Inschriftenkatalog: Altkreis Witzenhausen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 87: Witzenhausen (Altkreis) (2017)

Nr. 27 Großalmerode-Uengsterode, Kirche 1506

Beschreibung

Taufstein. Achtseitiges Becken. Fuß unten quadratisch, darüber achtseitiger Abschnitt mit einem Steinmetzzeichen (S3); Schaft fehlt,1) dann gekehlter Übergang zum Becken. In den rechteckig gerahmten Seitenfeldern Reliefs: 1. Wappenschild, 2. Maßwerkornament, 3. vier Gegenstände in etwa gleich großen Feldern (vierspeichiges Rad, Mühleisen, Kugel, sechsspeichiges Rad2)), 4. ein zweites Maßwerkornament, 5. Wappenschild, 6. ein drittes Maßwerkornament, 7. Wappenschild, 8. Inschrift, erhaben in vertieftem Feld, zweizeilig, mit erhabenen Stegen über und unter jeder Zeile.

Maße: H. 92, Dm. 98, (Seitenfelder: H. 28,5, B. 31,5), Bu. 6,9–7,2 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien der frühhumanistischen Kapitalis.

© Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz, Fotograf: Christian Feist [1/6]

  1. An(n)o d(omi)ni mo a) / v[c] 6b) AlbAnic)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1506. Des Alban.

Wappen:
unbekannt3)Meisenbug4), Bodenhausen5)

Kommentar

Die Schrift ist ungewöhnlich: b, d, v sind unten gerundet, o unten und oben. Das erste A spitz mit einem rechtsschrägen vermeintlichen Mittelbalken, der ganz unten am linken Schrägschaft ansetzt und den rechten nicht erreicht. Es handelt sich um eine ziemlich abstrakt wirkende Version eines unzialen A, nicht um eine Sonderform des kapitalen. Die beiden anderen A sind auch spitz, haben aber einen geraden Mittelbalken und sind niedriger als die anderen Buchstaben. Alle drei A, insbesondere die beiden letzten, haben Schrägschäfte, die zu ihrer Richtung rechtwinklig abgeschnitten sind, sodass die Schnittlinie mit der Grundlinie einen spitzen Winkel bildet; das ist ein typisches Merkmal für ein A der frühhumanistischen Kapitalis, wenngleich dort A mit gebrochenem Mittelbalken bei weitem überwiegen.

Die zweite Zeile der Inschrift ist wohl wie folgt zu deuten. Das mo am Ende der ersten Zeile legt die Fortsetzung mit einem Zahlzeichen nahe. Für 500 ist die Schreibung vc belegt. Ein c aber fehlt, es sei denn, es verbirgt sich oberhalb der rechten Haste des v auf dem Steg unter einer nur schwach erkennbaren, sehr dünnen bogenförmigen Linie, als wäre es vorgezeichnet, aber nicht ausgeführt. Denkbar erscheint auch, dass die zur damaligen Zeit bestehenden Schwierigkeiten beim Gebrauch der Null an der Schreibung schuld sind und die Nullen einfach weggelassen wurden. Das auf das v folgende große Zeichen ist jedenfalls kein c. Es ähnelt am ehesten einer 6, einem kursiven s oder einem unzialen B. Rechts oberhalb dieses Zeichens ein weiteres schwer deutbares: Der linke Teil, der als ein kleines hohes Rechteck erscheint, könnte ein hochgestelltes i sein, der rechte kreisförmige ein Deckbalken oder Kürzungszeichen. Doch ein Kürzungszeichen würde man vor dem i erwarten, und ein Deckbalken ist bei dem folgenden, ähnlichen A nicht vorhanden. Dort kann er kaum verloren gegangen sein, weshalb das Zeichen über dem ersten A nicht bloße Zier ist, sondern möglicherweise den verunglückten Versuch darstellt, zusammen mit dem hohen Rechteck ein sancti vor dem Heiligennamen einzufügen. Denn die drei Hasten am Schluss der Zeile können als ni gelesen werden;6) daraus ergibt sich die Lesung AlbAni. Eine Null war bei der addierenden Schreibweise aus lateinischen Zahlzeichen und einer arabischen Ziffer nicht notwendig.

Eine Albanikirche erscheint auffällig, aber nicht unmöglich, gibt es doch seit dem 15. Jahrhundert in Göttingen eine Albanikirche. Auch gehörte Uengsterode zum Archidiakonat Heiligenstadt.7) Dieses unterstand dem Erzbischof von Mainz; außerdem ist Albanus Stadtheiliger von Mainz. Auch das südwestlich von Uengsterode und im Vergleich zu Göttingen wohl etwas näher gelegene Gensungen hatte eine Albanikapelle.8) Der Name des Heiligen auf dem Taufstein belegt also ein bisher unbekanntes Albans-Patrozinium der alten Uengsteroder Kirche. Wenn dieses in so befremdender Weise auf dem Taufstein übermittelt wird, dürfte dessen Inschrift eine Weihenotiz ersetzt haben, war doch in der Zeit, aus der die Kirche stammt, jedes Gotteshaus einem Patron geweiht.

1438 war Kraft von Felsberg mit Uengsterode belehnt, 1575/85 besaßen es die Bodenhausen; aus der Zeit dazwischen gibt es keine Nachrichten über die Besitzverhältnisse.9) Nun sind einerseits die von Felsberg nach 1486 nicht mehr belegt.10) Andererseits war einer der Bodenhausen, nämlich Kraft I. von Bodenhausen (1478–1536) bis 1503 mit Agnes von Meisenbug verheiratet.11) Das erklärt zwei Wappen und könnte den Taufstein zu einem Beleg dafür machen, dass Uengsterode nach dem Erlöschen des Geschlechtes Felsberg an die Bodenhausen übergegangen ist.

Textkritischer Apparat

  1. o hochgestellt, auf dem Steg über der Zeile, s. Komm.
  2. i hochgestellt, s. Komm.
  3. Am Ende drei kräftige Hasten, anders die eher dünnstrichigen Buchstaben davor; offenbar deshalb von Ganßauge als iii von 1503 gelesen, s. Anm. 6.

Anmerkungen

  1. So Ganßauge 178.
  2. Cornelius deutet den kugeligen Gegenstand als Pechkugel und spricht von Wagneremblemen, s. Chronik Laudenbach 122. Er bezieht sie auf den Pfarrer Friedrich Wagner, der 1687 für die Erneuerung der Kirche sorgte. Dann müsste aber der Taufstein, der als spätgotisch gilt, überarbeitet worden sein, vielleicht weil ein Wappen verlorengegangen war.
  3. Wappen unbekannt (quadriert, 1/4. Rose). Eine Verbindung mit den Felsberg habe ich nicht feststellen können.
  4. Wappen Meisenbug (Vogelbein), vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 6, Abt. 12, S. 41, Taf. 32.
  5. Wappen Bodenhausen (3 zunehmende Monde, 2:1), vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 3, S. 21, Taf. 21. Zum Wappen schreibt Ganßauge: „Wappen der Bodenhausen u. Hanstein“. Da es nicht zwei Wappen mit drei Mondsicheln gibt, scheint mir, er meint „oder“ und wollte sich nicht festlegen. Ich habe mich für die Bodenhausen entschieden, die 1575/85 mit Uengsterode belehnt waren und so auch das Patronat innehatten.
  6. Ganßauge 178 datiert mit Fragezeichen auf 1503.
  7. Das nimmt mit guten Gründen auch Hermann Nobel an, s. Chronik Velmeden 59f.
  8. s. Hütteroth 499 und „Gensungen, Schwalm-Eder-Kreis“ in: Historisches Ortslexikon <http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ol/id/4899> (Stand: 23. 7. 2012). Bach, Kirchenstatistik 642 erwähnt Albanus als Patron nur in Wolfhausen bei Marburg.
  9. Dazu s. „Uengsterode, Werra-Meißner-Kreis“, in: Historisches Ortslexikon <http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ol/id/7095> (Stand: 23. 7. 2012).
  10. „Adlige von Felsberg erschienen 1238 bis um 1486.“ Zitiert nach: „Felsberg, Schwalm-Eder-Kreis“, in: Historisches Ortslexikon <http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ol/id/4886> (Stand: 11. 9. 2012).
  11. s. Stammbuch, Bodenhausen I.

Zitierhinweis:
DI 87, Witzenhausen (Altkreis), Nr. 27 (Edgar Siedschlag, Mitarbeit: Fuchs, Rüdiger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di087mz13k0002705.