Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 65† Kloster Mariamünster (839)/4.V.13. Jh.?

Beschreibung

Gedenkinschrift für Kaiser Ludwig den Frommen. Am Eingang der Kirche oder möglicherweise in oder an der kleinen Kapelle beim Turm.1) Stein unbekannten Aussehens, in den die Inschrift eingehauen war, angeblich mit oder bei dem Bild des Kaisers, Lilienwappen.2)

Nach Chronicon Wormatiense.

  1. Claustri fundator, Ludovicus induperator,a)Princeps egregius, cui detb) Deus arce poli ius.c)

Übersetzung:

Der Klostergründer, Kaiser Ludwig, der rühmliche Herrscher, dem Gott das Recht des Himmels gebe.

Wappen:
Frankreich? (drei Lilien).

Kommentar

Die aus der geistlichen Chronistik überlieferte Gründung eines Benediktinerinnenklosters, später Maria- oder Nonnenmünster genannt, durch Kaiser Ludwig den Frommen wird unter das Jahr 838 oder 839 gerechnet, ohne daß ein urkundlicher Nachweis vorhanden wäre. Den Winter 838/839 verbrachte der Kaiser in Ingelheim, Mainz und Frankfurt, den Juni 839 während der Aussöhnung mit seinem Sohn Lothar tatsächlich in Worms.3) Diese Ereignisse mögen den äußeren Rahmen für die legendäre Frühdatierung geliefert haben; urkundlich ist der Konvent jedoch erst zur Burchard-Zeit nachweisbar. Eine Gesamtbestätigung des klösterlichen Güterbesitzes durch Bischof Burchard II. im Jahre 1141 nennt aber ausdrücklich „claustrum et prebendam ibidem a predecessoribus meis religiosis viris Ludovico Pio ... bone memorie ordinatum, ...“4)

Obwohl der Chronist des 15. Jahrhunderts die Schrift als „antiquissimis literis scriptum“ bezeichnete und andere nach ihm wie Brusch von „incisum“ oder Zorn von „in einem Stein eingegraben“ sprechen, darf man keineswegs eine Inschrift aus karolingischer Zeit erwarten.

Ähnlich wie das Martinsstift in Otto III. einen illustren Stifter verehrte,5) könnten Inschrift und Verehrung Ludwigs des Frommen der Absicht entsprungen sein, den Konvent durch hohes Alter und Prestige aufzuwerten. Gut denkbar wäre, daß das im Zuge des Klosterausbaues im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts schon unter zisterziensischer Leitung geschah.6) Früher nicht denkbares Kaiserbildnis und Lilienwappen vervollständigten angeblich die Fiktion, die sich freilich in besonderem Maße bezahlt machte, als Dragoner des Regimentes Peisonell die Kirche während des großen Stadtbrandes 1689 schützten, weil eine auf den Ahnherrn ihres Herrschers zurückzuführende Kirche nicht zerstört werden sollte.7) Angesichts der desolaten Quellenlage ist allerdings kaum sicher zu entscheiden, ob nicht doch Kaiser Ludwig d.Fr. als Gründer einer Vorgängerinstitution in der Klostertradition galt und wie bei vielen anderen Kirchen im 13. Jahrhundert ein ehrendes Gedächtnis erhielt, Inschrift und Darstellung also nicht neue – fiktive – Aussagen schufen, sondern altes Wissen lediglich monumentalisierten.8) Um so mehr ist das anzunehmen, als die erwähnte Urkunde von 1141 nach eigenen Angaben nicht auf der Vorlage alter Dokumente beruhte und daher die lebendige Ludwigstradition schon im 12. Jahrhundert belegt.

Auch der Verdacht, daß Informationen aus der gereimten Wormser Bischofschronik, die sich vergleichbarer leoninischer Hexameter bediente, später als Inschrift verstanden wurden, läßt sich nicht ohne weiteres von der Hand weisen, da dort Sterbenachrichten für Wormser Bischöfe ebenfalls regelmäßig fromme Segenswünsche zur Erlangung des Himmels, gelegentlich mit „arx polorum“ oder sehr ähnlich bezeichnet, enthalten.9) Immerhin rekurrieren alle frühen Belege einmütig auf „alte Buchstaben“ und „in Stein gehauen“.

Textkritischer Apparat

  1. imperator Wormser Bischofschronik; Catalogus; auch Zorn, [Materialsammlung] fol. 48.
  2. dat Brusch, Epitomes.
  3. arci poli ius Wormser Bischofschronik; Deus poli ius Schannat; arce poli Pauli.

Anmerkungen

  1. So Kranzbühler nach Pauli; an der Kirchentür nach Brusch; Chronicus liber antistitum: „unde in antiquissimis litteris ibidem invenitur in ecclesiam scriptam“.
  2. Nur Pauli.
  3. RI I Nr. 983ff.
  4. Kranzbühler 104 nach Boos, UB I 35 Nr. 44 u. Vita S. Burchardi bei Boos, Quellen III 112. Die Urkunde Burchards II. bei R. Kraft, Das Reichsgut im Wormsgau (QuFHG 16) Darmstadt 1934, 130 u. Anh. I. Reste eines karolingischen Servitiums in dieser Urkunde, vgl. Staab, Untersuchungen zur Gesellschaft 35, scheinen dann wirklich einen frühen Gründungsakt zu belegen.
  5. Vgl. Nr. 67.
  6. Kranzbühler 104f. zum Ausbau, skeptisch gegenüber der Inschrift, die Boos, Städtekultur I Anm. 346 als unecht bezeichnete, ohne das weiter zu erklären.
  7. Pauli aus angeblich klostereigener Überlieferung.
  8. Die zeitliche Unechtheit von zahlreichen Denkmälern des 13. Jh.s war schon G. Dehio und H. Keller aufgefallen. Erst in jüngerer Zeit wurde jedoch deutlicher hervorgehoben, daß Bildnisgrabsteine längst verstorbener Personen ab dem 13. Jh. ausschließlich für Gründer und hochmögende Stifter aufgestellt wurden, ja daß mit diesen neuen Gedenkstätten ggf. eine heiligenähnliche Kommemoration einherging, vgl. R. Neumüllers-Klauser, Maulbronner Stifterdenkmäler, in: ZS für Württembergische Landesgeschichte 37 (1978) 27-45 u. E. Schubert, Drei Grabmäler des Thüringer Landgrafenhauses aus dem Kloster Reinhardsbrunn, in: Skulptur des Mittelalters. Funktion und Gestalt, hg. von F. Möbius und E. Schubert. Weimar 1987, 211-242, mit zahlreichen Beispielen. Vgl. Kap. 7. zu Stiftergedenken.
  9. Vgl. viele Zitate aus der Bischofschronik bei Zorn; nicht immer elegante Verse als „grabschrifft“ o.ä. bezeichnet, vgl. oben S. XLV.

Nachweise

  1. Chronicon Wormatiense saeculi XV 21.
  2. Chronicus liber antistitum fol. 9.
  3. Brusch, Epitomes I fol. 107v.
  4. Ders., Monasteriorum centuria prima 292.
  5. Wormser Bischofschronik fol. 25.
  6. Catalogus episcoporum Wormatiensium (WW) 31.
  7. G. Eysengrein, Chronologicarum rerum amplissimae clarissimaeque urbis Spirae Nemetum Augustae iam inde ab a. Chr. salvatoris primo ad annum fere MDLXIII gestarum libri XVI. Dillingen 1564, fol. 151.
  8. Zorn-2 fol. 12.
  9. Zorn, Chronik bei Arnold 28.
  10. Schannat, Hist. ep. Worm. I 179.
  11. Würdtwein, Monasticon Wormatiense II fol. 1.
  12. Pauli, Geschichte der Stadt Worms 378.
  13. Lehmann, Urkundliche Geschichte der Klöster 316 Anm. 45.
  14. Gallia Christiana V 708f.
  15. Kraus, Christliche Inschriften II 82 Nr. 181.
  16. Kranzbühler, Verschwundene Wormser Bauten 105f.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 65† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0006505.