Inschriftenkatalog: Stadt Worms
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 29: Worms (1991)
Nr. 13 Aschaffenburg, Stiftskirche St. Peter und Alexander, aus Martinsstift 11.-12. Jh.
Beschreibung
Spruchinschrift auf der sogenannten Stola des hl. Martin. Sakristeischrank. Aus dem Besitz des Martinsstiftes in Worms. Stola aus farbigem Leinenzwirn, für die Kette blau, für den Schuß rot und beige. Brettchenweberei mit Zickzack- und Rautenmuster in etwa 12 cm großem Rapport, die Kettfäden an den Enden verknotet und in Fransen auslaufend. Zweizeilige von Linien begrenzte Schrift, in identischer Form vierundzwanzigmal vorhanden oder als Abdruck verlorener Fäden erkennbar, an den beiden Enden und im Nackenteil mit geringerem Abstand. Aufgenäht weißes Leinenband als Nackenschutz, weitere Bänder zum Festbinden. Teilweise Verlust von Farbigkeit und Fäden.1) 1955 und 1987/88 restauriert.
Maße: Länge 328, B. 6,8, Bu. 1 cm.
Schriftart(en): Romanische Majuskel.
IN NOMINE D(OMI)NIa) / ORA PRO MEb)
Übersetzung:
Im Namen des Herrn, bete für mich.
Textkritischer Apparat
- I vorhanden, nicht zu einer Rahmung gehörig, DN Kdm. Aschaffenburg, Kranzbühler, Sakrale Gewänder, Schmedding.
- MEH Kranzbühler; nach dem E deutlich zwei Schäfte mit dünnem Querstrich. Da auch ein oberer Abschluß des Buchstabens besteht, dürfte es sich statt um den Buchstaben H um ein rechteckiges Zeichen handeln, das den verbleibenden Raum der zweiten Zeile horrore vacui zu füllen hatte.
Anmerkungen
- Frau Hannelore Herrmann von der Abteilung Textilrestaurierung des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Außenstelle Bamberg, Schloß Seehof, verdanke ich die textilkundlichen Angaben.
- Frau Dr. von Wilckens sprach sich für das 12.-13. Jh. aus, briefliche Mitteilung von Frau Hannelore Herrmann, wie Anm. 1. Die Stola von Bock irrtümlich Bischof Gregor von Tours (†594) zugesprochen.
- J. Braun, Die liturgischen Paramente in Gegenwart und Vergangenheit. Ein Handbuch der Paramentik. Freiburg 21924, 134-143.
- Kdm. Aschaffenburg nach Stiftsarchivalien.
- Vgl. Bericht bei Arens, Alte Reiseberichte 146f. u. Kranzbühler nach jüngerer Bischofschronik.
- Braun 140f. mit Beispielen.
Nachweise
- Schannat, Hist. ep. Worm. I 136.
- Bock, Geschichte der liturgischen Gewänder II 64.
- Falk, Heiliges Mainz 186.
- Kraus, Christliche Inschriften II 81 Nr. 178.
- Die Kunstdenkmäler der Stadt Aschaffenburg, bearbeitet von F. Mader (Die Kunstdenkmäler von Bayern III 19) München 1918, 106.
- Kranzbühler, St. Martin 28.
- Sakrale Gewänder des Mittelalters. Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum München, 8. Juli bis 25. September 1955. München 1955, 26 Nr. 38 u. Abb. 50.
- B. Schmedding, Mittelalterliche Textilien in Kirchen und Klöstern der Schweiz. Katalog (Schriften der Abegg-Stiftung Bern 3) Bern 1978, Nr. 289.
Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 13 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0001307.
Kommentar
Die rein kapitalen Buchstabenformen sind bis auf das zweite R vollkommen regelmäßig und gleichmäßig gestaltet; bei dem R in PRO reicht der Bogen bis hinunter zum Schaftfuß und wird auf halbem Wege von der Cauda geschnitten. Diese Eigentümlichkeit kommt, soweit überhaupt erkennbar, bei allen Wiederholungen der Inschrift vor und dient somit dem Nachweis einer quasi automatisierten Verfahrensweise der Schriftherstellung, die frei ist von Handkorrekturen.
Eine Datierung anhand der Schriftformen gestaltet sich naturgemäß recht schwierig, da die fehlende Verwendung von Sonderformen und Unzialen vom Material bedingt sein kann und so eine anachronistische Reinheit der Kapitalis zu erklären wäre. Dem bisher vorgeschlagenen Zeitraum vom 11. bis 12. Jahrhundert widersprechen sie nicht, während sie für das 13. Jahrhundert antiquiert erscheinen,2) es jedoch nicht mit Sicherheit ausschließen. Die Proportion der Buchstaben ist bei schlanken E und N nicht so ausgeprägt, daß man sie als verläßliches Indiz werten könnte. Die ab dem 12. und im 13. Jahrhundert häufige Form von Stolen mit breiteren, trapezförmigen Enden ist hier noch nicht erreicht.3)
Zur Herkunft der Stola weiß man nur gewiß, daß sie samt Elfenbeinschatulle und Aureusstola durch den Kanoniker Johann Paul Mitnacht aus dem Martinsstift nach der Auflösung im Jahre 1802 nach dessen Geburtsort Aschaffenburg gebracht und 1807 dem dortigen Stift St. Peter und Alexander geschenkt wurde.4) Schon die Bollandisten Henschen und Papebroch sowie Schannat hatten sie gesehen und als Stola des hl. Martin bezeichnet; daher dürfte sie mit der schon im späten Mittelalter dem hl. Martin zugeschriebenen Stola identisch sein.5) Daß sie aber ein Geschenk Kaiser Ottos III. gewesen sei, wie Schannat meinte, gehörte wohl in die Legendenbildung über die Beziehungen des Stiftes zu diesem Herrscher.
Die Stola, biblisch für ein auszeichnendes Kleidungsstück, gehörte seit dem 6. Jahrhundert zur Bekleidung geweihter Geistlicher. Ihre häufigste Bezeichnung als „orarium“ hat zu verschiedenen Deutungen Anlaß gegeben; die vorliegende Inschrift mag als Indiz dafür gelten, daß man die Stola im Hochmittelalter doch eher liturgisch verstand und von „orare“ im Sinne von „beten“ oder wie Hrabanus Maurus von „predigen“ ableitete.6)