Inschriftenkatalog: Stadt Wiesbaden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 51: Wiesbaden (2000)

Nr. 19† Wiesbaden-Klarenthal, ehem. Kloster Klarenthal vor 1361?

Beschreibung

Namenbeischriften in Glasfenstern des sog. „Jungfrauenchors“ an der Südseite des Langhauses sowie an der Südseite der Westfassade der Klosterkirche, 1632 von Dors in Zeichnung überliefert. Im Langhaus zweibahniges Fenster mit den knienden Beterfiguren Graf Gerlachs I. von Nassau und seiner ersten Gemahlin Agnes von Hessen (Nr. 21). Zu Häupten der Dargestellten befanden sich die Namensinschriften (A, B) und die nach innen geneigten Wappen des Ehepaares. Dors beschrieb die Farben des Glasgemäldes mit Buchstaben oder fallweise undeutlichen Begriffen: Der Untergrund für Personen und Wappen war rot; Graf Gerlach trug eine weiße Kapuze über blauem Gewand, Gräfin Agnes ein Kleid unbestimmbarer Farbe (Buchstabe k), darüber einen purpurroten Mantel und einen weißen Schleier. Auch die Wappen waren tingiert. Im anderen zweibahnigen Fenster, an der Fassade, waren die Grafen Walram und Adolf von Nassau, wohl als Knaben abgebildet, ebenfalls einander zugewandt als kniende Beter. Über ihren Köpfen befanden sich die zugehörigen Namen (C, D), darüber ihre nach innen geneigten Wappenschilde. Die Farben auch dieses Glasbildes sind aus der Dorsschen Überlieferung bekannt: Die Personen waren auf gelben, die Wappen auf roten Grund gestellt. Walram trug eine rote Kapuze auf weißem Gewand, Adolf eine rote Kapuze über undeutlich bezeichnetem Gewand. Die Wappen waren tingiert. Worttrenner sind von Dors technisch bedingt als Quadrangeln gezeichnet statt der zeitüblichen Punkte.

Nach Dors.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Gemeinfrei [1/2]

  1. A

    GERLACUS ·

  2. B

    AGNES ·

  3. C

    WALRABEa)

  4. D

    ADOLFVS ·

Wappen:
Nassau; Landgrafschaft Hessen; Nassau; Nassau.

Kommentar

Die Datierung der Fenster ist unsicher. Bisher wurden sie dem „weichen Stil“ der ersten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts zugeschrieben und in die Regierungszeit der Äbtissin Paze von Lindau (1393-1422) eingeordnet, deren umsichtige Wirtschaftsführung zu einer ersten Blüte des Klosters geführt hatte.1) Dieser Datierungsansatz gründet sich allein auf die Dorssche Wiedergabe der Figuren und Gewandformen, wobei der Grad der Überlieferungsgenauigkeit des Gewährsmannes offenbar weniger ins Kalkül gezogen wurde.2) Um diese Überlieferungsgenauigkeit nachprüfen zu können, ist der vergleichende Blick auf solche Fälle anzuraten, in denen man über die Dorssche Abzeichnung und über das erhaltene Original verfügt.3) Da es sich bei der Dorsschen „Genealogia“ um eine Auftragsarbeit für das Haus Nassau handelte, galt der Wiedergabe des äußeren Erscheinungsbildes wie Figuren, Architekturbeiwerk und Wappen besondere Sorgfalt. Die Schriftformen waren demgegenüber fallweise von sekundärer Bedeutung.4) Im vorliegenden Fall darf Dors in der Schriftwiedergabe jedoch eine höhere Detailgenauigkeit unterstellt werden, da er Schriftcharakteristika wie Sporen, Hastenstärke und Buchstabenschwellungen sorgfältig wiedergab, während die Figuren bis auf die Gesichter schematisch und umrißhaft wirken. So bietet die überlieferte Schriftform eher Anhaltspunkte für die Datierung als die „flach am Boden aufliegenden Gewandteile“5) oder die Behandlung der Figuren. Die Schrift in der Dorsschen Übertragung zeigt ausgeprägte Schwellungen, kräftige Abschlußstriche bei C und E, einen von einem feinen Doppelstrich begleiteten, stark geschwungenen linken Schaft bei A und einen kräftigen Sporn beim Balken des L. Die für die späte Majuskel der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts charakteristischen spitz ausgezogenen Bogenschwellungen6) sind nur bei B, C und D ansatzweise zu erkennen. Da Dors wechselnde Akzentuierung der Bogenschwellung schon für die Majuskel der Grabplatte der 1288 verstorbenen Adelheid von Katzenelnbogen in Mainz7) und für fast alle anderen Majuskelinschriften benutzte, kann das Phänomen der spitzausgezogenen Bogenschwellungen nicht für eine Datierung herangezogen werden. Da auch alle anderen Merkmale für eine späte Majuskel fehlen, bleibt als einziges zweifelsfreies Merkmal die breite Proportion der Schrift, die in den meisten Beständen nach der Mitte des 14. Jahrhunderts verschwindet.8) Die bisher vorgeschlagene Datierung zwischen 1393 und 1422 erscheint daher zu spät gegenüber einem Ansatz in der zweiten Lebenshälfte des dargestellten Grafen Gerlach (Nr. 21), also im mittleren Drittel des 14. Jahrhunderts.

Aufgrund der Vornamen und der Wappen sind die dargestellten Personen eindeutig als Graf Gerlach I. von Nassau († 1361), seine erste Ehefrau Agnes von Hessen († 1332) und wohl seine Brüder Adolf und Walram9) zu identifizieren. Für die Datierung relevant mögen auch zwei an die Lebensdaten des Ehepaares geknüpfte Beobachtungen sein: Einmal könnte das Ehepaar noch zu Lebzeiten bzw. nach dem Tode der Ehefrau 1332 eine Stiftung gemacht haben, die zum Einbau der Fenster führte, sich also aktiv um seine Selbstdarstellung und sein Gedenken bemüht haben. Aus den vorhandenen Quellen läßt sich eine solche Stiftung aber nicht belegen. Oder die Fenster wurden zum Zwecke der „memoria“, dem Gedenken an die herausragenden Stifter, nach dem Ableben des Grafen angefertigt und eingebaut, d.h. nach 1361. Das ist weniger wahrscheinlich, da die Proportion der Majuskeln wenigstens tendenziell auf eine frühere Zeit weist und die Darstellung jung verstorbener Königssöhne in einer späteren Generation kaum noch vorstellbar ist.

In diesem Zusammenhang ist auch ein an der westlichen Giebelwand der Kirche angebrachtes Wandgemälde zu sehen. Die zu Dors' Zeiten stark verblaßte Wandmalerei zeigte je zwei Personen in spitzbogigen doppelten Arkadenbögen und über ihren Köpfen Wappen: in der Mitte Nassau, rechts und links das bayerische Rautenwappen, dazu links den Nassauer Löwen, rechts den hessischen.10) Durch diese Wappen sind die abgebildeten Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erschließen: Es handelte sich wiederum um Graf Gerlach I. und Gräfin Agnes von Hessen sowie um Gerlachs Schwager, Herzog Rudolf von Oberbayern († 1319), und entweder um dessen Gemahlin Mechthild († 1323), Gerlachs Schwester, oder um die Mutter seiner Ehefrau Agnes, Agnes von Bayern. Eine weitere Glasscheibe zeigte den knienden König Adolf von Nassau mit dem Modell der Kirche.11)

Bei Fenstern und Wandmalereien (auch folgende Nr.) handelte es sich um ein Stiftungsensemble zur Memorialsicherung und zur Dokumentation der dominierenden Rolle des Stifters und seiner Familie in der Geschichte Klarenthals. Nach dem Rückzug dieser Nassauer Linie aus der Klarenthaler Klosterkirche in die Stiftskirche in Idstein12) ist eine aufwendige Ausstattung und Pflege der Memoria der Nassauer Königskinder nicht mehr zu erwarten.

Textkritischer Apparat

  1. Sic! Wohl mögliche Schreibvariante des Vornamens.

Anmerkungen

  1. So Otto, Clarenthaler Studien I 185, zustimmend Hauck/Laufer in: Dors, Genealogia 98f. und Hess, Mittelalterliche Glasmalereien 340.
  2. Darauf wies bereits Schrohe, Geschichte 42 hin.
  3. Vgl. beispielsweise DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nr. 516.
  4. Vgl. ausführlich Einleitung Kap. 3.
  5. Hauck/Laufer in: Dors, Genealogia 96.
  6. Vgl. DI 29 (Worms) LXI mit Belegen zu 1381.
  7. Vgl. Dors, Genealogia fol. 7r, bearb. Hauck/Laufer 84 Nr. 1 mit Abb. 14.
  8. Vgl. Einleitung Kap. 5.
  9. Hagelgans, Nass. Geschlechtstafel 17; vgl. auch das Stifterbild (Nr. 20). Dort sind jeweils zwei Brüder namens Adolf und zwei namens Walram abgebildet, denen Geburtsjahre vor 1288 und 1292 bzw. 1294 zugeordnet wurden, vgl. Hauck/Laufer, in: Dors, Genealogia 89f. In Europ. Stammtafeln NF I Taf. 108 ist nur ein Walram (1294-1324) genannt, in ebd. NF I,1 Taf. 61 außerdem ein Adolf (1292-1294).
  10. Vgl. Dors, Genealogia 100 Nr. 10; Czysz, Klarenthal 187.
  11. Dors, Genealogia fol. 19r, bearb. Hauck/Laufer 102 Nr. 11 Abb. 22.
  12. Es handelt sich um die Grafen Walram IV., Adolf II. und Johann II, vgl. DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nrr. 136, 179, 241.

Nachweise

  1. Dors, Genealogia fol. 16v (A, B), 17v (C, D), bearb. Hauck/Laufer 97 Nr. 8 (A, B), 100 Nr. 9 (C, D) mit Abb. 20, 21.
  2. St. George 29 (A, B), 31 (C, D) (nach Dors).
  3. Geschichte des Klosters Clarenthal 44 Abb. 20 (A, B) (nach Dors).

Zitierhinweis:
DI 51, Wiesbaden, Nr. 19† (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di051mz05k0001906.