Inschriftenkatalog: Stadt Worms
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 29: Worms (1991)
Nr. 30 Dom, innen E.12.-A.13. Jh.?
Beschreibung
Spruchinschrift zur monumentalen Darstellung des Christophorus als Christusträger. Wandmalerei an der Ostwand des Nordquerhauses, ohne Putz auf den Stein gemalt und geschrieben. Zweieinhalbzeilige Inschrift mit schwarzen Buchstaben auf weißem Grund über frontal dargestelltem Christophorus als Christusträger mit Baum, die Nimben und die Mantelschließe reliefiert, auf der Schulter sitzt segnend der bärtige Christus. Unten durch den Bau der barocken Chorbühne gestört, Oberfläche teils abgeschlagen, abgeplatzt, teilweise restauriert.
Maße: H. ca. 10,50 m, B. 272, Bu. nicht meßbar, ca. 15 cm.
Schriftart(en): Gotische Majuskel, früh, spätmittelalterlich und später überarbeitet.
P(ER) TE · STRENA · DATURa) · MORBI · GEN(VS) · OM(N)E / FUGATVRb)+AURAc) · FAMES · PESTIS · CHR(IST)Id) CHR(IST)O/FOREd) · TEST(IS)
Übersetzung:
Durch dich wird ein gutes Zeichen gegeben, jede Art von Krankheit wird vertrieben, (auch) Unwetter, Hungersnot und Seuche, o Christophorus, du Zeuge Christi.1)
Textkritischer Apparat
- Der heutige Buchstabenbestand DATVR ist nicht original, vgl. die fotografische Überlieferung des wohl ältesten rekonstruierbaren Zustandes StA Worms Neg.Nr. M 10745 von 1962, vor Restaurierungen; Text nach diesem Foto, siehe auch unten Formenvergleich.
- Fehlerhafter Buchstabenbestand heute zu lesen als EUGAGVR oder gelegentlich früher als ELIGATVR, Kieslinger.
- ATRA alle außer Original-Ansichten, Fuchs u. Kieslinger; AS(T)RA v. Winterfeld. Ein ligiertes U ist zwar ungewöhnlich, jedoch anhand des ältesten rekonstriuerbaren Zustandes, wie Anm. a, nachvollziehbar und in umgekehrter Reihenfolge im Wort DATUR vorgegeben; die Ligatur führte zur spiegelbildlichen Darstellung desU mit Schwellung rechts. Die beiden anderen Versionen stehen nicht mit Formen und Kürzungsgewohnheiten in Einklang, wenngleich ASTRA wenigstens vom Sinn her möglich wäre. Die Bedeutung „tempestas“ ist bei Du Cange I 484 für AURA gut belegt.
- Kontraktionskürzung mit XP.
Anmerkungen
- Übersetzung von Franz Kieslinger: „Durch Dich erhalten wir eine Gabe. Es wird aller Krankheit Art ausgelesen (d.h. ausgeheilt), [schlechte] Luft, Hunger[snot], Ansteckung, O Christophorus, Du Zeuge Christi“; Übersetzung Benker: „Durch dich wird ein gutes Omen gegeben, jede Art von Krankheit, drohende Hungersnot und Seuche wird vertrieben, o Christopherus, du Zeuge Christi“.
- Heutige Fassung in Abbildung Nr. 11c; Vorkriegsversion, nämlich die Kopien des Malers Hermann Velte, StA Worms Neg.Nr. M 789, Abb. 11a. Text und anschließender Vergleich nach dem ältesten Zustand in fotografischer Überlieferung, vgl. oben Anm. a u. Abb. 11b.
- Schmitt nach Katalog Darmstadt.
- Illert, Regesten 49.
- W.H. Dammann, Mittelalterliche Wandmalereien auf hessischem Boden, in: QHV NF 5,6-7 (1912) 91f.
- v. Winterfeld.
- So Mone; worauf sich die Datierung auf Anfang 14. Jh. bei Braun, Tracht und Attribute Sp. 169 gründet, ist nicht gewiß.
- F. Werner, Art. Christophorus, Märtyrer, in: LCI 5 (1973) bes. Sp. 499f., schon bei Walther von Speyer, Vita et passio sancti Christophori martyris, hg. von K. Strecker, in: MGH Poetae V 1. Leipzig 1937, 68: „... et nomine vocari Christofori, quod iuxta Grecam ethimologiam diligentius intuenti ‘Christum ferens‘ aut ‘Christi portitor‘ sonat“. Fälschlich als Jungfrau mit Kind gedeutet in Original-Ansichten.
- Vgl. H.-F. Rosenfeld, Der hl. Christopherus. Seine Verehrung und seine Legende. Eine Untersuchung zur Kultgeographie und Legendenbildung des Mittelalters (Acta Academiae Aboensis, Humanistica 10, 3) Helsingfors 1937, 419ff. u. Benker 117ff.
- Darstellungen in Wandmalerei bei Clemen; informative Liste auch bei Rosenfeld.
Nachweise
- Mone, Kunstnachrichten II Sp. 56.
- Original-Ansichten der vornehmsten Städte in Deutschland, ihrer wichtigsten Dome, Kirchen und sonstigen Baudenkmäler alter und neuer Zeit, hg. von C. und J. Lange, mit einer artistisch-topographischen Beschreibung begleitet von G. Lange. 13. Heft: Worms. Berlin 1836.
- Lange, Geschichte der Stadt Worms 136.
- Hohenreuther, Kunstgeschichtliche Darstellungen 36.
- Fuchs, Geschichte der Stadt Worms 12.
- Falk, Bildwerke 21.
- Ders., Heiliges Mainz 313.
- Kdm. Worms 202.
- Kraus, Christliche Inschriften II 79 Nr. 171.
- Detzel, Christliche Ikonographie II 253.
- Boos, Rheinische Städtekultur I 274.
- Ausstellung alter Wandmalereien aus dem Hessischen Denkmalarchiv zu Darmstadt. Katalog. Darmstadt 1921.
- Clemen, Gotische Monumentalmalereien 107 Anm. 16 u. Abb. 39.
- A. Tschirner, Romanisches Kolossalgemälde im Dom zu Worms, in: Weltkunst 8 Nr. 12 (1934) S. 4 Sp. 1 u. in: Wormser Tageszeitung vom 15. März 1934.
- [F. Kieslinger], Das Christophorus-Fresko des Wormser Domes, in: Weltkunst 8 Nr. 14 (1935) S. 4 Sp. 1 u. in: Wormser Tageszeitung vom 10. April 1934.
- Kautzsch, Dom Taf. 125b.
- Schmitt, Bildwerke 309f. Nr. 1.
- Von der Reichsstadt zur Industriestadt 149 Nr. 119.
- G. Benker, Christopherus. Patron der Schiffer, Fuhrleute und Kraftfahrer. Legende, Verehrung, Symbol. München 1975, 121.
- Glatz, Mittelalterliche Wandmalerei 336.
- v. Winterfeld, Dom 64 (mit Abb.).
- Englert, Dom 27 (Abb.).
Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 30 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0003006.
Kommentar
Die heutige Fassung der Schrift wurde einer selbst ungenügenden Vorkriegsversion, der Kopie des Malers Hermann Velte, wiederum fehlerhaft nachgebildet;2) das T in TE wurde gegenüber Velte zu einem Kreis mit Hut, ein falsches G in TEST(IS) wurde zu E korrigiert, das E in STRENA wurde nicht geschlossen, alte Nodi des N nicht übernommen; kleinere Fehler an Buchstabenteilen, die ein mangelhaftes Stilgefühl für die Gotik verraten, blieben bestehen. Vor allem gegenüber dem älteren rekonstruierbaren Bestand lassen sich merkliche Abweichungen feststellen: So war das erste E unzial, das vermeintliche zweite G in FUGATVR wirklich ein T, das M in FAMES stand nicht auf dem Kopf, das unziale T in PESTIS trug einen kräftigen Deckbalken und war rechts mit dünnem Strich geschlossen, am Ende der Inschrift standen eindeutig die Buchstaben TEST. Im Wort DATUR muß man raumbedingt eine Ligatur U-R oder ein wenig wahrscheinliches extrem schmales U annehmen. Auch in der Ausgestaltung von Buchstabenteilen gingen charakteristische Merkmale verloren: der Wechsel von Strichstärken, Abschlußstriche des erwähnten T und der X für Chi, unziales unten geschlossenes M wurde gar in einen Kreis eingebogen, spitzwinklig zusammentreffende, sich fast nicht berührende Bäuche und Cauden der R und Schwellungen des linken Schaftes der A münden heute in plumpe Vergröberungen. Nebeneinander von Kapital- und Unzialformen sowie Proportion der Schrift legen eine verhältnismäßig frühe Entstehung nahe, während sich einige scheinbar sehr fortgeschrittene Formen aus späteren Überarbeitungen erklären lassen. Eine Datierung ab dem Ende des 12. Jahrhunderts ist in der gemalten Monumentalschrift durchaus vertretbar, denn in der angesprochenen ältesten Fotoüberlieferung dürfte der noch mittelalterliche Bestand im wesentlichen gewahrt sein.
Angeblich schon in spätgotischer Zeit übermalt,3) erfuhr das ohne Putz aufgebrachte Monumentalbild mehrere Veränderungen: Restaurierungen waren mindestens nach der Domzerstörung von 1689 notwendig geworden, 1865 lehnte der Dombaurat eine Wiederherstellung des Bildes ab, da nur noch die Hälfte vorhanden sei.4) Unregelmäßigkeiten schon in der Zeit der Fotografie sind oben aufgelistet.
Die Datierung der Seccomalerei ist durch den nur schwer rekonstruierbaren Urzustand seit jeher unterschiedlich angesetzt worden. Baugeschichte des Domes und spätromanischer Frontalstil, der Wormser Christophorus ist nach Stil und Haltung noch ganz von frühchristlicher Mosaikkunst geprägt,5) machen eine Entstehung am Ende des 12. Jahrhunderts wahrscheinlich,6) wenngleich um oder kurz nach 1200 nicht ganz auszuschließen ist, einigen fortschrittlichen Schriftformen gar besser zu entsprechen scheint. Als Votivbild aus der Zeit der Pestzüge7) ist das Bild sicher nicht anzusprechen.
Die Darstellung, Christophorus den segnenden Christus wie eine Majestas Domini auf der Schulter tragend, geht auf eine im 12. Jahrhundert aufkommende bilderschriftliche Deutung des Namens als „Christusträger“ zurück;8) ikonographisch steht sie zwischen Passionsdarstellungen und der viel bekannteren Übernahme aus der Legende u.a. des Jacobus de Voragine, in der Christophorus auf der Suche nach dem mächtigsten Herrn schließlich das Christuskind über einen Fluß trägt.
Zwar konzentrieren sich die beiden leoninischen Hexameter der apotropäischen Inschrift auf die Verehrung des Heiligen als Nothelfer, doch gibt gerade der Anfang der Inschrift jenem volkstümlichen Glauben Raum, der Anblick eines Christophorus-Bildes wende jähen, also nicht durch die Sterbesakramente vorbereiteten Tod ab; darin kommt die Gleichsetzung Christi mit der Hostie zum Ausdruck, wie auch dem Hostienschauen dieselbe Wirkung zuerkannt wurde.9) Dieser Sachverhalt mag nicht wenig zur Popularität des Heiligen beigetragen und entsprechend zur monumentalen Darstellung an zugänglichem Ort ermutigt haben,10) wenngleich darunter nicht Öffentlichkeit im weitesten Sinne verstanden werden sollte.