Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 311 Dom, innen, aus Kreuzgang 1487

Beschreibung

Stifterinschrift des Job zum Riet und Sprüche am Relief der Verkündigung. Innen an der Wand des nördlichen Seitenschiffs, im ersten Doppeljoch von Westen, im 19. Jahrhundert in der Nikolauskapelle, aus dem Kreuzgang, wahrscheinlich ursprünglich im dritten Joch des Ostflügels.1) Großes Steinrelief aus hellgelbem (Tiger?)sandstein mit Verkündigungsszene; unter einem mächtigen Kielbogen links der Engel, rechts Maria kniend, die vor sich auf einem Pult ein Buch aufgeschlagen hält, ihr Gewand über einem Stuhl drapiert; darüber in Halbfigur Gottvater oben an einer Fensternische. In der Kehle des mit Astwerkkrabben besetzten Bogens Büsten von Propheten mit Schriftbändern (B), die Inschrift des Stifters (A) unten auf dem weit zurückspringenden Sockel. Flankiert wird die streng symmetrisch aufgebaute Szene von jeweils drei Figuren, die von innen nach außen jeweils über einem Wappenschild, einer Engelskonsole mit Schriftband (rechts Inschrift C) und einer Astwerkkonsole stehen, die äußeren schon quasi außerhalb, die beiden inneren jeweils unter Maßwerkbaldachinen, über denen sich Fialen türmen. Links drei männliche Heilige, der äußere eventuell Johannes Evangelist, der innere dem knienden Stifter die Hand auf den Kopf legend; rechts Andreas und in der Mitte vielleicht Barbara2), innen eine weitere Heilige. Gipsergänzungen an mehreren Köpfen, Gliedmaßen und Attributen.

Maße: H. 394, B. 442, Bu. 3 (A), 2,2 (B), 2,5 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. A

    doctor joba) 〈.....〉 Exordium nostre redempcionis digne recolamus · 1487

  2. B

    Ex te eg(re)diet(ur) · q(ui) · sit / d(omi)nator3)Suscitabo dauid / germen iustu(m)4)Veniet [desid]erat(us)b) / cu(n)ct(is) ge(n)tib(us)5)Ecce virg(o) co(n)cipiet · [e]t · pa(ri)et6)

  3. C

    Regina celi · letare · all(eluj)a7)

Übersetzung:

Doctor Job (zum Riet). Den Beginn unserer Erlösung laßt uns würdig pflegen. – Aus dir wird hervorgehen, welcher der Beherrscher sei. – Ich werde David einen gerechten Sproß erwecken. – Kommen wird der von allen Völkern ersehnte. – Siehe, die Jungfrau wird empfangen und (einen Sohn) gebären. – Königin des Himmels, freue dich, Hallelujah.

Wappen:
zum Riet (Büste eines Mohren mit Kopfbinde), Vener (drei aufsteigende Spitzen).

Kommentar

Das wie die übrigen von einem Gelehrtenkanoniker gestiftete Kreuzgangrelief der Verkündigung war ausweislich seiner Datierung das älteste; seine verstümmelte oder nur mit gemalten Buchstaben ergänzte Inschrift gab neben einem Spruch nur den Namen an, der sich aus Kanonikerlisten und der Wappenkombination identifizieren läßt. Doktor der Rechte Job zum Riet aus Straßburg war 1453 in Speyer und vor 1464 in Worms bepfründet worden;8) er war 1450-1453 und wieder ab 1458 Kanzler des Mainzer Erzbischofs Dietrich von Erbach, 1439-1448 und 1453-1458 Rat Bischof Reinhards von Speyer und stammte wohl aus der Verbindung zwischen Johannes gen. Riethans und der Caecilia/Lya, Tochter des Speyerischen Offizials Reimbold Vener aus Schwäbisch Gmünd, dessen Sohn Job, ebenfalls Speyerer Offizial, dazu Rechtslehrer an der Universität Heidelberg, den Namen lieh.9) Job zum Riet hatte am Domstift Messen und Prozessionen, seine Erben auch ein Anniversar gestiftet; er starb erst 1493.10)

Die Christusvatizinien der Propheten sind im Spruch des Stifters zu einer theologisch überzeugenden und weithin akzeptierten Aussage zusammengefaßt, nach der die Erlösung mit der dargestellten Verkündigung des Herrn beginnt. Eine allgemein empfundene Zäsur im göttlichen Heilsplan, fand die Verkündigung etwa in der Predigt des Ivo von Chartres die ausdrückliche Charakterisierung als „Novum enim Virginis conceptum nobis festivitas hodierna commendat, quae nostrae reparationis est exordium“, und im Albertus Magnus zugeschriebenen Mariale heißt sie fast vorbildhaft „origo et exordium processus nostrae redemptionis“.11)

Das mächtige Relief mit bewegter Architektur und sehr verbreiteter Darstellung des Engelsgrußes wird mit Recht der oberrheinischen Schule des Nikolaus Gerhaert zugeschrieben. Als Hauptmeister wurde der Wormser Konrad Meit12) ebenso in Anspruch genommen wie Hans Seyfer;13) sicher ist lediglich die enge Anlehnung an die Verkündigung des Speyerer Venningen-Denkmals von 1470.14) Auch folgt das Wormser Relief in der Darstellung eines bürgerlichen Raumes den Vorbildern besonders niederländischer Maler.15)

Textkritischer Apparat

  1. Joh(annes) Falk u. alle. Danach Lücke von ca. 50 cm, nicht beschrieben.
  2. Wortanfang unfachmännisch ergänzt, 5 statt 7 Schäfte.

Anmerkungen

  1. Schmitt 298 nach Issel.
  2. So Kdm. u. Schmitt, die das Objekt rechts neben der Figur wohl für einen Turm hielten.
  3. Mi. 5,2.
  4. Ier. 23,5.
  5. Agg. 2,8.
  6. Is. 7,14.
  7. Beginn der marianischen Antiphon zur Osterzeit, Karsamstag bis Samstag vor Trinitatis.
  8. Hartmann, Domherren 159 u. v. Busch/Glasschröder, Chorregel I 636f.; zum nur kurzen Zwischenspiel in Speyer und Karriere allgemein vgl. Fouquet, Speyerer Domkapitel II 742f.
  9. Helmut Hartmann, Bechtheim, in Brief an Karl-Heinz Armknecht, Worms, vom 13. Februar 1973 nach G.C. Knod, Deutsche Studenten in Bologna (1289-1562). Biographischer Index zu den Acta nationis Germaniae universitatis Bononiensis. o.O. 1899, 596 Nr. 3976. Verbindungen beider Familien nach Speyer ersichtlich aus v. Busch/Glasschröder, Chorregel I 186f., 636, 686. – Vgl. auch I.H. Ringel, Studien zum Personal der Kanzlei des Mainzer Erzbischofs Dietrich von Erbach (1434-1459) (QuAmrhKG 34) Mainz 1980, 135-147. H. Heimpel, Die Vener von Gmünd und Straßburg, 1162-1447. Studien und Texte zur Geschichte einer Familie sowie des gelehrten Beamtentums in der Zeit der abendländischen Kirchenspaltung und der Konzilien von Pisa, Basel und Konstanz (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 52) Göttingen 1982, III 1557 hielt ihn für einen Enkel oder Großneffen des Riethans; daß er der Sohn war, geht zwingend aus der Wappenkombination hervor, vgl. auch ebd. Taf.I Abb. 3 das Siegel des Großvaters mütterlicherseits.
  10. Salbuch Domstift 30; Heimpel.
  11. J.H. Emminghaus, Art. Verkündigung an Maria, in: LCI 4 (1972) Sp.422-438, hier 423 u. Art. Ratschluß der Erlösung, in: LCI 3 (1971) Sp. 499-502. Die Zitate nach M.E. Gössmann, Die Verkündigung an Maria im dogmatischen Verständnis des Mittelalters. München 1957, 54 u. 152.
  12. Vöge, Konrad Meits Jugendwerke 25; F. Winkler, Konrad Meits Tätigkeit in Deutschland, in: Jb. d. preußischen Kunstsammlungen 45 (1924) 43ff. sah Meitische Elemente.
  13. Schnellbach.
  14. Tiemann, Beiträge 45, Schmitt 288 nach ders., Die Speyerer Verkündigung, in: Pfälzisches Museum 35 (1918) 44ff. sowie Hauck, Hotz u. v. Winterfeld. Hessig, Kunst des Meisters E.S. 51 verweist auf mögliche Entlehnung aus Stich L 13.
  15. D.M. Robb, The iconography of the annunciation in the fourteenth and fifteenth centuries, in: The Art Bulletin. A Quarterly 18 (1936) 480f. zur flämischen Malerei u. Ausrichtung an Lk. 1,26-38.

Nachweise

  1. Issel, Bericht in Lohmeyer, Leben 153.
  2. Falk, Bildwerke 9f.
  3. Kdm. 195 u. Abb. 97.
  4. Klingelschmitt, Magister Valentinus 91.
  5. Schnellbach, Werke des Hans Syfer 106 Abb. 2.
  6. Ders., Spätgotische Plastik 171 u. Abb.
  7. Kautzsch, Dom Taf. 115f.
  8. Schmitt, Bildwerke 287f.
  9. Illert, Worms Abb. 56.
  10. Hauck, Conrad Sifer 275 Anm. 283 u. Abb. 37a.
  11. Hotz, Dom 135f.
  12. v. Winterfeld, Dom Abb. S. 75.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 311 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0031100.