Inschriftenkatalog: Stadt Wiesbaden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 51: Wiesbaden (2000)

Nr. 20† Wiesbaden-Klarenthal, ehem. Kloster Klarenthal vor 1361?

Beschreibung

Wandmalerei mit dem Stifterbild König Adolfs von Nassau, seiner Gemahlin Imagina, sieben Söhnen und drei Töchtern im „Niederchor“ auf der linken, d.h. südlichen Seite. Während Helwich 1614 bei seinem Besuch in Klarenthal nur knapp den Bildinhalt referierte und die Namen des dargestellten Königspaares und deren Kinder überlieferte, hielt Dors 1632 das Wandbild in einer Tuschezeichnung fest. Es zeigte im Mittelfeld des oberen Teiles in der Mitte eines dreiachsigen Baldachins ein vergrößert dargestelltes thronendes, gekröntes und nimbiertes Heiligenpaar, das als Christus und Maria gedeutet wurde.1) Christus, der in seiner linken Hand ein geschlossenes Buch hielt, wies mit der Rechten auf seine Mutter, die ihre rechte Hand im Empfehlungsgestus auf das ihr von dem Stifterpaar emporgereichte Kirchenmodell richtete. Das Kirchenmodell wurde von einer Inschrift mit Gebets- bzw. Bibeltext (A) umrahmt. Die untere Bildzone wurde von dem Stifterpaar und seiner Familie ausgefüllt, die nebeneinander stehend bzw. kniend im Gebetsgestus abgebildet sind. In der Mitte stand links Imagina in langem Gewand mit Schleier, rechts von ihr ihre Namensinschrift (B), hinter ihr die jeweils inschriftlich bezeichneten drei Töchter (C–E), am Schluß der Sohn Walram (F). Zu Füßen der Mutter knieten die beiden früh verstorbenen Knaben Adolf und Walram (G, H). Der mit einem Hermelinmantel bekleidete König Adolf kniete auf der rechten Seite und war rechts neben dem Kirchenmodell mit einer Namensinschrift (I) bezeichnet; unmittelbar über seinem Kopf vermerkte Dors die Jahreszahl (J) und strich den Namen durch. Adolfs Söhne trugen jeweils ihre Namen über ihren Köpfen (K–N). Zwischen dem Ehepaar ein Wappenschild, darunter seine beiden Kronen. Der untere Bildabschluß wurde von einem rundbogigen Arkadenfries gebildet. Dors übermittelte die Farben der Gewänder durch beigefügte Kleinbuchstaben. Schrift wohl gotische Majuskel.2)

Nach Dors, erg. nach Helwich.

Gemeinfrei [1/1]

  1. A

    DO(MI)NE IN SIMPLI/CIDATE CVNCTIS MEIS PE/CCATIS MISEREREa)

  2. B

    IMAGINA / REGINA / VXOR RE/GIS ADOL/FI [COMITISSA DE LYMBURG]b)

  3. C

    ADELHEIDc)

  4. D

    YMAGINA

  5. E

    MECHTILD

  6. F

    WALTRAM

  7. G

    WALTRAM

  8. H

    ADOLF

  9. I

    ADOLPHVSd) / COMES DE / NASSAVW REX RO/MANORVM

  10. J

    1298

  11. K

    HEINRICVSe)

  12. L

    RVPHERTUS

  13. M

    GERLACUS

  14. N

    ADOLPHVSf)

Übersetzung:

(A) Herr erbarme dich meiner Sünden, die ich in Einfalt begangen habe.3) – (B) Imagina, Königin, Ehefrau des Königs Adolf. – (I) Adolf, Graf von Nassau, König der Römer.

Wappen:
Hl. Römisches Reich4).

Kommentar

Hinter dem das Klarenthaler Kirchenmodell emporhebenden Königspaar stehen jeweils Söhne und Töchter:5) Der älteste Sohn Heinrich starb jung und unverheiratet. Die älteste Tochter Adelheid gehörte zu den ersten Klarissen in der jungen Gründung Klarenthal. Sie ist im geistlichen Habit abgebildet, als Hinweis auf ihr Äbtissinnenamt, das sie von 1311 bis zu ihrem Tode im Jahre 1338 innehatte (Nr. 14). Der zweite Sohn Rupert V., geboren vor 1280, folgte nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters 1298 in der Regierung; er war mit Jutta, Tochter König Wenzels von Böhmen, verheiratet und starb am 2. Dezember 1304. Die zweite Tochter Imagina starb jung. Mechtild, geboren vor 1280, war mit Rudolf von der Pfalz verheiratet und starb am 19. Juni 1323 (Nr. 10). Gerlach I. (Nr. 21), geboren vor 1288, übernahm 1305 die Regierung und verheiratete sich mit Agnes von Hessen; er starb am 3. Januar 1361. Adolf, geboren vor 1288, starb jung, ebenso wie sein Bruder Walram. Der zweite Adolf wurde vor 1292 geboren und starb gleichfalls im Kindesalter. Walram III., geboren 1294, führte mit seinem Bruder Gerlach die Regierungsgeschäfte; er starb nach 1324. Nur ein Adolf und ein Walram fanden sich in einem Klarenthaler Glasfenster (vorherige Nr.) abgebildet.

Das Bild wirft in seiner Gesamtheit etliche Fragen auf. Grundlegend ist dabei die Prüfung der Glaubwürdigkeit der Wiedergabe. Schon Schrohe hatte nach der Übertragungsgenauigkeit des Gewährsmannes gefragt und auf die damit verbundene Abhängigkeit einer jeweiligen Früh- oder Spätdatierung des Wandgemäldes hingewiesen.6) Unterstellt man Dors dieselbe Genauigkeit, wie sie andernorts im Vergleich von seiner Überlieferung mit dem erhaltenen Denkmal nachprüfbar ist,7) so ergibt sich, daß er vornehmlich in der Wiedergabe figürlicher Denkmäler große Sorgfalt walten ließ. Daher dürften sich hinsichtlich des Aufbaus der dargestellten Stiftungsszene keine Unsicherheiten ergeben, wohl aber hinsichtlich stilistischer Details. Auch das äußere Erscheinungsbild der von Dors überlieferten Inschriften dürfte nicht dem Originalbild entsprochen haben. Die Namenbeischriften erscheinen bei ihm in Großbuchstaben, während er für die über den Turm des Kirchenmodells laufende Gebetsinschrift (A) eine eigentümliche Mischform aus Groß- und Kleinbuchstaben verwendete. Offenbar ging es ihm bei den Namensinschriften um die eher allgemeine Mitteilung, daß die Beschriftungen in einer Großbuchstabenschrift ausgeführt waren, denn er imitierte nicht wie sonst eine gotische Majuskel. Diese wäre bei einer mit der übrigen Szenerie zeitgleich entstandenen Beschriftung zu vermuten. Eine geschönte und in der Schriftabbildung eine solche gotische Majuskelform verwendende Version der Dorsschen Vorlage bietet übrigens der Kupferstich von Friedrich Anton Krebs aus Mainz, der von Hagelgans übernommen wurde. Auf diesem Stich sind freilich die Inschriften (B) und (I) zusammengeschrumpft. Die sowohl von Helwich als auch von Dors über dem Kopf des Königs in arabischen Ziffern überlieferte Jahreszahl 1298 bezieht sich auf zwei Ereignisse: Die Stiftungsurkunde des Klosters Klarenthal datiert auf den 6. Januar 1298 und am 2. Juli desselben Jahres starb der König in der Schlacht bei Göllheim. Also wies die Jahreszahl den Betrachter auf zwei historisch bedeutsame Ereignisse hin. Ihre Ausführung in arabischen Ziffern ist für die Datierung nicht von Bedeutung,8) sie war wohl eine spätere Zutat oder eine Umrechnung von Dors.

Auch inhaltlich bestehen einige Bedenken. Die von Dors mitgeteilte Gebetsinschrift (A) ist nicht biblischen Ursprungs. Sie paßt nach der Untersuchung von Schrohe inhaltlich auch nicht zu der abgebildeten Stiftungshandlung. Dieser berief sich in seiner Analyse des Bildes auf die handschriftliche Chronik der „Armen Klarissen“ in Mainz, die zwischen 1660 und 1670 von dem Beichtvater der Nonnen, Pater Ludwig Resch, zusammengestellt wurde.9) Darin beschrieb Resch die bei seinem Besuch 1647 ohne Dach dastehende, fast ruinöse Kirche und das in Mitleidenschaft gezogene Stifterbild, für dessen Inschrift er freilich einen anderen Wortlaut in Übersetzung überlieferte: „In Einfalt meines Hertzens habe ich alles auffgeopffert“. Als Grundlage dieser Version sah Schrohe das biblisch überlieferte Gebet Davids, als er die Großen seines Reiches zusammenrief, um die Finanzierung des Tempelbaues zu besprechen: „Ego in simplicitate cordis mei laetus obtuli universa haec“.10) Schrohe konstruierte nun die Hypothese, Dors hätte die Inschrift des Wandgemäldes selbst nur noch unzureichend entziffern können, cordis mei zu cunctis meis verlesen und den (unsicheren) Schluß des Textes selbst ergänzt. Daß Dors tatsächlich Lesefehler unterliefen, zeigt die Durchstreichung eines Textes (Namen?) über dem Kopf König Adolfs und die korrigierende Überschreibung des Namens seines Sohnes Heinrich. Offenbar war das Stifterbild zu Reschs Zeiten bereits so stark verblaßt, daß dieser die Namen der beiden letzten Figuren links (E, F) und der letzten Figur auf der rechten Seite (N) nicht mehr lesen konnte. Daher ist nicht zu erklären, wieso er für die Inschrift (A) einen ganzen Text in Übersetzung bieten konnte.

Maßgeblich für die Datierung sind nicht Rückschlüsse aus der Dorsschen Schriftnachzeichnung, sondern allenfalls die Architekturformen und Gewandbildungen. Schrohe hatte die Untersuchungsergebnisse von Feigel wiedergegeben, der das Bild anhand dieser Details in die 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert hatte. Otto war hingegen von einer späteren Entstehung in der Regierungszeit der Äbtissin Paze von Lindau (1393-1422) überzeugt und mutmaßte die Vollendung einige Jahre später unter Äbtissin Agnes von Hanau (Nr. 33).11) Stilistische Parallelen wies Otto nicht nach, vielmehr ging er von der gebesserten wirtschaftlichen Situation des Klosters aus. Aufgrund von Stilvergleichen sind die Architekturformen des Stifterbildes allerfrühestens in den späten 1330er Jahren möglich. Daniel Hess stellte das Gemälde wegen seiner verräumlichten Architektur und auf flache Bänder reduzierten Maßwerkformen in den Kontext der Oppenheimer Langhausverglasung und interpretierte das Stifterbild in erster Linie als Memorialstiftung für die 1338 verstorbene Äbtissin Adelheid von Nassau (Nr. 14).12) Da die Dorssche Zeichnung weder eine verläßliche Beurteilungsgrundlage stilistischer Details liefert noch das Bild auf Adelheid, die übrigens an einer ganz anderen Stelle begraben lag, zugeschnitten ist, muß man von einer weiter gefaßten Datierung ausgehen. Es drängt sich eine Datierung nach historischen Gesichtspunkten auf; sie wäre nicht nur durch eine Kommemoration der Stifterfamilie durch die Nonnen gegeben, sondern auch durch die Fixierung einer Memoria für König Adolf, die in Klarenthal außer in einem Fenster (vorherige Nr.) sonst nicht monumentalisiert wurde. Damit kommt als Stifter des Memorialbildes für Eltern und engste Blutsverwandte nur der 1361 verstorbene Graf Gerlach I. (folgende Nr.) in Frage. Bei einer Spätdatierung, etwa um bzw. nach 1400, wäre ein Stifter nicht im Bild, jedoch jung verstorbene und bedeutungslose Söhne König Adolfs, die mit der Klosterstiftung nichts zu tun hatten. Wie bei den Fenstern (vorherige Nr.) ist ihre Abbildung nur innerhalb der Familienmemorie Gerlachs vorstellbar.

Das Bild dokumentierte die Stiftung Klarenthals durch König Adolf von Nassau und seine Gemahlin als nassauisches Haus- und Eigenkloster, diente der Darstellung der königlichen Familie und versinnbildlichte zugleich den Rechtsinhalt der Stiftungsurkunde.13) Es muß auch als kollektive Memoria des Königspaares und seiner direkten Nachkommen gelten, die mehrheitlich in Klarenthal begraben lagen.

Textkritischer Apparat

  1. Sic! Eine Variante bietet Resch, vgl. unten bei Anm. 10.
  2. Dieser Zusatz Helwichs fehlt bei Dors.
  3. Helwich fügte marginal bei Adelheid hinzu: „monialis ord. S. Francisci gaudentium in hoc coenobio, postmodum Abbatissa prefuit vtiliter annis 30“. Alle drei weiblichen Figuren tragen über ihren Köpfen kleine von Dors beigefügte Ordinalzahlen: Adelheid (C) 1, Imagina (D) 2 und Mechthild (E) 3.
  4. Über seinem Kopf durchgestrichen HEINRICVS.
  5. Über seinem Kopf durchgestrichen RVPERTVS.
  6. Helwich schloß hier die Namen der drei anderen früh verstorbenen Söhne Walram und Walram II. sowie Adolf II. an, die bei Dors in der Reihe hinter Königin Imagina bzw. zu ihren Füßen abgebildet sind.

Anmerkungen

  1. Zu Zweifeln an dieser Zuschreibung vgl. Schrohe, Geschichte 41. Aufgrund der ungewöhnlichen Weisungsgesten des Heiligenpaares ergaben sich für Schrohe Zweifel an der Zuschreibung an Christus und Maria, zumal weder die Krönung noch die Segnung Mariens ikonographisch der hier abgebildeten Szene zuzuordnen sind. So nimmt es nicht wunder, wenn er mutmaßte, ob es sich nicht eher um das heilige Kaiserpaar Heinrich II. und Kunigunde handeln könnte.
  2. Diese Schrift auch in dem Kupferstich von Friedrich Anton Krebs, Mainz, nach Vorlage von Dors bei Hagelgans, abgedr. in: Geschichte des Klosters Clarenthal 24; möglich wäre freilich auch eine gotische Minuskel.
  3. Czysz: „Herr, in Einfalt erbarme dich aller meiner Sünden“.
  4. Einköpfiger Reichsadler.
  5. Vgl. zur Genealogie Europ. Stammtafeln NF I,1 Taf. 61; Stammtafel in Hauck/Laufer in: Dors, Genealogia (Anhang) und ebd. 89f.
  6. Schrohe, Geschichte 42.
  7. Vgl. Einleitung Kap. 3; vgl. beispielsweise DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nr. 516.
  8. Die epigraphische Verwendung arabischer Ziffern in Deutschland setzt mehrheitlich im Laufe des 15. Jh. ein, vgl. Kloos, Einführung 63; im benachbarten Rheingau etwa stammen die frühesten sicheren Belege von 1480 und 1481 (Bauzahlen), vgl. DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nrr. 259f., bzw. verloren schon 1477, vgl. ebd. Nrr. 251 und 252.
  9. Zit. nach Schrohe, Geschichte 41f., auch bei Hauck/Laufer in: Dors, Genealogia 87 Anm.7, Czysz 194f.
  10. 1 Chr 29,17.
  11. Otto, Clarenthaler Studien I 184ff., hier 185; dieser Ansatz auch bei Renkhoff, Wiesbaden im Mittelalter 185.
  12. Hess, Mittelalterliche Glasmalereien 46f.
  13. Czysz, Klarenthal 1f. zu der Gründungsurkunde von 1298, die in mehreren Fassungen vorliegt, vgl. auch ebd. 335 Anm. 1 und 2; Hauck/Laufer in: Dors, Genealogia 81f.

Nachweise

  1. Helwich, Syntagma 127 (B–L).
  2. Dors, Genealogia fol. 10r, bearb. Hauck/Laufer 86-90, hier 87 und Abb. 15.
  3. Winkelmann, Beschreibung 163.
  4. Andreae, 1. Genealogienbuch 72; 2. Genealogienbuch fol. 77f. (nach Dors).
  5. HHStAW 130 I/I 1, Nr. 4, fol. 53.
  6. Resch, Chronik, zit. nach Schrohe, Geschichte 43f.
  7. Hagelgans, Nass. Geschlechtstafel Abb. nach S. 12, 17 (nach Krebs).
  8. Schenck, Geschicht-Beschreibung 399 (A).
  9. St. George, Kopie 19 (nach Dors).
  10. Kremer, Origines II Taf. 1 nach S. 472 (nach Dors u. Krebs).
  11. Maag, Klausurgebäude Taf. IV (Abb. nach Dors.) – Czysz, Klarenthal 193 (Abb. nach Dors).
  12. Wiesbaden. Geschichte im Bild 28 (Abb. nach Dors).

Zitierhinweis:
DI 51, Wiesbaden, Nr. 20† (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di051mz05k0002009.