Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 49 Stadtmuseum 1278

Beschreibung

Meister- und Rechtsinschrift, ggf. Urkundeninschrift(?) auf dem Ölmaß der Stadt Worms. Mittelalterliche Sammlungen. Rundes Hohlgefäß aus Bronze mit zwei rechteckigen Griffen und 14,59 Liter Inhalt.1) Unter dem Rand Inschrift des Meisters Eckehard (A), darunter zwischen Stegen Inschrift mit Bezeichnung des Objektes (B), die auf dem leicht nach innen abgeschrägten Rand wiederholt und mit einer Korroboration versehen ist (C). Auf der Flanke nahe der Schmiedenaht unter dem Wort EST ist in dem freien Feld zwischen den Doppelstegen ein geflügelter Drache eingraviert. Geschmiedet und graviert.

Maße: H. 20,3, Dm. 30,5-31,5, Bu. 0,9 (A), 1,2-1,4 (B), 0,2-0,3 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Majuskel, vor 1300 (A,B,C).

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Dr. Rüdiger Fuchs) [1/5]

  1. A

    ECKEHARDVS ME FECIT

  2. B

    + HEC · EST · MENSVRA · OLEI · QVARTALIS · CENTENARII · CIVIMa) · WORM(ATIENSIVM) ·

  3. C

    + HEC · EST · MENSVRA · OLEI · QVARTALIS · CENTENARII · CIVIMa) · WORM(ATIENSIVM)b) · FACTA · ANNO · Mo · CCo · LXXo · VIIIo · DIE · B(EA)TIc) · ANDREE · SVB · WERNHERO · AMELLE · MAG(IST)RO · CIVIVM · WORM(ATIENSIVM)b) · RVDOLFI · ROMANORVM · REGIS · REGNI · ANNOd)

Übersetzung:

Eckehard machte mich. – Dies ist das Viertelzentnerölmaß der Wormser Bürger. – Dies ist das Viertelzentnerölmaß der Wormser Bürger, gemacht im Jahre 1278 am Tag des hl. Andreas unter dem Wormser Bürgermeister Werner Amella im .. Regierungsjahr des Königs der Römer Rudolf.

Datum: 30. November 1278.

Wappen:
Amella oder Münzerhausgenossenschaft (Siegelbild Drache).

Kommentar

Die Herstellung der Buchstaben erfolgte bei den beiden größeren Schriften durch Gravur von Doppellinien, zwischen denen teilweise schmale Stege stehen blieben; Schwellungen von Bögen und Schaftenden erhielten so eine zusätzliche dekorative Ausbildung; für die auf dem Rand umlaufende Inschrift konnten nur sehr kleine Buchstaben benutzt werden, deren prekäre Anbringung unregelmäßige Ausbildung verursachte. Die Majuskeln gehören zu den frühesten voll durchgebildeten im Bearbeitungsraum, nehmen aber in der Mischung von unzialen und kapitalen Formen und der nicht immer vollständig durchgeführten Abschließung des C einen älteren Typ auf. Einzelformen, Doppelstriche und Gesamtwirkung sind durch das Material und die Schriftherstellung bedingt und daher kaum in der Lapidarpaläographie weiterzuverfolgen; sie wiederholen sich mit nur unwesentlichen Abweichungen auf dem kleineren Ungeldmaß.2) In Stein wurde eine vergleichbare Wirkung selten wie etwa auf dem Grabstein des Johann Truchseß von Alzey (†1343) aus Kloster Weidas bei Alzey erzielt, bei dem die Schattenstriche der gotischen Majuskel nicht vertieft, sondern durch eine Doppellinie markiert wurden.3)

Meister Eckehard, durch das von ihm 1279 geschaffene Taufbecken im Würzburger Dom auch als Meister Eckehard von Worms4) bekannt, schuf für seine Heimatstadt das Ölmaß und ein Ungeldmaß in sauberer handwerklicher Ausführung. In der Liste der 1304 von König Albrecht aus der Acht erlösten Bürgern von Worms ist wohl er als „meister Ekkehart der kannen gisser“ genannt;5) sein ehemaliges Haus wurde noch 1337 erwähnt.6) Um dieselbe Person handelt es sich wohl bei dem 1310 genannten Mainzer Bürger und Glockengießer „Ekkehard“.7)

Die auf der Flanke umlaufenden Inschriften bezeichnen Objekt und Meister; die im Uhrzeigersinn auf dem Rand umlaufende, also quasi vom Mittelpunkt des Gefäßes zu lesende Inschrift C fügt dem von B übernommenen Text eine Beglaubigung durch Datum, Angabe des verantwortlichen Bürgermeisters Werner Amella und Regierungsjahr König Rudolfs bei.8) Durch Inhalt und Anbringung auf dem Rand wirkte die Inschrift verfälschungssichernd und beglaubigte die Gültigkeit des Maßes. Unterstützend war auf der Flanke das Bild eines geflügelten und krallenbewehrten Drachen angebracht, dessen Leib gewunden ist; es stimmt mit jenem auf dem Drachensiegel des Werner Amella überein.9) Zugleich bildete der Drache das Zeichen der Wormser Münzer oder gar der Münzerhausgenossenschaft, denen Werner Amella zugerechnet werden kann, weil er sich mit anderen Räten gegenüber dem Bischof besonders für die Wahrung von deren Privilegien einsetzte.10) Dazu paßt gut, daß die Münzer als Amtsträger des Bischofs für alle Eichangelegenheiten zuständig waren. Drachendarstellungen finden sich in Worms auch auf romanischen Bodenfliesen in zu der hier vorliegenden durchaus vergleichbaren Formen.11) Dasselbe Zeichen kehrt wieder am Sarg Christi der Würzburger Taufe, wo es als Meisterzeichen verstanden werden könnte.12)

Die Wormser Hohlmaße wurden für die städtische Steuererhebung eingesetzt, die sich auf Verbrauchssteuern bezog; bei der Bezeichnung QVARTALIS ist nicht an vierteljährliche Erhebung zu denken, sondern an den Bruchteil einer Maßeinheit, um Verbrauchszölle zu berechnen.13) Insofern ist zu überlegen, ob die außen angebrachten Stege nicht zusätzlich für Messungen herangezogen wurden. Insbesondere für Worms weiß man nur wenig über konkrete Verfahrensweisen.14) Die Herstellung des Hohlmaßes muß aber mit der erneuten Bewilligung des Ungeldes durch Bischof Friedrich I. im Januar 1278 zusammenhängen.15) Die Wortreihenfolge der Inschriften schließt die Bedeutung „Schultheiß“ für CENTENARIVS nicht aus; immerhin gehörten zwei Zentner Öl zur Fastenabgabe des Wormser Schultheißen, „in qua dabit duos centenarios olei“.16)

Textkritischer Apparat

  1. Sic für CIVIVM.
  2. Die Kürzung zwischen R und M.
  3. BE · T Biehn; täuschend ein Kürzungsstrich über dem I.
  4. Das Jahr fehlt; vgl. bei Anm. 8.

Anmerkungen

  1. Biehn 33 nach Angaben des Eichamtes Worms.
  2. Vgl. folgende Nr. Die Schriftformen auf dem Würzburger Taufbecken von 1279 sind bedingt vergleichbar, obwohl durch Guß hergestellt und dann nachgezogen, vgl. DI XXVII (Würzburg) Nr. 35 mit Abb. 22a-d u. Die Kunstdenkmäler von Unterfranken und Aschaffenburg. XII Stadt Würzburg, hg. von F. Mader (Die Kunstdenkmäler des Königreichs Bayern III 12) München 1915, Abb. 34.
  3. Heute im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, vgl. W. Hornschild, Die Steine des Klosters Weidas, in: Alzeyer Geschichtsbll. 20 (1986) 64 u. Abb. 2.
  4. Inschriften des Taufbeckens, Szene mit Taufe Christi und Auferstehungsszene: „P(ER) MAN(VM) MAGISTRI ECKARDI DE WORMN“ und „ECKARDVS NOMEN MICHI PAX SIT DEPRECOR AMEN“ nach DI XXVII (Würzburg) Nr. 35.
  5. Boos, UB II 18f. Nr. 27.
  6. Ebd. II 198 Nr. 296.
  7. Biehn nach (F. Falk), Der Glocken- und Kunstgießer Johann von Mainz um 1330, in: Geschichtsbll. f.d. mrh. Bistümer 2 (1884) 146.
  8. Das Regierungsjahr, nämlich SEXTO, fehlt freilich, wohl wegen Platzmangel. Das Würzburger Taufbecken ist übrigens in ähnlicher Weise datiert.
  9. Vgl. Kranzbühler, Worms und die Heldensage 129 u. Abb. 35a.
  10. Vgl. die Schwureinung von 1283, Boos, UB I 265f. Nr. 405.
  11. E. Grill, Wormser mittelalterliche Bodenfliesen, in: Veröffentlichungen der städtischen Sammlungen Worms 1 (1922) 3-7, bes. Taf. I,8 mit identischer Gestaltung, ebenso auf Wormser Brakteaten, vgl. handschriftliche Auf- und Nachzeichnungen im Magazin des Museums; G. Wiesenthal, Vom Wormser Drachen, in: Volk und Scholle 18 (1940) S. 133-135. Bei der Verknüpfung von Drachenabbildungen und erst später belegbaren Drachenlegenden ist Vorsicht geboten.
  12. DI XXVII (Würzburg) Nr. 35.
  13. Vgl. Biehn u. Boos, Städtekultur III 237.
  14. Vgl. zur geringen Kenntnis des technischen Ablaufes der Ungelterhebung J. Rosen, Verwaltung und Ungelt in Basel 1360-1535. Zwei Studien zu Stadtfinanzen im Mittelalter (VSWG, Beiheft 77) Stuttgart 1986, 157. Schon 1272/73 erhob der Wormser Rat Verbrauchssteuern in Bargeld, vgl. Boos, Städtekultur II 31.
  15. Boos, UB I 247 Nr. 383; vgl. auch Keilmann, Kampf um die Stadtherrschaft 208f.
  16. Boos, Quellen III 227 zu 1259.

Nachweise

  1. Biehn, Meister Eckehard 31 u. Abb. 1 u. 2a.
  2. Höfel, Rechtsaltertümer 34 u. Abb. 53.
  3. G. Illert, Kostbarer Bestandteil der Wormser Sammlungen. Hohlmaße aus dem hohen und späten Mittelalter. Das früheste gotische gegossene Bronzekunstwerk, in: Wonnegauer Heimatbll. 2 (1957) Nr. 9.
  4. Fuchs, Wormser Inschriften Abb. 40.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 49 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0004902.