Inschriftenkatalog: Altkreis Witzenhausen
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 87: Witzenhausen (Altkreis) (2017)
Nr. 29 Hessisch Lichtenau-Fürstenhagen, Ev. Kirche 1512
Beschreibung
Glocke. Mit Schweißnaht infolge einer Reparatur in den 1930er Jahren. Oben an der Schulter die umlaufende Inschrift A zwischen Kordelstegen; darunter ein hängender Lilienfries. Obwohl nicht durch ein Zeichen angezeigt, wird man den Beginn der Inschrift beim Gussjahr annehmen dürfen, zumal dort auch die Inschrift B beginnt. Die Jahreszahl sowie zwei Buchstaben sind durch die Reparatur verloren gegangen. Als Worttrenner dienen hier fünfblättrige Rosetten und ein Männergesicht. Ein Stück unterhalb dieses Bandes auf der Flanke die Inschrift B, an beiden Zeilenenden Buchstabenverlust, Worttrenner: kleine Ringe. Unten am Rand der Glocke ein Männerkopf mit langen Haaren, kein Pilgerzeichen. Inschriften erhaben gegossen, B auf eine Platte montiert, anscheinend als Ganzes ein Model, der sich inner- wie außerhalb der traditionellen Glockenumschrift leicht wiederverwenden ließ.
Ergänzungen nach Wenzel.
Maße: H. 85, Dm. 105, Bu. 4,5 (A), 1,0 cm (B).
Schriftart(en): Gotische Minuskel (A), Kapitalis mit frühhumanistischen Elementen (B).
- A
an[no]a) · d(omi)nib) · [xvc xii] in honerec) · sancti · niclai · b(ea)ted) · vele) · sancte · katherine ·
- B
MEISTER · HANS KORT[ROG]f) / VON · HOMBERG · GOIS [MICH]
Übersetzung:
Im Jahr des Herrn 1512 zu Ehren des heiligen Nikolaus, der seligen … und auch der heiligen Katharina (A).
Textkritischer Apparat
- Die linke Haste des zweiten n ist noch erkennbar.
- dom Siegel.
- in honore] ohne Worttrenner oder Spatium. Siegel, Friedrich und Ganßauge verbessern stillschweigend und schreiben: in honore; s. auch den Kommentar. in honore ist Mittellatein, nach der klassischen bzw. neulateinischen Grammatik würde man in honorem erwarten. Bei spätgotischen Glocken ist die erste Variante die weitaus häufigere.
- Dem t fehlt der obere Teil der Haste. Kürzungszeichen: Querstrich über te. Die Reihung beate vel sancte ist inhaltlich nicht erklärbar; daher dürfte nach beate ein Heiligenname, nämlich vorzugsweise marie oder elisabethe, vergessen worden sein.
- et Wenzel, Glockenkunde 24, fol. 23r.
- RORTROG Siegel.
Anmerkungen
- s. Kat.-Nr. 25.
- Freundlicher Hinweis von Jörg Poettgen.
- s. DI 91 (Hersfeld-Rotenburg), Nrr. 68, 72, 73, 74, 76, 86, 91, 107, 108, 111, 114 (einschließlich Varianten wie in ere, Nr. 68, oder ad laudem, Nr. 111).
- Die frühen Formulare IN HONORE bei Walter 156f. (zu 1011 und 1104) sind knapp, die längeren, ebd. 200f. (1289 und 1295 in Rom) überlang, das deutsche in ere (1349 in Mutzig, Elsass, vgl. Walter 211) ist nur scheinbar ein sehr früher Vorläufer der spätgotischen ähnlichen Formulare an Fulda und Werra, denn die Überlieferung der umgeschmolzenen Glocke ist wohl nicht zuverlässig – der „rheinische Glockenspruch“ NN. heissen ich, in NN. ere luden ich ist eine Erscheinung ab dem Ende des 14. und vor allem des 15. Jahrhunderts, vgl. Poettgen, Trierer Glockengießer 75f.
- vc für 500 ist im Untersuchungsgebiet in anderen Zusammenhängen mehrmals belegt, s. Kat.-Nrr. 27, 29, 30, 31, 33.
- „(er kommt) aus einem Model, das Kortrog auf den meisten seiner Glocken verwendete.“ (Freundlicher Hinweis von J. Poettgen).
- Inschrift nach Bücking 157.
- Die Multiplikation benutzte Kortrog auch nicht auf der signierten Glocke in Hilmes von 1518, s. DI 91 (Hersfeld-Rotenburg), Nr. 121, und nicht auf der mit einer Bügelschere gekennzeichneten von Oberellenbach von 1519, s. ebd. Nr. 123, für die er allerdings Kapitalisschrift benutzt zu haben scheint.
- s. Wenzel, Glockenkunde 51 (Homberger Glockengießer), fol. 11v.
Nachweise
- Siegel 250 Anm. 2.
- Wenzel, Glockenkunde 4, fol. 16v; Glockenkunde 24, fol. 23r; Glockenkunde 51, fol. 24r.
- Ganßauge 112.
- Friedrich, Glockenkunde 36.
- Dokumentation der Glockeninschrift in der Kirche zu Fürstenhagen anlässlich des 500-jährigen Glockenjubiläums 2012, erstellt von Astrid Röttel-Liphardt, Fürstenhagen.
Zitierhinweis:
DI 87, Witzenhausen (Altkreis), Nr. 29 (Edgar Siedschlag, Mitarbeit: Fuchs, Rüdiger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di087mz13k0002903.
Kommentar
Im Altkreis Witzenhausen ist dies die zweite von Hans Kortrog gegossene Glocke.1) Der Inschrifttypus „in honore“ ist seit dem 12. Jahrhundert anzutreffen; wenn Kortrog ihn zitiert, so könnte die Vorgängerglocke von diesem Typ gewesen sein.2) Allerdings finden sich in der südlichen Nachbarschaft zahlreiche Glocken dieses Formulartyps, und das auch in Orten, in denen Glocken des Hochmittelalters unwahrscheinlich sind.3) Da die Belege für ein hochmittelalterliches Formular dieser Art kaum ins Gewicht fallen,4) wird man doch von einer eigenen spätmittelalterlichen Formularfamilie ausgehen dürfen.
Singulär für Glocken im Untersuchungsgebiet ist die Schreibweise der Jahreszahl: ein hochgestelltes c (= 100) hinter xv (= 15) bedeutet 1500.5) So zu schreiben ist aber sonst nicht ungewöhnlich. Man findet das z. B. auf Kortrogs Marburger Glocke, dem sog. silbernen Glöckchen im Dachreiter. Dort beginnt die Inschrift fast so wie in Fürstenhagen: in honorem beatae Elisabeth anno Domini XVcXV, und auch den Gießervermerk6) findet man wieder: meister hans kortrog von homberg goß mich.7) Wer diese Zahlenschreibweise erfunden hat, ist nicht bekannt. 1505 auf der Witzenhäuser Glocke hat Hans Kortrog sie noch nicht benutzt, sondern traditionell mcccccv geschrieben.8)
Die Kapitalisschrift des Gießers ist noch stark mit frühhumanistischen und noch älteren Elementen wie unzialem anstelle des epsilonförmigen E, H mit ausgebuchtetem Balken, einem M (MEISTER) mit schräg stehenden Außenschäften, sonst dünnem Mittelteil, retrogradem N mit dünnem ausgebuchtetem Schrägschaft und gotisierendem V durchsetzt. Diese Meistersignatur in modernerer Schrift kommt schon 1506 auf der Glocke in Obermelsungen (Stadt Melsungen, Schwalm-Eder-Kreis) vor, später dann auch 1520 in Harle (Wabern, Schwalm-Eder-Kreis).9)