Inschriftenkatalog: Stadt Worms
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 29: Worms (1991)
Nr. 380† Dom, Kreuzgang (1501)/1509/1564
Beschreibung
Epitaph der Domvikare und Kanoniker an St. Andreas Albert Gerstner und Anselm Waagleiter, erneuert und wohl teilsweise neugestaltet durch Michael Eyselin. Im Kreuzgangwestflügel neben dem Denkmal Otto/Rymelin;1) Holztafel mit Darstellung des Gleichnisses von Lazarus und dem reichen Prasser, zwei kniende Figuren von Geistlichen und unten zwei Inschriften (A,B). Unter der Tafel zwei Messingmedaillons mit Kelchen; keine Wappen. Am linken unteren Ende der Tafel Spruchinschrift (C); sozusagen als Bildbeischrift folgen unter der Tafel an die Mauer geschrieben acht Verse (D). Sicher später angefügt sind rechts hinter den Verstorbenen zwei weitere Figuren kniender Geistlicher mit einer Inschrift darunter (E). Die Inschriften an der Mauer wohl gemalt.
Nach Hertzog.
- A
Anno 1501 12. Juli obiit venerabilis vir Albertus Gerstner, olim huius sacrae aedis vicarius et ecclesiae s(ancti) Andreae Vangionum canonicus, cuius anima beata sede collocetur.
- B
Cuius tumulo inmaginisa) depictae Anshelmum Waagleiter eiusdem nepotem, insignis huius templi vicarium atque ecclesiae divi Andreae canonicum fata adiunxeruntb) anno 1509 10. Julii.c)
- C
Ingluvies rictu guled) laceranda leonisDivitis ingenium divitiasquee) notat.
- D
Hanc quicunque viam transis memor esto tui, quodLazarus humana sumpsit pro noctef) salutem,Mundana ac dives Stygiam pro luce paludem.Ergo jugum paupertatis Christo auspice perfertPauper; sed coluit fluidas [..........] divesg)Divitias; justus judex sed pensat utrumque:h)Lazarus exultat, dives sed luget avarus.Illum multa salus, hunc tenet ignis edax.
- E
Anno 1564 Michael Eyselin renovari curavit.
Übersetzung:
Im Jahre 1501 am 12. Juli starb der ehrwürdige Mann Albert Gerstner, einst dieses heiligen Hauses Vikar und Kanoniker der Wormser Kirche des hl. Andreas. Seine Seele möge an glücklicher Stätte wohnen. – Seinem Grab(mal?) fügte der Tod im Jahre 1509 am 10. Juli(?) den auf der Tafel abgebildeten Anselm Waagleiter hinzu, seinen Neffen, dieser bedeutenden Kirche Vikar und Kanoniker der Kirche des hl. Andreas. – Gefräßigkeit des Schlundes, die vom Rachen des Löwen zerfleischt zu werden verdient, befleckt des Reichen Geist und Reichtümer. – Wer immer du bist, der diesen Weg beschreitet, sei deiner eingedenk, daß Lazarus das Heil empfangen hat für die Nacht seines menschlichen Lebens, der Reiche aber den Stygischen Sumpf für die Helligkeit seines irdischen Lebens; also erträgt der Arme das Joch der Armut unter der Leitung Christi, der Reiche aber hegte den schlaff machenden Reichtum(?); der gerechte Richter jedoch wägt beide ab: Lazarus frohlockt, der geizige Reiche aber trauert; jenem wird viel Heil, diesem verzehrendes Feuer. – Im Jahre 1564 ließ es Michael Eyselin erneuern.
Textkritischer Apparat
- Sic.
- adiuxerunt Hertzog u. Schmitt.
- Im Salbuch Domstift 49 jedoch ein Anniversar für den 21. Mai.
- Statt rictu gule verlesen an dieser Stelle dicimusque Hertzog, das Metrum zerstörend. Herr Prof. Dr. Otto Zwierlein, Philologisches Seminar der Universität Bonn, vermutete aus Verlesungsmöglichkeiten und Aussage die vorgeschlagene Wendung und schlug die angegebene Übersetzung vor, um wenigstens die Richtung des Gedankens andeuten zu können. Die Verschreibungshypothesen rictu zu dictu zu dicimus und gule zu que bestärken die Vermutung, daß die Inschriften in gotischer Minuskel geschrieben waren. Die Wendung ingluvies gulae findet sich etwa in S. Ponti Meropii Paulini Nolani episcopi carmina, hg. von W. v. Hertel (CSEL 30) Prag/Wien/Leipzig 1894, App. II 23.
- Wohl falsch Hertzog: divitias p notat ohne Kürzungszeichen; die vorgeschlagene Verbesserung wie Schmitt metrisch korrekt.
- per luce Hertzog; emendiert auf Vorschlag von Herrn Zwierlein gemäß der im biblischen Text angelegten Antithetik.
- provenire Hertzog; es fehlen zwei Senkungen und ein Daktylus; Übersetzungsvorschlag nach Herrn Zwierlein.
- utriumque Hertzog.
Anmerkungen
- Schmitt.
- Albert Gerstner ist in den Matrikeln von 1496 nur unter den Kanonikern von St. Andreas und als Pleban des Spitals verzeichnet, Anselm Waagleiter nur unter den Domvikaren, sodaß die Nachfolge in der Andreaspfründe seines Onkels angenommen werden kann, vgl. Eberhardt, Diözese Worms 18 u. Gemeiner Pfennig fol. 3 u. 11. Im Salbuch Domstift 43 ist ein Anniversar mit der Herkunftsangabe „de Gerppach“ vermerkt.
- Ein Michael Eyselin aus Bruchsal war 1540 in Heidelberg eingeschrieben, vgl. Toepke I 574.
- Den ersten Gottesdienst nach dem Exil hielt die Geistlichkeit am 31. Juli 1509, also kurz nach dem Todes Waagleiters; aufschlußreich zu Begräbnissen während des Exils Nr. 377 (1506).
Nachweise
- Hertzog, Beschreibung I 2 fol. 238v-239 Nr. XXVIIf.
- Schmitt, Bildwerke 304f. Nr. 30.
Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 380† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0038007.
Kommentar
Das Denkmal zweier zum Priester geweihter Domvikare, des Albert Gerstner und seines Neffen Anselm Waagleiter,2) wurde 1564 durch Michael Eyselin3) renoviert und um Figuren und Inschrift(en) ergänzt. Ob sich die Erneuerung auch auf die Spruch- und quasi Bildbeischriften erstreckte, ist nicht abzuschätzen. Das Formular der beiden Sterbeinschriften von 1501 und 1509 legt nahe, daß das Denkmal erst nach dem Tode des Neffen entstand; die zweite scheint darzulegen, daß Anselm Waagleiter am Aufstellungsplatz begraben wurde, während sein Onkel während des Exils des Wormser Klerus gestorben war, als Klerikerbegräbnisse in Worms besonderer Vorkehrungen bedurften.4) Von dem Nachtrag von 1564 scheint nicht alles in die Beschreibung Hertzogs eingeflossen oder wenigstens einiges mißverstanden worden zu sein, da ausweislich der Figuren zwei Personen daran beteiligt waren; eine nochmalige wenigstens teilweise Wiederverwendung ist nicht zu erkennen.
Sinnspruch und die Parabel vom armen Lazarus und dem reichen Prasser aus Lk. 16 muten als programmatische Aussagen eines Klerikerdenkmales befremdend an, könnten aber durchaus im Sinne einer unterschwelligen, kritischen Äußerung gedacht gewesen sein. Die gemäß Hertzog nach Zeilen abgetrennten Hexameter schließen mit einem Distichon.