Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 119 Freiburg, Augustinermuseum, aus Wien, für Kloster Liebenau 1342

Beschreibung

Stifterinschrift Graf Ludwigs VI. von Oettingen für seinen gleichnamigen Sohn Ludwig IX. auf einem Altar-, Vortrage- und Reliquienkreuz, zugleich Kreuzreliquiar. Sammlungen, von den 1563 vertriebenen Nonnen aus Liebenau zunächst nach Kloster St. Katharina in Freiburg geflüchtet, dann 1694 nach Kloster Adelshausen und 1867 ins Augustinermuseum verbracht.1) Zweiteiliges Kreuz aus vergoldetem Silber in Form eines Lebensbaumes, gegossen und getrieben, mit transluzidem farbenfrohem Email, Perlen und Edelsteinen versehen. Die Stifterinschrift zweiseitig in jeweils drei linierten Zeilen auf dem Dorn (A). Über von Greifenfüßen abgestütztem Podest vierpaßförmiger Fuß mit Darstellung der Patrone des Klosters, rechts unter Maßwerk Dominicus und Thomas mit Beischrift (B); vorn Andreas in gotischer Maßwerknische; links in doppelter Maßwerknische Darstellung des Martyriums des Petrus Martyr; hinten Maria Magdalena in Maßwerkbogen. Zwischen ihnen kleine plastische Drachen, vom Schaft herablaufend, der flachrechteckig aus dem Fuß herauswächst. Von ihm zweigen mit Krabben besetzte und jeweils mit Reliquienmedaillons versehene Arme ab. In den Medaillons kleine Zettel mit Reliquienliste.2) An der Abzweigung auf der Rückseite Johannes Evangelist in Maßwerknische mit Bildbeischrift (C), darüber Medaillon mit sechsblättriger Blume in Sechspaß mit Christus Pantokrator (D). Über den Einzelbuchstaben des Nodus (E) mit Blättern besetzte Arme mit Statuetten der Maria und des Johannes. In der oberen Kreuzzone vollplastisches Kruzifix mit Titulus (F) als Verschluß eines Reliquiengrabes, auf der Rückseite stattdessen Vierpässe mit Evangelistensymbolen, die Madonna mit Kind umgebend, unter ihr in Raute hl. Philippus. An den Enden des Kreuzes Dreipässe, rückseitig mit Darstellung von Adler, Phönix, Pelikan, der seine Jungen mit Blut von seiner Brust besprengt, und Löwe, der Jungem seinen Atem einhaucht. Auf der Rückseite unter und über dem Nodus je ein Wappen.

Maße: H. 83,5, B. 29, Fuß 25x21, H.(Dorn) 1,8-2, B. 13, Bu. 0,2-0,3 (A), 0,7 (B), 0,2 (C), 0,4 (D), 0,3-0,4 (E), 0,7 cm (F).

Schriftart(en): Gotische Majuskel (A-F).

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Dr. Rüdiger Fuchs) [1/4]

  1. A

    + ANNO · D(OMI)NI · Mo · CCCo · XLIIo · D(OMI)N(V)S · LVDWICVS · FILIVS · D(OMI)NI · LVDWICI · CO/MITIS · D(E) · OETING(EN) · VOLENS · IRE · AD · TERRAM · S(AN)C(T)AM · VENETZIIS · IN · / DIE · S(AN)C(T)E · MARIE MAGDALENE · A · SECVLO · MIGRAVIT · CLINODIA · QVOQ(VE) // · SVA · AD · HA(N)C · CRVCE(M) · (COM)PARANDAM · S(AN)C(T)IMONIALIB(VS) · ORDINIS · P(RE)DI/CATOR(VM) · IN · LIBENAW · TESTAT(VS) · E(ST)a) · CVIUS · TESTAM(EN)TI · P(RE)DICTVS · D(OMI)N(V)S · / LVDWICVS · P(ATE)R · SVUS · EXSTITIT · PATERNALIS · EXSECVTOR ·

  2. B

    · S(ANCTVS) · DOMINICVS· S(ANCTVS) · THOMAS

  3. C

    · S(ANCTVS) · JOH(ANNES) / EWAN(GELISTA) / IN PRI/NCIPIb)

  4. D

    Ω / ALc)

  5. E

    IESVSd)

  6. F

    · I(ESVS) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDEORVM) ·

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1342, schied in Venedig aus der Welt Herr Ludwig, Sohn Herrn Ludwigs Grafen von Oettingen, als er ins Heilige Land fahren wollte, am Tag der hl. Maria Magdalena (22. Juli); seine Kleinode aber vermachte er zur Herstellung dieses Kreuzes den Nonnen des Dominikanerordens in Liebenau; als väterlicher Testamentsvollstrecker erwies sich sein vorgenannter Vater Herr Ludwig. – Der heilige Evangelist Johannes: Am Anfang (war das Wort).

Wappen:
Oettingen, Württemberg.

Kommentar

Die in linierte Felder geschriebene und mit fünfstrahligen Sternen als Worttrennern versehene Inschrift des Dornes wurde mit kräftigen Strichen eingraviert; trotz verhältnismäßig zahlreicher kapitaler Formen ist die Majuskel als fortschrittlich anzusprechen, da Schwellungen, Serifen und Abschlußstriche sehr ausgeprägt sind. Geringe Größe und Material riefen unterschiedliche Ausführungen hervor, gelegentlich etwa schon mit Spitzen versehene Bogenschwellungen. Die anderen Inschriften bestehen aus Einlegearbeiten in Email.

Die Hauptinschrift gibt Aufschluß über die Umstände der Entstehung als Stiftung aus der Hinterlassenschaft des Kreuzfahrers Ludwig IX. von Oettingen, die von seinem Vater zur Ausführung gebracht worden war. Daß die Grafen von Oettingen Kloster Liebenau als Empfänger wählten, ist leicht verständlich, weil die Tochter und Schwester Irmgard (†1389), Witwe des Pfalzgrafen Adolf, dort eingetreten war.3) Die Entstehung des Kreuzes kann zwischen 1342 und spätestens 1346, als Ludwig d.Ä. starb, angesetzt werden. Nach jüngsten Erkenntnissen stammt es aus einer Werkstatt im Wiener Raum, aus der unter anderem ein vergleichbares Kreuz für das Stift Neuburg a.d.Mürz hervorging; außer der stilistischen Verwandtschaft zu mehreren Goldschmiedearbeiten ist für die Lokalisierung entscheidend, daß der Vater Ludwig nach seiner dritten Eheschließung (1319) mit Guta von Habsburg in Wien lebte.4) Bei den Steinfassungen glaubte man oberitalienische Einflüsse zu erkennen, was aber einer Entstehung in Wien nicht widersprechen muß.5)

Schau- und Rückseite des Kreuzes waren gleichermaßen ansprechend ausgestaltet, vorne eine Häufung der edlen Materialien, hinten die überirdischen Schätze in Reliquien und Symbolen; dort befinden sich auf der Höhe des Kruzifixes eine Madonna mit Kind, Evangelistensymbole und als äußere Rahmung die oben angezeigten Tiere, die im Bestiarium des „Physiologus“ zu den Kreuztod-, Erlösungs- und Auferstehungssymbolen zählen.6) Demgegenüber verschwindet die Stifterinschrift auf dem gewöhnlich nicht sichtbaren Dorn; es wäre zu prüfen, ob Stifterinschriften von Laien bevorzugt an diesen weniger auffallenden Stellen angebracht wurden, wie es etwa auch am Hasselbacher Vortragekreuz von um 1118 mit der Stiftung möglicherweise Kaiser Heinrichs V. geschah.7)

Textkritischer Apparat

  1. TESTAT[VR] E[T] alle anderen, die Perfektform wahrscheinlicher.
  2. Sic. Anfang des Evangeliums Joh. 1,1 nur angedeutet.
  3. Seitenverkehrt; das Omega wie ein auf den Kopf gestelltes M; das Alpha ebenfalls gotisch gestalteter Buchstabe in Ligatur AL.
  4. Das S aus dem rechten Winkel des V herausgeführt.

Anmerkungen

  1. Guth-Dreyfus.
  2. Links: Philipp (Apost.), Jakobus d.J. (Apost.), Achatius, Dionysius, Blasius, Petrus Martyr, Dorothee, Brigida, Elisabeth; rechts: Jakobus d.Ä. (Apost.), Matthäus (Apost. u. Ev.), Bartholomäus (Apost.), Adrian, Dominicus(?), Barbara, Elftausend Jungfrauen(?), ?.
  3. Vgl. Nr. 173.
  4. v. Stälin, Württembergische Geschichte III 692f. zu den Grafen von Oettingen; Fritz u. danach Lüdke zur Herkunft gegen Schroth, Guth-Dreyfus u. ältere, die das Kreuz einer mittelrheinischen Werkstatt zuschrieben.
  5. Lüdke.
  6. Vgl. Schmidt/Schmidt, Vergessene Bildersprache 36, 81f., 93f., 96ff. Physiologus, übertragen und erläutert von O. Seel (Lebendige Antike) Zürich u. München 41983, 4,6,8.
  7. H. Feldbusch, Zum Kreuz aus Hasselbach im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt, in: Kunst in Hessen und am Mittelrhein 10 (1970) 7-9.

Nachweise

  1. Rosenberg II 2221 Nr. 2896.
  2. M. Wingenroth, Die alten Kunstsammlungen der Stadt Freiburg i.Br. (Vom Bodensee zum Main. Heimatbll. im Auftrag des Landesvereins Badische Heimat 9) Karlsruhe 1920, 46 (erw.) u. Abb. 51f.
  3. Como, Bilder aus Kloster Liebenau.
  4. Alte Kunst am Mittelrhein 93 Nr. 443 (erw.) u. Abb. 43.
  5. F. Dettweiler, Ein Kreuzreliquiar aus dem ehemaligen Kloster Liebenau bei Worms, heute im Augustinermuseum zu Freiburg i.Br., in: Der Wormsgau 1,5 (1928) 120f. (nur C,D,E) u. Abb. 1,2,7-12.
  6. Illert, Liebenau o.S. (mit Abb.).
  7. H. Kohlhaussen, Gotisches Kunstgewerbe, in: Geschichte des Kunstgewerbes aller Völker und Zeiten, hg. von Th. Bossert V. Berlin 1932, 382 (erw.) u. Abb.
  8. I. Schroth, Ein Reliquienkreuz von 1342 aus Kloster Liebenau, in: Pantheon 31 (1943) 43-47 (nur Abb.).
  9. Ausstellung mittelalterlicher Goldschmiedekunst anläßlich des 75. Geburtstages und des Goldenen Priesterjubiläums Seiner Excellenz des hochwürdigen Herrn Erzbischofs Dr. Conrad Gröber. Augustinermuseum Freiburg i.Br. Freiburg i.Br. 1947. 12 Nr. 47 (nur A).
  10. I. Schroth, Mittelalterliche Goldschmiedekunst am Oberrhein. Freiburg i.Br. 1948, 41f. Nr. 47 (nur A) u. Abb. Taf. 31-33.
  11. K. Guth-Dreyfus, Transluzides Email in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts am Ober-, Mittel- und Niederrhein (Basler Studien zur Kunstgeschichte 9) Basel 1954, 75ff. (nur A,E) u. Abb. 28-30.
  12. Fritz, Goldschmiedekunst 182f., 342 Nr. 43 (nur A) u. Abb. 249 u. Farbtafel IX.
  13. D. Lüdke, Die Statuetten der gotischen Goldschmiede. Studien zu den „autonomen“ und vollrunden Bildwerken der Goldschmiedeplastik und den Statuettenreliquiaren in Europa zwischen 1230 und 1530 (tuduv-Studien, Reihe Kunstgeschichte 4) München 1983, II 683ff. (nur A), II Abb. 190-193.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 119 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0011905.