Inschriftenkatalog: Stadt Worms

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 29: Worms (1991)

Nr. 23 Dom, innen um 1165?

Beschreibung

Spruchinschrift im aufgeschlagenen Buch des segnenden und richtenden Christus im romanischen Tympanon des Südportales, beschnitten und rückseitig wiederverwendet als gotisches Portaltympanon mit Marienkrönung von um 1300. Im ehemaligen Zentrum der Skulptur aus hellgelbem Sandstein Christus auf Thron sitzend, die verlorene Rechte ehemals im Segens-/Hoheitsgestus erhoben, mit der Linken ein aufgeschlagenes Buch auf seinem linken Bein haltend, das auf der linken Seite mit drei, rechts mit vier Zeilen beschrieben ist. Den großen Christus flankieren kleinere stehende und kniende Figuren, nach links Maria, ein nimbierter Bischof stehend – Nikolaus von Myra1) oder der hl. Burchard – und ein kniender Bischof, wohl der Bauherr Konrad I. von Steinach;1) nach rechts Petrus mit Schlüssel, ein Diakon, eventuell Stephan1) oder Laurentius, Patron des Westchores,2) eine weitere Figur, möglicherweise ein Baumeisterbildnis1) verloren durch den gotischen Umbau, der ein schmäleres Tympanon erforderte. Im Bogenrahmen Akanthusblätter.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Dr. Rüdiger Fuchs) [1/1]

  1. EGO / SVM / VIA // VERI/TASa) / (ET)b) V/ITA

Übersetzung:

Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.3)

Kommentar

Gegenüber den älteren Formen der Juliana-Inschrift weisen die Buchstaben des Christus-Tympanons schon zwei Unzialen auf, E und M in der halb geschlossenen Version. Kräftige Sporen zeigen andeutungsweise Neigung zur Schaftschwellung. Mit der neuen, aus dem Bauverlauf dendrochronologisch gestützten Datierung des Tympanons auf um 11654) lassen sich diese Merkmale vereinbaren.

Die die Gliedmaßen der Figuren umspielenden Gewandfalten und die Komposition der Figuren lenkten den Blick auf verwandte Denkmäler; freilich wurden die Vergleiche noch mit der späten Datierung vorgenommen, so daß die meisten Aussagen revidiert werden müssen. Es ist daher wohl von lombardischem Einfluß und eigener Ausstrahlung des Reliefs im Rhein-Main-Gebiet auszugehen,5) wobei sich durch die Frühdatierung neue Gewichtungen ergeben. Die dreiviertelrunden Figuren bestechen durch Plastizität und differenziert modellierte Körper und Faltenwürfe. Eine Quelle des gegenüber den Ostchorteilen moderneren Stils in der Buchmalerei zu suchen, bleibt ein berechtigtes Anliegen; als Vorlage kommt heute aber nicht mehr das Speyerer Evangeliar vom Jahrhundertende in Frage.6)

Das Wormser Tympanon mit dem richtenden Christus war in ein Programm des Domportales eingebunden, zu dem auch die Reliefs der Daniel-Gruppe gehörten; Christus entscheidet somit auch über den dort dargestellten Kampf um die Reinheit des Glaubens.7) Die Lokalisierung bischöflicher Rechtsprechung am Südportal nur aufgrund der Tympanonplastik8) ist daher unzulässig.

Im Zuge der gotischen Neugestaltung des Südportales um 1300 wurde der Steinblock umgedreht und mit einer neuen Schauseite versehen, das Portal von der fünften in die vierte Wandseite verlegt; der Respekt vor der alten Darstellung ging soweit, daß man sich anscheinend bemühte, soviel als möglich zu erhalten, so Christus und die Seite der Maria fast vollständig, rechts ließ man sogar den Kopf der Petrus-Figur über die neue Kontur hinausragen.

Textkritischer Apparat

  1. Das S klein hochgestellt wegen Finger.
  2. Tironisch.

Anmerkungen

  1. Hotz; ältere Identifizierungen mit dem Bauherrn natürlich auf Bischof Konrad II. (†1192) bezogen, etwa Steinberg/Steinberg-von Pape.
  2. Schmitt.
  3. Io. 14,6.
  4. Zur Domdatierung vgl. Hotz u. oben S. XVIIf. Um 1160 v. Winterfeld; die ältere Literatur datierte aufgrund der Kautzschschen Domdatierung auf 1175/80 oder noch später, Boos u. Kemmerich sogar ins 13. Jh.
  5. Hotz nach Beenken, der auch Verbindungen zum Tympanon von Petershausen/Konstanz zog; Wirth zu Gelnhausener Tympanon und Mainzer Leichhofportal; Berger zu Frankfurt und Gelnhausen.
  6. Gegen Müller-Dietrich 153ff.
  7. Hotz 79 u. vorangehende Nrr.
  8. Müller-Dietrich 147; weder Figurenprogramm noch andere Nachrichten erlauben einen Vergleich etwa mit dem Fürstenportal in Bamberg, siehe dazu R. Neumüllers-Klauser, Der Bamberger Dom als Stätte mittelalterlicher Rechtspflege, in: 102. Bericht des Historischen Vereins Bamberg 1966, 177ff.

Nachweise

  1. Falk, Bildwerke 4.
  2. Kdm. Worms 187.
  3. Kraus, Christliche Inschriften II 80 Nr. 176.
  4. Boos, Städtekultur I 273.
  5. M. Kemmerich, Die frühmittelalterliche Porträtplastik in Deutschland bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Leipzig 1909, 155 u. Abb. 71.
  6. Beenken, Romanische Skulptur 260 u. Abb. S. 263.
  7. R. Berger, Die Darstellung des thronenden Christus in der romanischen Kunst (Tübinger Forschungen zur Archäologie und Kunstgeschichte 5) Reutlingen 1926, 17 Abb. 6.
  8. Baum, Malerei und Plastik 304 (erw.).
  9. S.H. Steinberg/C. Steinberg-von Pape, Die Bildnisse geistlicher und weltlicher Fürsten und Herren. I. Von der Mitte des 10. bis zum Ende des 12. Jahrhunderts (950-1200) (Veröffentlichungen der Forschungsinstitute an der Universität Leipzig, Institut für Kulturund Universalgeschichte 3) Leipzig/Berlin 1931, 140 u. Abb. 119.
  10. Hege/Weigert, Kaiserdome Abb. 89.
  11. NN., Christus König in der Kunst, in: Der Katholik. Sonntagszeitung im Geist und Dienst katholischer Aktion 5 (1935) Nr. 44 S. 7 (Abb).
  12. Kautzsch, Heutiger Dom 143.
  13. Ders., Dom Taf. 68-70.
  14. Schmitt, Bildwerke 259.
  15. Wirth, Westportaltympanon 414 Abb. 92.
  16. Illert, Worms im wechselnden Spiel der Jahrtausende Abb. 18.
  17. Von der Reichsstadt zur Industriestadt 145 Nr. 93 (Abb.).
  18. M. Klewitz, Das Leichhofportal des Mainzer Domes, in: Mainz und der Mittelrhein in der europäischen Kunstgeschichte. Studien für W.F Volbach (Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archäologie 6) Mainz 1966, 208 u. Abb. 100.
  19. Illert, Worms 38 zu Nr. 9 (Abb.).
  20. Nothnagel/Arens, Staufische Architektur 77 Taf. 50a.
  21. N. Müller-Dietrich, Das Tympanon im Wormser Dom und seine Beziehungen zur Buchmalerei, in: Beiträge zur Kunst des Mittelalters. Festschrift für Hans Wentzel. Berlin 1975, 147, 146 Abb. 1, 152 Abb. 4.
  22. Villinger, Dom zu Worms 10 (Abb.).
  23. Budde, Deutsche Romanische Skulptur 61 u. Abb. 103.
  24. Hootz, Kdm. Rheinland Abb. 318.
  25. Hotz, Dom 74 u. Abb. 30.
  26. v. Winterfeld, Dom Abb. S. 71.
  27. Hotz, Wormser Bauschule Taf. 55.
  28. Ders., Bedeutung des Domes zu Worms 13.
  29. Fuchs, Wormser Inschriften 86 u. Abb. 34.

Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 23 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0002305.