Inschriftenkatalog: Stadt Worms
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 29: Worms (1991)
Nr. 391 Dom, innen, aus Kreuzgang 1515
Beschreibung
Stifter-, Widmungs- und Spruchinschriften am Relief der Geburt Christi. Innen im nördlichen Seitenschiff, im 3. Joch von Westen, vor dem Krieg in der Nikolauskapelle, aus dem Kreuzgang stammend, ursprünglich im Ostflügel.1) Großes Denkmal aus hellgelbem (Tiger?)sandstein mit szenischer Darstellung der Geburt Christi. Heilige Familie vor einer Hauswand in Begleitung von Engeln und Tieren, Joseph mit Zimmermannsbeil; unter dem Rundbogen dahinter ein Zuschauer, links darüber ein die Szene betrachtendes älteres Paar vor einem offenen Schuppen, durch den man die Silhouette einer Stadt erblickt, hinten rechts Verkündigung des Engels an die Hirten auf dem Felde. Gerahmt wird die Szene von einem mit musizierenden Putten geschmückten Rundbogen, in dessen Pfeiler Heiligenfiguren unter zierlichen gotischen Baldachinen eingestellt sind, links Jakobus d.Ä. und ein nicht identifizierter Heiliger, rechts Katharina und ein Abt. Jeweils seitlich davon knien Stifter mit Patronen auf Konsolen; zwei Putten halten Wappen; heute links Jakob Meintzer mit Petrus, rechts wohl eine jugendliche Verwandte mit ihrem Namenspatron Stephan.2) Unter der Szene Sockelplatte mit gemalter zweizeiliger Stifter- und Widmungsinschrift (A), wahrscheinlich ehemals auf einer Leiste darüber die Renovierungsinschrift von 1560 (B). Um die Szene herum waren mehrere Spruchinschriften angebracht, ein Bibelspruch im Bogen (C), am unteren Rand des Bogens eine nicht im Wortlaut bekannte hebräische und eine griechische Schrift, möglicherweise die Entsprechungen zu C; rechts in mittlerer Höhe drei Bibelzitate (D), links ein weiteres (E).3)
Von der Stifterinschrift ist nur noch ein schwach erkennbarer in schwarzer Farbe gemalter Rest zwischen vorgezeichneten Linien oben links erkennbar; ein Buchstabenrest links der Mitte über dem Hauptfeld wurde hypothetisch zur Renovierungsinschrift gezogen. Zahlreiche Figuren beschädigt an Händen und Gesichtern, Restaurationen seit dem 19. Jahrhundert auch teilweise wieder abgefallen, Köpfe der beiden linken Heiligen und der knienden Engel sowie eventuell das Christuskind neu, da schon Ende 19. Jahrhundert fehlend.
Ergänzt nach Hertzog (B,C,D,E).
Maße: H. 353, B. 270, Bu. 3,3 cm (A).
Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A).
- A
[O]B LAVDEM DEI · ET INTAC[TAE MATRIS INCORRVPTAEQVE VIRGINITATIS MARIAE ET ADa) GLORIAM DIVI PETRI HVIVS AEDIS PATRONI JACOBVS MEINTZERb) / DECRE]TOR(VM) LICE(N)T[IATVS HVIVS ECCLESIAE SENIOR CANONICVS HANC NATIVITATIS JESV SALVATORIS NOSTRI IMAGINEMc) SVIS EXPENSISd) FIERI FECIT]
- B
ANNO SALVTIS 1515 FABRICATVM ITA NVNC ANNO 60 PER ME CONRADVM DISTEL CANONICALEM HVIVS A SORDIBVS REPVRGATVMe)
- C
ERANT PASTORES, QVIBVS ANGELVS AIT: HODIE NATVS EST SALVATOR MVNDI. LVCAE 2.4)
- D
PSAL. 2: FILIVS MEVS ES TV, EGO HODIE GENVI TE.5)ITEM PSAL. 71: ORIETVR IN DIEBVS EIVS JVSTITIA ET ABVNDANTIA PACIS.6)ITEM JOHANN 1.: VERBVM CARO FACTVM EST ET HABITABITf) IN NOBIS.7)EESAIE 9: PARVVLVS NATVS EST NOBIS; FILIVS DATVS EST NOBIS ET FACTVS EST PRINCIPATVS SVPER HVMERVM EIVS ET VOCABITVR NOMEN EIVS ADMIRABILIS, CONSILIARIVS, DEVS, FORTIS, PATER FVTVRI SAECVLI, PRINCEPS PACIS.8)
Übersetzung:
Zum Lobe Gottes, der unberührten Mutter und unverletzten Jungfrauenschaft Mariens und zur Ehre des hl. Petrus, Patrons dieses Hauses, ließ Jakob Meintzer, Licentiat des kanonischen Rechts, dieser Kirche Seniorkanoniker, dieses Bild der Geburt Jesu, unseres Erlösers, auf seine Kosten machen. – Im Jahre des Heils 1515 hergestellt, nun im Jahre 60 durch mich, Conrad Distel, Kanoniker, vom Schmutz gereinigt. – Und es waren Hirten auf dem Felde; zu denen sagte der Engel: Heute ist der Erlöser der Welt geboren. – Du bist mein Sohn, ich habe dich heute gezeugt. – In seinen Tagen wird die Gerechtigkeit aufsprossen und die Fülle des Friedens. – Das Wort ist Fleisch geworden und wird unter uns wohnen. – Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seine Schulter gelegt; sein Name wird genannt werden Wunderbar, Rat, Gott, Held, ewig Vater, Friedefürst.
Meintzer; Stephan (von schwarz und silber gespalten, darüber ein wechselnder schwarzsilberner Doppelbalken).9) |
Textkritischer Apparat
- AST, schon Schmitt vermutete Fehler für ET AD; ET Wickenburg.
- TVLER Wickenburg; die Zeileneinteilung nach Falk, Reste der zweiten Zeile noch auf dem Foto StA Worms Neg.Nr. M 9647.
- INMAGINEM Hertzog u. Schmitt; fehlt Wickenburg.
- IMPENSIS Wickenburg.
- Auf dem Gesims über der Inschrift A zu erkennen AN, nicht eindeutig zuzuordnen. Nach HVIVS wäre wohlECCLESIE oder AEDIS zu ergänzen.
- Im Vulgatatext HABITAVIT.
Anmerkungen
- Schmitt nach Hertzog; eventuell im 4. Joch von Norden.
- Cyriakus nach Schmitt; nach der Hertzogschen Wappenidentifizierung und Falk ist der Namenspatron wahrscheinlicher; Attribute sind verloren.
- Die Seitenlokalisierung nach Hertzog, der möglicherweise eine andere Perspektive wählte, da er für die Stifterfiguren zu heute genau entgegengesetzte Angaben macht.
- Paraphrase aus Lc. 2,8.
- Ps. 2,7.
- Ps. 71,7.
- Io. 1,14.
- Is. 9,6.
- Identifizierung nach Hertzog. Das halbe Rad Meintzers nochmals auf dem Dach der Scheune.
- Vgl. Nr. 388 (1514); dort auch zur Person.
- Klingelschmitt.
- Tiemann 61f.
- Medding, Jugendwerke Conrad Meit.
- Hauck 189f. sah Conrad Seyfer als entwerfenden Hauptmeister der Reliefs und nimmt für die Geburt mindestens eine starke Veränderung an; Hotz 143 zu Lienhart Seyfer.
Nachweise
- Hertzog, Beschreibung I 2 fol. 236v-237 Nr. XXII – Wickenburg II 156.
- Issel, Bericht in Lohmeyer, Leben 153f. (nur Jahreszahl).
- Falk, Bildwerke 7 (nur teilw.) – Kdm. Worms 195f. (nur teilw.) u. Abb. 98.
- Klingelschmitt, Meister Valentinus 90 (nur teilw.) u. Abb. Taf. 30.
- Tiemann, Beiträge 60 Anm. 178 (nur teilw.) u. Abb. Taf. 25.
- Kautzsch, Dom Taf. 117.
- Schmitt, Bildwerke 289 u. 303 Nr. 25.
- Hauck, Conrad Sifer 276 Anm. 305 (A).
- Dehio/Caspary 1010, 21166.
- Hotz, Dom 138ff. (erw.) u. Abb. 69 (Detail).
- v. Winterfeld, Dom Abb. S. 76.
Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 391 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0039108.
Kommentar
Das wohl das Bau- und Schmuckprogramm des spätgotischen Kreuzganges beschließende Relief der Geburt Christi ist eine Stiftung des ältesten Kanonikers Jakob Meintzer aus Speyer, der auch einen benachbarten Schlußstein und damit wohl ein Joch gestiftet hatte;10) wenn die Lokalisierung im 4. Joch des Ostflügels von Norden stimmt, kann man jenen Teil als den erst nach dem Exil von 1499-1509 entstandenen und den Kreuzgangbau abschließenden verstehen. Alle Inschriften kreisen um die Geburt oder Verheißung Christi; über die Renovierung von 1560 ist zu wenig bekannt, als daß man ihren Einfluß auf Aussehen und Inschriften des Denkmals ermessen könnte. Da nur von einer Reinigung gesprochen wird, dürften die kümmerlichen Buchstabenreste noch aus der Entstehungszeit stammen. In diesem Falle sind sie der schlankeren frühhumanistischen Kapitalis zuzurechnen, die sich in Proportion, offenem D, epsilonartigem E und unterschiedlichen Strichdicken beim kapitalen M deutlich von den klassischen Formen des Stammbaumes unterscheidet.
Die Meisterzuschreibung des Denkmals mit seinen schon plastischen Figuren weist einhellig nach Süden an den Oberrhein, wenngleich auch Backoffen als Hauptmeister genannt wurde;11) zu suchen sind Anklänge mindestens in Stichen Schongauers und des Meisters L.S. sowie Anregungen aus Straßburg.12) Conrad Meit wurde ebenso für das Relief in Anspruch genommen13) wie Conrad und Lienhart Seyfer.14)