Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 534 Stadtmuseum, vom lutherischen Friedhof 1587/(1601)

Beschreibung

Grabdenkmal des Ratsherrn und Städtmeisters Johann Caspar Meiel, seiner Frau Ursula geb. Hasloch und 12 ungenannter Kinder. Mittlerer Stein an der Südwand der 3. Nische des Kreuzgangsüdflügels, vom lutherischen Friedhof.1) Großes mehrteiliges Denkmal aus hellgelbem Sandstein in einer Epitaphien ähnlichen Form. Im volutengeschmückten Sockel eine von Putten gehaltene geteilte Rollwerktafel mit 15zeiliger Inschrift des Mannes links (A) und neunzeiliger Inschrift der Gattin rechts (B). Darüber von zwei Wappenmedaillons flankiert unter einem Rundbogen Kruzifix (C) mit kniender Beterreihe, links Vater mit sechs Söhnen, davon drei mit kleinem Kreuz bezeichnet, rechts Mutter mit sechs Töchtern, Mutter und drei Töchter mit kleinem Kreuz bezeichnet. Zu Füßen des Kreuzes Totenschädel, Gebein und Schlange, im Hintergrund Landschaft mit Stadt Jerusalem; in den Zwickeln des Bogens geflügelte Puttoköpfe.

Bekrönt wird das Denkmal heute von einer Anbetung des auferstehenden Christus unter einem von Putten gehaltenen und von Voluten geschmückten Rundbogen. Die obere Beterreihe besteht aus ehemals vier Männern und einem Jüngling links, einem Wickelkind und fünf Frauen rechts jeweils mit Namensbeischriften auf kleinen Spruchbändern. Dieser Giebel ist dem Grabdenkmal der Anna Kunigunde Mantz zuzuordnen.2) Insgesamt stark verwittert, besonders die Inschriften am Sockel; das Kruzifix war schon früher stark beschädigt.Lesung nach Foto,3) ergänzt mit Zorn-Meixner.

Maße: H.(mit Giebel) 322, B. 190, Bu. 1,1-1,4 (A), 2,5 cm (B).

Schriftart(en): Humanistische Minuskel (A), Fraktur (B), Kapitalis (C).

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Dr. Rüdiger Fuchs) [1/2]

  1. A

    [Viator hic5* quare] velim te scire [vis5*a) /Vides sepulcrum Caspari Meihels pii5*b) /Experta cuius est fidem5*]c) Vormatia /[Praeclara5* lutteram5* integram5*]d) trienn[ium /Iamq(ue)5* in senatum5* rite] lectus [ordine]e) /Tredecem vi[rorumf) mox] honorem ind[eptus est] /Dem[um magistratum suprem]um max[ima] /Cum laude ge[ssit, cultor] aequique5*g) [et boni] /Nunc hocceh) tumulo [tegitur] Ac non [occidit] /Viuit sui meliore parte perpetim /Nam vera [virtu]s qu[e]m est penes [nunquam interit]i) /Tantum [est: abi via]tor et fati [memor /Iam iam im(m)inentis] sperne mund[um sordidum /Ne vana] cur[a] noceat aeternis [bonis] /Obiit A(nn)o Chr(ist)i 〈1601. 23 Junÿ aetatis [suae] 73.〉

  2. B

    [Ann]o 158[7. den XI. (Octo)bris ist in Gott verschieden, die ehren u(nd) tugendreiche fraw Ursula Meielin, geborne Haslochin, Herrn Hans Caspar Meiels] / Alten Stettmeisters Alhier zu / Wormbs eheliche Hausfraw / dero Seelen Gott Gnade / Amen ·

  3. C

    · I(ESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDEORVM).

Übersetzung:

Wanderer, du willst wissen, weshalb ich dich hier sprechen will? Du siehst das Grab des frommen Caspar Meiel, dessen unversehrten lutherischen Glauben das hochberühmte Worms über drei ganze Jahre hin erfahren hat; und schon wurde er nach altem Herkommen und ordnungsgemäß in den Rat gewählt; bald darauf erlangte er die Würde der Dreizehnmänner. Schließlich führte er den obersten Rat mit höchster Auszeichnung, war der Pfleger des Gerechten und Guten. Nun ist er von diesem Sarg bedeckt, aber er starb nicht, immerdar lebt er in seinem besseren Teil; denn bei wem wahre Tugend ist, der vergeht niemals. Das ist alles: Gehe, Wanderer, und des jeden Augenblick dräuenden Todes eingedenk verachte die armselige Welt, damit nicht vergebliche Sorge den ewigen Gütern schade. Er starb im Jahre Christi 1601 am 23. Juni im Alter von 73 Jahren.

Wappen:
unkenntlich (unten ein großes W);? (Unterarm mit Kanne, ausgießend).

Kommentar

Daß die Ehefrau mit einem Kreuz bezeichnet ist, J.C. Meiels Figur aber nicht, wurde zum Indiz für die Datierung des Denkmales auf 1587 bzw. kurz nach ihrem Tode genommen; damit ist vereinbar, daß die letzte Zeile der Inschrift A durch Buchstabendrängung nachträgliche Einfügung von Sterbedaten anzeigt. Der Giebel mit Namensinschriften paßt nicht einwandfrei auf die Oberkante des Denkmals. Die noch lesbaren Namen der Männer lassen sich zunächst nicht mit den Familien der Verstorbenen in Verbindung bringen; eine namentliche Verbindung existiert nur zum Denkmal der Anna Kunigunde Mantz.2) Von den nur sehr kleinen Buchstaben beider Inschriften sind nur noch wenige Reste erkennbar; bedauerlicherweise ist die Textwiedergabe in der Zorn-Meixnerschen Stadtchronik an mehreren Stellen durch Lesefehler entstellt, die nicht überall mit den erkennbaren Buchstabenresten korrigiert werden können und auch nicht in jedem Falle eine eindeutige Konjektur über das Metrum erlauben. Bei dem Versmaß scheint es sich jedoch durchgehend um jambische Trimeter zu handeln.

Der Text der Zeilen ab experta spielt möglicherweise auf den dreijährigen Zeitraum zwischen Augsburger Religionsfriede 1555 und dem Beginn von Meiels hochgelobter Karriere in Rat und Regierung der Stadt im Jahre 1558 an. Im vorausgehenden zweiten Markgräflerkrieg hatte Markgraf Albrecht Alkibiades von Ansbach-Brandenburg die Stadt Worms gebrandschatzt und ihr zwei Prädikanten aufgezwungen, die erst 1555 wichen; so fiel der Stadt die beanspruchte Konfessionshoheit wieder zu.4) Im Rückblick von 1587 bieten sich zwei Deutungen an: Der Text impliziert, daß Worms schon 1555 vollständig lutherisch geworden sei, was so nicht stimmt, oder der Dreijahreszeitraum spielt auf die persönliche, vielleicht in besonderem Maß hervorgetretene Gläubigkeit des Verstorbenen an. Daß in jenen Jahren die lutherische Konfession eine entscheidende Rolle für die Wahl in den Rat zu spielen begann, geht aus der Einrichtung eines spätestens ab 1562 belegten lutherischen Friedhofes, dessen Denkmäler bald überwiegend von den Ratsangehörigen stammten, hervor. Eine Anspielung auf die Orthodoxie der Gnesiolutheraner war wegen der zeitlichen Einschränkung wohl kaum beabsichtigt.

Der Goldschmied Johann Caspar Meiel wurde 1558 in den Gemeinen und 1574 in den Dreizehner Rat gewählt.5) Seine Vorfahren gehörten ebenso wie der Vater seiner Frau Ursula, Valentin Hasloch, beiden Räten an.6) Es ist daher denkbar, daß sein Schwager, der Gymnasialrektor und Chronist Friedrich Zorn, das Grabgedicht verfaßte. 1590 zeichnete Johann Caspar Meiel als einer der beiden Baumeister verantwortlich für Arbeiten am Rheinkai.7) Von ihm stammt angeblich auch ein Kelch von um 1600.8) In den Ratslisten wird als Todestag der 28. Juni 1601 und ein Alter von 71 Jahren angegeben; die Lesungen in Zorn-Meixner ließen sich bei der 23 jedoch mit ziemlicher Sicherheit und bei der 73 mit gewisser Sicherheit bestätigen.

Textkritischer Apparat

  1. Unzuverlässige Lesungen bei Zorn-Meixner; mit hic gefüllte Lücke, letztes Wort aus ebd. dis und im folgenden alle mit einem Stern (*) bezeichneten, aus Verlesungshypothesen und metrischen Überlegungen gewonnenen Konjekturen und Ergänzungen sind Herrn Prof. Dr. Otto Zwierlein, Philologisches Seminar der Universität Bonn, zu verdanken. te volo umgangssprachlich für „ich will dich sprechen“.
  2. Fehlender Schlußjambus ergänzt.
  3. Aus fides bei Zorn-Meixner.
  4. Ociora lutteraeque integrum ebd.; Herr Zwierlein sprach sich für die oben vorgeschlagene Rekonstruktion aus;ociora ist sicher ein Lesefehler, da grammatisch und metrisch mit dem umgebenden Text nicht vereinbar.
  5. Nonque inseratum intellectus rite lectus est ordine Zorn-Meixner; intellectus unterstrichen ebd., das heißt ungültig. Statt nonque wäre auch die Verbesserung namque („denn“, verstärktes nam) denkbar.
  6. virulus unsicher zu lesen ebd.
  7. que dem Text Zorn-Meixners hinzugesetzt, um Hiat zu vermeiden.
  8. hoc ebd.
  9. Ebd. Diese Ergänzung paßt nur stark gekürzt und gedrängt in den verfügbaren Raum.

Anmerkungen

  1. Zorn-Meixner, in der Nordmauer, westlicher Stein.
  2. Vgl. Nr. 667.
  3. Foto im StA Worms Neg.Nr. M 826.
  4. Vgl. Boos, Städtekultur IV 312f.
  5. Kraus, Quellen II 126 u. ebd. I 91.
  6. Weckerling, Verzeichnis des Rates 88 u. ders., Verzeichnis des Dreizehner Rates 66 u. Kraus, Quellen II 125.
  7. Vgl. die sogenannte Rheinkraninschrift, Nr. 542 (1590).
  8. Scheffler, Goldschmiede Hessen 762 Nr. 12.

Nachweise

  1. Zorn-Meixner fol. 392 Nr. 29.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 534 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0053407.