Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 317 Dom, innen, aus Kreuzgang 1488/1570

Beschreibung

Stifterinschrift(?) des Domkanonikers Johannes von Weinheim und Sprüche am Relief der Auferstehung. Innen an der Wand des nördlichen Seitenschiffs, im dritten Doppeljoch, im 19. Jahrhundert in der Nikolauskapelle, aus dem Kreuzgang, wohl ehemals im Nordflügel.1) Großes Relief aus hellgelbem (Tiger?)sandstein mit Darstellung der Auferstehung aus dem Grabe unter einem schwach gespitzten Wolkenbogen, aus dem fünf Engelsbüsten herausragen. Dem noch geschlossenen Grabe entsteigt der segnende Heiland, in der linken Hand die Fahne tragend. Um das Grab herum zwei tief schlafende und hinten links ein erschrocken aufsehender Wächter, vorne rechts Maria Magdalena mit dem Salbgefäß. Der Bogen ruht auf Astwerkkonsolen, die gleichzeitig Baldachine für Heiligenfiguren bilden, zwei weitere Baldachine außen gehen in Fialen über. Links Andreas und Petrus, der den knienden Stifter empfiehlt, rechts Katharina mit Schwert und Rad sowie ein Diakon, vor denen zwei kleine gekrönte Frauenfiguren knien. Flankiert wird die Szene von Astwerk mit zwei leeren Wappen; das Wappen des Stifters zu seinen Füßen. Auf dem leicht zurückspringenden Sockel die vorlinierte Inschrift (A), flankiert von Astwerkkonsolen. Mit Gips ergänzt sind Strahlennimbus und Fahne, mehrere Hände, Baldachine, Engel; goldene Farbreste in den Haaren der erhaltenen Engel. Hintergrundquader erneuert. An der Mauer unter dem Bildnis früher zwei Distichen (B) und Renovierungsinschrift (C).2)

Nach Hertzog (B,C).

Maße: H. 330, B. 329, Bu. 4,5 cm (A).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (A), Kapitalis (B,C).3)

  1. A

    · Obit iohanes de winhei(m) ca(noni)c(us)a) h(uius) ecle(si)ea) · O rex glo(r)ie fac me tecu(m) resurgere · 1488b) ·

  2. B

    FIRM(IANUS) LACTANT(IUS):c)NON DECET, UT VILI TUMULO TUA MEMBRA TEGANTUR,NON PRECIUM MUNDI VILIA SAXA PREMANT.LINTEA TOLLE, PRECOR, SUDARIA LINQUE SEPULCHRO.TU SATIS ES NOBIS ET SINE TE NIHIL EST.

  3. C

    RENOVATUM 22 APRILIS A(NN)o 1570

Übersetzung:

Es stirbt Johannes von Weinheim, Kanoniker dieser Kirche. O, König der Ehren, laß mich mit dir auferstehen. 1488.

Firmianus Lactantius: Es geziemt sich nicht, daß deine Glieder in einem gewöhnlichen Grab bestattet werden noch sollen gemeine Steine das Lösegeld der Welt umfangen. Ich bitte dich, hebe die Schweißtücher hinweg, verlasse das Grab. Du bist uns genug, und ohne dich ist nichts. – Erneuert am 22. April 1570.

Wappen:
Weinheim (in schwarz auf grünem Dreiberg zwei Kleeblätter).

Kommentar

Wie die anderen Stifter von Kreuzgangreliefs gehörte Johannes von Weinheim dem Kreis der Wormser Gelehrtenkanoniker an, die sich an dem Bildprogramm Bischof Johanns von Dalberg beteiligten. In keinem anderen Fall ist dem Namen des Stifters ein Sterbevermerk beigegeben; daher ist es nicht verwunderlich, wenn schon Hertzog das Relief als Grabdenkmal verstand und eine Grabschrift rekonstruierte, die er freilich nicht innerhalb seiner Kreuzgangbeschreibung überlieferte.4) Wegen der szenischen Darstellung bezeichneten es moderne Autoren als Epitaph. Wenn die Informationen zur für 1489 bezeugten Grabinschrift des Johannes von Weinheim stimmen,5) und es gibt keinen Grund, das nicht anzunehmen, stellt das obit keinen Sterbevermerk im eigentlichen Sinne des sonstigen Gebrauches dar, sondern lediglich die Anknüpfung an den Auferstehungswunsch. Die dünnere Strichführung der 88 muß nicht notwendig aus einem Nachtrag resultieren, da in Worms mehrere Inschriften nicht vollständig ausgeführt wurden und das bei farbiger Fassung kaum auffiel. Wie bei den anderen Reliefs handelte es sich um das Jahr der Stiftung; aus dem zugänglichen Material sind freilich nicht alle Unklarheiten zu beseitigen.

Das Materielle überwindend entsteigt der auferstehende Christus dem noch mit schwerem Deckel geschlossenen Sarkophag; diese der mittelalterlichen Tradition des geschlossenen Grabes verpflichtete Version beginnt sich im 15. Jahrhundert durchzusetzen.6) Ob die angeblichen Lactanzverse zum ursprünglichen Bestand gehören oder aber erst mit der Renovierung von 1570 angefügt wurden, läßt sich nicht feststellen; im dalbergischen Programm sind gemalte Kapitalisbuchstaben zumindest denkbar und der Stifter verfügte auch über genügend Bildung und Kontakt zu humanistischen Kreisen, da er seinem Bischof nahestand und ihn häufig vertrat.7) Außerdem wurden die beiden versalen O der vorhandenen Inschrift von einem Meister gehauen, der schon eine Renaissancekapitalis vor Augen hatte. Die Distichen stammen auch gar nicht aus Lactanz, sondern aus dem Ostergedicht des Venantius Fortunatus für Bischof Felix von Nantes und sind an Christus gerichtet.8)

Eine ernsthafte Meisterzuweisung gelang bisher nicht, auch wurde das Relief aus stilkritischen Erwägungen und wegen Trachten und Bogendekoration als spätes9) oder wenigstens spät vollendetes angesehen;10) die Gründe sind jedoch nicht zwingend, wenngleich die Ungleichmäßigkeit der Jahreszahl ebenfalls dafür zu sprechen schien.

Textkritischer Apparat

  1. Die letzten Buchstaben kleiner hochgestellt.
  2. Die 88 nur geritzt.
  3. FIRNI TACTANT Schmitt 300 nach Hertzog.

Anmerkungen

  1. Schmitt 297 nach Hertzog.
  2. Nur Hertzog: „Under der Taffeln an die Maur gemahlen“.
  3. Ebd.: „mit lateinischen universal buchstaben“, bei Hertzog üblicherweise für Kapitalis.
  4. Hertzog I 1 fol. 118v: „Johannes von Weinheim ligt zu Wormbs begraben under volgender grabschrifft in dem Creutzgang des Thumbstiffts: Anno D(omi)ni M. CCCC LXXXVIII obijt Joannes de Weinheym Canonic(us) huius Eccl(esi)ae, daruf volgt: O REX GLORIAE, FAC ME TECUM RESURGERE, was sich eindeutig auf das Relief bezieht.
  5. Vgl. Nr. 319.
  6. H. Schrade, Ikonographie der christlichen Kunst, die Sinngehalte und Bedeutungsformen I. Die Auferstehung Christi. Berlin/Leipzig 1932, 218ff.
  7. Vgl. oben S. LXV zur Kapitalis u. wie oben Anm. 5.
  8. Venantius Fortunatus, Opera poetica, hg. von F. Leo (MGAA IV 1) Berlin 1881, Carmen III 9, S. 61 Zeile 67f. u. 71f.
  9. Klingelschmitt: jüngstes Relief.
  10. Tiemann zu Unterbrechung der Arbeiten, später als 1488 datiert wegen organischem Wolkenbogen und Tracht der Wächter.

Nachweise

  1. Hertzog, Beschreibung I 2 fol. 231 Nr. 4.
  2. Falk, Bildwerke 9.
  3. Kdm. Worms 196.
  4. Klingelschmitt, Magister Valentinus 91.
  5. Tiemann, Beiträge 57 Anm. 176.
  6. Kautzsch, Dom Taf. 122f.
  7. Schmitt, Bildwerke 292.
  8. Hauck, Conrad Sifer 276 Anm. 309.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 317 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0031704.