Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 333† Rathaus-Münze-Komplex 1493?/(1592)

Beschreibung

Bau- und Spruchinschriften auch im Sinne von Widmungsinschriften des Ausschmückungsprogramms an den städtischen Bauten des Rathauskomplexes. Geringe spätere Reste im Museumskreuzgang, die meisten Texte im 17. Jahrhundert, also vor der Zerstörung, abgeschrieben; schriftliche und bildliche Überlieferungen sind nur schwer in Einklang zu bringen. Durch Peter Hammans Zeichnung von 16901) weiß man, daß der Komplex aus drei Gebäudeteilen bestand, die mit einer einheitlichen spätgotischen Arkadenreihe verbunden waren; wenngleich man in den Aufbau und einzelne Teile der Komposition auch Vertrauen setzen muß, darf Vollständigkeit gerade im Detail nicht angenommen werden, da es sich um eine Rekonstruktion aus dem Gedächtnis handelte.

An ihr erstes prächtig erbautes Rathaus legten die Wormser 1232 auf kaiserliche Mißbilligung hin selbst Feuer;2) das 1265 in Stein neu erbaute Zeughaus in der Hagengasse, auch Bürgerhof genannt und beim heutigen Rathaus gelegen, diente bis zum Ende des 15. Jahrhunderts als Rathaus; 1598 wurde es angeblich abgebrochen.3) Im Streit mit Bischof und Hausgenossenschaft der Münzer hatte die Stadt dann 1491 die Münze von jenen vertraglich erworben;4) dazu paßt die Nachricht, daß der Rat 1493 die Neue Münze durch den Maler Nikolaus Nivergalt mit Bildern von kaiserlichen Majestäten, Helden und Würmern, nämlich Lindwürmern, ausschmücken und jahrs darauf auch die Alte Münze bemalen ließ.5) Zwischen diesen beiden Nachrichten berichtet Andreas Wilck in seiner Chronikfortsetzung über die dort angebrachte Figur Kaiser Friedrichs III.: „Da sitzt der Keyser in seinem keyserlichen Habit und Stul, auf der rechten ein zweiköpfiger, auf der linken ein einköpfiger Adler. Stehen darunter diese Wort:“ (A). Auch der englische Reisende Thomas Coryate hob besonders diese Darstellung hervor. Begleitet wird das Bild des zeitgenössischen Reichsoberhauptes und Förderers der Stadt Worms von weiteren Inschriften und Figuren aus der mit Worms verbundenen Sagenwelt, Kriemhilde, Siegfried und Riesen, Lindwürmern und – wir wissen es heute – Mammutknochen. Wenn auch in Hammans Zeichnungen nicht alles dargestellt ist, können sich diese Mitteilungen nur auf die dort am südlichen Gebäudekomplex, also an der Neuen Münze, überlieferte Kaiserfigur beziehen. Die Darstellung von Adam und Eva in einem Türmchen über der Uhr stammt wohl aus der Phase der Erneuerung, nach Hamman handelte es sich um massive Metallstatuen.6) Außer der Datierung nach dem Kaiser und dem Renovierungsvermerk standen hier wohl schon 1493 die Inschriften zur Kaiserverehrung (B) und Stadtfreiheit (C), die bei allen Gewährsmännern unmittelbar anschließen. Die Inschrift B war, nach Coryate in goldenen Buchstaben, unmittelbar unter dem Renovierungsvermerk angebracht, die Inschrift C unter den Sagengestalten, die Coryate als Soldaten und eine Königin ansah.

Nach Coryate und Zorn-Wilck.

Schriftart(en): Kapitalis.7)

  1. A

    FRIDERICVS III. IMP(ERATOR). AVG(VSTVS). 1493a) / RENOVATA EST HAEC BASILICA M.D.XCII.b)

  2. B

    ASTRA DEO NIL MAIVS HABENT NIL CAESARE TERRA.SICc) TERRAM CAESAR SICc) REGIT ASTRA DEVS.d)

  3. C

    LIBERTATEM, QVAM MAIORES PEPERERE, DIGNE STVDEAT FOVERE POSTERITAS. TVRPE ENIM ESSET PARTA NON POSSE TVERI. QVAMOBREM VANGIONES, QVONDAM CVM IVLIO CONFLICTATI, IAM TIBI, CAESAR, PERPETVA FIDE COHAERENT.

Übersetzung:

Friedrich III., Kaiser und Augustus, 1493. Wieder hergerichtet wurde diese Halle 1592. – Die Sterne haben nichts Größeres als Gott und die Welt nichts Größeres als den Kaiser. Deshalb regiert Gott die Sterne und der Kaiser die Welt. – Die Freiheit, die die Ahnen errungen haben, hüte sorglich die Nachwelt, denn schändlich wäre es, das Erbe nicht bewahren zu können. Deshalb hängen die einst mit Julius (Caesar) im Kampfe liegenden Wormser nunmehr dir, Kaiser, in beständiger Treue an.

Wappen:
Reichsadler.

Kommentar

Für die Datierung der Inschriften boten sich gleich drei Zeitpunkte an, nämlich außer den genannten Jahren auch 1581, als weitere datierte Inschriften an dem Gebäudekomplex angebracht wurden; jene befanden sich aber wohl an dem mittleren Teil, dem Gerichtshaus, an dem Hamman die mit Inschriften versehenen und begleiteten Kaiserbilder lokalisiert,8) und gehören daher einer späteren Bauphase an. Für die sichere Entscheidung zwischen den beiden inschriftlich genannten Jahren 1493 und 1592 stehen nur unzureichende Indizien zur Verfügung: So ist gut denkbar, daß auch die Inschrift des Kaisers Friedrich 1592 zumindest erneuert wurde, ebenso ist mindestens an eine Auffrischung der Spruchinschriften zu denken. Deren Text sollte jedoch 1493 angesetzt werden, da sie sich in den Kontext der Stadtgeschichte gerade am Ende des 15. Jahrhunderts einfügen lassen. Der Streit mit dem Stadtherrn, Bischof Johann III. von Dalberg, hatte die Stadt verstärkt Rückhalt beim Kaiser suchen lassen, was sich in Gesandtschaften, einem glänzenden Empfang im Jahre 1488 und entsprechenden wohlwollenden Privilegien und Mandaten niederschlug.9) Friedrich III. und noch mehr sein Sohn und Nachfolger Maximilian I. hatten sich für die Wormser Sagengestalten interessiert und u.a. nach den Gebeinen Siegfrieds suchen lassen;10) der Ratsherrn Reinhard Noltz berichtet gar, daß Maximilian 1494 bei der Huldigung vor der Münze einen ebensolchen Kranz wie die dort abgebildete Kriemhild getragen habe.11) Die Zusammenstellung von Figuren der eigenen legendären Größe und Berühmtheit mit Personen des Kaiserhauses fügte sich also gut in deren eigene literarische Vorlieben.12) Zu keinem Zeitpunkt konnte überdies der Stadt mehr an der Demonstration ihrer Verbundenheit mit dem Reichsoberhaupt liegen; die Gebäude der Münze, deren Erwerb man wenigstens zum Teil kaiserlichem Eingreifen verdankte, mochten als die geeignete Präsentationsfläche angesehen worden sein.

In gleicher Weise stellt die Freiheit der Stadt ein zentrales Thema jener Zeit dar: Dem Titelblatt der Stadtrechtsreformation von 1499 ist unten am Sockel ein kleines Wappen mit der Aufschrift „LIBERTAS“ in zeitgenössischen frühhumanistischen Kapitalisbuchstaben angefügt;13) Stadtfreiheit und Reminiszenzen an die Kämpfe der Vangionen mit Julius Caesar thematisierten Lieder anläßlich von Königsspielen im Dezember 1499,14) so daß in historischer Situation und der nachweislichen Beschäftigung mit den Themen der Inschriften Voraussetzungen für die Entstehung der Spruchinschriften schon 1493 gegeben sind. Eine Datierung in unmittelbarer Nähe des Reichstages von 1495 ist ebenfalls vorgeschlagen worden.15)

Textkritischer Apparat

  1. Schreibfehler bei Coryate zu 1593.
  2. In der Wormser Handschrift von Zorn-Wilck marginal korrigiert zu M.CCCC.XCII; an der Richtigkeit der Zahl 1592 ist kaum zu zweifeln, da die Benutzung des römischen Zahlzeichens D einen Zählfehler, wie er bei Pauli in MCCCCCCII passierte, auszuschließen scheint: zu beachten ist fernerhin, daß der Kompilator Andreas Wilck 1592 selbst in Worms als Pfarrer tätig war und über gute Verbindungen zum Rat der Stadt verfügte.
  3. Coryate und Zorn-Wilck (F, M) haben hier SI.
  4. Wortfolge nach Coryate; bei Zorn-Wilck jeweils SIC DEVS ASTRA REGIT.

Anmerkungen

  1. StA Worms, bei Kranzbühler Abb. 13 u. 13a, Reuter, Hamman 60f. Nr. 4, 102f. Nr. 25.
  2. So Zorn, Chronik bei Arnold 63.
  3. Ebd. 121 u. Spille, Rathäuser 232f.
  4. Wormser Urkunden Nr. 860.
  5. Nach Zorn, Chronik bei Arnold 180 unter Bischof Johann von Fleckenstein (†1426) begonnen; Zorn, Chronik bei Arnold 199.
  6. Kranzbühler 167.
  7. In der Wormser Version von Zorn-Wilck ist die Inschrift A mit Versalien herausgehoben; für die längeren Texte verzichtete man darauf.
  8. Vgl. Nr. 518.
  9. Acta Wormatiensia u. Tagebuch des Reinhard Noltz bei Boos, Quellen III 563f.; zu den Privilegien vgl. ebd. 564ff. u. Reuter, Kaiser- und Königsurkunden Nr. 34 u. 38.
  10. Acta Wormatiensia bei Boos, Quellen III 563.
  11. Tagebuch des Reinhard Noltz ebd. 379.
  12. Kranzbühler 85f. u. 188f.
  13. StA Worms; bei Kranzbühler Abb. 16; moderne faksimilierte Edition bei Köbler, Reformation, Titelblatt S. 20, d.i. fol. 10v des Nürnberger Exemplars.
  14. Tagebuch des Reinhard Noltz bei Boos, Quellen III 431f.: „Wangio, quae seva Iulio cum bella gerebat / Haec tibi, Caesar, adest integra fide, vale“; frühen Kämpfen der Vangionen mit Caesar folgte anhaltende Waffentreue, vgl. Chronicon Wormatiense saeculi XV 3ff. aus dem Bellum Gallicum in der Bibliothek des Chronisten.
  15. Illert, Reichsbedeutung 206.

Nachweise

  1. Chytraeus, Variorum in Europa itinerum deliciae 3312 (C).
  2. Coryate, Crudities 261f.
  3. Zorn-Wilck (W) 444, (F) fol. 233v, (M) 560f.
  4. Auszug aus einer alten Chronik (StA Worms Abt. 1 Nr. 22) fol. 133.
  5. Zeiller, Itinerarium Germaniae 313 (C).
  6. Moritz, Historisch-diplomatische Abhandlung II, App. II 2.
  7. Pauli, Geschichte der Stadt Worms 267f.
  8. Fuchs, Geschichte der Stadt Worms 79.
  9. Kdm. Worms 286.
  10. Boos, Quellen III 379 Anm. 1.
  11. Kranzbühler, Worms und die Heldensage 164-166.
  12. Giesen, Coryats Eindrücke 46.
  13. Illert, Reichsbedeutung 206.
  14. Illert, Alte Stadt 62.
  15. Illert, Worms im wechselnden Spiel der Jahrtausende 67 Anm. zu S. 31.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 333† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0033304.