Inschriftenkatalog: Stadt Wiesbaden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 51: Wiesbaden (2000)

Nr. 63 Wiesbaden-Klarenthal, Ev. Kapelle (aus ehem. Kloster Klarenthal) 1553

Beschreibung

Grabplatte der Äbtissin Anna Brendel von Homburg, die einst im Kreuzgang bestattet lag; 1614 kopial überliefert. Die Steinplatte wurde nach dem Zweiten Weltkrieg bei Ausschachtungsarbeiten gefunden, heute ist sie an der Außenwand der ev. Kapelle eingemauert. Große Platte aus rotem Sandstein; im Bildfeld befindet sich vor einer Muschelnische die flachreliefierte Figur der Äbtissin im Habit, die Hände im Gebetsgestus aneinandergelegt, den Kopf leicht nach links geneigt. Auf der Randleiste umlaufende Grabinschrift; in den vier Ecken Ahnenwappen in runden Medaillons eingelassen. Platte quer gebrochen mit Schriftverlusten. Worttrenner sind kleine Dreiecke.

Erg. nach Helwich.

Maße: H. 216, B. 107, Bu. 5,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/2]

  1. AN(N)O · 1553 · DIE · / K(A)L(ENDAS) · 25 · OCTO[BR(IS) O(BIIT) VE]NERA(N)DA · ET · NOBIL(IS) · D(OMI)NA · / SOROR · ANNA · / BRENDELI(N)a) · DE · HOMB[VRG AB]BATISSA · H(VIVS) · CO(N)V(E)NT(VS)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1553, am (...) Tag vor den Kalenden / am 25. Oktober, starb die ehrwürdige und edle Frau, Schwester Anna Brendel von Homburg, Äbtissin dieses Konvents.

Wappen:
Brendel von Homburg, Kreis von Lindenfels1); Kalb von Rheinheim, Venningen.

Kommentar

Die sorgfältig eingehauene, in ihren Proportionen regelmäßige Kapitalis läßt eine Orientierung an den Gestaltungsmerkmalen der klassischen Kapitalis erkennen. Die Inschrift zeigt Linksschrägenverstärkung, M mit schrägstehenden Schäften und kurzem Mittelteil, R mit fast stachelförmiger Cauda; einmal wird eine Ligatur bei ET durch die Verlängerung des oberen Balkens des E nach links erreicht. Die ungewöhnliche Formulierung des Todesdatums kam wahrscheinlich durch falsches Hinzusetzen von KL zustande; die gesamte Forschung zu Klarenthal setzte den Tod der Äbtissin zum 25. Oktober an.

Anna entstammte der Familie, die seit 1354 als Lehen der Grafen von Eppstein den Burggrafen von Homburg stellte und nach der Mitte des 14. Jahrhunderts in Wiesbaden begegnete.2) Sie war eine Tochter des Friedrich Brendel von Homburg und der Lucia, Tochter Bernhards Kalb von Rheinheim und der Anna von Venningen.3) Anna Brendel trat 1525 als Nachfolgerin der resignierten Äbtissin Marie von Hanau-Lichtenberg das Äbtissinnenamt an.4) Insgesamt sind zwischen 1470 und 1553 sechs Mitglieder der Familie Brendel von Homburg Nonnen in Klarenthal gewesen.5) Hatte Äbtissin Anna in den 1530er Jahren in Graf Philipp II. dem Altherrn von Nassau6) noch einen Rückhalt, da dieser sich zunächst weigerte, die Reformation in seinen Landen einzuführen, so mußte sie in der Folgezeit zunehmend mit den Auswirkungen der Reformation kämpfen. Mangels Quellen kann die Beeinflussung des innerklösterlichen Lebens durch die Reformation kaum beurteilt werden; größere Einflüsse kamen von außen, etwa der Bauernaufstand 1525 oder der 1546 einsetzende Schmalkaldische Krieg. Von 1548 datiert die erzbischöfliche Aufforderung an Klarenthal, sich an den durch die Kriegsauswirkungen entstandenen Kosten zu beteiligen; in ihrem Aufruf an Graf Philipp II. sprach Äbtissin Anna von „dringender Not“ und forderte ihn zur Unterstützung in der Subsidienfrage auf; ähnliches hatte sie in einem wenige Wochen zuvor an den Wiesbadener Amtmann Moritz von Presen (Nr. 64) gerichteten Schreiben formuliert.7) Am 25. Februar 1550 wurde Klarenthal visitiert, sieben Nonnen sind in dem Visitationsbericht bezeugt.8) Aus Angst vor den räuberischen Kriegszügen Markgraf Albrechts Alcibiades von Brandenburg verließen Äbtissin Anna und ihre Mitschwestern drei Jahre später Klarenthal und suchten in Wiesbaden Schutz.9) Zwischenzeitlich hatte in der Grafschaft Nassau-Wiesbaden-Idstein die evangelische Kirchenordnung Einzug gehalten, die Klarenthaler Klarissen waren mittlerweile fast völlig isoliert. Kaum aus Wiesbaden zurückgekehrt, erlag Äbtissin Anna Brendel den Folgen einer Seuche. Sie war die letzte Äbtissin des Klosters.10)

Textkritischer Apparat

  1. E in D inseriert.

Anmerkungen

  1. In Blau zwei silberne Balken.
  2. Vgl. Czysz, Klarenthal 256 und Renkhoff, Wiesbaden im Mittelalter 218f.
  3. Humbracht Taf. 157.
  4. Czysz, Klarenthal 252-255 zu Marie von Hanau-Lichtenberg; vgl. zu Anna Brendels Amtsantritt auch Otto, Clarenthaler Studien I 191.
  5. Czysz, Klarenthal 255; auch Otto, Clarenthaler Studien I 192 mit den Namen Dorothea († 1472), Kunigundis († 1480), Dorothea († 1495), Hebelgin († 1507), Kungundis († 1524).
  6. Vgl. zu seinem Grabmal in Idstein DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nr. 450.
  7. Vgl. Czysz, Klarenthal 268-270.
  8. Ebd. 273.
  9. Ebd. 275.
  10. Vgl. Einleitung Kap. 2.

Nachweise

  1. Helwich, Syntagma 135.
  2. Otto, Clarenthaler Studien I 192 (nach Helwich); II 45 Nr. 30 (nach Helwich).
  3. Czysz, Klarenthal 279 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 51, Wiesbaden, Nr. 63 (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di051mz05k0006301.