Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 59 Stadtmuseum, aus Kloster Mariamünster 1295?/1325

Beschreibung

Grabplatte der Adelheid, Frau des Bürgermeisters Heilmann gen. Jude(us) und in Zweitverwendung der Elisabeth, Frau des Werner Dirolf, wahrscheinlich ihrer Tochter. Zweiter mittelalterlicher Stein innen an der Wand des Kreuzgangwestflügels, aus Mariamünster, früher als Kanalabdeckplatte benutzt, vor 1892 im Paulusmuseum.1) Hochrechteckige Platte aus rotem Sandstein mit Einschlüssen und Umschrift zwischen Linien, in der oberen Zeile im Feld fortgesetzt (A); innerhalb mit weiteren Linien abgegrenzt Umschrift der Zweitverwendung, ebenfalls in einer zusätzlichen Zeile im Feld oben weitergeführt (B), darunter Wappen. Rechte Seite ganz abgebrochen, Oberfläche bestoßen.

Maße: H. 190, B.(erh.) 85, (geschätzt) 98, Bu. 7,5 cm (A,B).

Schriftart(en): Gotische Majuskel, vor 1300 (A), gotische Majuskel (B).

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Dr. Rüdiger Fuchs) [1/1]

  1. A

    + ANNO ·a) D(OMI)NI · [M / CCXC[·Ub) ........... OBIIT ALHEIDIS UXOR HEILMANNI / MAG(IST)]R[(I)]c) · CIVI(UM)d) · WORM(ATIENSIUM)e) / D(I)C(T)I JUD(EI) · Q(U)Ef) · LEGAU(ER)A(T)f) · N(O)b(IS) · ANVATI(M) · IIIIORf) · MALD(R)Af) / SIL(IGINIS) · (ET)g) FIL(A)h) · Eti) · LIBRA(S)k) ·

  2. B

    + ANNO · D(OMINI)Il) · Mo / CCCo · XXo · V[o] · UIIIo · ID(US) · DECE(M)B(RIS) / O(BIIT) · ELIZ/ABET · VXOR · W(ER)NH(ER)I · DI/ROLFI ·

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1295(?) (am ......... starb Adelheid, Frau des) Bürgermeisters von Worms (Heilmann) gen. Jude(us), die uns jährlich 4 Malter Getreide, Garn und Pfund (Heller) vermachte.

Datum: 6. Dezember 1325 (B).

Wappen:
Jude(us)? (Schräggeviert).

Kommentar

Die nicht exakt wirkenden Buchstaben der älteren Inschrift lassen trotz erheblicher Oberflächenschäden eine große Vielfalt erkennen: Drei verschiedene A (kopfförmig, breit kapital und pseudo-unzial) sowie Nebeneinander von kapitalen und unzialen D, N, U-V, Zeilenunregelmäßigkeiten, überschriebene Buchstaben, nach oben verlängertes D, unter die Zeile verlängerte A, F, I, M, R verursachen ein sehr bewegtes Schriftbild mit zahlreichen Sonderformen wie zweifacher Verwendung von Minuskelbuchstaben. Die unter die Zeile reichenden Cauden waren eigentlich für frühe Inschriften aus Maria Himmelskron in Hochheim charakteristisch.2) Die jüngeren Formen der inneren Umschrift sind gedrungener und regelhafter.

Für die Herkunftsbestimmung der Platte sind die Fundumstände vor 1900 in einem Kanal zusammen mit anderen Platten aus Mariamünster ausschlaggebend;1) die Hochheimer Grablege wurde erst nach 1950 aufgelöst. Sicher kann man den ursprünglichen Standort wegen des Legates von Garn in einem Frauenkonvent suchen.

Die Ergänzung der verlorenen Stelle wurde schon von Weckerling überzeugend vorgenommen: Heilmann (gen.) Jude(us) und seine Frau „Alheide“ sind 1290 in einer Urkunde Bischof Simons von Schöneck genannt;3) dies ist die einzige für die fragliche Zeit bekannte Kombination eines Frauennamens mit dem Namen Jude(us); außerdem gehörte Heilmann zu den angesehensten und wohlhabendsten Bürgern, wie viele andere urkundliche Belege zeigen. Zwischen 1283 und 1300 wird er regelmäßig unter den Ratsherren genannt, zweimal sogar ist eine Urkunde datiert „Datum sub magistro nostro Heilmanno Judei...“4) Da sie von Dezember 1298 und Januar 1299 stammen, müßte man die mögliche Datierung der Grabinschrift seiner Frau eher nach jenem Zeitpunkt verschieben. Nach dem U für 5 ist aber kein weiterer Schaftfuß erkennbar.

Wegen der kurzfristigen Wiederverwendung der Platte ist Elisabeth wohl als Tochter der Adelheid anzusprechen; verheiratet war sie mit Werner Dirolf, der möglicherweise identisch ist mit einem schon vor 1303 verstorbenen Goldschmied Werner, dessen Frau Elisabeth einen Hof und Zinse an Kloster Otterberg verkaufte.5)

Die Erwähnung eines Legates in einer Grabinschrift ist höchst selten bezeugt6) und mag hier vom Umfang gerechtfertigt erscheinen; offen ist, ob sich die Zahl IIII auch auf Garn und Geld beziehen läßt. Die Formulierung läßt in QUE LEGAUIT/LEGAUERAT NOBIS die redende Partei erkennen, nämlich den Konvent. Dadurch gibt jener sich auch als verantwortlich für die Abfassung der Inschrift und möglicherweise für die Herstellung des Steines zu erkennen.7)

Textkritischer Apparat

  1. Als Worttrenner drei Punkte übereinander.
  2. Jeweils nur der Fuß der Buchstaben erkennbar; es ist unwahrscheinlich, daß das U zur Tagesangabe gehörte, da die Verstorbene noch am 15. September 1290 urkundlich erwähnt ist, vgl. Anm. 3, und sogar eine noch spätere Datierung erwogen werden kann, vgl. bei Anm. 4.
  3. Hypothetische Ergänzung und Personenidentifizierung nach Weckerling. Seine Deutung des R zu R(EVERENDI) ist sehr zweifelhaft, da dieses Epitheton fast ausschließlich Geistlichen vorbehalten war; MAG(IST)R(I) CIVI(VM) mit hochgestelltem I ließe sich auch urkundlich belegen, vgl. Anm. 4.
  4. Die hochgestellte Kürzung, in das folgende W übergehend, stellt gegen Weckerling wohl doch kein S dar, vgl. Anm. c.
  5. In der leider beschädigten Ecke OR-Ligatur mit handschriftenähnlichem Schwung; das M wie andeutungsweise in der Jahreszahl mit unter die Zeile reichender Cauda; die Auflösung ist abhängig von der Deutung der vorangehenden Worte.
  6. Letzte Buchstaben hochgestellt, ggf. Kürzung ähnlich einem überschriebenen handschriftlichen offenen Minuskel-a, u. a. daher wohl aufzulösen als LEGAU(ER)A(T).
  7. Tironisch, tachygraphisches Zeichen; keine Zahl.
  8. AIL Weckerling; JAIL Mus.Inv., mit tachygraphischem Zeichen zusammengezogen.
  9. Das t dekorativ mit Ober- und Unterlänge handschriftenartig.
  10. LIBR(AM) Weckerling; die Kürzung wohl in Form eines überschriebenen handschriftlichen Minuskel-a.
  11. I überschrieben.

Anmerkungen

  1. Weckerling, ohne genaue Lokalisierung; Alte Aufzeichnungen Nr. 37: Vorhalle von St. Paul. Die Herkunft ist aus den Fundumständen zu schließen.
  2. Vgl. oben S. LX.
  3. Boos, UB I 294f. Nr. 446.
  4. Boos, UB I 265 Nr. 405 von 1283 u. 344 Nr. 509 von 1300; „magister“ in ebd. 321f. Nr. 484 u. 324f. Nr. 490.
  5. Boos, UB II 11f. Nr. 17 u. 53 Nr. 84; der Hof eines verstorbenen Werner Dirolf wird 1323 genannt, vgl. ebd. 131 Nr. 186.
  6. An Sterbevermerke angehängt begegnen Legate häufig in Südfrankreich, vgl. in CIFM unter dem Lemma „formules-anniversaire“; eine Pitanzstiftung, „pisces dantur“, ist bei der Grabinschrift des Pfarrers Ulrich aus Hayingen im Zisterzienserkloster Bebenhausen angefügt, vgl. E. Paulus, Die Cisterzienser-Abtei Bebenhausen, hg. vom Württembergischen Alterthums-Verein. Stuttgart 1886, 160.
  7. Vgl. dazu auch die Gedenkplatte für Ritter Dirolf von Hochheim (†1318) Nr. 97 u. oben S. CII.

Nachweise

  1. Weckerling, Grabdenkmäler 268f. Nr. 2.
  2. Mus.Inv. MG Nr. 3.
  3. Fuchs, Wormser Inschriften Abb. 42.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 59 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0005900.