Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 693† Stadtmuseum, vom lutherischen Friedhof 1635

Beschreibung

Heute verlorenes Grabdenkmal(?) der Catharina Kurtz aus Bensheim. Im Museum, vom lutherischen Friedhof.1) Roter Sandstein mit 28 wohl teilweise gestaffelten Inschriftenzeilen. Im Museum schon beschädigt abgeschrieben.

Nach Zorn-Meixner und Mus.Inv., Zeilen nach Mus.Inv.

Maße: H. 203, B. 99 cm.2)

  1. Satiabor cum evigilavero. Psalm. XVII.D(EO) O(PTIMO) M(AXIMO)Conditorium matronae christianaea) / Catharinae Curtiae / quae / Bensheimii in Palatinisb) nata, educta, ducta / primas aevi sui scenas et paene XL annos / serena vidit fruita est / salvis sacris clauso iano gleba fertili / patre longevo connubio porro liberis / et nepotibus pluribus gavisa / dein / vergente patria religione seculo / catastrophem morosiorem experta / funera urbis et suae / vidit et passa est / Bis vidua semel ab religionem pluries ab bello lare proprio eiecta / semper orthodoxiae tenax / tandem / aerumnas praecibus et sacro codice solata morbo brevi sed epidemico festinata / propitium numen familiae adprecata / composita in manum / capite dormitura placide et velut sciens quodc) mortalis fuit / esse desiit / in Vangionibus ortu maiorum / Anno aetatis LVIIId) salutis MDCXXXVe)Wilhelmus et Catharina / Berina superstites,f) V(otum) S(olventes) I(usserunt) M(atri) P(iissimae) P(onere)

Übersetzung:

Ich werde satt sein, wenn ich erwache.... Psalm 17. Dem besten und höchsten Gott (geweiht). Behältnis der christlichen Frau Catharina Kurtz, die zu Bensheim im Pfälzischen geboren, erzogen und verehelicht wurde; dort sah sie heiter den ersten Schauplatz ihres Lebens für fast 40 Jahre und genoß das unversehrte Heilige, das geschlossene Tor, die fruchtbare Scholle, froh mit dem in langer Ehe verbundenen Vater sowie den Kindern und weiteren Verwandten; schließlich, als das Jahrhundert mit dem väterlichen Glauben sich zu seinem Ende neigte, erfuhr sie die wunderlichere Wandlung, sah das Leichenbegängnis ihrer Stadt und litt. Zweimal Witwe, einmal durch den Glauben, mehrfach durch den Krieg vom eigenen Herd vertrieben, immer fest in der Rechtgläubigkeit, schließlich in den Drangsalen getröstet durch Fürbitten und die Heilige Schrift, hörte sie nach kurzer, doch epidemisch beschleunigter Krankheit, die gnädig waltende Macht des Gottes der Familie anrufend und mit dem Kopf in die Hand gebettet zum sanften Schlafen, und eben im Wissen um ihre Sterblichkeit auf zu sein bei den Vangionen, dem Stammort der Vorfahren, im Jahre ihres Alters 58, des Heils 1635. Wilhelm und Catharina Berina (= geb. Bär), die noch leben, lösten das Gelübde ein und ließen (das Denkmal) der höchstfrommen Mutter setzen.

Kommentar

Das sprachlich und inhaltlich, man vergleiche Vokabular und die Stifterformel, in antiker Tradition stehende Denkmal gibt Auskunft zur Person der Verstorbenen und beklagt die äußeren Umstände ihres Daseins; wie nur selten bei Grabinschriften wird auf Ereignisse der Zeit Bezug genommen: Aus dem pfälzischen Bensheim, wo sie 40 glückliche Jahre verbracht hatte, vertrieb sie wie auch von anderen Wohnungen der Krieg, nachdem schon der Glaube der Väter gelitten hatte. Bezeichnenderweise wird für ihre Vertreibung einmal ausdrücklich die Religion verantwortlich gemacht. Ihre eigene Festigkeit im Glauben wird durch den Nachweis eines „guten Todes“ mit entsprechender Heilsvorsorge, biblischem Trost und Gefaßtheit unterstrichen. Kontrolliert man die Zahlenangaben drängt sich eine weitere Anspielungen auf: Die vierzig glücklichen Jahre enden demnach um 1617/18, als für die Pfalz und das persönliche Schicksal der Verstorbenen so folgenreiche Geschehnisse ihren Anfang nahmen; nicht zuletzt neigte sich in diesen Jahren auch das Jahrhundert nach Luthers Thesenanschlag. Nach 1623 begann die Rekatholisierung durch Kurmainz; von dem „Leichenbegängnis“ ist freilich wenig bekannt, da die Ratsprotokolle für Bensheim nach 1621 verloren sind, Verluste lassen sich nur durch Vergleichszahlen im Steueraufkommen errechnen.3) Da ohne Tagesdatum, wurde das Denkmal der Catharina Kurtz, geb. Schuler, von den Kindern vielleicht später errichtet, wie das 1640 in ähnlicher Weise für den Vater Wilhelm (†1621) geschah.4)

Der Bibelspruch ist eine Rückübersetzung aus Luthers Psalm 17,15 nach der hebräischen Version.5)

Textkritischer Apparat

  1. Zeilen in Mus.Inv. teilweise gestaffelt abgeschrieben, nach fruita est mit Schrägstrich gekennzeichnet.
  2. Zahlreiche Varianten in beiden Überlieferungen emendiert ohne Kennzeichnung.
  3. quam Zorn-Meixner, qua Mus.Inv.
  4. Nur in Mus.Inv.
  5. MDXXXV Zorn-Meixner.
  6. In Mus.Inv. nur einige Buchstaben.

Anmerkungen

  1. Zorn-Meixner, 4. Stein von Norden an der östlichen Friedhofsmauer.
  2. Vermerk in Kartei zum Mus.Inv.
  3. K. Henkelmann, Geschichte der Stadt Bensheim bis zum Ausgang des Dreißigjährigen Krieges. Verfassung und Verwaltung. Gerichtsbarkeit. Festschrift zur Sechshundert-Jahrfeier der Stadt Bensheim. Bensheim 1920, 43ff.
  4. Zum Sohn vgl. G. Großkopf, Wilhelm Curtius (1599-1678). Lebensspuren eines kurpfälzischen Adligen aus Bensheim im Dienst der englischen Krone, in: AHG NF 45 (1987) 61-116, zum Grabmal in Bensheim DI Bergstraße.
  5. Ps. 16,15: „satiabor cum apparuerit gloria tua“; Luther Ps. 17,15: „Ich will satt werden, wenn ich erwache nach deinem Bilde“ das ist Ps. iuxta Hebraicum 17,15: „implebor cum evigilavero similitudine tua.“

Nachweise

  1. Zorn-Meixner fol. 391v Nr. 20.
  2. Mus.Inv. MG Nr. 79.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 693† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0069309.