Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 39 Dom, innen (nach 1160)/1.H.13. Jh.?

Beschreibung

Schrift als Stilisierung eines Buches im Tympanon der romanischen Nikolaus-Kapelle, nach deren gotischem Umbau überflüssig, heute zugemauerte Tür. Profilierte Bogenlaibung aus hellgelbem Sandstein mit Darstellung des hl. Nikolaus von Myra (Rumpf) über wulstigem Sturz. Der Heilige hält in seiner linken Hand ein aufgeschlagenes Buch, die rechte Hand, die möglicherweise einen Stab trug, fehlt; in den Zwickeln Büsten von insgesamt drei Jünglingen, über der rechten Schulter des Bischofs angedeutet eine Maske. Alle Figuren reichen über das Bogenfeld in die Laibung des Bogens hinein. Linke obere Ecke des Buches ausgebrochen, rechte Seite nicht voll beschrieben, Oberflächen bestoßen.

Maße: H. 60, B. 120, Bu. 1,7 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel, vor 1300.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Dr. Rüdiger Fuchs) [1/2]

  1. [..]M / [.]CU / ERS / NTE / SDVa) // [... / ... / ...] / E[..] / DES

Kommentar

Die Buchstaben, denen bisher weder senkrecht noch waagerecht ein Sinn gegeben werden konnte, sollen wohl das Nikolaus eigene Evangelienbuch in der Hand des Heiligen als solches unterstreichen, als habe man horrore vacui eine Füllung gesucht. Die halb freie Seite oben rechts resultiert nicht aus Buchstabenverlusten, sondern war ursprünglich schon so. Beides zusammen legt nahe, daß die Inschrift nicht notwendigerweise zeitgenössisch mit dem Relief sein muß. Nachträgliche Anbringung der Schrift, und zwar frühestens in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, ließe sich auch besser mit den schon gotischen Buchstabenformen vereinbaren, die sich in unzialem D, E, M, N, T, U, Abschlußstrichen insbesondere beim E und deutlichen Schwellungen äußern. Sie sind außerdem in Kontur und Zeilentreue nicht mit der Qualität der Inschriften von um 1160 zu vergleichen.

Das Relief selbst stammt nach bau- und stilgeschichtlichen Kriterien aus der Zeit nach 1160,1) angeblich sogar aus der Hand des Tympanonmeisters.2) Damit zeitgenössische Herstellung der Inschrift ist wegen der Schriftformen nicht möglich; Indizien für eine gotische Überarbeitung älterer Buchstaben sind nicht vorhanden. Auch ist die Fortschrittlichkeit der Buchstabenformen nicht allein mit der Innovationskraft des Reliefs, bei dem die Figuren aus dem engeren Bogenfeld heraustreten, erklärbar.3) Eine ursprünglich gemalte Stilisierung könnte später in Stein gehauen worden sein.

Das Relief zeigt den hl. Nikolaus von Myra in pontifikaler Kleidung als Lehrer oder Wohltäter in einer der frühesten plastischen Darstellungen des Heiligen überhaupt. Die Szene nimmt möglicherweise die erst spät, im 12. Jahrhundert im Abendland entstandene Schüler-/Scholarenlegende auf, in der Nikolaus rettet und lehrt; für eine genaue Zuschreibung müßte man wissen, wie die rechte Hand des Heiligen gestaltet war. Keinesfalls handelt es sich um die Köpfe von Stiftern.4) Die über der rechten Schulter des Heiligen fast verschwindende Maske wird als Anspielung auf die Dianaepisode der Nikolauslegenden verstanden.5)

Textkritischer Apparat

  1. SDV unsicher, auch GY[.] möglich; der letzte Buchstabe am Finger gepreßt. Kautzsch las: ..M /. A(?) U / ERS / NTE / SPL // E / TES.

Anmerkungen

  1. Vgl. zur Baugeschichte oben S. XVIIf. u. die Reliefs von um 1165, Nr. 21ff. Budde datiert auf 10 Jahre nach Christus-Tympanon.
  2. Beenken, Hotz 79; v. Winterfeld 18: gleiche Stilmerkmale.
  3. Wirth.
  4. Gegen Brück, Nikolaus-Patrozinien 45.
  5. Hotz; vgl. auch K. Meisen, Nikolauskult und Nikolausbrauch im Abendlande. Eine kultgeographisch-volkskundliche Untersuchung (Forschungen zur Volkskunde 9-12) Düsseldorf 1931, 289ff. zum Schülerpatronat u. 269f. zur Diana-Legende.

Nachweise

  1. Beenken, Romanische Skulptur 60.
  2. Kautzsch, Heutiger Dom 142.
  3. Ders., Dom Taf. 67 b u. d.
  4. Schmitt, Bildwerke 262.
  5. Wirth, Westportaltympanon 415f. u. Abb. 93.
  6. Budde, Deutsche Romanische Skulptur 61 u. Abb. 103.
  7. Hotz, Dom 76 u. Abb. 31.
  8. v. Winterfeld, Dom Abb. S. 70.
  9. Fuchs, Wormser Inschriften Abb. 35.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 39 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0003904.