Inschriftenkatalog: Stadt Worms
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 29: Worms (1991)
Nr. 359† Martinsstift 15.-16. Jh.?
Beschreibung
Spruch- und Rätselinschrift, in eine Mauer des Kreuzganges? eingehauen.1)
Nach Helwich.
Sum, quod eram nec eram, quod sum, nunc dicor utrumque.
Übersetzung:
Ich bin, was ich war, aber ich war nicht, was ich bin; jetzt heiße ich beides.
Anmerkungen
- „In ambitu S. Martini ad murum lapidi incisum“.
- Die Grabsteine der Kämmerer von Worms sammelte er in einem eigenen Werk, vgl. oben S. LIIf.
- L. Berthalot, Die älteste gedruckte lateinische Epitaphiensammlung, in: Collectanea variae doctrinae Leoni S. Olschki ... München 1921, 27 Nr. 69. Belege auch bei Walther, Initia carminum Nr. 18727 u. ders., Proverbia Nr. 30635a.
- Ebd. 24 bes. Anm. 4 zu Inhalt und Überlieferung.
- Vgl. DI XII (Heidelberg) Nr. 93; zur unbefleckten Empfängnis vgl. DI V (München) Nr. 129.
- Boos, UB II 187 Nr. 272.
- Berthalot.
Nachweise
- Helwich, Syntagma 1.
Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 359† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0035901.
Kommentar
Die ganz am Anfang von Helwichs Handschrift kommentarlos mitgeteilte Inschrift war die einzige im Martinsstift, die ihm für das Syntagma des Aufschreibens wert erschien.2) Wie heute uns muß sie auch ihm als Rätsel gegolten haben. Bei der Inschrift handelt es sich um eine seit dem 12. Jahrhundert belegbare Redefigur für Maria und ihre Jungfrauenschaft, die vervollständigt werden müßte um: „Primo virgo, secundo mater, tertio virgo et mater.“3) Aus Helwichs Überlieferung geht eine Zerstörung des Textes nicht hervor noch die Kombination mit einem Bild; eines von beiden, der vollständige Text oder eine begleitende Darstellung der Maria muß jedoch als ursprüngliche Auflösungshilfe vorausgesetzt werden; einen gegenständlichen Bezug zum fiktiven Sprecher macht die Perspektive der ersten Person beinahe notwendig.
Ohne weitere Anhaltspunkte ist als terminus ante quem nur Helwichs erster Besuch in Worms am 28. und 29. September 1611, als terminus post quem das erste handschriftliche Zeugnis des 12. Jahrhunderts gegeben. Gedruckt lag der vollständige Text erstmals 1507 in den Nachträgen zu Pseudo-Pii secundi/Aeneae Silvii „Epitaphia virorum illustrium“ der von Johann Adelphus Muling besorgten Trierer Neuausgabe vor.4) Erschwerend für die Einordnung kommt hinzu, daß es am Martinsstift keinen Marienaltar gab und sich der Text wegen seiner verschlüsselten Form nicht in einen dogmatischen Zusammenhang stellen läßt, wie das bei einer Inschrift des Heidelberger Franziskanerklosters von 1444 der Fall ist, in der ausdrücklich auf die Entscheidung des Baseler Konzils hingewiesen wird, Maria sei ohne Erbsünde gewesen.5) Eine Urkunde von 1334 weiß allerdings von der testamentarischen Errichtung einer Priesterpfründe in der neu zu erbauenden und der allerheiligsten Jungfrau Maria und dem Evangelisten Johannes zu weihenden Kapelle im Verbindungsbau zwischen Martinskirche und benachbarter Lambertuskirche.6) Wenn Helwich diesen „transitus“ genannten Bauteil, wohl einen Bogengang, mit seinem „ambitus“ meinte, läge sowohl eine Lokalisierung wie auch eine weitere zeitliche Eingrenzung vor. Die Gestaltung des Textes in wahrscheinlicher Verbindung mit einem Bild läßt freilich gelehrte Spielerei des 15. bis 16. Jahrhunderts als Entstehungsursache vermuten; in diesem Falle wäre eine sprachliche Auflösung weniger wahrscheinlich. Interessant zu beobachten ist, daß die spätere Verbreitung des Rätsels im Verein mit Aeneas Silvius zugeschriebenen Epitaphsammlungen geschah, deren identifizierbare Protagonisten in der Mehrzahl um die Mitte des 15. Jahrhunderts starben.7) Der Austausch der Konzilszeit könnte der Ausbreitung des Rätsels also Vorschub geleistet haben.