Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 623 Lutherischer Friedhof(?) und Stadtmuseum(?) 1610

Beschreibung

Fragment vom Grabdenkmal des Wormser Schulrektors und Chronisten Friedrich Zorn. Möglicherweise ein kleiner Rest des Denkmales hängt rechts an der Ostwand der 4. Nische des Kreuzgangsüdflügels; die Herkunft vom lutherischen Friedhof ist ungewiß, da in der Aufzeichnung bei Zorn-Meixner dazu nichts überliefert ist. Das querrechteckige Fragment aus rotem Sandstein stellt wohl einen Architrav dar; zwischen zwei Pilasteransätzen rechteckiges Inschriftfeld in einer Rollwerkkartusche mit vier Inschriftenzeilen, gleichzeitig Spruch und Bildbeischrift (A). Außerdem ist ein „Epitaphium“ (B) überliefert, das aber nicht als wirklich existierende Inschrift nachzuweisen ist. Stark verwittert.

Maße: H.(erh.) 17, B. 136, Bu. 1,8 cm.

Schriftart(en): Kapitalis (A).

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Dr. Rüdiger Fuchs) [1/2]

  1. A

    CERNIS, VT IN TVMVLO FIXVS PES ALTER INHAERET,ALTER AT IN COELVM SCANDERE TENTATa) ITER,CHRISTE, TVAMb) PECCATORI MIHI PORRIGE DEXTRAM,INQVE TVI PATRIS ME SACRA TEMPLIc) TRAHE.d)Nach Zorn-Wilck und Gerlach.

  2. B

    Hace) iacet in tenui Fridericus Zornius urna,Doctrina claris notus ubique viris.Praesertim ante alios constanti pectore fidus,Magne Chytraee, tuus semper amicus erat.Cui titulos docti dedit Heydelberga magistriAonidum casto condecorata choro,Qui quadragenos quinosque fideliter annosVangionum Patria rexit in urbe scholam.Erudiens blanda teneram gravitate juventamIn linguis, studiis, moribus inque bonis,Historicos sacros evolvens atque profanosPerlegit vigili sedulitate libros.Optato tandem decessit fine beatusCommendans animam, CHRISTE benigne, tibi,Cum vitae satur et mundi pertaesus iniquiAnnos vixisset septuaginta duos.Hic male non moritur, Dominum quicunque timereEt verbo didicit fidere, CHRISTE, tuo.And(reas) Wilkius.

Übersetzung:

Du siehst, wie der eine Fuß fest im Grab verharrt, der andere aber den Weg zum Himmel zu ersteigen strebt. Christus, reiche mir Sünder deine rechte Hand und nimm mich auf in das Heilige im Tempel deines Vaters. – In dieser dürftigen Urne ruht Friedrich Zorn, in der Lehre den berühmten Männern überall bekannt; vor allen anderen war er mit festem Herzen, großer Chytraeus, immer dein treuer Freund. Die Titel eines gelehrten Magisters gab das von der reinen Schar der Musen gezierete Heidelberg ihm, der fünfundvierzig Jahre lang treu die Schule in der Vaterstadt Worms geleitet. Mit freundlicher Strenge lehrte er die zarte Jugend in den Sprachen, Studien und guten Sitten; kirchliche und weltliche Geschichtsschreiber studierend durchforstete er Bücher mit wacher Emsigkeit. An seinem herbeigesehnten Ende verschied er seliglich und befahl dir, barmherziger Heiland, seine Seele, nachdem er des Lebens satt und der ungerechten Welt überdrüssig zweiundsiebzig Jahre gelebt hatte. Der stirbt nicht schlecht, der den Herrn fürchten und deinem Wort, Christus, vertrauen gelernt hat.

Kommentar

Die Inschrift in einer Kapitalis continua bezieht sich in zwei Distichen auf die bildliche Darstellung genau derselben Auferstehungsszene, die auch in der Beschreibung des Grabdenkmales in der Leichenpredigt des Andreas Wilck gegeben wurde.1) Dort wird zu Zorns Denkmal gesagt: „In monumento Zorniano in lapide rubeo quadrata eiusmodi pictura incisa conspicitur ...“ Die sich anschließende sehr genaue Schilderung der Szene stimmt mit der beschreibenden Inschrift überein und informiert über mehr Einzelheiten.2) In unmittelbarer Nachbarschaft des Inschriftenfragmentes ist ein weiteres an der Wand angebracht, dessen bildliche Darstellung in einem quadratischen Feld zwischen zwei Engelskonsolen mit der beschriebenen Szene bis aufs Kleinste übereinstimmt. Da es jedoch anscheinend aus gelbem Sandstein herstellt wurde, gehörte es nicht zum Zornschen Denkmal, sondern zu dem Wilhelm Redeckers (†1628), für das eine Abschrift mit unter anderem exakt der oben mitgeteilten Inschrift bekannt ist.3) Wenn man voraussetzt, daß die Materialbezeichnung „roter Stein“ nach Andreas Wilck stimmt und keine verschiedenfarbigen Steine für ein Denkmal verwandt wurden, gehören die beiden Fragmente zu zwei höchst ähnlich gestalteten Grabdenkmälern, deren zentrale Aussage der Auferstehung gilt und diese in eine ikonographisch reizvolle Darstellung kleidet.

Die Textvarianten des einzigen Überlieferungsstranges schließen die Zuschreibung des Fragmentes zum Zornschen Denkmal nicht aus. Das zusätzlich bei Gerlach mitgeteilte „Epitaphium“ für Friedrich Zorn aus neun Distichen stammt ebenfalls aus der Leichenpredigt Wilcks, ist aber als Inschrift und Teil des Denkmales nicht zwingend nachgewiesen.4) Es müßte schon Mitte des 18. Jahrhunderts für Meixner nicht mehr identifizierbar gewesen sein. Die Datierung der Inschrift folgt den Nachrichten über Zorns Tod am 7. Oktober 1610 im Alter von 72 Jahren.5)

Textkritischer Apparat

  1. Für TEMPTAT.
  2. ISTAM Gerlach, Becker.
  3. TEMPLA ebd.
  4. TRAHES ebd.
  5. So Becker, verbessert aus Hoc bei Gerlach; Zorn-Wilck Hic.

Anmerkungen

  1. Informationen ausdrücklich daraus bei Gerlach 371ff., die „concio funebris“ in Zorn-8 fol. 668ff. u. Zorn-Meixner fol. 193vff.
  2. Gerlach 377: „Vir nudus, pede dextro tumulo seu sepulcro adhuc inhaeret atque insistit, pede vero sinistro extrorsum ex tumulo scandens brachium sinistrum atque manum tendit versus Christum stantem juxta tumulum cum pallio triumphali a collo pendente ac circumfluiante vexillumque paschale seu resurrectionis trophaeum manibus tenentem, subtus quem hi versus continentur“.
  3. Vgl. Nr. 665 mit anderer Deutung der Überlieferung.
  4. Gerlach 375f.
  5. Ebd. 371-374 u. Becker 87ff. zum Lebenslauf: gebürtiger Wormser, Studium in Heidelberg, Magister Artium, als Lehrer vom Calvinismus aus Heidelberg und dann aus Oppenheim vertrieben, 1565 bis 1610 Rektor in Worms; außerdem Chronist seiner Vaterstadt, vgl. oben S. XLVIIIf.

Nachweise

  1. Zorn-Wilck (M) 2.
  2. S. Gerlach, Suspiria sancta sanctorum, das ist Hertzens-Seufftzer der Heyligen wie sie nach dem ewigen Leben geseufftzet ..., zusammengetragen von Sigismundo Gerlachio Spirensi, Pastore Wormatiensi et Gymnasii Visitatore. Frankfurt 1647, 375-378.
  3. Becker, Beiträge 100f.
  4. Mus.Inv. SD Nr. 11.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 623 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0062307.