Inschriftenkatalog: Stadt Wiesbaden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 51: Wiesbaden (2000)

Nr. 2 Wiesbaden, Museum (aus Gräberfeld Friedrichstraße) 5.–6. Jh.?

Beschreibung

Grabstein des Eppo.1) 1758 südwestlich des mittelalterlichen Stadtkerns am Mainzer Tor in der Friedrichstraße gefunden. Kleiner Kalksteinblock mit dreizeiliger Inschrift zwischen Doppellinien. Unter dem Text Christogramm mit Alpha und Omega, von zwei Tauben flankiert. Buchstaben und Figuren neu rot ausgemalt, rechte Taube beschädigt.

Maße: H. 21, B. 22, Bu. 2,5 cm.

Schriftart(en): Vorkarolingische Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/1]

  1. HIC QVIE/XCITa) IN PA/CE EPPO QVb) / A(LPHA) O(MEGA)c)

Übersetzung:

Hier ruht in Frieden Eppo, der (...).

Kommentar

Die Buchstaben der Inschrift wurden in ihrem Duktus durch die moderne rote Ausmalung verändert: Die ausgeprägte Sporenbildung ist dadurch teilweise verwischt, insgesamt wirken die Buchstaben kräftiger, als dies bei der fotografischen Aufnahme von Kraus, die noch den ursprünglichen Zustand wiedergibt, nachzuvollziehen ist. Dies gilt vor allem für C, P und das eingerollte Q. Die in scriptura continua eingehauene Inschrift mit auffälliger Schreibweise von X statt S bei QVIEXCIT2) zeigt leicht trapezförmiges A mit schrägstehenden Schäften und geknicktem Mittelbalken, zwei griechische Unzialbuchstaben im Christogramm, E mit verkürztem mittlerem und leicht verlängertem oberem Balken. Die Bögen des P sind offen, bei V in der ersten Zeile berühren sich die Schäfte nicht, bei QV dagegen sind sie unten zusammengeführt.

Für die frühchristlichen lateinischen Inschriften der Gallia prima und der beiden Germanien gibt es keine chronologischen Fixpunkte. Anhaltspunkte für Datierungen glaubte man aus Paläographie, Formular und Darstellungen gewinnen zu können. In vielen Fällen, wie es besonders auch Nancy Gauthiers für Trier tat, schienen jedoch weiträumige Datierungen, die teils bis auf zwei Jahrhunderte ausgedehnt wurden,3) angebracht, und das wird sich auf absehbare Zeit nicht ändern. Nach den umfassenden Editionen hat Walburg Boppert für den Formularvergleich methodisches Überdenken gefordert, da das von Le Blant bereitgestellte datierte Vergleichsmaterial vornehmlich aus Südgallien und auch Nordafrika, also Regionen stammt, die der römischen Kultur stärker und vor allem länger verbunden waren.4) Gegenüber Le Blants Grenzdaten für Formulare mögen daher am Mittelrhein zeitliche Verschiebungen wirksam geworden sein, zumal auch für Trier eine aus der Isolation erklärbare Weiterverwendung von Formularteilen beobachtet wurde.5) Eine stärkere Abgleichung von Datierungen mit archäologischen Zeugnissen zu Besiedlung und Christianisierung mahnte Engemann an.6) Für das Wiesbadener Material wird daher an dieser Stelle eine Gruppierung nach Merkmalen vorgenommen, die im Anschluß auch für eine Datierung zu nutzen sein wird. Die Inschrift des nur fotografisch überlieferten Fragmentes (Nr. 8) wurde wegen der geringeren Informationen in Inschrift und Darstellung für den Vergleich nicht berücksichtigt.

Bei vier Steinen ist eine doppelte Lineatur verwendet und das Christogramm identisch gebildet, nämlich aus X und P, begleitet von apokalyptischen Buchstaben (Nrr. 2, 5, 6, 7); bei drei davon (Nrr. 2, 5, 6) sind flankierend Tauben angebracht. Beim Stein des Ingildo (Nr. 3) wächst das P aus dem senkrechten Schaft des X, Tauben fehlen, ebenso beim Stein der Municerna (Nr. 4), wo X, P und die apokalyptischen Buchstaben von einem Kreis umschlossen werden. Trotz mangelhafter Ausführungsqualität, der verfälschenden, aber mit den alten Aufnahmen von Kraus zu korrigierenden roten Ausmalung und vor allem der geringen Buchstabenzahl läßt sich diese aus der Darstellung gewonnene Gruppierung paläographisch untermauern. Allen Inschriften gemeinsam sind, soweit überhaupt vorhanden, kapitales A mit gebrochenem Mittelbalken, während seine Spitze wie die des V unregelmäßig gebildet ist; E mit bis auf eine Ausnahme (Nr. 4) kürzerem mittlerem Balken; L mit linksschräg nach unten gerichtetem Balken (Nrr. 3, 5, 7); offenes P bei allen (Nrr. 27) ;7) eingerolltes Q (Nrr. 26). Wie schon bei der Darstellung weicht nur der Stein der Municerna (Nr. 4) von dem weitgehend einheitlichen Bild ab, da dort das Alpha nicht der griechischen Unzialis, sondern dem kapitalen Alphabet entnommen ist und E nicht den verkürzten Mittelbalken aufweist. Die Unterschiede sind bei diesem Stein freilich nicht so groß, daß eine Umdatierung vorgenommen werden müßte. Aus der Zusammenschau von Fundumständen, Namenmaterial, Formular einschließlich der starken Verkürzungen, Sprache und Paläographie läßt sich der weitgesteckte Datierungsrahmen 5.–6.Jahrhundert vertreten, wenngleich man trotz der eingangs geäußerten methodischen Bedenken mit Boppert und anderen einer Frühdatierung den Vorzug geben würde: Das Formular HIC QVIESCIT IN PACE, die Darstellung von Christogramm mit Tauben und Buchstaben sowie die mehrheitlich vorfränkischen Namenformen mit Anzeichen einer unvollkommen realisierten romanischen Sprachakkulturation sind zusammengenommen im 5.Jahrhundert am wahrscheinlichsten. Das gilt um so mehr, als das unziale Alpha bei vier Steinen (Nr. 2, 3, 5, 6) exakt jenem im Codex Sinaiticus8) des 4. Jahrhunderts entspricht. Was die Kenntnis dieser älteren Form für die Datierung wirklich bedeutet, kann nicht abgeschätzt werden, da sie am Mittelrhein und in Trier nicht mehr begegnet.

Die Lesung des Namens ist umstritten. Der Name EPPOQV, der als romanisierte Form von Eppocus angesehen wurde,9) läßt sich nicht belegen. Aus einer rekonstruierbaren Endung mit -Q erschloß Staab eine keltische Bestimmung dieses Namens wie auch bei Qalaqi(t) (Nr. 5), womit er auch das Fehlen des nominativischen Schluß-s bei den Wiesbadener Steinen erklärte. Ein keltiberisches Bevölkerungssubstrat bringt er mit der Verlegung britannischer Truppenkontingente an den Limes und somit in die Nähe des Mainzer Brückenkopfes in Verbindung10) Für den Namen EPPO mit anschließendem stark verkürztem QVI VIXIT spricht, daß dieser germanische Kurzname seit dem 7. Jahrhundert mehrfach belegt werden kann;11) im Falle eines frühen zeitlichen Ansatzes könnte es sich sogar um einen ostgermanischen Frauennamen handeln12) Das Problem einer Verkürzung der Lebensalterformel und ihrer Trennung vom Namen stellt sich auch bei dem Runa-Stein (Nr. 6). Da jedoch auch beim Stein des Votrilo (Nr. 7) eine stark verkürzte, wenngleich anders gebildete Angabe zum Lebensalter an den Namen angeschlossen und die Formel bei zwei weiteren Steinen vollständig vorhanden ist, ließe sich die Verkürzung als Eigenart im Wiesbadener Material deuten.

Für alle Namen auf den Wiesbadener Grabsteinen konnten germanische Wurzeln namhaft gemacht werden, wenngleich die Belege für die Namen, ihre Bestandteile und die Wirkung von Lautverschiebungen bzw. ihre Graphemik oft erst aus späterer Zeit stammen. Das hindert nicht daran, im rechtsrheinischen Vorland von Mainz in nachrömischer Zeit eine christliche Restbevölkerung anzunehmen, die vor oder neben der archäologisch besser nachweisbaren frühfränkischen Besiedlung existierte.13) Gegen eine mechanistische Übertragung der Abfolge von Herrschaftsgebilden auf die Siedlungssituation zeigen die Namenformen der Wiesbadener Grabsteine — und anderer — durch das Nebeneinander west- und ostgermanischer Personennamen sowie durch Interferenzen einer Romanitas bei den Steinen der/des Municerna (Nr. 4) und des Qalaqit (Nr. 5) neu zu überdenkende Kontinuitätslinien auf14)

Textkritischer Apparat

  1. Sic!
  2. Wohl zu ergänzen zu QV[I VIXIT..] oder Varianten, vgl. auch bei Anm. 9-12.
  3. Zwei griechische Unzialbuchstaben.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 346.
  2. Schreibweise X statt S auch bei dem ins 4.–A. 5. Jh. datierten Florentius-Stein aus Mainz, vgl. Boppert 40f. Dieses Phänomen ist nicht zu verwechseln mit dem mit einem Schrägschaft verschränkten S auf spät angesetzten Steinen, vgl. Boppert 130 und 138.
  3. Vgl. Recueil I Datierungstaf. nach S. 102 und Boppert 174.
  4. Boppert, Die frühchristl. Grabinschriften 124 f.
  5. Vgl. Recueil I 55, 57, 75 f.
  6. Engemann, Epigraphik 42.
  7. Schließung des Bogens gelegentlich durch die Fassung vorgetäuscht.
  8. Vgl. Lake, Codex Sinaiticus.
  9. So Becker, nach ihm Kraus; EPPOQV auch bei Staab, Untersuchungen 25 und Renkhoff. Diese Lesung favorisiert auch Reichert, Lexikon I 249.
  10. Vgl. Staab, ebd. 24-27.
  11. Vgl. Förstemann, Namenbuch I Sp. 435. Diese Lesung u. a. bei Klein, CIL, Diehl, Schoppa, Alföldi, Rezension 665.
  12. Vgl. Haubrichs, Eppo Nr. 4.
  13. Vgl. Buchinger, Frühmittelalterliche Grabfunde bes. 270 ff. zum Gräberfeld Dotzheimerstraße/Schiersteiner Weg, wo nur einer der Grabsteine, nämlich Nr. 4, gefunden wurde. Zur Kontinuität des Christentums vgl. u. a. Staab, Heidentum.
  14. Vgl. Haubrichs, Eppo – Schlußfolgerung.

Nachweise

  1. Wichtigste Belege (weitere Literatur bei Kraus u. Boppert): Schenck, Geschicht-Beschreibung 144 (Notiz im Exemplar d. HLB).
  2. Klein/Becker, Inscriptiones 529 (mit Abb.).
  3. Le Blant, Inscriptions chrétiennes I Nr. 338.
  4. Becker, Spuren 44f.
  5. Becker, Die altchristl. Inschriften 180 Nr. 1.
  6. Cohausen, Führer 157 und Abb. vor 151.
  7. Kraus, Christl. Inschriften I 27 Nr. 47 u. Taf. VI 1.
  8. CIL XIII Nr. 7599.
  9. Kutsch, Vor- und Frühgeschichte 80.
  10. Diehl, Inscript. lat. II Nr. 3111 A adn.
  11. Schoppa, Völkerwanderungszeit 45 Nr. 174.
  12. Boppert, Die frühchristl. Inschriften 143 (mit Abb.).
  13. Schoppa, Aquae Mattiacae 109.
  14. Renkhoff, Wiesbaden im Mittelalter 3 Abb. la.

Zitierhinweis:
DI 51, Wiesbaden, Nr. 2 (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di051mz05k0000201.