderen Orten geflüchtet hätten,3) sozusagen die Vorstufe eines Auszuges. Nicht auszuschließen bleibt die Befürchtung, daß die chronikalische Überlieferung hier ein als Inschrift verbrämtes Exzerpt präsentiert, da auch andere Verse, nämlich ebenso zum Auszug, im Metrum den Lautwert von Buchstaben mitlasen.4)

Unverständlich bleibt in jedem Fall, warum der Hauschronist die vorgebliche Inschrift als Schelte des Bischofs und des ganzen Klerus verstand.

Textkritischer Apparat

  1. So nach regelhafter Abkürzung der Abschrift, metrisch korrekt; grammatisch entweder quingentum als Gen. plur. oder wie bei Augustinus numerus quingentenus für „die Zahl 500“. Gegen die Abschrift zu emendieren, hieße dem Hersteller oder Abschreiber eine ungewöhnliche Kürzung unterzuschieben, wenngleich sich die us- Kürzung durch die umgebenden eingeschlichen haben kann.
  2. Zahlen sind für das Metrum immer problematisch; möglicherweise hier räumlich dargestellt als um die Zeitenwende in Mode kommender Hundertermultiplikator. In anderen Versen zu diesem Ereignis, vgl. Anm. 4, stand man vor einem ähnlichen Problem, die verhältnismäßig lange Jahreszahl 1500, als „MD“ geschrieben, in Reim und Metrum zu pressen und behalf sich, indem man sie im leoninischen Hexameter „Annis verbigenae minus uno dum legis MD“ als Zahlwert rechnete, aber als Lautwert der Buchstaben las, also „em de“, vgl. zum Text Zorn, Chronik bei Arnold 204. Ging man in der vorliegenden Inschrift genauso vor, wird das Metrum durch die Zahl nicht gestört.

Anmerkungen

  1. „Anno Domini 1497 · Hec scriptura per cretam inventa est extra ecclesiam maioris Wormatiensis in porticu, in vituperium episcopi et totius cleri Wormatiensis“.
  2. Diese Überlegung ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn man bedenkt, daß die Wormser Geistlichkeit schon mehrfach, wenn auch weniger spektakulär, zu diesem Kampfmittel gegriffen hatte, z.B. 1265, 1405 u. 1411 nach Zorn, Chronik bei Arnold 121, 154, 178.
  3. Acta Wormatiensia bei Boos, Quellen III 436f. u. Tagebuch des Reinhard Noltz ebd. 409.
  4. Vgl. Lateinische Bistumschronik fol. 68 u. Zorn, Chronik bei Arnold 204 u.ö.: „Clerica Gorgonii ... Annis verbigenae minus uno dum legis M D“.

Nachweise

  1. Lateinische Bistumschronik fol. 66v.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 342† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0034203.