Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 91† Dom, außen 1312

Beschreibung

Meister(?)- und Spruchinschrift auf der Glocke des Domes. Zwei nicht ganz zuverlässig als solche nachweisbare Inschriften.

Nach Zorns zweiter Fassung.

  1. A

    Anno milleno tercenteno et duodenoHoc per Volmarum fit opus tinnibilea) clarum.

  2. B

    Laudo deum verum, plebem voco, congregob) clerum,Defunctos ploro, pestem fugo, festa decoro,Vox mea cunctorum terror est daemoniorum.

Übersetzung:

Im Jahre 1312 wurde dieses berühmte Glockenwerk durch Volmar gemacht. – Den wahren Gott lobe ich, das Volk rufe ich, den Klerus versammele ich, die Verstorbenen beweine ich, Krankheit vertreibe ich, Feste schmücke ich; meine Stimme ist der Schrecken aller Teufel.

Kommentar

Nach Auskunft der Zornschen Chronik wurde die Petersglocke, also wohl die Hauptglocke des Domes, für rund 600 Pfund Heller am 13. September 1312, „auf exaltationis crucis abend“, von Meister Vollmar aus Speyer gegossen. Das erste Zitat leitete der Chronist ein mit „an der glocken stehen die vers“, das zweite mit „Von dieser glocken sind der zeit die vers gemacht worden“. Da er seine Informationen zur Hochstiftsgeschichte gewöhnlich aus der gereimten Wormser Bischofschronik bezog, deren vierzeilige Epigramme zum Tode von Bischöfen wenigstens teilweise auch in leoninischen Hexametern gedichtet waren, ist es denkbar, daß die hier mitgeteilte Meisterinschrift in eben jenem Versmaß nur eine Sachinformation der Chronik gewesen war und von Zorn aus der Kenntnis einer entsprechenden Praxis als Inschrift verstanden wurde. Dieser Verdacht ist nicht ganz unbegründet, da in älteren Aufzeichnungen des Stadtchronisten behauptet wird, „Versus hos asscripsit dominus Andreas Wilckius ...“; jener Pfarrer und Zeitgenosse Zorns fungierte offenbar als Zuträger.1) Es ist nicht bekannt, woher seine Informationen stammen; daß er als lutherischer Geistlicher Zugang zu den Domglocken gehabt hätte, ist nicht wahrscheinlich.

Die zweite Inschrift zählt sieben verbreitete Glockentugenden auf mit einem Text, der mit geringen Abweichungen auch in einer Handschrift des Klosters Salmansweiler am Bodensee vorkommt und dessen beiden erste Verse auch Johannes Gerson (†1429) in seine Sammlung aufgenommen hatte,2) während die Tugenden inschriftlich in dieser Vollständigkeit kaum zu belegen sind.3) Auch hierbei drängt sich der Verdacht auf, daß die Verse nicht als Inschriften an der Glocke ausgeführt waren, zumal Zorns Aufzeichnungen sich auf eine ominöse „Cronica Röscheri“(?) berufen.

Über die Glocken des Wormser Domes im Mittelalter ist weiter nichts bekannt; die 1586 aufgehängte Schlagglocke gehörte der Stadt;4) 1614/15 ist von einer wenigstens teilweisen Erneuerung des Geläutes in Stiftsprotokollen die Rede, ohne daß man genauere Angaben erhält. In der Stadtzerstörung von 1689 ging ein Geläute aus 16 Glocken zugrunde, das angeblich zu den schönsten am Rheinstrom gehörte.5)

Textkritischer Apparat

  1. Im Sinne von tintinnabulum; vorliegendes Zitat nach Schannat einziger Beleg für tinnibile bei Du Cange VIII 109.
  2. congrego nach Zorn, Wormatiensia; convoco Zorn-2 u. a.

Anmerkungen

  1. Vgl. oben S. XLV-XLVII; Zorn, Wormatiensia, dort auch der 21. September als Tag der Konsekration genannt.
  2. Walter, Glockenkunde 187: „Laudo deum verum, plebem voco, congrego clerum, Defunctos ploro, pestem fugo, festa decoro, Est mea cunctorum terror vox daemoniorum“; ebd. 186 zur Sammlung Gersons im Tractatus I de canticis mit Varianten und ebd. 187f. Anm. 1 zu weiterem Vorkommen auf Glocken bis ins 20. Jh.
  3. Ebd. 186 u. 187 Anm. 1 mit frühen Beispielen für inschriftlich festgehaltene Zweckbestimmung von Glocken, insbesondere 189 zur Glocke von 1278 in Lühnde bei Hildesheim und 209 zur Glocke von 1333 in Regensburg. Zu apotropäischen Abwehrformeln vgl. R. Favreau, Mentem sanctam, spontaneam, honorem Deo et patriae liberationem. Epigraphie et mentalité, in: Clio et son regard. Mélanges d‘histoire, d‘histoire de l‘art et d‘archéologie offerts à Jacques Stiennon à l‘occasion de ses vingt-cinq ans d‘enseignement à l‘Université de Liège, édités par R. Lejeune et J. Deckers. Liège 1982, 235-244.
  4. Vgl. Nr. 531.
  5. Vgl. Illert 41f.

Nachweise

  1. Zorn, Wormatiensia fol. 100v.
  2. Zorn-2 fol. 254.
  3. Zorn, Chronik bei Arnold 133.
  4. Zorn-Wilck (W) 293, (M) 368.
  5. Schannat, Hist. ep. Worm. I 63.
  6. Illert, Regesten 35.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 91† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0009107.