Die Inschriften der Stadt Trier II (1501–1674)

5. Schriftformen

Zu den hauptsächlichen Aufgaben des Deutschen Inschriftenwerks gehörte von Beginn an der Aufbau einer Materialbasis für eine Inschriftenpaläographie des Mittelalters und der frühen Neuzeit.904) Naturgemäß können Editionsbände diese Aufgabe nur mit begrenzter räumlicher Gültigkeit erfüllen und sollen jeder für sich Mosaiksteine zum Gesamtbild beitragen. Eine lokal begrenzte Analyse erlaubt daher nur auf die Besonderheiten des Bestandes einzugehen und von diesem ausgehend übergreifende Beobachtungen einzubeziehen bzw. für übergeordnete Fragen eingeschränkt gültige Ergebnisse beizutragen.905) Keinesfalls sind die nachfolgenden Ausführungen auf eine umfassendere Schriftgeschichte des Rhein-Mosel-Raumes ausgerichtet.

Die Schriftformen des Trierer Inschriftenbestandes bieten gegenüber vielen anderen die Besonderheit einer Kontinuität aus der Spätantike. Wegen der dichten frühen Überlieferung christlicher Inschriften kann man über das 5. bis 7. Jahrhundert neben der sprachlichen Vulgarisierung auch die der Buchstabenformen nachverfolgen.906) Eine Schwierigkeit liegt freilich darin, daß keine einzige Inschrift mit lateinischer Schrift aus ihren eigenen Informationen, d. h. aus expliziten Datierungen oder bekannten Personen, datierbar ist. Da der vorliegende Band erst an der Nahtstelle zum frühen Mittelalter907) einsetzt, als sich äußere Formen, auch Schriftformen, Sprache und Inhalte immer mehr von spätantiken Usancen zu lösen begannen, ist die Schriftentwicklung zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert zu überspringen. Es sei dahingestellt, ob es ich um eine Entwicklung handelt. Man hat eher den Eindruck, die Ausprägung der Buchstaben hänge von der Qualität und den Fertigkeiten der verschiedenen Werkstätten ab. Walter Koch ist darin zuzustimmen, ein Kennzeichen – und ein Problem – der Frühzeit sei die Unfähigkeit, ein System durchzuhalten.908) Daher gibt es für die vorkarolingische Kapitalis, also die Hauptschrift der Inschriften zwischen dem ausgehenden 4. und dem ausgehenden 8. Jahrhundert, keine probaten, weil allgemeingültigen und zeitlich staffelbaren, Beschreibungsparameter. Immerhin läßt sich auch in Trier das Abrücken von den Prinzipien römischer Buchstabenformung nach dem Wirken der beiden frühen Werkstätten Matthias I und II und einer bei St. Paulin909) anhand vieler Buchstaben und Auffälligkeiten des Duktus, etwa des unruhigen Schriftbildes und zunehmender Schlankheit, ablesen. Dieses Abrücken wird zum Maß des beschreibenden Vergleichs, der nach der römischen Klassik immer wieder mit Phasen der Reinigung und Rückbesinnung auf den klassischen Ausgangspunkt zurechtkommen muß. Im hypothetischen Gesamtbild ist bis ins 8. Jahrhundert von einem Verfall der Schriftqualität im Schriftbild und bei Einzelformen auszugehen. Walter Koch hat vorgeschlagen, diesen Verfall gegen Kloos nicht in die Nähe der „scriptura rustica“ als einer Art stilisierter „scriptura actuaria“ zu rücken, sondern das Formprinzip als „rustikal“ zu kennzeichnen.910)

Den Einfluß der karolingischen Erneuerung kann man nur anhand weniger und dazu nicht herausragend qualitätvoller Objekte sehen. In keinem Fall handelt es sich um eine Annäherung an graphische Spitzenleistungen, die sich über das Studium der Antike an deren Hochproduktion orientierten.911) Von wenigen Ausnahmen abgesehen bestimmen unvollkommene Versuche der Nachahmung das Bild, wenngleich man gegenüber der Zeit davor einen beträchtlichen Fortschritt in der Formung, im Duktus und in beider Konsistenz feststellen kann. Noch nicht geklärt sein dürften Fragen, wie man die Phase des Herantastens und Experimentierens mit dem neuen Standard von der epigonalen Phase unterscheiden kann. Walter Koch hat etwa mit hochkarätigen Produktionen annähernd gleichzeitige oder etwas frühere schwächere als „bodenständige“ Inschriften bezeichnet und dafür südfranzösische Beispiele präsentiert, die noch viele Merkmale der alten vorkarolingischen Schriften enthalten kön-[Druckseite 145]nen und sich vor allem durch eine gewisse Regellosigkeit auszeichnen.912) Man darf wohl der Grabinschrift der Adda in Poitiers913) einen Sonderstatus zubilligen, weil dort das Schriftbild trotz Fremdformen eine hohe Gleichmäßigkeit besitzt. Zwar erscheinen die „bodenständigen“ Inschriften als Sonderfälle, doch warnen sie vor einem zu schlichten Evolutionsmodell. Auf unsicherem Grund stehen daher die Datierungen jener auf klassizierenden Formenkanones beruhenden, diese aber nicht ausreichend durchführenden Inschriften vom Ende des 9. bis weit ins 10. Jahrhundert hinein. Für die St. Maximiner Wandmalerei (Nr. 35) existieren wenigstens Grenzdaten und eine gute Näherung.

Datierte oder in einem engen Korridor datierbare Inschriften beginnen um 958 (so eine viel jüngere Präzision) mit dem Marktkreuz (Nr. 48); die einzelnen Formen sind jedoch ob des schlechten Zustandes kaum wahrnehmbar. So bilden die Inschriften des auf 980 datierten Petrusstabes (Nr. 53) und die des kurz davor entstandenen Andreastragaltars (Nr. 52) die ersten paläographischen Fixpunkte für die Entwicklung der Schrift von noch karolingisch beeinflußter Kapitalis hin zur Romanischen Majuskel. Grabinschriften identifizierbarer Personen und vor allem gut datierte Weiheinschriften bilden anschließend die Grundlage der Schriftgeschichte in Trier. Demgegenüber liegen die Anfänge der Gotischen Majuskel im Dunkel, weil vor 1258 (Nr. 189) nur Goldschmiede- und andere Metallarbeiten einen Blick auf einen Ausschnitt des Materials erlauben. Gegenüber vielen anderen Beständen fehlt zudem die dichte Überlieferung von Grabplatten des ausgehenden 13. Jahrhunderts bis etwa 1400.

Dieselbe Situation erklärt auch das unvollkommene Bild vom Einsetzen der Gotischen Minuskel, die erstmals 1382 (Nr. 232) für eine ausreichende Beurteilung erhalten, aber schon für die beiden Bischofsdenkmäler der 1360er Jahre (Nr. 223 f.) anzunehmen ist. Erst das 15. Jahrhundert bietet ausreichend Material, vor allem nachdem in seiner 2. Hälfte die Produktion und die Erhaltung stark zunehmen. Das Material reicht sogar aus, um etwas für die Entwicklung der gotisierenden Versalien herauszufinden, die auf einem schon klassizierend formulierten Epitaph (Nr. 282) von 1474 die Hervorhebung von Versanfängen (identisch mit Zeilenanfängen) und Zäsuren der Pentameter übernehmen. Die Minuskel hält sich, wenngleich stark ausgedünnt, noch weit bis in die Neuzeit, und das auf einer Kabinettscheibe (Nr. 505), einer nicht datierten Grabplatte (Nr. 534) sowie schreibschriftlich stark überformt auf einer Bleiplatte (Nr. 585), sodann aber auch erstaunlicherweise auf einem Epitaph von 1560 als Schrift horazischer Versmaße (Nr. 476). Sie wird nicht von Fraktur und(!) Kapitalis verdrängt, sondern nur von der Kapitalis, während die Fraktur nur am Rande erscheint. Zwar läßt sich nicht beweisen, daß auch dieses Phänomen wenigstens teilweise der sozialen Schieflage des Bestandes zugerechnet werden kann, doch zeigt der parallele Schrift- und Sprachwechsel zweier Reliquienkästen (Nr. 620 f.), daß die Schriftwahl an Vorlieben gemäß der Sprache hängen konnte. Im übrigen blieben die großen Werkstätten in Trier anders als die Simmerer914) auch in deutschsprachigen Inschriften bei der Kapitalis.

Die Renaissancekapitalis und ihre unähnliche Vorläuferin in der frühhumanistischen Ausprägung sind nur ausschnitthaft faßbar. Die frühhumanistische Variante zeigt sich in einigen prägnanten Exemplaren eines Bleitäfelchen (Nr. 277), eines importierten Altars (Nr. 280), eines Bildreliefs (Nr. 319), zweier Goldschmiedearbeiten (Nr. 325, 357), in Mischschriften mit sonderbaren Einzelformen bei Reliquien (Nr. 371, 374, 383, 383), kann sogar aus Verlesungen für zwei Glocken (Nr. 384 f.) erschlossen werden und verschwindet dann langsam.915) Die Renaissancekapitalis und ihre bodenständigen Überformungen scheinen sehr spät zu Beginn der 1520er Jahre einzusetzen (Nr. 392, 394, 396), um sich dann jedoch zur dominierenden Schriftart zu entwickeln. Dabei verliert der klassizierende Typ schnell an Boden und weicht einerseits schlichten Adaptionen, andererseits den eine eigene Ausdrucksweise entwickelnden Werkstattschriften von Metzenhausen-Meister, Hans (Bildhauer) von Trier, Hans Ruprecht Hoffmann, Sohn und Enkel sowie der Familie Conchardt. Danach verliert sich der Einfluß einer dominierenden Werkstatt.

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Anders als in Mainz und im Hunsrück spielt eine humanistisch stilisierte Minuskel früh überhaupt keine und spät nur eine sehr geringe Rolle, sieht man einmal von den zahllosen Anwendungen für Graffiti ab, die aber fast ausnahmslos schreibschriftlich geprägt sind und nur wenige stilisierte Schriften überhaupt enthalten, und dann meist sogar in Kapitalis.

Die Paläographie des Trierer Inschriftenbestandes behält trotz der angesprochenen Unwägbarkeiten ihr Gewicht, weil eine Vielzahl aus sich heraus nicht datierter und datierbarer Inschriften vorhanden ist und davon viele ohne eine Beurteilung der Schrift nicht eingeordnet werden können. Das beweisen auch die vielfachen Neudatierungen (Kapitel 7) und erstmaligen Datierungen auch von Fragmenten, von denen viele auf paläographischen Analysen beruhen oder diese wenigstens in erheblichem Maße einbeziehen. Ohne die Schriftdatierung öffnet sich nicht die Tür (Nr. 474) zur Verortung jener zahlreichen nicht offensichtlich konkrete Bezüge mitteilenden Inschriften.

Argumentationen mit der Gestaltung der Buchstaben berücksichtigen stets auch die Qualität der Ausführung, denn nur in niveauvollen Produktionen teilen sich die Eigenarten der zeit- und werkstattgebundenen Buchstabenformen in ausreichend klarem Maße mit, nur dort können Leitformen annähernd störungsfrei beobachtetet werden, sofern Menge und Erhaltungsgrad ausreichen. Durch alle Zeiten hindurch offeriert das Trierer Inschriftenmaterial ausreichende Qualitäten, nicht jedoch gleichmäßig die notwendigen Mengen an Probanden, etwa nicht in den Frühphasen von Gotischer Majuskel und Gotischer Minuskel. Romanik, Spätrenaissance und Manierismus sind vergleichsweise üppig vertreten. Die Werkstätten jener Perioden haben viel und viel gutes Inschriftenmaterial hinterlassen. Trotzdem wundert man sich gelegentlich über Fehler, nicht Vulgarismen der vorkarolingischen Inschriften oder unklassische Sprache, auch nicht über die abenteuerliche Orthographie der wenigen älteren deutsprachigen Texte oder ungeschickte Raumaufteilung, sondern über handfeste Lapsi der Produzenten bei der Herstellung der Texte hinsichtlich Sachinformationen und Schriftherstellung. Davor war keine Zeit, kein Produzent, auch keine Technik der Inschriftenherstellung gefeit. Immer wieder beobachtet man nicht nur Fehler, sondern auch ihre Korrektur, so bei herausragenden Kunstobjekten wie dem Andreas-Tragaltar (Nr. 52), bei dem ein Blechstreifen gedreht und neu bearbeitet wurde, anscheinend weil die Position der Inschrift falsch war, oder dem Greiffenklau-Epitaphaltar (Nr. 396) anhand der Korrekturen auf der Schiefertafel. Mehr oder minder schwere Fehler und Korrekturen ziehen sich durch den gesamten Trierer Bestand, bei Glocken und Bronzegüssen (Nr. 198, 237, 345, 359, 360, 447), Glasmalerei (Nr. 292/E, 410) und vor allem bei Goldschmiede- (Nr. 57, 325, 345, Anhang Nr. 16, 18) und Bildhauerarbeiten (Nr. 1, 4, 7, 12, 30, 38, 82, 114, 151, 180, 190, 232, 242, 247, 254, 262, 271, 272, 374?, 393, 403, 413, 416, 424, 428, 444, 459, 476, 499, 504, 507 zu 1742, 520 zu 1740, 524, 561, 581, 585, 586, 589, 603, 626, 671, 691, 696) sowie wenig anderem (Nr. 216). Zwar wird man Fehler auch Restauratoren anlasten müssen (Nr. 424, 581), doch erstaunt die Menge der Fehler überhaupt, die selbst prominenten Werkstätten wie der Hans Ruprecht Hoffmanns d. Ä. unterliefen.

5.1 Frühmittelalterliche, vorkarolingische Kapitalis

Wie schon gesagt betrifft die Entfernung vom klassizierenden und spätrömischen Standard die schwindende Geschlossenheit des Schriftbildes und die Durchformung der Einzelbuchstaben. Trotz vielfacher vorhandener, die Ordination stützender Lineatur gelang es den Herstellern frühchristlicher Inschriften in den bald stärker von germanischer Siedlung erfaßten Räumen wie an Mosel und Mittelrhein nicht lange eine ausreichende Qualität aufrecht zu erhalten. Am ehesten erreichten noch die frühen Werkstätten bei St. Eucharius (Matthias I und II) eine Annäherung an das alte Niveau, und das auch nur wegen der zeitlichen Nähe.916) In den jüngeren Inschriften der vorliegenden Edition gelang die Geschlossenheit des Schriftbildes trotz mehrfach vorkommender Lineatur nur in Ausnahmefällen. Schwankungen der Buchstabengrößen, -abstände und im Verhältnis zur Grundlinie werden allenfalls abgemildert. Im Zuge einer frühkarolingischen Disziplinierung werden zwar gegenüber den Nummern 1, 7, 19 und 23 zwar wieder bessere und in sich geschlossenere Bilder erreicht, dann jedoch in der Mischung alter und neuer Buchstabenformen.

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Als Beschreibungsparameter917) einzelner Buchstaben ragen typologisch die Buchstaben A, B, E, G (sofern vorhanden), M, Q, R, V heraus, also schon jene, die auch später zu Differenzierungen herangezogen werden, dazu einzelne Sonderformen. Die noch unpräzise Spätdatierung des Grabsteins für Flodericus/Hlodericus (Nr. 1) läßt sich mit solchen Sonderformen stützen, nämlich durch A mit geknicktem Mittelbalken,918) offenes B, verecktes neben weit offenem C, extrem schmales E mit fast zum Punkt reduziertem Mittelbalken und viele andere Erscheinungen mehr, die im Kommentar ausführlich beschrieben sind. Für andere Inschriften dieser Umbruchzeit wegweisend sind Formen wie offene Buchstaben (B, R), schmale E (Nr. 10, 19, 26), Vereckungen, das S mit langem geradem Mittelteil, auch T mit geschwungenem Balken (Nr. 19) und vor allem leitbuchstabenartig das ungleich gewichtete X mit kurzem Schräglinksschaft, der den langen Schrägrechtsschaft weit oben schneidet. Das Augenmerk ist ferner auf verschiedene Phänomene zu richten, von denen einige freilich nur selten vorkommen. Verbreitet sind offene Bögen bei B, P und R, bei dem auch das Verhältnis von Schaft, Bogen, Cauda und ihrem Schnittpunkt zu beobachten ist. Der offene Bogen des R bietet zwei Möglichkeiten, nämlich die Cauda an sein unteres Ende zu hängen (Nr. 1, 6, 10, 12, 15, 16, 18, 22, 23, 26, 30, 31, 41?, 45)919) oder ohne den Bogen zu berühren am Schaft beginnen zu lassen (Nr. 2). Die erste Lösung scheint relativ weit an die beginnende karolingische Schriftreinigung heranzureichen. Während geknickter oder schräggestellter Mittelbalken des A sowie seine wechselnde Höhe zu den Grundelementen der frühmittelalterlichen Schriften gehören dürfte, stellt das trapezförmige A mit unregelmäßiger Gestaltung des Mittelbalkens und variierendem Deckbalken (Nr. 2, 19, 21) eine Sonderform dar, die sich auch auf der Inschrift des Mellebaudis im Hypogéé von Dunes bei Poitiers findet (Nr. 2 Nachtrag).

Eine Eigenart besonderer Prägung besteht in der sogenannten Hasten- oder Schaftverlängerung, bei der Bögen oder Balken nicht an den Enden des Schafts ansetzen. Hier ist darauf hinzuweisen, daß die Schaftverlängerung beim M und N als griechischer Einfluß in frühchristlichen und auch noch frühmittelalterlichen Inschriften gewertet wurde.920) Die Schaftverlängerung bei M oder richtiger der Einzug des Mittelteils ist isoliert kein Indiz für eine Spätdatierung.921) In der Spätzeit entwickelt sich diese Verlängerung stellenweise zu einem festen stilistischen Element, indem alle Schäfte die anderen Bauteile von Buchstaben überragen; eine griechische Wurzel dieser Bildungsweise ist daher und angesichts der kulturellen Randlage von Mosel und Mittelrhein nicht zwingend anzunehmen. Das Phänomen erinnerte an Runen922) und wurde daher als Kennzeichen eines stärker germanisierten Kulturumfeldes angesehen. Verbreitet ist diese Schreibweise in den Gebieten mit fränkischer, westgotischer und langobardischer Herrschaft und Besiedlung. Der Zusammenhang mit der germanischen Akkulturation leuchtet insofern ein, als diese Schreibweise in den südgallischen Kernzonen, die weniger der germanischen Siedlung ausgesetzt waren, nur ansatzweise Verbreitung fand.923) Wegen der Verdichtung des Phänomens an Mosel und Mittelrhein legte man den auf Schaftverlängerung und Vereckung von Buchstaben beruhenden frühmittelalterlichen Schriften die Bezeichnung „rheinfränkisch“ zu.924) Gleichzeitig war festzustellen, daß sich die reife, also am vollständigsten dem Kanon folgende Ausprägung in den Randzonen des Römerreichs, unter anderem auch am Mittelrhein findet. [Druckseite 148] Insofern wird man die Trierer Objekte eher mit den fränkischen Typen in anderen Bereichen vergleichen müssen, da sie bei weitem nicht die Durchformung der mittelrheinischen erreichen. Es wurde auch immer wieder betont, daß nicht alle Erscheinungen mit der Nähe zu Runen zu erklären sind, sondern gleichwohl Wurzeln in älteren, hier auch griechischen, Alphabeten haben können.925)

Die frühmittelalterlichen Schriften Triers und die anderer Standorte folgen nicht mehr einem verbindlichen Formenkanon. Die Extreme einer klassischen Schrift und des fränkischen Typs versucht man mit „gelassener Ruhe“ und „geballter Spannung“926) zu umschreiben. Gleichwohl rufen alle einschlägigen Stimmen dazu auf, statt gewagter Typologien beschreibend vorzugehen. Diesem Rat folgend sollen die wichtigsten der die hier edierten Inschriften kennzeichnenden Phänomene in Abweichung vom klassischen und spätrömischen Schrifttyp vorgelegt werden.

Die Ruhe und Ausgewogenheit des klassischen Schriftbildes hatte sich schon im 3. nachchristlichen Jahrhundert verflüchtigt; in der Erholung des römischen Staatswesens im 4. Jahrhundert war der Verfall der Qualität nur unvollständig oder lokal begrenzt rückgängig gemacht worden, so daß der Duktus vieler Inschriften im Vergleich unbefriedigend erscheint. Der Niveauverlust äußert sich auch in der abweichenden Gestaltung von Einzelbuchstaben.

Allgegenwärtig ist beim A, nicht nur beim trapezförmigen, die Schwierigkeit der korrekten oder nur regelmäßigen Bildung des oberen Winkels. Zumeist resultierte die unsichere Strichführung in einem Sporn, der wie ein auf der Spitze stehendes Dreieck aussieht und gegebenenfalls beträchtlich lang sein konnte. Dieses Problem stellt sich gleichfalls bei V und auch bei M und N; bei V wurde das Problem wie bei A gelöst, bei M und N auch durch Einziehen der Schrägschäfte und beim Mittelteil des M durch Überkreuzen, hier aber eher ähnlich dem A (Nr. 1, 4, 6, 10, 16, 19, 20); nur relativ spät mutiert dieser Sporn zu einem eigenen Anhängsel mit eigenem Sporn (Nr. 28, 30). Bei den drei Buchstaben mit kleinen Bögen (B, P, R) ist für die vielfach noch offenen Bögen der Zier halber auch deren Einrollung ohne Berühren des Schaftes festzustellen (Nr. 6). Die Vereckung runder Buchstaben beginnt in gewisser Weise schon mit der unorganischen Entrundung zugunsten gerader Abschnitte vor allem bei C und O, allerdings auch beim absackenden unteren Bogenende des D (Nr. 1, 2); die Vereckung bleibt im wesentlich auf C (Nr. 10, 19, 20, 21, 22, 23), G (Nr. 19, 20, 23) und rautenförmiges O (Nr. 18, 19, 20) beschränkt. Sehr spät und gegenüber den übrigen Buchstaben ein Fremdkörper ist ein dreieckiges D (Nr. 28). Fraglich ist, ob man die oft gerade Verbindung zwischen den Bögen des S (Nr. 1, 2, 4 teilweise, 7, 10, 11, …) auf eine ähnliche Tendenz zurückführen kann, da es immer wieder Gegenbewegungen zu geben scheint (Nr. 13). Nach unten verlängerter Schaft beim F (Nr. 1) könnte aus der Unziale (5. Jh.) resultieren, ebenso unten umgebogener Schaft des T (Nr. 1), gewiß aber das hier seltene Minuskel-s (Nr. 20). Gegenüber der eingehängten Cauda des G (Nr. 12) gibt es die sich als normal erweisende Einrollung (Nr. 4, 10, …) und die abstrakte sichelförmige Gestaltung (Nr. 7), sogar eine Kombination mit eckiger Form (Nr. 19). Das M bot mehrere Möglichkeiten der Winkelgestaltung seiner Schrägschäfte. Diese konnten stark schräggestellt sein mit mehr oder weniger nah an die Grundlinie reichendem Mittelteil (Nr. 1, 11). Bei jüngeren Inschriften führt die senkrechte Stellung der äußeren Schäfte mit tief herabgezogenem Mittelteil (Nr. 23, 29), gelegentlich erreicht durch den nach unten verlängerten Sporn (Nr. 28, 30), in die Richtung der karolingischen Schriftreinigung. Definitiv eine insulare Wurzel weist das Drei-Schaft-M (Nr. 21) mit Mittelbalken auf, das auch „Lattenrost“-M927) oder „Zaunlatten“-M (Nr. 21) genannt wurde.

Zu den besonders auffälligen Buchstaben gehören vom Kreis und anderen regelmäßigen Rundformen abweichende (außer eckig-rautenförmigen auch ein mandelförmiges, Nr. 20) und oft wesentlich kleinere O (Nr. 4, 13, 16, 17). Das trifft nicht auf das Q zu, dessen Cauda gebogen oder meist geschwungen rechts unten in den Bogen eingehängt ist; zweimal ist es unzial gebildet (Nr. 16, 28) und dreimal(!) in besonderer Weise als unten offener, quasi aufgebrochener Bogen mit kurzen symmetrischen Schrägstrichen an den Bogenenden (Nr. 21, 23, 30). Die Cauda des R präsentiert sich unabhängig von ihrem Ansatzpunkt zumeist gerade und weit gestreckt, daher oft über den Bogen nach rechts überstehend. Über unmerkliche Varianten mit leichter Wölbung (Nr. 7, 10, 12, 13) oder Durchbiegung (Nr. 17, 18) hinaus kommen stark gewölbte Cauden in auch sonst eigenwilligen Buchstabenbeständen vor (Nr. 2, 20). Gegenüber dem wachsenden Bogen verkümmert die Cauda mit der Zeit geradezu, beginnend an-[Druckseite 149]scheinend mit dem Stein des Amulricus (Nr. 29) und fortgesetzt im 10. Jahrhundert. In ähnlicher Weise problematisch für den Hersteller einer Inschrift erwiesen sich Übergang und Gewichtung der Bögen des S; verkleinerte Bögen mit langer gerader Verbindung sind auch in Inschriften vorhanden, in denen fast regelmäßige Sinus-Bögen vorkommen. Extreme Verzerrung (Nr. 19) scheint irgendwann in die spitze Variante des Z-förmigen S (Nr. 18, 22, 23) zu münden. Die halbunziale Form des S (Nr. 20) steht hier neben der kapitalen und paßt in die Vereckungstendenz benachbarter Buchstaben. Nicht nur leicht asymmetrische Stellung der Schrägschäfte des V, die man mehr oder weniger auf die Geschicklichkeit des Herstellers zurückführen könnte, sondern auch anscheinend gewollte und konsequent durchgehaltene Asymmetrie mit senkrechtem rechtem Schaft kommt vor (Nr. 18, 20, 28).928) Auf die besondere Bedeutung des einseitig gewichteten X mit kurzem Schräglinksschaft, der den langen Schrägrechtsschaft weit oben schneidet (Nr. 1, 2?, 11, 15, 16, 17, 21) wurde schon hingewiesen. Zwar scheint das Phänomen auch in schwacher, fast nicht erkennbarer Form vorzukommen (Nr. 7, 22), doch kann es sich nicht in Inschriften mit einer strengeren Zeilenführung (Nr. 10) durchsetzen. Auch dieser Typ könnte insular929) oder durch die Halbunziale vorgeprägt worden sein. Auffällig sind parallele Bildungen auf den Steinen des Trierer Adalelmus (Nr. 21) und solchen im Stil von Luxeuil.930)

Den Einfluß geschriebener Schriften bei umgebogenen Schäften und Balken sowie bei offenen Buchstaben und Sonderformen wird man nur feststellen, aber nicht messen oder zeitlich einordnen können. Immerhin konnten stilisiertes Minuskel-s (Nr. 20) und Auszeichnungsschriften als Vorlagen (Nr. 19, 21) namhaft gemacht werden. Sonderformen, die nicht mit dem Stigma einer vereinfachenden, degenerativen Buchstabenformung bedacht werden können, lassen sich oft auf fremde Vorlagen zurückführen. Beim Stein des Adalelmus (Nr. 21) bildete das M einen Leitbuchstaben für insularen Einfluß. Den erkannte Walter Koch auch beim Stein des Ludubertus (Nr. 22) in der disziplinierten Anwendung eckiger Formen, die seines Erachtens über insulare Schriften vermittelt wurden.931) Dazu gehören dürften auch die quadrangelartigen Verkürzungen von Balken beim E (Nr. 21), ggf. das singuläre Vorkommen des unzialen E, das in einem befremdenden Spannungsverhältnis zu einem dreieckigen D steht (Nr. 28), aber schon nicht mehr einen isolierten Fremdkörper darstellt, wenn man über Trier hinausschaut. Zu den importierten Sonderformen gehört auch das T, dessen linker Balkenteil nach unten in einen kräftigen Sporn umgebogen ist (Nr. 19).

Zwar brachte Konrad Bauer zahlreiche Belege für Inschriften des fränkischen Typs aus dem 6. Jahrhundert und schloß aus ihrer Konzentration an der oberen Rhône auf die Entstehung im Burgundischen,932) doch war auch ihm schon bewußt, daß die massivere Verfremdung des Schriftbildes in den peripheren Gebieten wie dem Mittelrhein zu finden ist und, wie die vielen Belege zeigen, auch jünger angesetzt wird. Die Übersichten zu den Formen des nördlichen Vienne zeigen, daß die Schaftverlängerung als Stilmittel erst im 7. Jahrhundert anzusetzen ist – einzelne Ausreißer zählen nicht. Mit dem Burgundischen hat Trier römisch-keltische Kontinuität gemeinsam. Es besteht also die Möglichkeit, daß Schaftverlängerung und andere Merkmale in Trier erst bei jüngeren Inschriften benutzt wurden, zumal wie auch in Vienne Überreste der spätantiken Kapitalis daneben weiterlebten. Zur Zäsur wäre dann vorzuschlagen: Aufgenommen wurden Inschriften, die durch Schrift und Formular, auch durch das Namenmaterial, eine Abkehr von spätantiken Usancen zeigen; typische germanische Einflüsse auf die Schriftformen wurden aus den oben genannten Gründen eher spät, also ins 7. Jahrhundert, vorzugsweise sogar in dessen zweite Hälfte gesetzt. Dabei ist die häufige Datierung „7. Jahrhundert“ schwer nachzuweisen und kaum vom frühen 8. Jahrhundert zu unterscheiden, weil es wie in den Jahrhunderten zuvor keine eng datierbaren Inschriften gibt und die große Variabilität der Formen einen engmaschigen Zugriff verhindert. Bezeichnenderweise enthält das Trierer Material keine treffenden Nachweisformen einer Zäsur zur karolingischen Schriftreform.

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5.2 Karolingische und nachkarolingische Kapitalis

Den Übergang zur karolingischen Kapitalis leiten Ansätze einer Disziplinierung des Schriftbildes (Nr. 22, 28) und vor allem die beginnende Klärung bzw. Reinigung des Formenbestandes in Richtung einer älteren Kapitalis (Nr. 29, 31), auch gelegentlich unvollkommen (Nr. 30), ein. Weiterhin gehören breitere Proportion (Nr. 28, 29), größere Regelmäßigkeit der Buchstabenbildung und wenige morphologische Klärungen dazu wie der geschmeidige Übergang der Bögen des S, die bessere Bildung der Winkel von Schrägschäften und verhaltenes Einsetzen von Linksschrägen- und Bogenverstärkung. Durchmischt wird der Bestand immer noch von älteren Formen (Nr. 30), ohne daß man in jedem Fall von der Unregelmäßigkeit von „bodenständigen“ Inschriften sprechen kann, da diesen der Zugriff auf die neuen Gestaltungsprinzipien überhaupt fehlt.933)

Prozesse der Schriftreinigung mögen früh eingesetzt haben, sie zielten jedoch zunächst nicht auf die konsequente und bewußte Übernahme von Gestaltungsprinzipien aus Inschriften der römischen Kaiserzeit. Diese äußerte sich erst in idealisierten Prinzipien des Duktus und der Bildung von Buchstabenteilen, die zusammen genommen einen idealisierten Buchstabentyp ergeben. Die „neue“ Kapitalis vermeidet Unregelmäßigkeiten betreffs der Grundlinie und läßt nur gelegentlich überhöhte Buchstaben zu. In breitem Duktus stehen Größe, Proportion und Laufweite in einem ästhetischen Verhältnis. Die einzelnen Buchstaben orientieren sich konsequent am Formenkanon der hohen römischen Kaiserzeit, deren Ideale beinahe komplett übernommen werden. Die geringfügigen Unterschiede sind nur bei bester Erhaltung und dem geübten Auge des Experten zugänglich, wenn etwa in der Corveyer Westwerktafel gegenüber der Inschrift der Trajanssäule eine Verjüngung der rechten Schäfte von N und V nach unten festzustellen ist934) oder die karolingischen Inschriften anders als das Berner Musteralphabet von vor 836935) eben so gut wie nie936) die Schrägstellung der äußeren Schäfte des M nachbilden, und das kaum ansatzweise.

Will man prüfen, ob eine der Trierer Inschriften dem Schriftkanon der karolingischen Renaissance entspricht, oder feststellen, ob und wenn ja, wieweit sich eine Inschrift davon entfernt, was sich allerdings kaum in Jahren ausdrücken läßt, so muß man folgende Parameter abschätzen. Die wichtigsten Kennzeichen der neuen klassizierenden Kapitalis sind eine disziplinierte Anordnung des Schriftbildes mit ausgewogenem Wechsel der Proportionen. Das bedeutet etwa, daß im Idealfall dem schmalen I verhältnismäßig viel Raum zur Verfügung steht und ein zu enger Duktus vermieden wird. Die Verteilung des Textes auf einzelne Zeilen unterliegt aber immer dem Raum-Text-Verhältnis und sogar Gegebenheiten des Beschreibstoffs. Insofern können Abweichungen von einem solchen Ideal und Fremdformen nicht zwingend für eine Datierung in Anspruch genommen werden. Zu den unverzichtbaren Merkmalen einer karolingischen Kapitalis nicht bodenständiger Ausprägung gehören weiter die Kenntnis von Linksschrägenverstärkung der linksschrägen Schäfte und des rechten Schaftes von M sowie von Bogenverstärkung mit linksschrägen Achsen, nicht notwendigerweise auch die stringente Ausführung, sodann die Ableitung von Bögen aus Kreisen, Sporen an freien Buchstabenenden und – am leichtesten erkennbar – individuelle Buchstabenformen wie das breite M (mit oder ohne Schrägung der äußeren Schäfte) mit auf die Grundlinie gezogenem Mittelteil, Q und R mit ausschwingender stachelförmiger Cauda, S mit verstärkter und geschwungener Verbindung der Bögen, schließlich die Vermeidung unzialer und eckiger Buchstabenvarianten sowie gehäufter Buchstabenverbindungen. Im Trierer Bestand erreicht aber keine Inschrift die idealisierten klassizierenden Qualitäten, die vor allem von Sebastian Scholz herausgearbeitet wurden.937) Man wird deren Anteil angesichts der Zahlenverhältnisse nicht überbewerten dürfen und die Warnung von Walter Koch ernst nehmen müssen, dahinter nicht die karolingische „Realität“ zu sehen.938)

Unter diesen Prämissen darf man einige Inschriften an den Beginn der Entwicklung einer gereinigten und stark idealisierten Schrift stellen, ohne daß sie folgerichtige Schritte dieser Entwicklung [Druckseite 151] darstellen könnten – diese sind nicht bekannt und werden es angesichts der dünnen Beleglage auch kaum werden. Dazu zählen die Grabsteine des Amulricus (Nr. 29) und des Gerola (Nr. 30) und ein Fragment (Nr. 31), während andere Grabsteine und Fragmente eher in die Phase einer Lösung von den strengen Prinzipien gehören (Nr. 38, 39, 40, 41, 43, 44, 45), weil entweder unruhiger Duktus (Nr. 39, 41) vorliegt oder Fremdformen einflossen, sogar geringeres Niveau der Herstellung bescheinigt werden muß. Diese Beobachtungen sind für eine engere Datierung nur bedingt tauglich. Der zunehmende Verlust von Sporen (zugunsten leicht keilförmiger Verbreiterung) könnte zusammen mit anderen Merkmalen wie gehäuften Buchstabenverbindungen in gedrängtem Duktus, Verlust der senkrechten Ausrichtung, Verlust der charakteristischen Verstärkungen und Veränderungen von einzelnen Buchstaben und -teilen (Nr. 49, 50) auf eine zeitliche Entfernung hindeuten.939)

Anhand diverser, leider allesamt undatierter Inschriften läßt sich die in sich jedoch nicht konsistente Entwicklung der Kapitalis nach der karolingischen Hochphase nicht als Abfolge von Entwicklungsschritten nachzeichnen. Bei den relativen Fixpunkten wie der St. Maximiner Malerei (Nr. 35) und dem Siegel Erzbischof Radbods (Nr. 36) sind die Buchstabenbestände von den Herstellungsweisen her von den Steininschriften zu unterscheiden bzw. zu knapp.

Datierte oder datierbare Objekte stellen sich erst kurz nach der Mitte des 10. Jahrhunderts ein, wenngleich der Zustand des Marktkreuzes (Nr. 48) allenfalls einen prekären Vergleich zu zeitnahen Inschriften im ottonischen Königsland erlaubt. Festen Boden erreicht man mit den Produktionen der Egbert-Werkstatt, deren Schriften zwar in sich weitgehend geschlossen wirken (Nr. 52, 53), jedoch auch geringe Unterschiede in den technisch identischen Schriften erkennen lassen.940) Die Buchstabengröße und die Herstellungsweise lassen Vergleiche zu Steininschriften kaum zu. Bemerkenswert ist, daß die verworfene Fassung, die sich aus einer rückseitigen Inschrift des Andreastragaltars (Nr. 52) ergibt, durchaus bessere Formen (S) und deutlicher pointierte Sporen aufweist als die später akzeptierte und die des Petrusstabes (Nr. 53). Das A neigt gelegentlich zu einer mehr trapezförmigen Spitze mit nach links überstehendem Deckbalken, die Bildung aus dem Kreisbogen schwindet, die dünne Cauda des R hängt an einem zu großen Bogen, ist aber beim Petrusstab mehrfach stachelartig ausgebildet und knüpft wie deutlichere Linksschrägen- und Bogenverstärkung und M mit knapp bis zur Grundlinie gezogenem Mittelteil mehr an ältere klassizierende Ideale an.

Die Mischung von mehr oder weniger starken Reminiszenzen an klassizierende Tendenzen der Karolingerzeit und neuen Gestaltungsformen wie etwa im langsam breiter, d. h. stärker trapezförmig werdenden A und in der unregelmäßigeren Formung der Cauda des R von gewölbt über gestreckt zu geschwungen bestimmen ab dem Ende des 10. Jahrhunderts einen Teil des Bestandes. Eingestreute Fremdformen wie etwa das B mit leicht eingerollten, weder sich noch den Schaft berührenden Bögen (Nr. 63) treten hinter der Mischung der Charakteristika zurück, wenn beim Grabstein des Wiserich (Nr. 63) zwar Bogenverstärkungen, aber nicht linksschräg gerichtet vorkommen und gar die einfachere Linksschrägenverstärkung etwa beim V verdreht, gleichwohl der Mittelteil des M einmal (1. Zeile) mit korrekter Verstärkung bis auf die Grundlinie gezogen ist.941)

In einem kapital geprägten, aber noch altertümlich aussehenden Stil kommen in Trier – im auffälligsten Fall durch die Herstellung in Brettchenweberei verursacht – vereckte Buchstaben vor, dabei auch kleines O und M und N mit eingezogenem Mittelteil (Nr. 66, Abb. 46); Buchstaben in Textilien folgen aber fast immer eigenen Gesetzen oder keinen, insbesondere betreffs der Disziplin. In besseren Ausformungen (Nr. 84, 87, 88) erkennt man durchaus die Nähe zur älteren Kapitalis. Zu den stärker veränderten Schriften rechnet man etwa die Buchstaben der Mainzer Willigis-Inschrift942) mit stellenweise gehäuften Buchstabenverbindungen, die neben großzügigen Laufweiten einen wechselvollen Duktus verursachen. Zusätzliche Spannung gewinnt diese Inschrift durch eingerolltes G und unziales H neben eckigem C. In den vermehrt runden Buchstabenvarianten zeigt sich ein dritter Stil943) im Vor-[Druckseite 152]feld der romanischen Majuskel, bei welchem sich die Weiterentwicklung der epigraphischen Schrift am intensivsten andeutet. An dieses vereinfachte Modell von drei mehr oder weniger von einander zu unterscheidenden Wurzeln, das heißt Wegen der Lösung von der karolingisch-ottonischen Kapitalis, wird man einen Merkmalkomplex angliedern müssen, um die Ausprägung einer Majuskel zu beschreiben, auf dem jedoch nicht zwingend eine datierungsrelevante Abfolge von Entwicklungsschritten aufzubauen ist.944) Der Katalog wird vielmehr ausdrücklich als „Bündel von Möglichkeiten“ verstanden; darin liegt auch eine gewisse Widersprüchlichkeit und Unvereinbarkeit begründet, die hier mit den drei Hauptwegen beschrieben wurde. Der Beurteilung einer Majuskel wird man sich somit nähern, indem man folgende Kriterien untersucht und fragt nach: gehäuften Buchstabenverbindungen (Enklaven, Verschränkungen, Nexus litterarum, „kleine“ Formen), Ausprägung der Konturierung (linear, fett, beginnende Schwellungen), Vorkommen und ggf. Häufung unzialer bzw. runder Formen, Disziplin der Zeilenführung, Buchstaben- und Wortabstände sowie nach dem Gesamteindruck des Schriftbandes.945)

5.3 Romanische und Gotische Majuskel

Der genannte dritte Weg, sich von den Idealen der karolingischen Kapitalis zu lösen, erweist sich als richtungsweisend, da hier die Mischung der Fonds und somit die Verfremdung weiter ausgreift. In einem Fall tut sie das nur zögerlich, denn in der Grabinschrift des Mönchs Theoderich (Nr. 70) kommen neben häufigem unzialem E noch D und U selten vor, und sogar neben den unklassischen Varianten des eckigen C und des runden G. Die Schrift der Ruothildis (Nr. 71) geht so weit darüber hinaus, daß man ihre Entstehung auch weiter ins 11. Jahrhundert hinausschob. Sie weist zusätzlich unziales A, M, H und runde Varianten von G und T auf, dazu eine hohe Variabilität beim A (unzial mit und ohne Balken, kapital, leicht trapezförmig mit geradem oder geknicktem Mittelbalken, der links übersteht). Variabel sind auch die R mit selten geschlossenem Bogen und ihm teils stachelförmig, teils leicht geschwungen angehängter Cauda. Der letzte Typ wird die nachfolgende Schriftentwicklung prägen. Die Inschrift erhält durch die aufwendige Rahmung und doppelte Lineatur ein geschlosseneres Schriftbild; „Schönheitsfehler“ sind die Drängung in der ersten Zeile und sonst am Zeilenanfang sowie die weiten Spatien der Pentameter.946) Diese Eigenart scheint im Laufe des 11. Jahrhunderts zugunsten einer gleichmäßigeren Ordination zu verschwinden. Hier spielt auch die zunehmende Worttrennung durch Spatien oder Zeichen eine Rolle, weil die Ordination dadurch einen größeren Spielraum zu Gleichmäßigkeit hin gewinnt. Ohne inseriert zu sein, kommt das O schon in frühmittelalterlichen Inschriften in mehr oder weniger verkleinerter Größe vor. Dieses Phänomen verliert zwar in der karolingischen Renaissance an Bedeutung, wird jedoch mit der Entfernung vom klassizierenden Standard wiederbelebt (Nr. 49, 52, 53, 63, 66, 70, 71, 84!, 109, 114, 122), um dann im 12. Jahrhundert langsam zu verschwinden; niveauarme Produktionen scheinen den Effekt zu verstärken, obwohl das Schriftband nicht haltende Inschriften schwer zu beurteilen sind.

Viele der nachfolgenden erhaltenen Inschriften sind kurz oder nur per Zeichnung überliefert. Trotzdem kann man an einzelnen Belegen den konservativen Stil (Nr. 84, 87, 88) mit wenigen Einschlüssen und eckigen Varianten und kaum Unzialen (Nr. 83, 90), sodann den an Buchstabenverbindungen und eckigen Buchstaben reichen Stil (Nr. 93, 94) erkennen, der dann zu einem Kennzeichen im Umfeld der St. Pauliner Märtyrerinschriften (Nr. 103, 105, 108, 140) wird. Es gehört zum Variationsmuster der Zeit, daß Stile oder nur Merkmalgruppen lange zeitlich nebeneinander vorkommen und daß die von Unzialen und runden Buchstaben geprägten Inschriften zunehmen (Nr. 109, 110, 113, 114), obwohl das Konkurrenzmodell der eckigen Buchstaben im eckigen C weiterläuft. Aus-[Druckseite 153]zählen der Varianten reicht also nicht für Datierungen,947) auch nicht bei langen Inschriften. Neben den genannten Varianten treten mit dem proklitischen A und der littera E caudata sowie dem Nexus von V und S (Nr. 83, 84, 103, 111, 112, 115) neue Formen ein, dazu ein neues Graphem, das tachygraphische ET in einer der 7 ähnlichen Gestalt (Nr. 94, 96, 107, 111, 112, 114, 118, 130, 132, 134, 135/A6 + NT, 135/A8 + NT, 136, 168, 192, 198, 271 in Minuskel).

Die für das Mittelalter typische Veränderung der Schreibung AE zu E (vgl. auch Nr. 67) einschließlich der Zwischenstufen von proklitischem A und e-caudata ist bisher kaum in einzelnen Editionsbeständen nachzuvollziehen gewesen. Zwischen AE in Nexus (Nr. 30, 44) zeigt sich schon früh E (Nr. 39), das aber noch keinen Wechsel anführt (Nr. 52, 53). Abgelöst wird der Nexus AE zunächst mehrheitlich von der e-caudata (Nr. 65, 83, 94, 104, 109, 111, 132NT, 135/XX, /XXII, 140), selten von E mit proklitischem A (Nr. 114, 137) neben seltenstem Nexus AE (Nr. 93), bevor sich zur Mitte des 12. Jahrhunderts hin das einfache E (Nr. 113, 116, 122, 151, 154, 157, 159) durchzusetzen beginnt.948) Außerdem etablieren sich im ausgehenden 11. Jahrhundert unziale und runde Varianten als stabile Elemente der neuen Schrift, wenngleich die Bleiplatte Udos (Nr. 93) mit der linearen Strichführung, den eckigen C und den eingestellten Buchstaben einen anderen Akzent zu setzen scheint; wie beim Simeon-Elfenbein (Nr. 121) mag man für die spezielle Herstellungsweise gerade Linien bevorzugt haben. Man wird auch den linearen Duktus (Nr. 93, 110, 113 – alle Blei) eher als die Ausnahme betrachten dürfen, deren Erscheinungsbild vielleicht auch im Kopiervorgang begründet ist. Die Unterschiede der Strichstärke wachsen, je näher eine Inschrift dem Malen steht, so auch im Braunfirnis (Nr. 109, 116).

Im Bereich von St. Paulinus greift sicher seit der Weiheinschrift von 1088 (Nr. 94) ein besonderer Nexus um sich, in dem dem M rechts ein gleichgroßes A mit Nexus am rechten Außenschaft eingestellt ist (Nr. 94, 96, 103, 105, 108, 111, 112); entgegen einer früheren Annahme reicht das Phänomen bis zu den Reliquienauthentiken von 1148 (Nr. 129, 130, 132, 135/A8–12, 15, 21 – alle im Nachtrag). Auch scheint gegenüber der zunehmenden Klarheit der kaum gekürzten Inschrift Ivos (Nr. 122) mit ihren wenigen Unzialen (A, E, M) und dem Fehlen von Nexus die Produktion in St. Paulinus konservativer gewesen zu sein, denn in dem großen Textcorpus seit der Mitte des 11. Jahrhunderts kommen nur unziales E und ggf. eingerolltes G neben an Nexus und Einstellungen reichem Duktus und eckigem C vor.949)

Bis knapp in die Mitte des 12. Jahrhunderts bleibt das A nur mäßig breit zum Trapez geöffnet. Größere Breite und die Sonderform des pseudounzialen A in der Weiheinschrift von 1196 (Nr. 151) zeigen an, daß man etwa die Tympana aus St. Maximin (Nr. 152155, 165) nicht ohne zwingenden Grund zu spät in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ansetzen darf. Im übrigen bleibt die Varianz bestehen, so daß in der knappen Beschriftung eines Kapitells (Nr. 145) unziales E und links geschlossenes unziales M neben den kapitalen Formen und einem eckigen C stehen. Dieses M ist in Trier daher relativ spät (Nr. 122) faßbar; ein Grund mag die konservative Ausrichtung des die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts dominierenden Bestandes von St. Paulinus sein. Die Einmischung runder/unzialer Varianten wird jedenfalls zum Normalfall und erweitert sich auf einen neuen Buchstaben, das runde N, das in Trier sicher ab 1124 (Nr. 114) vorkommt, danach ebenfalls selten (Nr. 151, 152, 154). Zögerlich findet auch das U Eingang (Nr. 114, 147, 151, 152, 154). Diesen modernen Erscheinungen stehen außer der St. Pauliner Produktion andere konservative Schriftbelege (Nr. 137) an der Seite, die noch stärker auf ältere Erscheinungen eingehen, so das breite M mit fast zur Grundlinie reichendem Mittelteil und das R mit stellenweise stachelartiger Cauda nebst unzialem A (mit „eingerolltem“ Mittelbalken) und E sowie moderner Reimweise. Die Widersprüchlichkeit von Merkmalen bleibt bis ins 13. Jahrhundert erhalten.

[Druckseite 154]

Das Einsetzen der Gotischen Majuskel läßt sich nicht anhand einer breiten Palette von Steininschriften fixieren, sondern vollzieht sich allmählich oder schleichend, da man keilförmige Verbreiterung von Schäften (Nr. 162, 168, 179), Abschlußstriche (Nr. 168, 180) und Bogenschwellungen (Nr. 179, 180?) nur unvollkommen ausgeführt beobachten kann. Die Abgrenzung zu einem spätromanischen Stil bleibt im Einzelfall problematisch.950) Goldschmiedearbeiten wie die Reliquiare aus St. Matthias (Nr. 181) und Mettlach (Anhang Nr. 18) wird man hinsichtlich der metall-positiven Schriften gesondert betrachten müssen, aber schon in den eingetieften Passagen sind viele Anforderungen an die neue Majuskel erfüllt.951) Die Strichstärkenunterschiede der metall-positiven Schriften zeigen eindrucksvoll das in diesem Medium Machbare hinsichtlich der Bogenschwellungen und Abschlußstriche, vor allem aber im Verhältnis der bearbeiteten Fläche zur fiktiven Gesamtfläche eines Buchstabens; obwohl zuerst auf das 15. Jahrhundert bezogen, gilt diese Annahme durchaus als Maß der Gotisierung der Majuskel.952) Bei den Steininschriften zeigt schon wenig später die Grabinschrift Bruch (Nr. 189) die erwähnten Merkmale, nicht jedoch ein spannungsreich geschlossenes Schriftbild; das wird erst mit dem Prager Reliquiar (Nr. 190) und der Grabinschrift Finstingen (Nr. 192) erreicht. Nichtsdestoweniger scheint es noch stärker beharrende Kräfte gegeben zu haben, denen die Umsetzung der Merkmale (Nr. 182, 184) noch weniger gelang, falls sie denn überhaupt angestrebt wurde.

Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts etabliert und mit dem Abschlußstrich beim kapitalen E die Verinnerlichung eines Prinzips offenbarend, bleibt die Gotische Majuskel lange die dominierende Schrift, auch wenn sich in einem Gußvorgang (Nr.198) eine stärker lineare Variante zeigt. Mangels einer dichten Folge datierter Grabplatten, die sonst das 14. Jahrhundert kennzeichnen, lassen sich Entwicklungsschritte nicht nachzeichnen; Nachzeichnungen datierter Platten (Nr. 208, 214, 215) verschaffen allenfalls einen groben Eindruck der Schriftformen. Eine Platte (Nr. 242) und ein Agnus Dei (Nr. 241) zeigen aber späte Formen an, bei letzteren insbesondere durch die überaus kräftigen Sporen.

Als Reservoir für Versalien der Minuskel tritt die Majuskel in Trier nur punktuell hervor. Man könnte ihre Verwendung auf der Balduin-Tumba (Nr. 223) im Anklang an bzw. im Vorgriff auf die an der Tumba des hl. Wendelin in St. Wendel gut begründen, muß aber zugeben, über die Ausführung der Balduin-Inschrift nur wenig zu wissen. Ähnliches gilt für die Grabinschrift Erzbischof Boemunds II. (Nr. 224), für die nur ungefähre Nachzeichnungen existieren. So sind Majuskelversalien relevant für die Datierung von Fragmenten (Nr. 246) oder über die Nachzeichnung Brouwers für die Inschrift Erzbischof Eberhards (Nr. 252) eher in eigenen Textteilen, ansonsten prekär (Nr. 299, 316, 347, 359) oder Anzeichen für eine Überarbeitung oder gar Neufassung (Nr. 304, 305, 505), gelegentlich nur schlecht ausgeführt (Nr. 327). In sehr dekorativer, mehr buchmalerische Elemente aufgreifender Weise dienen Majuskeln in der Stifterinschrift zur Heiliggrabkapelle (Nr. 321) als Marker der Versanfänge. Fast konventionelle Majuskelversalien auf einer späten Kabinettscheibe (Nr. 505) stellen deren Beschriftung zusammen mit anderen Indizien unter den Verdacht der Manipulation bis hin zur Neufassung.

5.4 Frühhumanistische und Renaissancekapitalis

Nachdem die Gotische Majuskel – aufgrund des dezimierten Materials – erst recht spät von der Gotischen Minuskel (Kap. 5.6) abgelöst worden war, bewahrte diese über 100 Jahre ihre Dominanz. Lange bevor sie wiederum durch eine dominierende Zweilinienschrift ersetzt wurde, mischten sich Kapitalisvarianten in eine immer noch verbreitete Minuskel. Von diesen Varianten wird die frühere seit dem Grazer Round-Table-Gespräch von 1988 „Frühhumanistische Kapitalis“ genannt. Auf diesen umfassenden Begriff einigte man sich im Bewußtsein einer großen Variationsbreite.953) Die Be-[Druckseite 155]zeichnung umfaßt also Schriften mit kapitalem Grundalphabet, das mit fremden (griechisch-byzantinischen), älteren Majuskelbuchstaben und Phantasieformen durchsetzt ein oft gewöhnungsbedürftiges Bild ergibt. Diese Schriften(!) wurden daher oft in Zusammenhängen benutzt, in denen eine bewußte Archaisierung angestrebt bzw. ein Bezug zu einer lange zurückliegenden Vergangenheit gesucht wurde.

Das möglicherweise früheste Vorkommen (Nr. 277) kann nur durch einen typologischen Vergleich mit dem Foto einer Reliquienauthentik aus Blei (Nr. 371) und Nachrichten zu Aktivitäten am Fundort abgeschätzt werden. Die erste datierte Kapitalis dieser Art steht auf einem auch griechischen Text enthaltenden Relief des Schmerzensmanns von 1494 (Nr. 319). Sie ist in Trier und Umgebung mit keinem anderen Denkmal zu vergleichen und zeichnet sich durch extrem schlanken Duktus aus; verwirrende Buchstabenverbindungen und Sonderformen steigern den der Schrift innewohnenden Verfremdungseffekt, obwohl derart komplexe Verschachtelungen kein typisches Zeichen dieser Schrift sind. Typische Buchstaben der Schriftart wie A mit breitem Deckbalken, zweibogiges E und byzantinisches M (gerade Schäfte, von einem Balken herabhängender Schaft) fehlen. Dafür ist spitzovales O dem schlanken Duktus angepaßt und M und N sind durch Einzüge archaisiert. Cauden von G und R sind dem Zwang zum Nexus folgend gelängt. Einen völlig andern Eindruck vermitteln die eingetieften und größtenteils schwarz hervortretenden Inschriften des Ada-Buchdeckels (Nr. 325), die für Goldschmiedearbeiten eine ungewöhnliche Unsicherheit der Strichführung zeigen. Damit geht eine verwunderliche Varianz einher, die stellenweise auch mangelnder Qualität geschuldet sein kann. Es kommen also verschiedene Typen von Buchstaben und verschiedene Gestaltungsweisen an sich gleichartiger Aufgaben vor. Die Heterogenität umfaßt rundes und eckiges C, kapitales und zweibogiges E und byzantinisches M (Nr. 325/A, TABVLAM) neben einem solchen ohne Mittelschaft (ebd., Jahreszahl) und M mit schrägen Außenschäften und kurzem Mittelteil. Beim offenen B berühren (Nr. 325/A, ABBAS) oder überschneiden (Nr. 325/A, TABVLAM) sich die Bögen innen. Die Sporen am Schaft des B sind zu kurzen Balken verlängert, nicht jedoch beim R; die Bogenenden des S sind mehrfach gräzisierend weit nach innen gekrümmt, einmal nicht (Nr. 325/A, ABBAS). Ansonsten integrieren die Inschriften des Deckels Reste gotisierender Buchstabenbildung in verbreiterten Schaftenden mit weiteren typischen Formen der frühhumanistischen Kapitalis, nämlich mit sich weit öffnendem A mit breitem Deck- und gebrochenem Mittelbalken, offenem unzialem D, H und I mit Ausbuchtungen und N mit dünnem Schrägbalken. Nur die stark nach unten gekrümmte Cauda des R paßt gegenüber dem verbreiteten Bild eines R mit kleinem Bogen und weit abstehender Cauda nicht in den bevorzugten Kanon. Typische Merkmale der Frühhumanistischen Kapitalis sind auch auf dem sogenannten Agnes-Elisabeth-Reliquienkreuz (Anhang Nr. 38) verwirklicht, nämlich zweibogiges E, Ausbuchtung des H und byzantinisierende Form des M; der allgemeine Duktus einer dünnstrichigen, sehr schlanken Schrift wie auch Einzelbuchstaben stützen diese Ansicht: Der obere Balken des A ragt nach links über, die Bogenenden des C sind weit nach innen gekrümmt wie bei einem griechischen unzialen Sigma, das D im Wort VIDVE ist durch ein umgedrehtes offenes C gebildet.

Nicht Heinrich Wolf wie der Buchdeckel, sondern Johannes Wolf wird ein Kelch der St. Antoniuskirche (Nr. 357) zugeschrieben. Seine Kapitalis ist noch stärker gereinigt und weist nur wenige (vgl. Nr. 325, Nachtrag), dazu unspektakuläre und eben nicht die für die Schrift typischen Parallelen zum Buchdeckel auf. Daher ist eine Abhängigkeit der genannten Werkstätten nicht anzunehmen. Eine solche ergibt sich auch nicht zum Abendmahlmesser (Nr. 382), das dem Sohn Heinrichs Bernhard Wolf zugeschrieben wurde. Unregelmäßig eingehauene Quadrangel, deutliche Sporenbildung, das weit geöffnete C und N mit dünnem Schrägbalken reichen nicht für die Feststellung einer Werkstattbeziehung aus, obwohl diese aus der Verwandtschaft und daraus folgender Lehrabhängigkeit gegeben sein müßte. Ebenfalls weiter von den frühen Belegen der Schrift entfernt sind die Bleitafel der Blasius-Reliquien (Nr. 371) und die Tafel zur Translation des Matthias (Nr. 374), deren Kapitalis nicht mehr über die für die frühhumanistische Ausprägung typischen Sonderformen verfügt, sondern zu mehrfach konventionell aussehenden Kapitalbuchstaben Sonderformen hinzufügt, die nicht in anderen zeitgenössischen Inschriftencorpora vorkommen, jedoch in Handschriften und der Typographie, das S sogar in ganz frühen Inschriften. Der Verfremdungseffekt wird dadurch noch erhöht. In ähnlicher Weise unspezifisch präsentiert sich die gestickte Inschrift auf dem Schleier Mariens (Nr. 383) in einer detailgetreuen Nachzeichnung Wiltheims: Die Mischung von kapitalen und unzialen Formen (unziale D, E, M, Q), das eckige C (in der Silbe CIO(N)E) und die schlanken, oben fast spitzen A scheinen zunächst für eine Datierung ins 12. Jahrhundert zu sprechen, zumal die Herstellungsweise der Buchstaben keine ausgeprägten Unterschiede von Strichstärken zuließ und auch andere zeitspe-[Druckseite 156]zifische Erscheinungen verhindert haben kann. Dazu könnte man auch die eigenwilligen unzialen M und Q zählen. Die vollständige Schriftanalyse zeigt ein komplexeres Bild und erweist diese beiden Buchstaben nur als epigonale eigenwillige Zierformen in einem jüngeren Alphabet: In dem sehr schlanken Duktus sind fast spitze A teilweise mit einem beidseitig überstehenden Deckbalken versehen; B mit Bögen, die weder einander noch den Schaft berühren, und das erste P besitzt oben links am Schaft eine Art Anstrich, der wegen der Herstellungsweise in gleicher Strichstärke zum übrigen Buchstaben, also stumpf, ausgeführt ist; das untere Bogenende des runden C, aber auch des unzialen und des zweibogigen E besitzt keinen Sporn oder Serife; die Mittelbalken bei allen E-Formen und bei F sind verhältnismäßig kurz, jedenfalls kürzer als die äußeren Balken; das untere Ende der hochgezogenen Cauda beim G ist deutlich vom Bogen abgesetzt; der Schaft des I mit Nodus oder Halbnodus links versehen; die Cauda des R mißt die Hälfte des Buchstabens und ist als konkaver Stachel ausgebildet, der zwar herstellungsbedingt stumpf endet, jedoch als relativ junge Erscheinung zu gelten hat. Die Inschrift sieht so aus, als habe man sich einer schon von den frühhumanistischen Formen weg entwickelnden Kapitalis bedient, die im A, im zweibogigen E, in der Cauda des R, in kurzen Mittelbalken sichtbar ist, und bewußt archaisierende Formen wie eckiges C, unziale D, E und die Formen von M und Q verwendet und auch der Schrift und dem Medium fremde Erscheinungen wie die Anstriche bei B und P eingepflanzt, um beim Betrachter die gewünschte Ansicht, es handele sich um ein altehrwürdiges Objekt, zu unterstützen. Angesichts weitestgehender Unkenntnis der mittelalterlichen Inschriftenpaläographie bei Zeitgenossen und Jüngeren genügte es, einen Eindruck des Fremdartigen hervorzurufen, um den angestrebten Effekt zu erreichen. Das bedeutet auch, daß eine frühe Entstehung der Reliquieninschriften, etwa zu 1472 oder nahebei, von den Schriftformen her nahezu auszuschließen ist.

Viele Texte sind zu kurz oder nicht konsistent (Nr. 280,954) 337, 396, 398, 410, Anhang Nr. 37 f., 43, 47) genug, um ihre Nähe zu den Frühformen zu bestimmen. Bei zwei Glockeninschriften (Nr. 384 f.) kann man anhand einer charakteristischen Verlesung (P mit übergroßem Bogen zu D) zumindest auf Reste der frühhumanistischen Kapitalis schließen, bei einer anderen aufgrund von Beschreibungen (Anhang Nr. 26). Beim Elisabeth-Becher (Nr. 401) handelt es sich um eine moderne Inschrift, deren Kapitalis mit kräftigen Dreiecksporen von Erscheinungsformen der frühhumanistischen Kapitalis durchsetzt ist: Dazu gehören fast spitzes A mit links überstehendem, leicht schrägem asymmetrischem Deckbalken, Minuskel-b, offenes unziales, d. i. rundes D, rundes G, I mit Halbnodus, M mit sehr schrägen äußeren Schäften und kurzem Mittelteil, retrogrades N und R mit gerader, am Schnittpunkt von Schaft und Bogen ansetzender Cauda; leider kennt man die Formen der Datierung zu 1598 nicht, um den möglichen Abstand der Schrift zum Stiftungsjahr sicher zu bestimmen. In ähnlicher Weise flossen Elemente der frühhumanistischen Kapitalis in schon überwiegend von der Renaissancekapitalis und ihren Epigonen bestimmte Inschriften ein (Nr. 403, 412, 426, 430?, 436); Beharrungsvermögen kam darin dem zweibogigen E zu. Dieser Buchstabe findet sich auch in der vermeintlich jüngsten frühhumanistischen Kapitalis in einer dünnstrichigen und größtenteils linearen, mit dünnem Grat gestalteten Schrift eines Bilderbäckers (Anhang Nr. 51/IB).

Von diesen Schriftspezimina heben sich wenige zeitnahe einer ungleich strengeren Anpassung an antike Vorlagen ab.955) Gegenüber anderen Zentren läßt sich die Trierer Produktion einer Kapitalis in Renaissanceformen erst verhältnismäßig spät fixieren. Das mag auch an dem mageren Erhaltungsgrad liegen. Mit dem Epitaph Breitbach weist ein Trierer Objekt der Werkstatt des Jakob Kerre956) erstmals gewisse Tendenzen einer an antiken Vorbildern ausgerichteten Kapitalis auf. Teilweise kehrt sie wieder auf anderen Produktionen der Werkstatt, jedoch nicht durchgängig auf einem der Schlüsselwerke, auf dem Epitaph des Pfalzgrafen Johannes I. von Simmern.957) Die Verbindungen nach Mainz sind noch zu überprüfen. Aus diesem Renaissance-Kunstkreis, zu dem der gut vernetzte Trierer Erzbischof Richard von Greiffenklau zu Vollrads Verbindungen unterhielt, könnte auch die Verwendung einer in Trier neuen und [Druckseite 157] in vieler Hinsicht schon klassizierenden Kapitalis mit teils überhöhten Versalien importiert worden sein, aber mehr die Idee als die Ausführung (Nr. 392): In quadratischen Proportionen, Klarheit der Linienführung, Verwendung von Kreisen und Kreissegmenten kommt die neue Formensprache deutlich zum Ausdruck. Beim R setzt eine gerade, stumpf endende, somit plumpe Cauda immerhin klassisch am richtigen Punkt rechts unten am Bogen an, und die Balkenlängen des etwas zu breiten E sind geradezu klassisch fein abgestuft, indem der mittlere der kürzeste, der untere der längste ist. Eine nur unvollkommene Linksschrägenverstärkung, stark konische M mit knapp zur halben Buchstabenhöhe reichendem Mittelteil, keine offenen P sowie Schwächen der Serifenbildung verraten aber auch Probleme der Umsetzung; unregelmäßig ist zudem die Rückbildung von mittelalterlichem E zu AE.

Nicht in den Proportionen und im Duktus, sondern nur in einzelnen Buchstaben erreicht die Grabinschrift des Nikolaus Straßburg (Nr. 394) klassizierende Dimensionen, und auch dort nur ansatzweise und punktuell. Mögen Kreisbögen und Linksschrägenverstärkung meist gelungen sein, so offenbaren doch fast alle Buchstaben neben gelungener Imitation Unwissenheit um die Prinzipien oder wenigstens Unvollkommenheit: Die Schattenachse der Bögen, vor allem bei O und Q, ist nicht sauber linksschräg ausgerichtet; bei Buchstaben mit zwei Schrägschäften geht oft die Symmetrie verloren; die Bögen von P und R sind zwar meist offen aber gelegentlich plump; bei A variieren Öffnungswinkel, Symmetrie und Gestaltung des Sporns oben; die Länge des unteren Bogens von C schwankt, ebenso die Gestaltung seines Endes; mehrfach ist die Länge des Balkens von E dem Bogen eines nachfolgenden Buchstabens angepaßt; die Cauda des Q ist zu kurz und steht zu steil; die Laufweiten gleichen nur selten den Wechsel schmaler und breiter Buchstaben aus, insbesondere nicht mehr in der zweiten Hälfte der Inschrift.

Eine noch bessere Annäherung zeigt das Epitaph des Balthasar Merklin von Waldkirch in St. Simeon (Nr. 413), bei dem gegenüber dem vorangehenden die linksschräge Schattenachse der Bögen prägnanter und konsequenter ausgeführt ist. Freilich ist der mittlere Balken des E stark verkürzt und die Cauda des R weist oben mehrfach eine Schwingung auf, wie das bei unvollkommenen Klassizierungen recht häufig vorkommt, hier freilich neben der antikisierenden Form der stachelartigen, rechts am Bogen ansetzenden Cauda. Angesichts der gewollten Klassizierung gibt die davon abweichende starke Verkürzung des mittleren E-Balkens zu denken, ist sie doch später ein leicht erkennbares Unterscheidungsmerkmal zu guten Renaissanceschriften und gar römischen und omnipräsent in Typographie und Inschriften ab der Mitte des 16. Jahrhunderts und vielfach schon früher. Es muß die Frage erlaubt sein, ob diese Variante, die ja keiner römischen Vorlage folgt, einem Fremdkörper in Form eines klassischen kapitalen Epsilon geschuldet ist, bei dem der stark verkürzte Mittelbalken als häufige Variante vorkommt und über die Klassikstudien Eingang in die Schriftgestaltung gefunden haben kann.

Die Grabinschrift Richards von Greiffenklau (Nr. 396) entspricht der vorgenannten, die ja aus demselben Jahr 1531 stammt, in vielem, auch in vielen Abweichungen von einem klassizierenden Standard. Durch die erhabene Gestaltung treten einzelne Merkmale jedoch prägnanter hervor, unter anderem auch die schwankenden Längenverhältnisse der Balken beim E, diese noch stärker verschoben in der Beischrift (Nr. 396/D), und die inkonsequente Gestaltung der Serifen beim S, unten fehlen sie mehrfach. Wie in vielen frühmodernen Inschriften fehlt allen Inschriften des Greiffenklau-Denkmals eine im Vergleich zu besten antiken Traditionen durchgängig befriedigende Ordination der Abstände; so steht das I fast immer zu dicht an benachbarten Buchstaben. Die älteren Beschriftungen von 1525 weichen von dem Bild der Grabinschrift erheblich ab: Die Signatur (Nr. 396/F) zeigt trapezförmiges A mit kurzen Deckbalken und schmales E, die Gewandsauminschrift (Nr. 396/E1) trapezförmiges A mit breitem Deckbalken, stark konisches M mit kurzem Mittelteil und retrogrades N mit dünnem Schrägbalken.958)

In mehrerlei Hinsicht die beste, aber immer noch nicht perfekte Angleichung an eine klassische Capitalis quadrata, bietet das Katharinen-Relief (Nr. 417). Bei seiner Schrift verstärkt sich der Eindruck, der Hersteller habe die Gestaltungsprinzipien durchaus gekannt, jedoch nur unvollkommen umsetzen können. Dazu gehören Schwierigkeiten mit der Symmetrie von Schrägschäften, die nicht konsequent linksschräge Ausrichtung der Schattenachse, die Verkürzung des unteren Bogenarms bei [Druckseite 158] C bzw. des unteren Balkens bei E, der dreieckige Sporn oben am Bogen des C, der große geschlossene Bogen des P, die fast gerade Cauda des R und der geschwungene Schrägschaft des X.

Eine noch stärkere Mischung von Einflüssen zeigt sich auf der Grabplatte des St. Mattheiser Abtes Eberhard von Kamp (Nr. 403), deren schlanke Kapitalis, die erste des Bestandes, mit leichter Linksschrägenverstärkung und Bogenverstärkungen und M mit bis zur Grundlinie gezogenem Mittelteil eine renaissancehafte Variante anzeigt, mit dünnem Schrägschaft des N, mit in den Bogenteilen der Achse gespitztem O und geschwungenem Schrägrechtsschaft des X sowie gewölbter Cauda des R den Einfluß noch einer frühhumanistischen Kapitalis, aber auch schon der lokal gebundenen Umsetzungen verrät. Bei in gewisser Hinsicht noch klassischem Format machen sich die nachgezeichneten Buchstaben der Metzenhausen-Kurie (Nr. 408) durch vermehrt inserierte und untergestellte Buchstaben eine „Notlösung“ zu eigen, die der in Inschriften der Renaissance angestrebten Klarheit des Schriftbildes widerspricht.

5.5 Kapitalis der Spätrenaissance, des Manierismus und des Frühbarock

Mit der Renaissance waren fast überall in den kulturellen Zentren die neuen klassizierenden Schriftformen bekannt geworden. Ihre Umsetzung gelang freilich nur in höchst unterschiedlicher Weise abhängig von dem Niveau einer Werkstatt, den Verbindungen zu den Ideengebern und dem Zugang zu Vorlagen. Wahrscheinlich spielten auch Vorlieben des Auftraggebers eine wichtige Rolle. Immerhin ist festzustellen, daß die klassizierenden Schriften – und das gilt für die meisten Bestände – das Spektrum der Inschriftenproduktion keineswegs beherrschten und schnell regionalen oder gar autochthonen Kapitalisschriften wichen. In einzelnen Beständen wie auch in Trier mögen eine im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts beharrende Minuskel und die rückwärts gewandte Verwendung der frühhumanistischen Kapitalis die Annäherung an einen modernen elaborierten Kapitalis-Standard gebremst haben. Schon bei den oben erwähnten Annäherungen an die klassizierende Kapitalis wurden erhebliche Abweichungen festgestellt. Waren der Wechsel von Haar- und Schattenstrichen, Linksschrägenverstärkung und klare Linienführung meist noch realisierbar, so zeichneten sich bei einzelnen „kritischen“ Buchstaben schon in ambitionierten Inschriften Probleme einer klassizierenden Nachgestaltung ab. Ein gutes Maß sind die linksschräge Ausrichtung der Bogenverstärkung, das M (äußere Schäfte und Position des Mittelteils) und die Cauda des R – daran scheiterten viele Hersteller.

Erschwerend kommt hinzu, daß prominente Produktionen der Trierer Renaissance mit erhabenen Schriften operierten, nämlich der Meister des Greiffenklau-Altars und die Metzenhausen-Werkstatt. Bei diesen Schriften (Nr. 396/A, 412, 416, 424, 429, 439)959) ließen sich Serifen nur unvollkommen bzw. ungleichmäßig darstellen; das zeigen auch die feinen Unterschiede der erhabenen Kapitalis zur ausgesparten am Bopparder Epitaph960) und der auf dem Pfalzeler Bildtisch (Nr. 439). Bezeichnenderweise kamen in beiden Werkstätten mehrere Versionen von Kapitalis zum Einsatz, bei der Greiffenklaus zusätzlich sogar Gotische Minuskel und dezidiert Frühhumanistische Kapitalis. Die schwierige Gestaltung der R-Cauda deutet sich bei Greiffenklau schon an, indem in der Hauptinschrift (Nr. 396/A) die geschwungene und leicht geschwellte Cauda am Schnittpunkt von Schaft und kleinem Bogen ansetzt. Diese Abweichung unterläuft gelegentlich sogar bei der sonst sehr qualitätvollen Schrift des Merklin-Epitaphs (Nr. 413) mit mehrfach realisierter stachelartiger und außen am Bogen ansetzender Cauda. Das R der regionalisierten Form etabliert sich in den Schriften der Nachfolger und prägt für eine Generation die Trierer Kapitalisproduktion, insbesondere die der Metzenhausen-Werkstatt.

Als deren qualitätvollstes Werk hinsichtlich der Schrift hat der Pfalzeler Bildtisch (Nr. 439) zu gelten. Seine erhabene, aber eher im engen Schriftband ausgesparte Kapitalis gleicht weitgehend den Buchstaben des namengebenden Metzenhausen-Grabmales (Nr. 429, Beischriften) und vor allem dem schon erwähnten zwei Jahre jüngeren Bopparder Eltz-Epitaph: Das ist gut an der bis auf bei einem A (im Wort VAN) konsequent ausgeführten Linksschrägenverstärkung und den bei erhabenen [Druckseite 159] Buchstaben dann herkömmlichen abgeflachten Spitzen der Winkel an Schäften und Schrägschäften ablesbar. Es stimmen auch geschwungene, einem Schwellzug ähnelnde Cauda beim R, sich keilförmig verbreiternde untere Balkenenden bei E und L, und die unterschiedliche Gestaltung der jeweiligen Bogenenden bei C und S überein; vor allem aber und wegen der Seltenheit des Phänomens über jeden Zufall erhaben erweist die linksschräge Schattenachse des O (auch die stellenweise bei C) mit teils begradigten Innenkonturen die Übereinstimmung der Hände. Die besondere Qualität der ausgesparten bzw. erhabenen Kapitalis des Bildtischs (Nr. 439) wird besonders an den Serifen an Schaft-, Balken- und Bogenenden deutlich: Den fast klassischen Serifen an Schäften stehen stark überstehende Serifen an oberen Bogenenden und rechtsschräg abgeschrägte an unteren Bogenenden und Balkenenden gegenüber. Nur hier reicht in der bekannten Werkstattproduktion der Mittelteil des M wie bei stärker klassizierenden Inschriften unter die halbe Buchstabenhöhe bis nahe an die Grundlinie. Die Schrift in der zuweisbaren und schon zugewiesenen Produktion steht beileibe nicht auf einem einheitlichen Standard oder gar Niveau. Für Boppard wurde festgestellt, an Bogenenden seien anders als an Schaft- oder Balkenenden regelmäßig Sporen angebracht. Das trifft für die oberen Bogenenden von C, G und S in der Bopparder Hauptinschrift zu, es wäre aber zwischen den oberen senkrecht stehenden serifenartigen Zusätzen und den fehlenden (S) bzw. keilförmigen (C) zu unterscheiden. Diese beiden Gestaltungsprinzipien, die beim Bildtisch auch auf serifenartige Schaftenden auszudehnen sind, lassen sich nicht in allen der Werkstatt zugewiesenen Trierer Inschriften auffinden. Die Variabilität der Schriften der Metzenhausen-Werkstatt ist groß. Sie umfaßt eingetiefte und sich davon erheblich unterscheidende erhabene und ausgesparte Schriften, aber auch bei den erhabenen Schriften und sogar innerhalb eines Textes gibt es Schwankungen wie bei der Gestaltung der Spitzen von A und M auf dem Selheim-Epitaph (Nr. 412). Dort sind die Unterschiede zwischen Haar- und Schattenstrichen bei weitem nicht so groß wie beim Bildtisch und in Boppard. In das allgemeine Schriftbild der Metzenhausen-Werkstatt paßt auch die Beschriftung des Salvator-Reliefs (Nr. 439); an Sonderformen zeigen sich dort M mit tief herabgezogenem Mittelteil, relativ steil stehender Mittelteil des S bei schwankender Bogengröße und zweibogiges E. Wie beim Bildtisch sind die scharf von rechts oben nach links unten abgeschrägten, eine spitze Kante auf der Grundlinie hinterlassenden Sporen von unteren Bogen- und Balkenenden (C, E, L, T) und oberen Balkenenden (E, T) prägnanter und ihr rechtsschräger Anschnitt regelmäßiger ausgeführt als etwa bei den angezweifelten Beischriften für Petrus und Paulus auf dem Metzenhausen-Grabmal (Nr. 429).

Auch innerhalb des nicht inkriminierten Werks der Metzenhausen-Werkstatt wird man eine gewisse Variabilität konstatieren müssen, die den Ausschluß verschiedener Inschriften aus dem Werk und den Nachweis überarbeiteter bzw. neugeschaffener Inschriften erschwert. Zwei Fragmente (Nr. 451, 453961)) weisen mehrfache Übereinstimmung mit der Schrift der Metzenhausen-Werkstatt auf, unterscheiden sich jedoch in einzelnen Details erheblich, nämlich in Strichstärken, in Richtung von Achsen und Abschrägungen sowie Balkenlängen und somit in grundlegenden Bildungsweisen von Schrift. Andere Merkmale für eine Werkstattanalyse sind verloren. Noch etwas näher scheint der Werkstattschrift die Hausinschrift vom Schiffleutezunfthaus „Zum Schwert“ (Nr., 460) zu stehen. Bisher konnte nicht entschieden werden, welche Position verwandte Werke im Umfeld der Werkstatt einnehmen und ob ein Teil davon Abspaltungen, Arbeitsgemeinschaften oder nur einer vernachlässigten Schriftdisziplin zuzurechnen sind. Man wird damit rechnen müssen, daß die Metzenhausen-Werkstatt und ihre Ableger nicht einheitlich erhabene Kapitalis benutzten bzw. nicht alle Inschriften aus einem Werk so gestalteten. Näher stehen dürften ihr – über die schon genannten hinausgehend – der Zerfer Altar (Nr. 424), dessen Hauptinschrift eingetieft und überarbeitet ist, die Salvator-Platte (Nr. 426) mit einer auffallenden Fremdform des zweibogigen E, der gleichfalls nicht zweifelsfreie Türsturz der Vogtsburg (Nr. 430) und das fast inschriftenlose Duyngen-Epitaph (Nr. 438).

[Druckseite 160]

Neben Jakob Kerre und den anonymen Meistern der Denkmäler Greiffenklau und Metzenhausen kennt man namentlich den Trierer Bildhauer Hieronymus, der das leider verlorene Grabmal des St. Maximiner Abtes Vinzenz von Cochem (Nr. 395) schuf, aber bisher nicht zwingend mit einem erhaltenen und somit einer Schriftprobe in Verbindung gebracht werden konnte. Er gilt als verbindendes Glied zwischen Metzenhausen und Hans von Trier. Die zuverlässige Zuschreibung eines Denkmals und die Klärung der künstlerischen Abhängigkeit wäre von großer Bedeutung, weil man dann eine Reihe von Denkmälern einordnen könnte, die zwar irgendwie von der Metzenhausen-Werkstatt abhängen, jedoch mangels langer erhabener Schriften mit der epigraphischen Methode nicht verglichen werden können. Weitere Denkmäler aus der Trierer Stiftsgeistlichkeit sind hier zu positionieren, allen voran das von der Leyen-Epitaph (Nr. 416), dessen Bildreichtum, Dekorationsformen, insbesondere die Ornamentik der Pilaster, teilweise erhabene Schriften und die Gestaltung einer an klassischen Idealen orientierten Kapitalis zu einer eingehenden Untersuchung von Verwandtschaften einladen; die Petrusfigur ist möglicherweise beim Metzenhausen-Denkmal wiederholt, dem auch die Ornamentik näher steht als den vorangehenden Denkmälern. In bestechender Klarheit und fast durchgehender Stringenz wurden hier die Kennzeichen der klassischen Capitalis quadrata bei Dreieckssporen, Linksschrägenverstärkungen, Schattenachse des O, zumeist stachelartiger Cauda des R und sogar bei mehrmals noch offenem P übernommen, im kurzen Mittelteil des M und I-Punkten jedoch auch eigene Gestaltungsmerkmale gesucht. Scharfe Spitze des A, gelegentlich übergroßer Bogen des P und nicht regelmäßig geschwungene Cauda des R unterscheiden sich deutlich vom Formenbestand der Schrift des Metzenhausen-Meisters (Nr. 429), dem auch das von der Leyen-Epitaph zugeschrieben wurde.962) Näher kommen den Schriftformen des Metzenhausen-Meisters allerdings die erhabenen Kapitalisschriften (B, C), so daß sich die Frage stellt, ob die Abweichungen, die im Duktus erheblich, in der Typologie jedoch weniger merklich sind, etwa nur aus der unterschiedlichen Herstellungsweise der Schrift resultieren. Dafür spricht einiges: Es gibt keine wirklichen typologischen Gegensätze, alle Unterschiede sind graduelle, während eine Vielzahl von Merkmalen, nämlich Proportion, I-Punkte, dreieckige Worttrenner in den Inschriften (B) und (C), die Form der Serifen an den oberen Bogenenden, ein v. a. zur Duyngen-Platte (Nr. 439) übereinstimmender Duktus des K, charakteristische Übereinstimmungen zeigt.

Die jüngere Version eingetiefter Kapitalis aus dem weiteren Umkreis des Metzenhausen-Meisters scheinen die Epitaphien Limburg (Nr. 444) und Sierck (Nr. 448) zu bieten. Wegen der eingetieften Schrift drängt sich im Vergleich zur erhabenen Schrift des Metzenhausen-Meisters zunächst der verfälschende Eindruck eines völlig anderen Duktus auf. Bei näherer Betrachtung des Epitaphs Limburg – das Epitaph Sierck gleicht diesem, seine Schrift ist aber weniger gut erhalten – weisen die beiden erhabenen Initialen des Wappens (T L) in der indifferenten Stellung der schwachen Sporen beim T und dem keilförmig nach oben verbreiterten Balken des L trotzdem auf dessen Schrift hin. Wie beim Leyen-Epitaph stellt sich also die Frage, ob die Unterschiede von der Eintieftechnik der Hauptschrift stammen. In der Tat gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die nur zum Teil zeitbedingt sind wie Linksschrägenverstärkung, linksschräge Schattenachsen bei O und Q, wenige dreieckige Worttrenner, I-Punkte. Man wird mit der Produktion des Metzenhausen-Meisters einschließlich bisher unbekannter Schüler vergleichen können die starken Strichstärkenunterschiede bei sehr fetten Schattenstrichen, den dreieckigen Sporn an der Spitze des A, die beide so in Trier und am Mittelrhein nicht mehr vorkommen, die ausgreifende, leicht geschwungene, aber vor allem sehr dicke und an beiden Enden zugespitzte Cauda des R, die keilförmige Verbreiterung der unteren Balken bei E und L. Wie bei den Epitaphien Leyen und Sierck könnte die leichte Schrägstellung der äußeren Schäfte des M, die bei den erhabenen Schriften des Metzenhausen-Meisters höchst selten und allenfalls in minimaler Ausprägung zu fassen ist, eine gemeinsame Eigenart der eingetieften Schriftvarianten sein.

Auch beim Epitaph Piesport (Nr. 425) zeigt sich die Schrift durch breite Proportion und Einzelformen wie kreisrunde O und Q noch als Epigone der Renaissancekapitalis, doch bestehen erhebliche Unterschiede zu besseren Vertretern dieser Nachfolge. Zwar entspricht das A mit dem gestürzten dreieckartigen Sporn an der Spitze dem in der Greiffenklau-Inschrift (Nr. 396) von 1531, doch fehlen eben entscheidende Details. Auffällig ist die Minimalisierung des Unterschieds zwischen Haar- und Schattenstrichen, weshalb sich Linksschrägen- und Bogenverstärkung kaum feststellen läßt; bei O und [Druckseite 161] Q sowie oft bei anderen Bögen wie bei C wird man gar, wenn überhaupt, eine rechtsschräge Achse konstatieren. Das ist ein eklatanter Unterschied zu den Denkmälern Greiffenklau, von der Leyen (Nr. 416), Falkenberg (Nr. 430), Limburg (Nr. 444) und Sierck (Nr. 448). Die gespornte Spitze des A findet sich noch bei der Metzenhausen-Schrift (Nr. 429) und bei Limburg; die Suche nach dem richtigen Längenverhältnis der E-Balken und somit unterschiedliche Lösungen hat das Epitaph Piesport mit allen erwähnten gemein; beim M (teils leicht geneigt mit zumeist geraden Schäften und halbhohem Mittelteil) besteht die größte Ähnlichkeit zu dem auf dem Sierck-Epitaph; wiederum allen gemein ist die hakenartig am unteren Scheitel des Q angesetzte Cauda; die Streckung der Cauda des R gelang hier ebenso unvollkommen wie beim Sierck-Epitaph. Mit jenem stimmen Teile der Komposition, Ornamentfüllungen der Pilaster, die Befestigung der Schrifttafel mit einem Dreieck samt gewundenem Schriftband und Palmette so gut überein, daß man eine Verwandtschaft der Hände annehmen muß.

Zeitgleich zu den Produktionen niveauvoller Werkstätten gibt es in Trier viele Anwendungen einer regionalen, von der klassizierenden Version schon weitgehend gelösten Kapitalis für Grabplatten (Nr. 431), Bildwerke (Nr. 455) und Bauausstattung (Nr. 440, 452, 470), die in der Wahrung von Proportionen und Schriftdisziplin meist scheiterten; dabei führte Raummangel gelegentlich (Nr. 452) zu komplizierten Buchstabenverbindungen. Ebenfalls zwischen die Werkstätten um Metzenhausen und Hans Bildhauer von Trier, gegebenenfalls diese sogar verbindend, sind einige wieder qualitätvolle Schriften einzuordnen (Nr. 458, 459, 474963)), bevor im Jahr 1560 (Herstellungsjahr) die Werkstatt des Hans von Trier für ein Jahrzehnt zum Maßstab der Trierer Bildhauerei und Schriftgestaltung wird.

In der Trierer Glockenproduktion klafft zwischen 1516/17 und 1549 eine Lücke, in der man die Entwicklung der Schrift von der Spätgotik (Gotische Minuskel/Frühhumanistische Kapitalis) zur vollendeten Moderne (Renaissance- und regionale Kapitalis) nicht beobachten kann.964) Zwei Glocken aus der Werkstatt des Dietrich Wolf von Prüm von 1549 (Nr. 447) und 1553 (Nr. 463) sind mit sehr ähnlichen Kapitalisbuchstaben beschrieben, bei der älteren sehr zusammengedrängt und daher nicht in allen Details gleichmäßig. Übereinstimmend sind Ausbuchtung am Balken des H und Nodus des I sowie die starke Verjüngung des rechten Schafts von N; die beiden ersten Merkmale sind gar nicht, das letzte in geringerer Intensität auf der nur wenig älteren Glocke von Berg-Licht (Lkrs. Bernkastel-Wittlich)965) vorhanden. Nur vier Jahre vor der Wächterglocke (Nr. 447) benutzte Dietrich Wolf dort noch die 4 in Form der halben 8, auch das ein Anzeichen älterer Schrifteinflüsse.

Beim frühesten in Trier stehenden Denkmal des Hans Bildhauer von Trier966) für Maximin Pergner (†1557, bezeichnet 1560) (Nr. 476), der in Trier zweimal signierte (Nr. 479), begegnet neben einer rätselhaft späten Gotischen Minuskel und einer griechischen Minuskel schon die voll ausgebildete Werkstattschrift in der senkrechten Version, die sich besser erhalten auf den Denkmälern Schiffer (Nr. 485), Lant (Nr. 487) und Saurzapf (Nr. 492) findet; auch für die nach rechts liegende Version bei Segen (Nr. 484) und Lant (Nr. 487) sind schon Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet worden.967) Gemeinsam ist allen Versionen und allen Schriftspezimina der Werkstatt der zunehmend schlanke Duktus und die Betonung der Schattenstriche in geraden und gebogenen Buchstabenteilen und vor allem bei den kräftigen dreieckigen oder keilförmigen (an unteren Enden) Sporen. Die Sporen stehen in der Regel nicht beidseitig der gedachten Achse über, das ist nur der Fall bei oberen Bogenenden (C, G, S). Ansonsten sind Enden eher keilförmig mit abgeschrägten Enden gebildet. Zierende Verlängerungen in Form von Schleifen und anderen Ornamenten sind gelegentlich (Nr. 487) – und sehr dünn – aus einzelnen Buchstabenenden auch in enge Zeilen hinausgeführt, und zwar bei den Buchstaben A, I, S und T. Gegenüber älteren Kapitalisschriften heben sich mehrere meist durch-[Druckseite 162]gehaltene Buchstabentypen heraus: die spitze und sehr schlanke Ausführung des A mit wenigen Varianten in Form von Verlängerung der Spitze in Schleifen (Nr. 487) und ein einziges trapezförmiges mit geknicktem Mittelbalken (Nr. 492); das E mit sehr kurzem und nie in der Mitte des Schaftes sitzendem Balken, bei den Denkmälern Pergner und Lant eher darüber, bei Saurzapf fast immer darunter – so in größerer Variation gegen ältere Beobachtungen des Bearbeiters; bei nach rechts liegenden Schriften nur mit schwach schräggestellten Außenschäften, bei senkrechten jedoch in deutlicher Trapezform bietet das M einen kaum zur halben Buchstabenhöhe herunterreichenden Mittelteil, aber immer Sporen an den oberen Winkeln; der Bogen des R ist deutlich kleiner als die halbe Buchstabenhöhe; seine Cauda setzt meist am Schnittpunkt von Schaft und Bogen an und führt mit mehr oder weniger (so bei jüngeren Inschriften) Schwingung, aber immer mit einer gewissen Aufschwellung raumgreifend bis zur Grundlinie, nicht darunter – bei nach rechts liegender Schrift nicht so ausgeprägt; S hat vielfach einen größeren oberen Bogen, vielfach eine gerade, steil stehende Verbindung, aber ziemliche Variabilität; charakteristisch sind die fast symmetrischen Sporen am Balken des T und der bei senkrechten Schriften gebogene und wie bei einem Anschwung verlängerte linke Schrägschaft des Versals V, ebenso beim seltenen W. Kleine I-Punkte sind anscheinend regelmäßiger gesetzt und auch bei beschädigten Oberflächen besser erkennbar als kleine Bögen über V (Nr. 484), kaum eben bei Saurzapf (Nr. 492). Neben fragmentarischen (Nr. 511, 512) oder nicht so gut erhaltenen Inschriften (Nr. 501), bei denen Merkmale der Werkstatt festgestellt werden konnten, scheint es auch mit Nikolaus Eich (Nr. 509) einen namentlich bekannten Schüler gegeben zu haben; die Schriftformen des einzigen bekannten Werks sind mit denen des Hans von Trier verbunden.

Hans Bildhauer hat nicht nur als herausragender Renaissancebildhauer zu gelten,968) sondern auch als versierter Anwender einer individuellen, formschönen Kapitalis, die er beim Segensis (Nr. 484) zu höchster Blüte führte. Mehrfach zeigt er sich offen für überraschende Kombinationen mit anderen ebenso formschön gestalteten Schriften, seien sie erhaben (Nr. 484) oder Minuskeln (Nr. 476, 484), gar fremd (Nr. 476). Einige sprachlich anspruchsvolle Epitaphien seiner Wirkungszeit in Trier (Nr. 468, 477, 483, 486, 491) könnten auch aus seiner Werkstatt stammen, zumal es einige verwertbare Hinweise oder persönliche Beziehungen gab. Nach 1568 (Nr. 492) geht in Trier die epigraphische Dominanz an Hans Ruprecht Hoffmann über, der mit der 1570 begonnenen Domkanzel die geistlichen Auftraggeber an sich band, während Hans Bildhauer an die Mosel und in den Südosten der Diözese (und weiter) auswich.

Die für mehr als eine Generation beherrschende Stellung der Werkstatt Hans Ruprecht Hoffmanns und seiner Nachkommen (Sohn Heinrich und Enkel Hans Ruprecht) bringt es mit sich, daß die Schrifteigentümlichkeiten ihrer Produktion schon wegen der Fülle des sicher zuschreibbaren Bestandes gut bekannt sind. Trotz zahlreicher Signaturen und archivalischer Stützen stellt sich die Analyse doch nicht so einfach dar, weil hier eine Großwerkstatt mit vielen – unbekannten – Mitgliedern greifbar wird, die zudem in Arbeitsgemeinschaften mit anderweitig selbständigen Künstlern eintrat. Die Schrift der Werkstatt insgesamt ist also variantenreicher, als der Bearbeiter bei seinen ersten Untersuchungen erkannte.969)

Die Hoffmannsche Schrift unterscheidet sich eindeutig von der der zeitlich vorangehenden und parallelen Werkstatt des Hans Bildhauer. Deren Exaktheit und Stringenz, etwa beim Segensis (Nr. 484), erreicht sie nie und nähert sich ihr nur in wenigen Fällen an. Lange nicht so schlank oder gar je nach Anforderung in wechselndem Duktus (Nr. 499/F4 – Bildnis des Künstlers) pflegte die Werkstatt vielfach eine halbrunde Kerbe bei deutlicher Sporensetzung, deren Richtung bei vielen Einzelbuchstaben Merkmalcharakter erhält. Allgemein gilt für die Sporen (bzw. Serifen), daß sie an Balken-, Bogen- und Schaftenden auf beiden Seiten einer gedachten Achse überstehen, und zwar bei freien Balkenenden rechtsschräg, am oberen Bogenende in der Frühzeit ggf. senkrecht oder gar linksschräg.970) An unteren Balkenenden (E, L) können Sporen auch keilförmig rechtsschräg enden, ohne unter die Grundlinie zu reichen. Ein für die Hoffmann-Produktion typisches Merkmal sind die Verlängerungen von Buchstabenteilen vor allem unter die Grundlinie und die daran ansetzenden Schlingen und Schleifen. Prädestiniert für solche Gebilde sind natürlich die ohnehin regelmäßig unter die Grundlinie geführten Cauden des R, aber auch die Schrägschäfte des N und über-[Druckseite 163]haupt alle prägnanten Sporen, wie bei der Schiefertafel Eltz (Nr. 527/A) leicht zu sehen ist;971) Verlängerungen können auch aus einfachen Schäften herausgeführt werden, so aus dem der 1 (Nr. 527/A) und des T (Nr. 589).

Aus den Einzelformen der Buchstaben können mehr oder weniger determinierende herausgefiltert werden; am sichersten bleibt die Kombination mehrerer Indizien: Das relativ schlanke und immer spitze A mit regelmäßiger Linksschrägenverstärkung gewährt auch – und daran ist schon die Variabilität der Schrift zu sehen – Spielformen mit asymmetrischer Neigung nach rechts: die Linksschräge steht steiler (fast senkrecht), der Balken ist geknickt und links den Schaft überschneidend in einen gewölbten Bogen überführt (Nr. 495, 499, u. ö.). Beim B mit größerem unterem Bogen, wie meist im 16. Jahrhundert, berühren sich die Bögen gelegentlich nicht; das ist ein untaugliches Indiz, weil Gemeinplatz der Kapitalis. Auffälligerweise gestaltete Hoffmann das untere Bogenende von C nicht wie das obere als Sporn oder wenigstens lang ausgezogenen Keil, sondern ließ es in leichter Krümmung oft spitz auslaufen; dieses Merkmal findet sich schon bei seinem Lehrer Dietrich Schro.972) Die Längendifferenzierung der Balken des E ist schon früh unterschiedlich gewichtet; bei der Kanzel ist der untere meist extrem lang. Später scheint nicht nur die Differenz, sondern auch die absolute Länge abzunehmen. Diese schmalen E wurden als EIN Indiz für die Schrift des sonst den Vater imitierenden Heinrich Hoffmann erkannt.973) Den Schaft des G stellte Hoffmann – nicht immer gut erkennbar – links des unteren Bogenendes auf.974) Die äußeren Schäfte des M stehen meist gerade, allerdings leicht konisch bei frühen Produktionen, letztmalig anscheinend kurz nach 1580 beim Bettendorf-Denkmal in Worms.975) Der Mittelteil ist nur bis zur halben Buchstabenhöhe heruntergezogen, die Winkel meist, aber nicht durchgehend mit Sporen besetzt, etwa nicht bei der Walderdorff-Inschrift (Nr. 495/A). Der Bogen des R ist deutlich niedriger als die halbe Buchstabenhöhe; die Cauda setzt fast am Schnittpunkt zum Schaft an, gelegentlich etwas unterhalb am Schaft oder weiter rechts, insbesondere wenn die zumeist leicht geschwungene Cauda einer stachelförmigen angenähert ist (Nr. 495/A). Sie reicht oft deutlich unter die Grundlinie und bietet Gelegenheit für die schon benannten Verlängerungen. Das S besitzt einen kleineren oberen Bogen und kippt bei meist steil stehendem Mittelteil leicht nach rechts, so daß das untere Bogenende deutlich von einer gedachten senkrechten Tangente links am oberen Bogen entfernt wäre. Ob der Sporn am unteren Bogenende ausgeführt ist, scheint gelegentlich von dem voranstehenden Buchstaben abzuhängen. Die genannten Phänomene, die unterschiedliche Bogengröße und Rechtsneigung, sind einer gewissen Schwankung ausgesetzt. Ein wichtiges Indiz der Werkstatt-Schrift, vor allem wegen des Unterschiedes zu der des Hans Bildhauer, sind die parallel rechtsschräg, also asymmetrisch ausgerichteten Sporen am Balken des T; erst mit nachlassender Disziplinierung der Schrift beginnt eine Aufweichung dieser Eigenart aufgrund pragmatischer Anpassungen an benachbarte Buchstaben, so etwa im Wort FATA des Lusch-(Luysch-)Epitaphs (Nr. 542) oder sogar schon früher bei der Katharinenfigur (Nr. 519) in Raumnot.

Spätestens nachdem der ältere Hoffmann in einem sich lange von 1581 bis 1583 hinziehenden Prozeß zum Steinmetzmeister berufen wurde, und sich mithin um Zunft- und kommunale Angelegenheiten kümmern mußte, drängten andere Kräfte der Werkstatt nach vorn. In seiner ersten großen Untersuchung zur Hoffmann-Werkstatt bemühte sich schon Franz Balke daher um eine Scheidung der Hände, ohne daß ihm die Paläographie helfend zur Seite stand. Hier wird man in einer großangelegten Werkmonographie mit Material von außerhalb Triers weiterarbeiten müssen. Das Spätwerk zeichnet sich verstärkt durch eine nachlassende Schriftdisziplin, die Zusammenarbeit mit anscheinend hinsichtlich der Paläographie ihrer Schriften nicht durchgängig kontrollierten Kräften und nach 1600 durch stärkeren Einfluß des Sohnes Heinrich aus. Solche Veränderungen bestehen in nach rechts schrägliegender Kapitalis in Kombination mit ganz fremder Schrift (Nr. 538) oder in einer manieristischen Interpretation der Werkstattschrift durch übergroße dreieckige Sporen und dünn ausgezogenen verlängerten Schrägschaften, allerdings nicht durchgängig für M, N und V (Nr. 542), auch in einer [Druckseite 165] exzessiven Schleifenbildung (Nr. 527). Einige Veränderungen kann man mit Namen von auch eigenständig arbeitenden Bildhauern verbinden.

Nur der Ehranger Brunnen (Nr. 617) ist in Trier oder nahebei durch Signatur als eigenes Werk Heinrich Hoffmanns, Sohn des Meisters, erkennbar, allerdings wird man ihm etliche Inschriften Hoffmannscher Prägung ohne die alte Stringenz (Nr. 557, 567, 574, 576, 578, 581, 586, 589, 591, 596, 607, 616) zuschreiben oder sein Mitwirken annehmen müssen. Die eigene Schrift Heinrichs wird man als wenig variierte Adaptation bezeichnen können, die aus dem Wehr-Epitaph (Nr. 591) und Denkmälern in Büdlich und Bernkastel zu ermitteln ist.976) Heinrich Hoffmann kennt den Kanon des Vaters und paßt sich weitgehend an. Das ist an den Buchstaben A, C, E, M, R und T ablesbar, wenngleich mehrfach geneigter Mittelbalken des A, das insgesamt schmalere E und die geringere Längendifferenz seiner Balken, die schwächere Schwingung der Cauda des R und selten die Variante des S mit größerem unterem Bogen und flacherem Mittelteil wie bei Conrad Haar in Klausen und bei der Eltz-Grabplatte (Nr. 526) neben ungeschickten Varianten der väterlichen Buchstabenform in einer einzigen Inschrift, sodann die unorganischen Verlängerungen unter die Grundlinie (eben nicht aus auslaufenden oder schrägen Buchstabenteilen) bei längeren Texten verläßliche Unterscheidungsmerkmale bieten. Eine merkliche Änderung trat bei der Gestaltung der Buchstaben G und S ein: Der Schaft des G ist beim Wehr-.Epitaph (Nr. 591) hier nicht eingestellt; der Mittelteil des S, also die Verbindung der beiden Bögen, besteht fast durchgängig aus einer steilen linksschrägen Geraden, während er in der Blütezeit der Hauptwerkstatt so oder als fließender, sinusartiger, Übergang zwischen den Bogenenden realisiert ist. Diese Gerade im Übergang erschwert die Gestaltung der Bögen, die unregelmäßig und kaum perfekt gerundet sind; der Typ des S mit überlanger Gerade war in der nach rechts geneigten Inschrift am Schönenberg-Epitaph von 1585 (Nr. 538) in großer Eleganz vorbereitet und im etwas jüngeren Leyen-Epitaph (Nr. 567) recte in extrem schlanker Form, aber wegen der aufrechten Schrift mit besseren Bogenrundungen kultiviert worden. Mit der linksschrägen Geraden ist dieses S auch in Bernkastel 1606 belegt, ohne diese, aber mit gleichfalls unregelmäßiger Bogenbildung in Büdlich. Kompliziert werden Zuweisungen durch die Signaturen des alten Meisters auch auf Werken, die mehrheitlich von nachgeordneten Kräften hergestellt wurden; in diesen Fällen gelten die Signaturen schon seit der frühesten Hoffmann-Forschung als „Fabrikzeichen der Werkstatt“977).

Ein anderer mit dem älteren Hoffmann zusammenarbeitender Bildhauer war Conrad Haar, der den Altar von 1588 in Klausen signierte.978) Seine Kapitalis steht der frühen Hoffmannschen sehr nahe und weicht paradigmatisch nur beim S mit kleinem oberem und verhältnismäßig großem unterem Bogen ab, dessen Mittelteil wegen der gegenüber Hoffmann geringeren Rechtsneigung sehr flach steht. Dieses Merkmal ist in Trier bei den Denkmälern Endres (Nr. 513) und Eltz (Nr. 526) zu beobachten, so daß man dort schon eine frühe Werkstattgemeinschaft erkennen kann, während V mit Rechtsschrägenverstärkung nur in Klausen und am Cratzschen Epitaphaltar (Nr. 589) vorkommt. Über die lange Wirkungszeit Haars wird sich einiges verändert haben, kaum jedoch die halbrunde Kerbe, das Zier-A mit geknicktem Mittelbalken und Bogen über dem linken Schaft, die I-Punkte und das zu leichter Überhöhung neigende A.

Wie sich die möglicherweise durch die politische Karriere Hoffmanns schwindende und schwankende Kontrolle des Meisters auf die Schriftdisziplin und die Durchsetzung eigenständiger Kräfte auswirkte, muß in einem viel größeren Rahmen geprüft werden. Greifbar sind mehr oder weniger starke Veränderungen des Schriftkanons an Teilen von Großdenkmälern und auch an Einzelstücken, etwa auch an der Fertigstellung des Cratzschen Epitaphaltars (Nr. 589) durch Haar. Am einfachsten ist noch der Sohn Heinrich herauszugreifen, der oft mit dem Vater arbeitete und nur außerhalb von Trier selbst signierte; seine Hand glaubt man an einem knappen Dutzend von Werken zu sehen (Nr. 557, 567, 574, 576, 578, 581, 586, 589, 591, 596, 607, 616). Andere Inschriften sind entweder zu kurz, zu schlecht erhalten oder ohne die notwendigen deutlichen und nicht entstellten Merkmale, um sie im Werk des Meisters und seiner nachgeordneten Kräfte zu differenzieren (Nr. 511, 524, 533, 545, 553, 558, 559, 560, 561, 564, 567, 568, 569, 570, 571, 572, 573, 575/E, 576, 592, 607, 616, 624). Auch geringe Größe der Buchstaben konnte Merkmale verwischen (Nr. 527/I).

Mit der Wirkungszeit des alten Meisters überschneidet sich die des ebenfalls mit HRH signierenden gleichnamigen Enkels nicht. Dieser Hans Ruprecht d. J. signierte das Wiltz-Epitaph (Nr. 631), dessen kleinformatige Schrift auf Kupfer stärker vom alten Duktus abweicht als die zeitnahen Steininschriften in Kürenz (Nr. 628) und Heiligkreuz (Nr. 635) – die Schrift der PETERSBVRG (Nr. 678) sollte hier wegen der Überarbeitung außen vor bleiben. Die mehrheitlich nach rechts liegenden Schriften stehen der alten Werkstattschrift sehr nahe; die senkrechte Version erlaubte stärker konische M und symmetrische Stellung der Sporen am T-Balken; mit der langen, nach links zurückgebogenen und vom oberen Schaftende des G abhängenden Cauda entwickelte der junge Hans Ruprecht einen eigenwilligen Buchstaben. Er fehlt leider bei zwei rätselhaften Wappenpilastern (Nr. 647), deren halbrunde Kerbe und sporenreiche Schrift die Inschrift zweifelsohne in den Bereich der Hoffmann-Werkstatt verweisen, freilich nicht zum Werk Hans Ruprechts des Älteren und seines Sohnes Heinrich: Gegenüber der Schrift des alten Meisters sind die Sporen zu stark betont und gekrümmt, der Duktus zu gleichmäßig breit, die S nicht nach rechts gelehnt; auch für die Schrift des Sohnes und die nach rechts schrägliegende Schrift des Enkels erscheint der Duktus zu breit, die unterschiedlichen Balkenlängen beim E zu akzentuiert. Die genau übereinanderliegenden Bögen des S, freilich ohne zu starke Gewichtung, und die unklare Asymmetrie der Balken des T deuten auf eine jüngere Generation. Um zwischen Hans Ruprecht Hoffmann d. J. und dem langlebigen Conrad Haar sicher zu differenzieren, fehlen wohl eine ausreichende Zahl von Buchstaben und die Einzelformen C und G. Den fetten kreisrunden I-Punkt möchte man für Conrad Haar verbuchen, dessen rechtsschräg verstärktes V und S mit übergewichtetem unterem Bogen (jedenfalls in der Frühzeit zu beobachten) aber fehlen; außerdem sind die Sporen und der weit bis fast zur Grundlinie gezogene Mittelteil des leicht konischen M eher bei Hans Ruprecht Hoffmann d. J. zu erwarten, dessen S-Bögen aber stärker gewichtet sind als hier und außerdem nach rechtsschräg verschoben sind. Auch weichen von dessen Schrift das R (und ebenso das seltene K) durch den kleinen Abstand zwischen Bogen und Cauda (bzw. zwischen den Schrägschäften) am Schnittpunkt mit dem Schaft ab; Bogen und Cauda bzw. die Schrägschäfte berühren sich nicht. Zu den Schriften bekannter zeitnaher Konkurrenten, etwa der Conchardt, die auch in die domkapitularische Auftraggeberschaft eingedrungen waren, gibt es so gut wie keine aussagekräftigen Übereinstimmungen: Kerbe, Sporen und die Form des M sind einer solchen Zuweisung geradezu widersprechende Indizien. An dieser Unklarheit der Merkmale zeigt sich das Dilemma der Händescheidung in Zeiten des Umbruchs und vermehrt lückenhafter Fixpunkte, offenbar auch verursacht durch das Zurücktreten einer dominierenden Werkstattleitung. Gewiß sind noch spätere Anklänge an die Schriften der Hoffmanns (Nr. 641, 681, 712, 740, 741) vorhanden, es fehlen aber klare Belege. Noch weiter in einer möglichen Weitergabe der Schrift entfernt sind die Hersteller von St. Maximiner Mönchsplatten (Nr. 632, 638, 658) und der zahllosen Flurdenkmäler nach 1660, und nur schwache Reflexe der alten Schrift finden sich in den ansonsten qualitätvollen Produktionen für Rottenfeldt (Nr. 710), Anethan (Nr. 716) und die Gründerbischöfe (Nr. 739).

Eine deutlich von Hoffmanns Wirken unterscheidbare Schrift entwickelte die Konkurrenz-Werkstatt der Conchardts (Jakob und Bartholomäus) nach 1600,979) bei der Sporen nicht konsequent rechtsschräg oder gar beliebig gesetzt sind und Verlängerungen nur beim Zier-A und der Cauda des R vorkommen. Das A ist spitz und mäßig schlank, schwankt in Relation zur Senkrechten und bildet eine Zierform mit Leitbuchstabenqualität aus, bei der der rechte Schaft senkrecht steht, während der linke in eine einfache Schleife ausschwingt. Dem oberen Sporn des C steht unten ein keilförmiges Bogenende gegenüber. Das M ist konisch, sein Mittelteil reicht unter die halbe Buchstabenhöhe, an den Winkeln sitzen keine Sporen. Die Variabilität scheint jedoch verhältnismäßig groß zu sein, wenn man beim Horst-Altar (Nr. 625) entgegen früheren Beobachtungen des Bearbeiters feststellen muß, daß in den Inschriften (A) und (B) eine leichte Rechtsneigung des S und die frei auslaufenden unteren Bogenenden bei C und S stabiler und regelmäßiger ausgeführt sind als in anderen Produktionen der Werkstatt (Nr. 576, 597, 598, 605, 610, 625, 639, 641, 653, 661). Noch nicht weiterentwickelt ist die Überprüfung von Schreibgewohnheiten; so sieht man bei Bartholomäus Conchardt das Wort REVERENDVS zweimal mit hochgestellter Endsilbe DVS geschrieben (Nr. 625, 639).

Kapitalisschriften nach 1660 sind oft nach rechts geneigt und erlauben sowohl konventionelle Kapitalisformen als auch stärker ausgezierte. Die Zwangslage einer wichtigen Datierung (Nr. 630/B) half [Druckseite 166] entscheidende Merkmale zu ermitteln: Der Schrägschaft des N läuft unten in eine eng an den Schaft gerückte Schleife aus; der Bogen des R in der Buchstabenfolge MA R berührt rechts den Schaft nicht, ist also offen, seinem unteren Ende ist eine rechts unten stark nach oben gebogene, also extrem konkave Cauda angehängt; oben ist der Bogen das obere Schaftende schneidend nach links weit um den Schaft herumgeführt und in dessen unteres Drittel rechts zurückgebogen. Wie dieses R verfügt das A im Wort A(NN)O über starke kursive Elemente: Der schräg stehende rechte Schaft ist oben nach rechts umgebogen und unten mit einem langen, rechts weit überstehenden Strich versehen; die obere Biegung läuft nach links zurück den Mittelbalken bildend in eine Schleife weiter, aus deren nach unten führendem Bogen der linke geschwungene und oben gleichfalls nach rechts umgebogene Schrägschaft erwächst. Diese Verzierung findet sich ähnlich auf Fragmenten unbekannter Zeitstellung (Nr. 708), ähnlich bei den Inschriften für Basinus und Poppo (Nr. 740 f.) und tendenziell schon in der Erstverwendung vor der Inschrift des Nikolaus Nidrum, also vor 1658 (Nr. 689). Diesen Schriften sind offene P und R gemein und die Rückführung des Bogens links über den Schaft, oft ohne diesen zu berühren; ihre oberen Bogenenden und teils die Cauda des R sind eingebogen. Auch findet sich mehrfach das alte G der Hoffmann-Werkstatt mit eingestelltem Schaft.

Mit dem Stocken der Kunstproduktion seit den 1630er Jahren scheint auch eine Orientierungslosigkeit der Schriftgestaltung einherzugehen.

An mehreren im 19. Jahrhundert durch umfangreiche Renovierungen veränderten Denkmälern konnten damals, nämlich vor allem unter Peter Martin Walrand (ca. 1840) und Gustav Sobry (meist 1899), hergestellte Schriften untersucht werden. Bei längeren Texten sind sie deutlich von denen der Renaissance und des frühen Barock zu unterscheiden. Geradezu die Qualität eines Leitbuchstabens tritt beim O mit zu senkrechten Innenkanten entwickelten Bogenverstärkungen entgegen,980) und das neben manierierten Sporen und extremen Unterschieden der Strichstärken. Teilweise sind nachgeschaffene Texte bei den Denkmälern Metzenhausen (Nr. 429), der Kanzel (Nr. 499), Schönenberg (Nr. 573) und Metternich (Nr. 596) auch anderweitig dokumentiert.

Die Schriften von Greiffenklau-, Metzenhausen-Meister und Hans von Trier sind zwar analysiert, ließen aber mit einer Ausnahme (Nr. 509) bisher noch keine verläßlichen schulischen Abhängigkeiten erkennen, wie das in den Lehrer-Schüler-Verhältnissen um den älteren Hoffmann möglich war;981) ein größerer Rahmen und mehr Material der Umgebung fehlt auch noch für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts.

5.6 Gotische Minuskel und ihre Versalien

In Beständen mit einem hohen Anteil spätmittelalterlicher Inschriften nehmen solche, die mit einer Gotischen Minuskel beschrieben sind, einen großen Raum ein. Sie sind sowohl bei den Grabmälern wie auch in der Kirchenausstattung reich vertreten, aufgrund der Erhaltungssituation sogar überproportional bei Glocken. Die verbreitete Schriftform geht auf eine Entwicklung der hochmittelalterlichen Buchschrift zurück. In den handschriftlichen Gebrauchsschriften dominierte seit der Karolingerzeit eine gut lesbare und bis in die Gegenwart weiterentwickelte Minuskel. Herausgehobene Texte und Textteile, also Initialen, Bildbeischriften und Überschriften, waren lange Zeit Majuskelschriften vorbehalten, desgleichen die Inschriften. Um die Buchschrift des Vier-Linien-Schemas in eine Monumentalis zu übersetzen, mußte man sich eine Variante wählen, die ein Mindestmaß an Formalisierung, Stilisierung und repräsentativer Wirkung entfaltete. Bis auf wenige Ausnahmen übernahm man also eine diese Anforderungen erfüllende Minuskel in die Inschriften. Abgeleitet ist sie von der Textura bzw. Textualis formata bzw. Textus quadratus982) einer gebrochenen Schrift, in der „im Mittellängenbereich stehende Schäfte … an der Oberlinie des Mittellängenbereichs“ (nach links) „und an der Grundlinie“ (nach rechts) „gebrochen sind“ – „im Ober- und Unterlängenbereich werden Schäfte in der Regel nicht gebrochen“; „Bögen werden durch (stumpfwinklige) Brechung und/oder durch [Druckseite 167] (spitzwinkliges) Abknicken in senkrechte und in der Regel linksschräge Bestandteile umgeformt“.983) Umgebrochene Buchstabenteile werden oft als Quadrangel ausgeführt. Die Umformungsregeln erzeugen eine scheinbare Gleichförmigkeit der Buchstaben, die vor allem die zeilenweise angeordneten Inschriften wie in ein Gitter gestellt aussehen lassen. Die Schrift bildete eine hohe Variabilität aus, in der Indizien für die Zeitstellung mühsam gesucht werden müssen, weil die Formungsprinzipien der Schrift lange vor ihrer Umsetzung in die Epigraphik vorhanden waren und sich epigraphische „Schreiber“ jederzeit Anregungen aus einem unerschöpflichen und zeitlich weitgedehnten Reservoir beschaffen konnten. Großen Einfluß auf Duktus und Einzelformen üben Zwänge der Technik und des Raum-Text-Verhältnisses aus.

Die Umwandlung der alten Minuskel in eine gebrochene Schrift wird im Nordosten Frankreichs verortet, wo sich auch die ersten Umsetzungen in Inschriften zeigten, nämlich 1261 in der Zisterze Ourscamp.984) Gegenüber dem Idealtyp der Textura blieb in Inschriften ein sehr weiter Spielraum für individuelle Formen, für Typenveränderungen und Zier gleichermaßen. Veränderungen ergaben sich auch notgedrungen durch den großen Zeitraum, in dem diese Minuskel verwendet wurde. Zählte man im Reichsgebiet lange zwei Mainzer Bischofsgrabmäler985) in den 1320er Jahren, die aber nun zwischen 1335 und 1340 datiert werden müssen, zu den frühesten und den Durchbruch der Schrift etwa auch in Kloster Eberbach986) befördernden Objekte, so zeichnet sich mittlerweile ein differenzierteres Bild ab: Aus dem nordöstlichen Frankreich scheint die neue Schrift über den Zisterzienserorden oder einzelne Kunstzentren wie Mainz nach Osten verbreitet worden zu sein. Es tauchen allerdings immer wieder einzelne Belege auf, die auf eine sprunghafte Weitergabe wenigstens nebenher schließen lassen.987) Ganz allgemein wird man festhalten dürfen, daß sich die Gotische Minuskel in den 1340er Jahren auch in den Steininschriften etabliert und langsam und je nach Bestand in unterschiedlichem Tempo und unterschiedlicher Intensität bis zum Jahrhundertende zur alle Träger- und Herstellungsformen dominierenden Schrift wird. Obwohl die Zisterze Eberbach im Rheingau über ein dichtes Vorkommen bis 1360 verfügt, scheint die neue Schrift vor allem in Norddeutschland schneller in die Inschriftenproduktion integriert worden zu sein und diese auch früher dominiert zu haben.988)

Die frühen Belege für Gotische Minuskel in Trier (Nr. 213, 216, 221) und auch die vermuteten Verwendungen liegen nicht vor der Mitte des 14. Jahrhunderts, die für die Denkmäler der Erzbischöfe Balduin (Nr. 223) und Boemund (Nr. 224) sogar deutlich danach. So läßt sich die Minuskel erst um 1380 mit dem Kelch (Nr. 231) und 1382 mit der Grabplatte der Elisabeth Steinbecker bei den Kartäusern (Nr. 232) fassen. Die noch ungewohnte Schrift der Grabplatte – das wird man angesichts der Verlustraten trotzdem aus den rudimentären Formen herauslesen dürfen – kommt ohne ausgeprägte Ober- und Unterlängen aus; das zum Schaft zurückgebogene obere Bogenende des e weist die gleiche Strichstärke wie der übrige Buchstabe auf; die X der Jahreszahl sind eindeutig der Majuskel entlehnt, jedoch ohne deren geschwungenen Schrägrechtsschaft. Die Minuskeln der Eurener Glocke von wohl 1399 (Nr. 237) entsprechen diesem relativ frühen Zeitansatz durch das Zweilinienschema, durch Abweichen von der Senkrechten und weite und unregelmäßige Abstände zwischen Buchstaben und Wörtern. Zweilinienschema und weite, aber regelmäßige Abstände zwischen den Buchstaben und Buchstabenteilen, so daß so etwas wie ein weitmaschiges Gitter entsteht, erlauben es, für eine Inschrifttafel aus dem Rathaus (Nr. 267) im vorgeschlagenen Rahmen eine frühe Entstehung anzunehmen. Auffällig sind die flach heruntergedrückten oberen Bogenenden von a und d, die so in der Um-[Druckseite 168]gebung nicht wieder angetroffen werden. Durch zwei Metallarbeiten von 1400 (Nr. 238) und 1408 (Nr. 247) wird eine gut 30 Jahre umfassende, nur in Trier als besonders früh989) erscheinende Produktion großer Vielfalt sichtbar. Von der starken Vereckung der Buchstaben auf der Bleiplatte abgesehen, ist dort (Nr. 238) und auf der Glocke das t mit einem links deutlich überstehenden Balken gebildet, der mit dem Salzmaß (Nr. 247) entweder verschwindet oder nur noch angedeutet (Nr. 263) wird. Bei der Glocke wird man den lang heruntergezogenen Zierstrich an der Fahne des r heranziehen dürfen. Dem Gießer des Salzmaßes (Nr. 247) Johann von Alf kommt man außerdem über das g mit einem zweiseitig in Perlen eingerollten Zierstrich, über das einem x ähnliche r mit über den Schaft gelegtem Zierstrich und keilförmig verbreiterte Oberlängen des l auf die Spur.

Sicheren Boden für die Entwicklung der Minuskel betritt man erst, als ab 1422 mit der Klerikergrablege im Kreuzgang eine dichtere Folge von ausreichend großen und gut erhaltenen Denkmälern zur Verfügung steht, während die Schrift der Glocke von 1432 (Nr. 257) wenig individualisiert erscheint, aber doch zeitlich und stilistisch von den älteren Metallproduktionen weit entfernt. Die breitstrichige, schon stark formalisierte Grabinschrift Hohenecken (Nr. 254) von 1422 zeigt schon früh die lange geübte Verzierung mit links aufgesetzten Dreiecken (hier bei h und M) und die bis knapp über die Mitte des 15. Jahrhunderts reichende Mode, Grundformen der Gemeinen, auch solche, die direkt aus Majuskeln abgeleitet sind, durch Größe und Zier zu Versalien aufzuwerten. Von der Entwicklung der Steininschriften ist die Formensprache der Minuskel in Metall zu unterscheiden, weil dort die dornartige Hervorhebung von Brechungen und Quadrangeln in der Herstellungsweise angelegt ist und sich folglich auch viel später regelmäßig (Nr. 285, 313) zeigt. Die Stifterinschrift eines Kelches von 1444 (Nr. 263), bei der ein Teil der Worttrennung durch Ranken erfolgt, fügt diesem Merkmal weitere spielerische Elemente hinzu wie die beginnende Schaftspaltung, die sonst oft erst mehr als eine Generation später auftritt, wie die geschlängelte Verzierung an den unteren Bogenenden von h und k, wie unmotiviert an Schäfte angesetzte Dreiecke bzw. Sporen und ein manieristisches versales M.

Obwohl dem Bestand die sonst dicht überlieferten Grabplatten weitgehend fehlen, sieht man Entwicklungssprünge gut an benachbarten Grabinschriften der Wände an der Grenze von Liebfrauen zum Dom (Nr. 254, 281 in Abb. 154; Nr. 268, 283 in Abb. 162): Klar erkennbar sind die Neigung zum dünneren Strich und geringeren Abständen; Versalien der Minuskel, im wesentlichen den Gebrauchsversalien jener Zeit angenähert, zeichnen sich durch die erwähnten aufgesetzten Dreiecke oder Sporen aus und geben Zierschwünge an die Gemeinen weiter (Nr. 281). Versalien greifen neben Schaftbrechung und –verdopplung das belebende Element gebogener bzw. geschwungener Schäfte auf (Nr. 281, Buchstabe W); das sieht teilweise frakturartig aus und ist auch selten bei Gemeinen anzutreffen (Nr. 281, Buchstabe w).

Die Neigung zur Zier nimmt augenscheinlich bei Versalien und Gemeinen zu. Trotz des – oder richtig wegen – des somit vergrößerten verwert- und anwendbaren Bestandes an differenzierenden Merkmalen konnten die Schriftanalysen der Denkmäler Görlitz (Nr. 271) und Sierck (Nr. 272) eine zu nahe Verwandtschaft ausschließen. Die Minuskeln des Görlitz-Steines sind nicht nur erheblich schlanker als die des Sierck-Grabmals, sondern bei b, h und l mehrfach mit dekorativ ausgezogenen Schaftspaltungen versehen; mehrere Versalien wie G in Gorlicz und H und S sind trotz aller Veränderung direkter aus der alten Majuskel-Form abgeleitet. Unverkennbar sind freilich die gleichgerichteten Bemühungen um dekorativen Charakter und zeitbedingte Übereinstimmungen etwa im spätgotischen Minuskel-u, dessen rechter Schaft oben nicht gebrochen, sondern links abgeschrägt ist. Solche typologischen Übereinstimmungen genügen nicht, um eine Identität zu reklamieren, da sie regelmäßig auch von morphologischen und stilistischen Unterschieden begleitet werden: Beim a ist jeweils der linke Teil des gebrochenen oberen Bogens nach innen in Richtung des Schaftes gekrümmt, beim Görlitz-Epitaph jedoch nicht geschwungen hinter den unteren Bogen geführt, sondern schlicht auch mit dessen Biegung nach innen geführt; das Bogen-r besteht hier aus deutlich abgesetztem Bogen und Cauda, nicht aus einer elegant geschwungenen Linie; der leicht verlängerte und nach links geschwungene linke Schaft des v endet spitz, nicht stumpf. Im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts ist der Bestand an Trierer Minuskelinschriften sehr gering; es ließ sich keine auch nur [Druckseite 169] annähernd der Schrift des Görlitz-Epitaphs ähnliche finden. Beim Sierck-Grabmal gelang Nikolaus Gerhaert ein grandioses Spiel mit verzierten Versalien, die sich schon vollständig von gebrochenen Schriften zu lösen scheinen, während die Gemeinen vor allem an der weniger dicht beschriebenen Schmalseite bis auf das u eher konventionell erscheinen.990)

Auch in der Folgezeit scheint sich Innovation bei Inschriften in Stein auf die Versalien zu konzentrieren, wie beim ohnehin unkonventionellen Epitaph Rommersheim von 1474 (Nr. 282) abzulesen ist; der Bestand reicht sogar aus, um etwas für die Entwicklung der Versalien herauszufinden, die auf dem schon klassizierend formulierten Epitaph die Hervorhebung von Versanfängen (identisch mit Zeilenanfängen) und Zäsuren der Pentameter übernehmen. Sie blieben auch der Motor von erweiterten Zierformen, die in den Typenvorrat der Gemeinen ausgriffen (Nr. 296, 297, 298), ohne daß sich etwa bei diesen nicht beieinander liegenden Objekten eine ausreichende Übereinstimmung ergäbe. Verbindend im Bereich des Domes bleiben die dreieckigen Aufsätze an geraden und gebogenen Schäften und Konturstriche; insoweit müßten sie Formen der frühen Typographie folgen.991) Die bei Hunolstein (Nr. 298) vorgedachten Schlingen an h, i, n, x, y weitete der Hersteller der Savigny-Inschriften zu einem dekorativen System noch komplizierterer Zierschlingen und Konturen begleitender Zierstriche (Nr. 301, Abb. 219) aus; sein kastenförmiges a scheint sogar in der erhabenen Beschriftung des Badenschen Wappens (Nr. 303) die Verwandtschaft der Hände anzuzeigen.

Zeitnahe gewebte (Nr. 299, 316) und gemalte (Nr. 305, 318) Inschriften eigenen sich nicht für Vergleiche. Immerhin konnten auch Werkstätten der fast zeitgleichen Fenster aus den dem Dom benachbarten Kapellen (Nr. 292, 293) anhand paläographischer Indizien, hier der unterschiedlichen Gestaltung des a als Kasten-a (Nr. 293) nebst anderer, geschieden werden; es ergaben sich sogar Verdachtsmomente zu Verfälschungen.992) Die Varianz der Minuskel demonstrieren augenfällig die Bauinschrift der Glockenstraße von 1490 (Nr. 314) und die Stifterinschrift der Heiliggrabkapelle beim Domkreuzgang von 1495 (Nr. 321): Die wenig ältere Inschrift ist in einem breiten Duktus und mit wenig Zierformen bei e und t geschrieben, auffällig das a mit sehr kurzem unterem Bogen und konventionelle Versalien der Minuskel; demgegenüber wirkt die jüngere Inschrift stark gedrängt mit herausgehobenen Ober- und Unterlängen und integriert Schaftspaltung, den seit 1471 (Nr. 281) in Trier gut dokumentierten i-Punkt, wegen der engen Anbindung an Gotische Majuskeln mit den Gemeinen stark kontrastierende Versalien, lang ausgezogenen Bogen des h, u mit rechts nicht gebrochenem, sondern stumpf endendem Schaft und x mit linksschräg liegendem Schaft – in gewisser Weise eine Mischung aus alt und neu.

Die jüngste aufgedeckte Originalschicht der Apostelbilder in Liebfrauen bestätigt zwar den früher (Nr. 327) geäußerten Verdacht, daß nicht alle bei der ersten Aufnahme sichtbaren Details dem Zustand des ausgehenden 15. Jahrhunderts entsprechen, doch erwiesen sich Schaftspaltung und der stumpf endende rechte Schaft des u, und somit die wichtigsten Indizien für eine späte Herstellung als tragfähig; auch die Majuskelversalien bestätigen diese Beobachtung, ohne in Einzelheiten und Gleichmäßigkeit zu überzeugen. Aufgrund der Freilegung mußten Details wie der gekachelte Boden, auf dem die Apostelfiguren stehen, als spätere Zutat ausgeschieden werden und gelten somit nicht mehr als Indizien einer Zuweisung. Um so wichtiger ist die präzise Analyse der Schriftformen, aus denen die künstlerische Heimat vielleicht irgendwann ermittelt werden kann. Im Zuge der jüngsten Restaurierung kam es jedoch zu erneuten Verfälschungen, deren Umfang und Korrektur noch abzuschätzen ist; die abschließende Analyse bleibt also ein Desiderat.993) Innerhalb der Spätform der Minuskel gibt es oft nur wenig Differenzierungsmöglichkeiten, bedingt auch durch mangelhafte Erhaltung, so daß eine ehedem mehr an die Jahrhundertwende datierte Inschrift (Nr. 349) aufgrund einer jüngst ermöglichten Identifizierung (Nr. 349 Nachtrag) des Originals auf 1471 präzisiert werden konnte; die seinerzeit verdeckte Jahreszahl weist zwei nicht ganz typische x auf, nur oberfläch-[Druckseite 170]lich betrachtet ähnlich v, dessen Form aber in der Inschrift (C) als regelhafte vorhanden ist; der Schnittpunkt der Schrägschäfte ist nicht sauber zu erkennen. Viele Steininschriften sind nicht ausreichend erhalten, die Individualitäten von Schriften, gerade auch der Minuskeln, dann oft verloren, so daß etwa die Relikte der alten St. Mattheiser Venus-Inschrift (Nr. 350) mit wenigen und kaum verläßlichen Mitteln wie fehlende bzw. unterentwickelte Brechungen am oberen Rand des Mittelbandes datiert werden müssen.

Für gegossene Inschriften ohne Signatur sucht man in den Minuskeln Vergleichsmöglichkeiten, um etwa den Gießer zu identifizieren, falls man die Schriftformen seiner Glocken kennt, wie es bei dem Weihwasserbecken von St. Antonius (Nr. 345) und Glocken (Nr. 359 f.) vorgeführt werden konnte. Nicht immer gelangt man zu befriedigenden Ergebnissen (Nr. 332); bei kleineren Objekten (Nr. 353) wird man den Suchbereich auf andere Gießerwerkstätten ausdehnen müssen. Alte Bronzeobjekte sind freilich im Westen des Reichsgebietes von Glocken abgesehen selten.

Dem zögerlichen Eindringen der Renaissancekunst in Trier entspricht die nachhaltige Verwendung eben der typischen spätgotischen Minuskelschrift, und das auf sonst eher unterrepräsentierten Grabplatten. In der Typologie ähnlich und in den Umständen der Herstellung sogar gleich, stimmen die zeitnahen figürlichen Grabplatten Finstingen (Nr. 354) und Savigny (Nr. 355) hinsichtlich der Beschriftung nicht so überein, wie man das unter den gegebenen Voraussetzungen vermuten müßte. Die Schriftgestaltung bei Finstingen geht hinsichtlich Schaftspaltung, eigenwilligen Versalien und an die linken Schäfte von Anfangsbuchstaben angefügten Zierdreiecken mit anderen gotischen Minuskelschriften aus dem Kreuzgangbereich konform; abweichend werden im Mittelband verbleibende Versalien durch diese Zierdreiecke zusätzlich hervorgehoben. Gegenüber der Savigny-Platte sind jedoch weit weniger schlanke Buchstaben benutzt, Zierversalien kommen seltener vor und sind anders geformt: Die Versalien C und E sind eigentlich gerundete Minuskeln, das V unten spitz wie in der Kapitalis, aber mit Brechungen oben und Zierdreiecken; es finden sich nicht a mit stark verkürztem linkem Schaft, dafür aber t mit noch geringerer, geradezu verstümmelter Oberlänge, unterschiedliche Behandlung der oberen Schaftenden des u (nur das zweite im Wort Augusti besitzt eine zeittypische Unterscheidung der beiden oberen Schaftenden, hier allerdings der rechte rechtsschräg abgeschnitten statt einer Brechung), außerdem stark und fast zur Unleserlichkeit zusammengedrängte Passagen wie bei archidiaconus, Cardo und Treuerensi. Im Wort Augusti steht die Schleife des g auf der Grundlinie, im Wort vinstinga fehlt die Schleife, der Bogen scheint spiegelverkehrt gesetzt. Breiter und konventioneller sind die Minuskeln einer Werkstatt994) für zwei wesentlich jüngere Klarissengrabmäler (Nr. 389 f.), die ohne Versalien (und Jahreszahl) kaum so spät zu datieren gewesen wären. Ähnliches gilt für ein kleines Epitaph (Nr. 393), bei dem aber gerundete Schluß-s neue Buchstabenformung wenigstens andeuten.

In dem relativ weiten Zeitraum, in dem die spätgotische Minuskel ihren Platz behauptet, zeichnen sich neben Zierformen der Versalien Schaftspaltung und fehlende Brechung des rechten Schaftes von u als wichtigste Indizien ab; flachgedecktes g reicht wegen des seltenen Vorkommens dieses Buchstabens nicht aus, dünne Auszieher an Bogen- und Schaftenden werden häufiger (Nr. 410, 450). Die Minuskel bildet aber nicht nur verschiedene, gar gegensätzliche, Ausprägungen des Duktus heraus, sondern auch abhängig von der Fertigkeit der Hersteller geradezu verschiedenartige Schriften. Die Variabilität geht so weit, daß man sogar innerhalb kurzer Schriften mit unterschiedlichen Buchstaben rechnen muß. So kann das c manchmal wie das t beim Balken durchgehend eine weit nach rechts ragende Bogenbrechung oben entwickeln (Nr. 367), vielfach sind die unteren Bögen des a auf stummelige Schäfte reduziert, und das in den unterschiedlichsten Zusammenhängen (u. a. Nr. 314, 327, 355), aber nie in Kombination mit anderen auffälligen Gemeinsamkeiten. Wesensfremde gerundete Buchstaben (Nr. 354 – gerundete Minuskelversalien –, 393) spiegeln Einflüsse neuer Schriften. Eine immer wieder zu beachtende Stelle scheint das Verhältnis der beiden Bögen des a und der sich gegenüberstehenden Enden zu sein: Wie lange ist der Schaft unten links, wie verhält sich das obere Bogenende zur Buchstabenmitte, entsteht ein kastenförmiges geschlossenes a, wo beginnt die Ausdünnung des oberen Bogenendes (Nr. 428)?

Sehr späte Exemplare der Minuskel sind entweder schreibschriftlich überformt (Nr. 585), der Neufassung verdächtig (Nr. 505) oder entsprechen mit übertriebenen Zierschleifen auch an Gemeinen, [Druckseite 171] abgeschrägten, aber spitz ausgezogenen Schäften von t und der Kombination mit frakturartigen, mit Schleifen und anderem verzierten Versalien (Ntr. 476) kaum noch einem spätgotischen Typ. Diese Ausnahmen sind selten, im letzterwähnten Fall sogar aus der Raumnot erklärbar, so daß man im 2. Viertel des 16. Jahrhunderts sogar von einer konsequenten Ablösung der Minuskel durch die Kapitalis sprechen kann. Eine eher konservative Haltung der Trierer Benediktinerklöster deutet sich in wenigen Inschriften (Nr. 428, 450, 534) an, läßt sich jedoch keinesfalls mit den wenigen Belegen beweisen.995) Je länger die Minuskel ein Randdasein fristete, desto stärker löste sie sich von Konventionen der Textura; diese blieben um und kurz nach der Mitte des 16. Jahrhunderts (Nr. 450, 476) noch erhalten, doch die jüngere wurde erstaunlicherweise auf einem Epitaph von 1560 als Schrift horazischer Versmaße (Nr. 476) benutzt und mit manierierten Versalien kombiniert. Sollte die Datierung zutreffen, sieht man das Ausgreifen manieristischer Tendenzen auch auf die Gemeinen immerhin bei einem Fragment aus St. Maximin (Nr. 535), bei dem die Brechungsregel unterlaufen wird.

5.7 Fraktur

Die Fraktur, in Süddeutschland eine sehr häufige Schriftform für diverse Trägergruppen, führt in Trier nur ein Schattendasein, obgleich sie am Mittelrhein und noch mehr im Hunsrück für deutschsprachige Inschriften reichlich benutzt wurde. Diese Schrift entwickelte sich aus einer Bastarda, also einer schreibschriftlichen Gotischen Minuskel, zu einer mit höherem Prestige beladenen Auszeichnungsschrift, anfänglich in Urkunden- und Buchschriften, bald auch im Druck und viel später erst in epigraphischer Anwendung. Als „Meilensteine in der Entwicklung der Fraktur“996) gelten die von Kaiser Maximilian I. initiierten Prunkdrucke seines Gebetbuchs (1513) und des Teuerdank (1517). Die Fraktur ist dem Charakter nach noch eine gebrochene Schrift, die jedoch die Schäfte und Bögen der Minuskel in Halbbögen und Bögen überführt. Als charakteristisch werden immer wieder genannt das einstöckige a, das mandelförmige o und diesem gleichartig die meisten geschlossenen Bögen gerundet; f und langes s reichen spitz auslaufend unter die Grundlinie. Hauptkriterium der Fraktur sind ab- und anschwellende Linien, die sogenannten Schwellschäfte und Schwellzüge.997) Mit der Zeit wurde die Fraktur durch die Verbreitung von Druckwerken und Schreibmeisterbüchern auch in Inschriften immer mehr perfektioniert, was nicht heißt, daß es nicht noch lange inkonsequente Ausführungen und Überschneidungen mit der gotischen Minuskel gegeben hätte, für die die Fraktur ihre charakteristischen, kompliziert verschlungenen und mit dem Elefantenrüssel als Anstrich ausgestatteten Versalien998) bereitstellte.

Die genannten Merkmale sind auf einem Reliquienkasten von 1625 (Nr. 621) und auf einer Fensterscheibe von 1641 (Nr. 669) nachvollziehbar, in beiden Fällen als gemalte Schriften. Beim Reliquienkasten, zu dem es einen zweiten mit lateinischer Inschrift in Kapitalis (Nr. 620) gibt, deutet sich die vorzugsweise Nutzung der Fraktur in deutschsprachigen Inschriften an. Die geringe Zahl an Frakturschriften in Trier mag daher auch aus der verhältnismäßig geringen Dichte deutschsprachiger Inschriften und des mangelhaften Erhaltungsgrades resultieren.

Zählen darf man nicht die Fraktureinflüsse bei einer Minuskel von 1523 (Nr. 393) und die Fraktur der pergamentenen Reliquienauthentik von 1555 (Nr. 467), auch nicht die Wappenbeischriften in Fraktur an den Pilastern der heutigen Seitenschiffaltäre des Doms (Nr. 526, 554), die wohl nicht der die ursprünglichen Altäre ausführenden Hoffmann-Werkstatt, sondern höchstwahrscheinlich der restaurierenden Werkstatt unter Josef Walter (bis 1725/26) zugeschrieben werden müssen: Die Fraktur wäre bei Hoffmann (und seinen Nachfolgern) ein Unikat; die Wappenschilde dieser Werkstatt sind auch noch beim jüngeren Epitaphaltar Cratz (Nr. 589) unten nicht hochgebogen; die Beischriften sind mit lockeren Spatien geschrieben und mit höchst manierierten, an stark gewundenen Ausbuchtungen hängenden Quadrangeln abgeschlossen. Diese Fraktur hat weder mit der in Simmern ge-[Druckseite 171]brauchten999) noch mit den wenigen im Umkreis von Trier gebrauchten Mischschriften von Minuskel und Fraktur etwas gemein; daher kann sie nicht über die mit Hoffmann zusammenarbeitenden Fremdkräfte in die Werkstatt hineingetragen sein.

5.8 Humanistische Minuskel

Buchschriften am Ende des 14. Jahrhunderts in Italien strebten eine Verklarung der Schrift an und belebten Formen wieder, die aus der karolingischen Minuskel stammten, aber als römisches Schreiben empfunden wurden. Über den Buchdruck fand diese Schrift vor allem ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Eingang in Inschriften,1000) von wenigen, vielleicht experimentell zu nennenden und Schreibschriften näherstehenden Exemplaren des Frühhumanismus abgesehen.1001) Eine fehlende Aufarbeitung der humanistischen Minuskel als Schrift von Inschriften beklagte schon Rudolf Maria Kloos vor 1980.1002) Die Bildung der Schrift wird man aus dem Buchdruck und aus dessen Formen angenäherten Inschriften beschreiben und wegen dieser Verbindung auch nur graduelle Variationen feststellen können. Es zeigt sich aber schon am häufigen Buchstaben e, daß die in Handschriften und der Druckantiqua übliche gerade (schräge oder waagerechte) Ausführung des Balkens in der Epigraphik kaum vorkommt, sondern das obere Bogenende der Minuskel nur umgebogen oder sogar mit einer leichten Brechung versehen ist. Grundlegende Unterschiede sind oft fremden Einflüssen zuzuordnen und die entsprechenden Schriften daher in der Regel mit anderen Begriffen zu benennen, nämlich Gotico-Antiqua, Rotunda und Frühhumanistische Mischminuskel.1003)

Anders als bei der Gotischen Minuskel sind Bögen rund, stehen Schäfte gewöhnlich ohne Brechung auf der Grundlinie – auch f und langes s – , und auch der Bogen des h reicht nicht darunter;1004) das a ist gewöhnlich zweistöckig außer in der nach rechts liegenden Variante der Schrift; der Schaft des d steht senkrecht; unter dem geschlossenen, oft kleineren Bogen des g hängt oft sichelförmig angeschlossen ein offener Bogen; i sind mit Punkten versehen. Diese Schriftform ist trotz ihres humanistischen Anspruchs und den diesem entsprechenden Texten in Trier kaum vertreten. Die Schrift des Trebeta-Bildes (Nr. 475/I) von 1559 scheint stark überarbeitet, die der Kopie von 1684 (Nr. 475/II) auch, aber weniger; immerhin dürfte sie die Verwendung der Minuskel schon 1559 belegen. Auch die Minuskel der kurzen Inschrift auf dem Segensis-Epitaph (Nr. 484) präsentiert sich nicht als ideale Ausprägung, da Fremdformen gebrochener Schriften integriert sind. Dieser Aspekt spielte in den gängigen Analysen von entsprechenden Schriften im Mosel-Mittelrheingebiet keine Rolle,1005) Reste gebrochener Schriften auch etwa nicht in Lemgo1006), weil sie dort nicht vorkommen. Auf noch viel stärker von gebrochenen Formen durchsetzte Inschriften in Heidelberg hatte Renate Neumüllers-Klauser aufmerksam gemacht1007), ohne für diese Schriften eine andere Bezeichnung zu fordern, zumal mehrere Exemplare weitere Abweichungen gegenüber regelhafteren Beständen aufweisen.

Streng genommen gehören in Trier nur die späten Verwendungen zur reinen Form der Humanistischen Minuskel, nämlich einige Jesuitennamen in der Gruft der Dreifaltigkeitskirche (Nr. 679, 697, 640?), einige Graffiti der Chorschranken (Nr. 262), Namen auf einem Kelch (Nr. 671) und die Fensterscheibe von der Leyens (Nr. 696); ein Grabplattenfragment (Anhang Nr. 72) und das Fenster der [Druckseite 173] Geburt (Anhang Nr. 74) sind zwar so beschriftet, könnten aber noch später entstanden sein oder gar nicht nach Trier gehören. Das Gerichtsbild (Nr. 546) ist hingegen in einer Mischung von Minuskeln humanistischer und frakturartiger Prägung beschriftet, denen Kapitalisversalien und ein Frakturversal beigegeben ist; eigentümlicherweise gibt es nur hier e mit einem sich einem Balken annähernden oberen Bogenende. Stärker zu einer barocken Minuskel mit schreibschriftlichen Elementen tendieren Goldschmiedearbeiten (siehe Kap. 5.9).

Vielfach konnte die Verwendung der Humanistischen Minuskel mit gelehrten Empfängern oder Auftraggebern und anspruchsvollen lateinischen Texten in Verbindung gebracht, ja begründet werden. In Trier zeichnet sich das mangels einer ausreichenden Überlieferung nicht ab. In den horazischen Epoden des Pergner-Epitaphs (Nr. 476) von 1560 hätte man sie erwarten dürfen, findet an dieser Stelle jedoch eine der letzten Gotischen (!) Minuskeln vor.

5.9 Schreibschriften

Stilisierte Schreibschriften sind rar und mehrfach den Umständen der Herstellung geschuldet. So finden sich auf steinernen Träger fast nur Graffiti, auf Metallen die Schrift mehr geritzt für inschriftencharakteristische Texte, wie vor allem die Bleitafeln (Nr. 82, 83) zeigen, und von diesen insbesondere die in Minuskeln (Nr. 82). Schon stärker stilisiert sind die Schriften der Reliquienauthentiken von 1148 (Nr. 125135 u. NT), der Translationstafel von 1207 (Nr. 168) und der Grabtafel von 1242 (Nr. 180); hier wie auch bei zeitnahen Goldschmiedearbeiten sind die Inschriften nicht mehr mit einem einfachen Werkzeug geritzt, wie das noch bei einem Altarsepulkrum (Nr. 195) zu beobachten ist. Auf der Bleitafel des hl. Simeon (Nr. 238) ist der Charakter einer gebrochenen Schrift gut getroffen. Es wird noch mehr ad hoc-Beschriftungen mit einer gewissen Stilisierung gegeben haben wie das Balduin-Messer (Nr. 216), zumeist aber Graffiti von Besuchern eines bestimmten Ortes (Nr. 262, 291, 326, 396, 421, 438, 473, 592) oder Inhabern eines besonderen Objektes (Nr. 337). Gerade bei den Graffiti der Grabmäler zeigen sich große Niveauunterschiede und gelegentlich sogar in Kapitalis kunstvoll stilisierte Beschriftungen, die nicht mehr aus dem einfachen Schreiben hergeleitet sind (Nr. 291). Alle diese Beschriftungen umfassen das gesamte Spektrum des Schreibens auf festen Stoffen. Bei den dem Schreiben mehr angenäherten Minuskeln der Graffiti (Nr. 262/AL7EE) zeigen sich in gerundeten und gelegten Schäften sowie in Ligaturen Elemente der Kursivierung; bemerkenswert sind Brechungen und das kastenförmige a, die die Nähe zur Inschriftenschrift erweisen, und das eben bei einem Text der nicht typisch für das Genre Graffito ist.

Stärker als auf dem Kelch von 1644 (Nr. 671) sieht man den Schreibenden auf der jüngeren Inschrift (von 1661) des alten Kelchs von St. Antonius (Nr. 357)1008), jeweils wie auf der St. Maximiner Bleiplatte von 1608 (Nr. 585) noch humanistisch geprägt. Ähnliches gilt für das Lippenblech eines Stangenbechers (Anhang Nr. 73a). Naturgemäß kommen die mit Tinte geschriebenen Namen des Tragaltars der Bopparder (Anhang Nr. 66) dem gewöhnlichen Schreiben in einer barock überformten Minuskel am nächsten.

5.10 Ziffern und Zahlzeichen

Zahlen, Ziffern oder besser Zahlzeichen des römischen Alphabets begegnen seit alters her und auf den frühchristlichen Inschriften in Trier bei Tagesdaten und Altersangaben, später, nämlich nach der sich seit dem 8. Jahrhundert verbreitenden Berechnung des Inkarnationsjahres bei Jahresdaten ab 980 (Nr. 53), gelegentlich zur Bezeichnung einer Amtsdauer oder eines biographisch wichtigen Zeitraums (Nr. 51), sogar als Ordnungszahl gleichnamiger Amtsträger (Nr. 77, 80) oder bei gezählten Personen oder Objekten (Nr. 136, 204). Da in Grabinschriften das Todesjahr erst verhältnismäßig spät (vgl. bei Nr. 37) und regelmäßig erst seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert angegeben wird, entstammen die meisten frühen Belege der kirchlichen Verwaltung – sie stehen in Weiheinschriften (Nr. 72, 91, 94, 96, 114, 118, 136, 151, 187), bei Translationen (Nr. 168, 238), selten eben in Grabinschriften, und dann [Druckseite 174] meist nicht offen (Nr. 37, 77, 93, 110, 113, 180), noch seltener in den raren Urkundeninschriften (Nr. 147), erst sehr spät in der Bezeichnung von Bibelstellen.

Die verbreitete Darstellungsweise waren die römischen Zahlzeichen; Zahlen konnten allerdings auch mit Zahlwörtern ausgeschrieben werden, was hier nicht zum Thema gehört, oder aus einer Kombination beider einschließlich verschiedener Rechenoperationen in gebundener Sprache ausgedrückt werden. Die Zahlzeichen sind Gegenstand der jeweiligen Schriftanalyse. Im Schriftkapitel dient die Betrachtung der Zahlen und Ziffern dazu, ein zusätzliches Datierungen stützendes paläographisches Werkzeug zu erarbeiten, das verschiedene Fragen an einen Bestand beantworten und somit auch als Handhabe bei Fragen nach der Echtheit von Daten und ganzen Inschriften dienen kann.

Dabei gilt es die frühesten echten arabischen Ziffern1009) zu ermitteln, um Ausreißer erkennen zu können, und bei diesen Ziffern verschiedene Zäsuren, die an die Ziffern 4, 5, und 7 gebunden sind, zu ermitteln. Wann arabische Ziffern in Inschriften frühestens verwendet wurden, ist immer noch nicht geklärt. Sieht man von Siegeln ab, darf man im Reichsgebiet um 1400 mit den ersten arabischen Ziffern in Inschriften rechnen,1010) die sich aber erst nach der Mitte des 15. Jahrhunderts stärker verbreiten. Die Forschung ist durch die Sammlung bei Topitz einseitig auf den südostdeutsch-österreichischen Raum konzentriert und erweckt damit eine frühere dichte Verbreitung – das gilt eben nicht für den Westen.

Die früheste arabische Ziffer in Trier zum Jahr 1440 (Nr. 261) konnte nicht überprüft werden, ebensowenig die zum Jahr 1458 (Nr. 270), die von 1441? (Nr. 262/SR1A) nur unzureichend. Die Benennung des Todesjahres 1456 des Erzbischofs Jakob von Sierck (Nr. 272) geschieht durch ein speziell gekennzeichnetes Chronogramm, die Fertigstellung seines Grabmals 1462 wurde jedoch in arabischen Ziffern angegeben, und das trotz einer klassizierenden Wortwahl, freilich in Verbindung mit der zeitüblichen Gotischen Minuskel. In lockerer Folge schließen sich 1475 (Nr. 284, Glocke), 1478/79 (Nr. 292/P, Q), 1481 (Nr. 301), 1490 (Nr. 314), 1491 (Nr. 326/FF), 1494 (Nr. 318, 319), 1507 (Nr. 326/Q), 1514 (Nr. 276) und 1517 (Nr. 326/p) an.1011) Alle diese Ziffern sind noch in gotischen Charakteren geschrieben, bei denen die 4 schlingenförmig als halbe 8, zunächst mit eckiger Schleife oben (Nr. 272, 319), dann zunehmend mit runder (Nr. 284, 292, 293, 301, 314, 318 u. ö.) gestaltet ist. Der Trierer Bestand ist zu lückenhaft, um die Aufrichtung der 4 exakt zu beobachten. Vordergründig geschieht das erst 1542 (Nr. 429), 1543 (Nr. 421, 430 – wohl nachgearbeitet) und 1544 (Nr. 358/3, 431), wenngleich es danach noch einige Nachzügler der alten Schreibweise zu 1544, 1545 und 1547 (Nr. 434/1 u. /2, 442) gibt. Ausnahmslos ist die 5 in den oben benannten gotisch ausgerichteten Ziffern noch als linksgewendete Variante ausgeführt, schon nach rechts gewendet 1509(?) (Nr. 365), 151[2] (Nr. 291/G4B), sicher 1522 (Nr. 389, 390), 1524 (Nr. 393) und 1525 (Nr. 396). Zu den gotisch geprägten Varianten gehört auch die lambdaförmige 7 (Nr. 284, 292/P, 292/Q, 326/P, 326/Q, 390), deren moderne Aufrichtung mangels entsprechender Jahreszahlen erst 1547 (Nr. 442) festzustellen ist – das ist gewiß eine materialbedingte Verzögerung gegenüber anderen Beständen.1012)

Die Entwicklung der einzelnen Ziffernformen kann hier nicht weiter verfolgt werden, weil der Trierer Bestand nicht dicht genug erscheint. Ein lohnender Ansatz dürfte die statistische Auswertung der verschiedenen Ausformungen der oben genannten Buchstaben immer sein, nach 1520 die fast überall begegnende Mischung alter (= gotischer) und moderner Elemente, dazu auch das jüngere Phänomen eines Schaftes bei der 5; außerdem die Mischung von lateinischen Zahlzeichen und arabischen Ziffern (Nr. 318, 422), die Verwendung des Buchstabens D für die Zahl 500 (Nr. 392, 417), das Vorkommen neulateinischer Zahlzeichen (Nr. 728†). Besondere Zierformen sind ohnehin bei den einzelnen Objekten zu besprechen (Nr. 460).

5.11 Griechische und Hebräische Schrift

Noch im spätantik-frühchristlichen Bestand der Trierer Inschriften gibt es acht in griechisch abgefaßte und geschriebene,1013) darüber hinaus weist ein knappes Viertel der Namen dieses Bestandes griechische Wurzeln auf.1014) Diese Inschriften gehören noch nicht zum frühmittelalterlichen Bestand. Obwohl für den Westen des Reiches und Trier unlängst mehr Kenntnis der und Umgang mit der griechischen Sprache nachgewiesen werden konnte,1015) bleibt die Verwendung der griechischen Sprache und Schrift in Inschriften sehr begrenzt. Dieser Sachverhalt ändert sich nicht durch den Humanismus; das mag daran liegen, daß es zwar gelehrte und elaborierte Inschriftentexte in lateinischer Sprache gibt, aber keine ausgesprochenen Gelehrtengrabmäler.

Eher nur rudimentäre Griechischkenntnisse verraten Schreibungen des Christusnamens mit dem griechischen Chi (X, x) und Rho (P, p), gefolgt von selten unzialem Sigma (C), das auch als Endung beim lateinischen EPISCOPVS vorkommt (Nr. 93, 113, 183), oder lateinischen Kasusenden (Nr. 13, 20, 39, 45, 57, 68, 142, 157, 162, 172, 184, 190, 197, 262/AL2B, 282, 292/A, 292/L, 319, 321, 495, Anhang Nr. 11, Anhang Nr. 13). In dem hier behandelten Bestand kommt nur einmal (Nr. 6) das aus den oben genannten Buchstaben (XP) bestehende Chrismon als sonst häufiges Symbol auf frühchristlichen Grabsteinen vor, einmal ist es in die hochmittelalterliche Rekonstruktion des St. Paulinus-Grabes übertragen (Nr. 140). Häufiger sind hingegen die apokalyptischen Buchstaben Alpha und Omega (Nr. 6, 123, 140, 153, 158, 176, 589, Anhang Nr. 18) wegen ihres Symbolcharakters und Vorkommens in Offb 1,8 u. 22,13.1016) Eigentümlicherweise schrieb man diese Buchstaben auch als ALPHA ET O vor 1540 (Nr. 426) in rein lateinischen Formen aus.

Genuin griechische Buchstaben, also auf byzantinischen Produktionen wie 1494 (Nr. 319), finden sich als Kapitalis auf dem importierten Rosettenkasten (Anhang Nr. 8) und auf gleichfalls importierten und in den St. Mergener Tragaltar eingelegten Elfenbeinen mit Heiligenbüsten (Nr. 109). Wie regelmäßig beim Omega der apokalyptischen Buchstaben und überhaupt bei frühchristlichen und mittelalterlichen Inschriften sind die Sigma (C) der griechischen Unziale entnommen. Weitere Unzialen, Lambda (λ) und Ksi (ξ), in der Beischrift des Schmerzensmannes (Nr. 319), wiewohl von einer Ikone falsch kopiert, erweitern dieses Spektrum noch. Das ist nicht mehr der Fall beim Dreisprachentitulus des Greiffenklau-Altars (Nr. 396), der allerdings aus vielerlei Gründen vom Bearbeiter für verunechtet gehalten wurde. Dort sind Lambda, Sigma und Omega kapital wie auch auf anderen Reproduktionen gegen den Augenschein des 1492 gefundenen Titulus von Santa Croce in Gerusalemme. Innerhalb einer Kapitalisschrift ist ein einzelnes Wort (μνεμόσυνομ – sic) durch Vergrößerung der griechischen Minuskeln auf die Größe der Hauptschrift gebracht. Kopiale Überlieferungen eines griechisch geschriebenen Namens (Nr. 117) oder griechischer Wörter in Grabinschriften (Nr. 74, 725, 728) lassen sich nicht beurteilen.

Hebräische Schrift auf nicht genuin jüdischen Denkmälern kommt in Trier erstmals beim Dreisprachentitulus von 1525 und einer gleichzeitigen Gewandsauminschrift vor (Nr. 396), die weit weniger kursive Elemente aufweist als der Titulus; dieser wird allerdings auch aus anderen Gründen vom Bearbeiter als verunechtet angesehen. Die hohe Buchstabenqualität der Sauminschrift der Magdalena und die etwas flüssigere Beschriftung der Gesetzestafel am von der Leyen-Epitaph (Nr. 416), deren Buchstaben an oberen Linien zu hängen scheinen, verraten die Beteiligung von Fachleuten für hebräische Schriften. Bei der Gesetzestafel am Zerfer Altar (Nr. 424) kann man das aufgrund des Materialschwunds und unsachgemäßer Ausbesserung nicht mehr feststellen – Hinweise darauf gibt es auch angesichts der niveaulosen Hauptinschrift nicht. Der Rest des hebräischen Kreuztitulus auf dem Täuferaltar Johanns von Schönenberg (Nr. 554) ist nicht sauber nachgezogen und von seiner hohen zentralen Position nicht ganz verständlich. Demgegenüber heben sich die erhabenen Buchstaben des Jesusnamens auf dem Allerheiligenaltar Erzbischof Lothars von Metternich (Nr. 596) durch ihre Formschönheit und die fast klassischen Serifen ab. Die hebräischen Schriftzeichen wurden hier anscheinend mit der Kunstfertigkeit des frühmodernen Herstellers umgesetzt – die Ordination von hebräischen Schriftzeichen auf nicht genuin jüdischen Denkmälern ist immer noch eine generelle Frage vor allem der frühneuzeitlichen Epigraphik.

5.12 Wort-, Sinn- und Verstrenner, Satzzeichen

Wie Schriftformen sind auch die auf nahezu allen Inschriftenträgern verwendeten Worttrenner und Satzzeichen einer gewissen Entwicklung unterworfen und können ebenfalls – vor allem bei Fragmenten – zur Klärung von Datierungsfragen herangezogen werden. Anders als die in Continua geschriebenen griechischen Inschriften sind die römischen schon in republikanischer Zeit weitgehend auf Worttrennung angelegt. Diese mußte nicht regelmäßig sein und konnte mit verschiedenen, auch nicht immer konsequent gehandhabten Zeichen auf der Zeilenmitte angezeigt sein. Als häufigstes Zeichen gilt das Dreieck,1017) das in den Renaissanceschriften konsequenterweise wiederentdeckt wurde. Daneben gab es schon früh zwei oder drei übereinander gesetzte runde Punkte, also halbkugelig vertiefte Punkte, aber auch den einzelnen Punkt auf der Zeilenmitte (Hochpunkt) und die Efeublätter („hederae“) – alle werden im Laufe der Zeit wieder aufgegriffen.

Weder durch Spatien oder Zeichen ist Worttrennung in frühchristlichen Inschriften konsequent kenntlich gemacht. Sie kommt unregelmäßig und ohne sichtbare Regel vor,1018) allerdings kann die Trennung von „litterae singulae“1019) die Kürzung mit anzeigen. Bei den etwas jüngeren Inschriften ändert sich daran wenig (Nr. 6, 11, 17, 19, 23, 26), wenngleich sich die Tendenz verfestigt, Zahlen mittels Trennern aus dem Text herauszuheben (Nr. 6, 10, 22 u. ö.). Desgleichen scheint man die Notwendigkeit gesehen zu haben, Texte wenigstens ansatzweise zu gliedern, und bewerkstelligte das mittels verschiedenster Zeichen wie Doppelpunkten (Nr. 2), Dreiecken (Nr. 4), eines Kommas und einer Art Semikolon (Nr. 6), eines Vierecks (Nr. 13) oder ließ Efeublätter („hederae“) den Namen (Nr. 20) umschließen. Eine fast konsequent angezeigte Worttrennung, hier durch dreifach übereinander gesetzte Dreiecke, zeichnet die von insularen Schriften beeinflußte Grabinschrift des Priesters Adalelmus (Nr. 21) aus, die darin mit der gleichfalls insular geprägten des Aldualuhus in Worms1020) übereinstimmt. Sinn- und Verstrenner (Nr. 28) sind nicht immer zu unterscheiden und werden sogar mit schlichten Worttrennern vermischt (Nr. 30).

In der karolingischen Epoche verliert sich die Continua noch lange nicht, gelegentlich sind Schlußzeichen hinter Namen (Nr. 35) gesetzt, meist zeigen kompliziertere Zeichen (Semikola, Doppelpunkte aus Dreiecken) Sinn- bzw. Verstrennung an (Nr. 40, 44, 49). Später setzen sich Punkte, meist halbkugelig vertiefte, als Sinntrenner durch (Nr. 52, 53), ggf. in anderer Technik erhabene (Nr. 67), gelegentlich ergänzt um dreieckige Worttrenner (Nr. 53). Nicht immer sind Wort- und andere Trenner graphisch unterschieden (Nr. 63). Die karolingische Markierung der Verse scheint anzudauern, obgleich das 11. Jahrhundert (Nr. 71 – drei Punkte, 88, 109) zu wenig erhaltenes Material dazu bietet. Worttrennung bleibt unregelmäßig (Nr. 82, 84, 90), bis sie sich gegen Ende des Jahrhunderts (Nr. 93, 102†, 110, 111, 113) verfestigt und nur gelegentlich Sinneinheiten wie Reliquienbezeichnungen (Nr. 114) nicht trennt. Verläßlich nutzbare Gesetzmäßigkeiten zeichnen sich nicht ab, da Sinn- und Worttrennung oft nicht (Nr. 136) oder extrem unregelmäßig (Nr. 125ff, Nachträge, 140, 145) gesetzt sind. Neben Punkten als Worttrennern können einleitende Kreuze die zeilenweise abgesetzten Verse anzeigen (Nr. 137). Gleichwohl wird man feststellen können, daß konsequente Worttrennung zunimmt (Nr. 142, 145, 147, 148), um dann ab dem Ende des 12. Jahrhunderts in Prosatexten zu dominieren – mit den bekannten Ausnahmen, eng Zusammengehörendes nicht zu trennen (Nr. 151). Die St. Maximiner Tympana weisen noch mehrheitlich Continua auf (Nr. 152, 155, 156, 165), ein Grabgedicht am Dom (Nr. 157) und die Taufe in St. Gangolf (Nr. 162) nicht. Mit der Gotisierung der Schrift geht eine weitere Verfestigung der Worttrennung einher, die auf lange Sicht durch den runden Punkt auf Zeilenmitte (Hochpunkt),1021) je nach Technik halbkugelig vertieft, erhaben oder flächig ausgeführt, realisiert ist, unter besonderen Umständen mittels komplizierter Gebilde wie Blättern und Doppelpunkten (Nr. 181).

Der runde Punkt mit seinen technisch bedingten Varianten und in verschiedenen Gruppierungen war der Trenner der Majuskelschriften schlechthin.1022) Es stellt sich immer die Frage, ob mit der Ablösung der Gotischen Majuskel durch die Minuskel auch ein konsequenter Wechsel von Punkten zu Quadrangeln eintritt, wie das die beiden Tumbengräber der Mainzer Erzbischöfe Peter von Aspelt [Druckseite 177] (†1320) und Matthias von Bucheck (†1328)1023) suggerieren. Da diese Produktionen nach 1335 datiert werden müssen, kommen die ältesten Quadrangel in Mainz auf dem Taufbecken von 13281024) zusammen mit Majuskeln vor. Diese Kombination kennt man auch im Trierer Unterstift, nämlich um 1340 in Oberwesel.1025) In Trier selbst und seiner unmittelbaren Umgebung gibt es nicht genug erhaltene Inschriften, um den Beginn der Gotischen Minuskel als Monumentalschrift nachzuzeichnen und somit auch keine Grundlage, an der man diesen Entwicklungsschritt der Trenner ablesen könnte. Ob die Nachzeichnung einer Grabplatte zu 1353 mit Majuskeln und Quadrangeln (Nr. 215) zuverlässig ist, sei dahingestellt – die Kombination ist immerhin bekannt. Bezeichnenderweise ist die früheste in Einzelheiten beurteilbare Minuskel von 1382 (Nr. 232) nicht ausschließlich mit Quadrangeln kombiniert. Diese behaupten sich zwar danach lange Zeit, werden jedoch vor allem bei Inschriften in Metall mit Sternen (Nr. 237, 285, 497), Rauten1026) (Nr. 257, 284, 301, 332, 359) und Ranken/Zweigen (Nr. 263), heraldischen Lilien (Nr. 284) und gar Figuren (Nr. 331, 353) sowie kurzen waagerechten Strichen (Nr. 345) kombiniert.

Erst nach der Mitte des 15. Jahrhunderts werden die Quadrangel durch zwei- oder vierseitige Zierhäkchen/-striche weiterentwickelt, zweiseitig erstmals 1444 (Nr. 263), dann 1462 (Nr. 272) und öfter, vierseitig erstmals um 1478 (Nr. 295), aber immer zeitgleich zur weiteren Verwendung der Grundform, falls nicht schon die ordinäre Trennung durch bloße Spatien (Nr. 281, 283, 286, 296 ff.) überwiegt. Es kommt deshalb auch wieder die zusätzliche Aufgabe als Sinn- (Nr. 314) und Verstrenner (Nr. 321) hinzu. Die Worttrennung im hebräischen Titulus (Nr. 396/B) durch erhabene Quadrangel gehört zu den verdächtigen Indizien des Dreisprachentitulus.

Die nächste grundsätzliche Veränderung vollzieht sich mit dem Aufkommen der Kapitalis, indem nun die Quadrangel ergänzt oder ersetzt werden, anscheinend zunächst noch tastend, denn beim Breitbach-Epitaph (Nr. 392) sind Rauten, Dreiecke1027) und Doppelpunkte nur inkonsequent als Sinntrenner gesetzt, nur wenig später und über lange Zeit Quadrangel (Anhang Nr. 43, Nr. 403, 412, 422, 430, 440?, 459, 463, 485, 492,1028) 550, 575, 604, 651, 667, 683, 686, 689, 700/A, 710, 716,1029) 739, 740, 741), Rauten (Nr. 619, 716) oder runde Punkte (erhaben: Nr. 416/B–C, 424/C–D, F, H–I, 430, 447, 551, 673, Anhang Nr. 67, 68; eingetieft: Nr. 500, 502, 527, 538, 558, 574, 586, 596, 607, 616, 630, 650, 653, 671, 681, 682, 701, 708) mit Kapitalis kombiniert, aber oft in klassizierender Weise nur Dreiecke (Nr. 409, 416/E–F, 417, 425, 429/B–C, 430/B, 431, 439, 444, 448/B, 452, 458, 460, 476, 484, 495, 501, 510, 512, 515, 520, 524, 561, 571, 574, 594, 658, 691, 700/B, 716, 735, 764).

Die Worttrennung bleibt vielfach auf einfache Spationierung beschränkt, die auch nur für große Teile von Texten zu beobachten ist (Nr. 394, 396/A, 408, 411, 412, 413, 416/A, 424/A, 426, 431, 453, 455, 459, 460, 470, 474, 476, 484, 485, 487, 492, 496, 498, 501, 506, 510, 513, 517, 518, 519, 538, 545, 557, 559, 560, 562, 567, 568, 573, 580, 581, 583, 588, 591, 597, 598, 603, 606, 609, 610, 611, 625, 628, 631, 632, 635, 639, 639a, 641, 646, 653, 654, 660, 661, 665, 672, 684, 685, 688, 698a, 699, 701, 707, 712, 714, 719, 721, 726, 729, 733, 734, 736, 745, 746).

Hier ist auf zwei Beobachtungen hinzuweisen: Die neuerliche Verwendung des runden Punkts, vorzugsweise des eingetieften, scheint mit dem Wirken der Werkstatt Hans Ruprecht Hoffmann zusammenzuhängen, weil die ersten neuzeitlichen Belege in deren Inschriften vorkommen. In fast allen Beständen reicht die gelegentliche Verwendung von Quadrangeln bis weit ins 17. Jahrhundert – wie man an zahlreichen Registereinträgen ablesen kann; hier sind sie jedoch in besonderer Dichte auf Mönchsgrabplatten aus St. Maximin im 3. Viertel des 17. Jahrhunderts vertreten.

Neben den allgegenwärtigen Dreiecken, Punkten, Quadrangeln und Rauten und ihren Varianten erfanden die Schrifthersteller eine Menge von Sonderformen für Trennzeichen1030) unabhängig von der jeweiligen Funktion. Neben Kombinationen der herkömmlichen Zeichen etwa zu Fünffachpunkten (Nr. 430) oder Quadrangel aus fünf Quadrangeln (Nr. 280) oder fünf Punkten (Nr. 424), [Druckseite 178] nutzten sie nicht nur die antiken Efeublätter („hederae“) (Nr. 2, 20), sondern auch andere Blätter (Nr. 181), Blümchen (Nr. 75), Kleeblätter (Nr. 383), Lilien (Nr. 284) und andere florale Gebilde (Nr. 499/K1), Ranken und Zweige (Nr. 263, 280), Rosetten (Nr. 280, 505, 555, Anhang Nr. 36), sogar Blumenvasen (Anhang Nr. 46). Hinzu kommen eher abstrakte Zeichen wie Andreaskreuze (Nr. 401), Eisenanker (Nr. 664), Kreuze (Anhang Nr. 38, 63), Liebesknoten (Nr. 280), Parallelogramme mit Zierstrichen (Nr. 572a, Anhang Nr. 23), Ringe (Nr. 110, 232, 357, 291/E1FF, 291/E5H, Anhang Nr. 61), Sterbekreuze (Nr. 601), Sterne (Nr. 237, Anhang Nr. 24) und ein w-ähnliches Zeichen (Nr. 589, 625, 639); im Repertoire der Gießer als Bestandteil des Zierfrieses vorgebildet sind Medaillons mit Puttenköpfen, Füllhörnern und teils Lorbeerkränzen (Nr. 633, 634).

Von den großen Linien weichen immer wieder einzelne Produktionen ab. Keine Überraschung sind Doppelpunkte als Kürzungszeichen von Suspensionen (Nr. 692); verdächtig hingegen sind Quadrangel mit Rosetten und runden Punkten bei Minuskel als Hauptschrift auf einer Scheibe von angeblich 1573 (Nr. 505).

In karolingischer Zeit waren es meist Semikola (Nr. 6, 63), mit denen Verse und Sinneinheiten angezeigt wurden, ggf. als Sinntrenner auch früher ein Doppelpunkt (Nr. 2), ein Doppelpunkt aus Dreiecken (Nr. 40, 44), Kommata (Nr. 6), Punkte, teils halbkugelig vertiefte (Nr. 52, 53, 109, 122, 238). Zur Interpunktion im engeren Sinne zählen ein Dreieck mit Zierstrichen (Nr. 474), um den gegenteiligen Sinn auszuschließen, aber auch Doppelpunkte (Nr. 502) und Kommata bzw. Punkte (Nr. 502, 510, 513, 542, 589, 620, 621, 631, 661) zur Markierung von Zäsuren im Vers, auch Sinnabschnitten im Vers und Sinnabschnitten überhaupt. Solche Trennungen folgen oft einer eigenen Logik und werden innerhalb eines Textes nicht immer konsequent gehandhabt; gelegentlich – und das gilt für alle Trennzeichen – sind sie nur schwer von Beschädigungen zu unterscheiden.

Zitationshinweis:

DI 71, Stadt Trier II, Einleitung, 5. Schriftformen (Rüdiger Fuchs), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di071mz11e005.

  1. Anders als für den ersten Katalogteil (DI 70) konnte für die Einleitung Koch, Inschriftenpaläographie (2007) benutzt werden. »
  2. Für weitergehende Vorbemerkungen dazu sei auf DI 29 (Worms) LVI verwiesen. »
  3. Am verläßlichsten geht das mit RICG I, während Gose, Katalog nicht lückenlos abbildet und auch wenig zur Zeitstellung bietet. Gose ist mit Krämer, Frühchristliche Grabinschriften zu ergänzen, dessen Schriftanalyse jedoch vorzugsweise spätantike Inschriften betrifft. Zwischen RICG und Krämer kam es wegen der zeitlichen Nähe des Erscheinens zu keiner Diskussion. RICG setzt jüngere Inschriften tendenziell später an als Krämer. »
  4. Hier soll aber keine Diskussion über die Epochengrenze bzw. ihre lokale Gültigkeit vom Zaun gebrochen werden. »
  5. Koch, Inschriftenpaläographie 45. »
  6. Vgl. RICG I, S. 28 f. zu den Werkstätten im Süden (St. Matthias) und Nr. 130 aus dem Gräberfeld bei St. Paulin. »
  7. Vgl. Koch, Inschriftenpaläographie 45 gegen Kloos, Einführung 6. »
  8. Vgl. Scholz, Karolingische Buchstaben; Scholz, Karolingische Inschrift; Scholz, Gemalte monumentale Inschriften; Koch, Inschriftenpaläographie 101–113. »
  9. Koch, Inschriftenpaläographie 113–117. Zu diesen vor allem im Arelat beheimateten Stücken wird man jetzt auch die zahlreicheren von Melle (Dép. Deux-Sèvres) hinzuzählen müssen, vgl. Une société de pierres : les epitaphes carolingiennes de Melle. Catalogue de l’exposition … Textes redigés … sous la direction de Cécile Treffort. Melle 2009. »
  10. Koch, Inschriftenpaläographie 116 m. Abb. 101. »
  11. Vgl. DI 79 (Rhein-Hunsrück-Kreis II) 4951; das Register verzeichnet 24 Nummern mit Fraktur und noch etliche zu besonderen Ausformungen und Kombinationen. »
  12. Das Aussehen der Inschrift von 1598 bei einer wahrscheinlich älteren Stifterinschrift (Nr. 398) konnte leider nicht ermittelt werden. »
  13. Koch, Inschriftenpaläographie, Abb. 17–19 zeigt noch solche Produkte, die in größerer Menge, aber vermischt mit ganz anderem Material in RICG I zu suchen sind. Aus den jüngeren Grabungen bei St. Maximin dürfte sich die Materialbasis auch im nördlichen Gräberfeld erweitern lassen. »
  14. Wo es möglich war, lehnt sich die Buchstabenbeschreibung an Deutsche Inschriften – Terminologie (1999) an, muß allerdings für dort nicht beschriebene Phänomene eigene Wege suchen, ohne jedoch den dort eingeschlagenen Weg der Terminologiebildung zu verlassen. »
  15. Nach Bauer, Epigraphik 6 ein „christlicher Buchstabe“. Dieser Typ des A ist in der Tat häufig in spätantiken und frühmittelalterlichen Inschriften Galliens bzw. der Rheinlande anzutreffen. »
  16. Unsaubere, ggf. auf Abtretung zurückzuführende Belege wurden nicht aufgenommen. »
  17. Vgl. Koch, Inschriftenpaläographie 45 f. u. 60. »
  18. Man vgl. frühe Belege bei Gose, Katalog Nr. 780 u. RICG I 176. »
  19. Le Blant, Inscriptions chrétiennes I 455 hielt entsprechende Mainzer Schriften für eine Mischung von Runen und lateinischen Charakteren, vgl. auch Bauer, Epigraphik 13. »
  20. Auf diesen statistisch aussagefähigen Umstand macht Koch, Inschriftenpaläographie 45 aufmerksam. Das Phänomen etwa bei Gray, Paleography Nr. 18, 30, 58 kaum belegt und zeitlich weit gestreut. »
  21. U. a. Koch, Inschriftenpaläographie 57 nach Bauer, Epigraphik, der aber nur von „fränkischer“ Monumentalschrift spricht, allerdings die Konzentration dieses Typs auch am Mittelrhein hervorhebt. Kloos, Einführung 116 beschreibt die Formen der „frankisch-rheinischen Inschriften des 7.–8. Jh.“; Fuchs in: DI 29 (Worms) LVIII spricht von dem „von Bauer erarbeiteten rheinfränkischen Typ“. Die Differenzierung von Bauer dürfte bestehen bleiben, da bestimmte Phänomene fränkischer Schrift am Mittelrhein (und anderweitig) eine besonders dichte und konsequente Durchbildung erfuhren – nur insofern gibt es einen „rheinfränkischen“ Stil. Der Begriff „rheinfränkischer Schrifttyp“ fällt dann in Anlehnung an Bauer bei Boppert, Frühchristliche Inschriften 5. »
  22. Vgl. stellvertretend Kloos, Einführung 118. »
  23. Vgl. ebd. 119. »
  24. Vgl. Koch, Inschriftenpaläographie 99 mit Verweis auf Hs. (S. 93 f. u. Nr. 70) und Inschrift (Abb. 75). »
  25. Im letzterwähnten Fall (Nr. 28) zwei nicht verschränkte V für W»
  26. Vgl. etwa den Stein von Tarbat bei Koch, Inschriftenpaläographie, Abb. 75; gemäß der Handschriftenalphabete, ebd. 92–94, kommt der Typ nur früh in Durrow vor, ist also in den Auszeichnungsschriften nicht verbreitet. Das Phänomen ist ohne aufzufallen auch im langobardischen Material vorhanden, vgl. Gray, Paleography, Nr. 26, 30, 34, 50, 51, 53 (1. H. 8. bis knapp ins 9. Jh.). »
  27. Vgl. Koch, Auszeichnungsschrift, Abb. 5–9. »
  28. Vgl. Koch, Inschriftenpaläographie 100. Die Materialbasis insularer Einflüsse hat sich gegenüber Koch, Insular Influences (1996/2001) nur unwesentlich erweitert. Neu gefundenes Material zeigt aber mehr als nur Spuren. »
  29. Bauer, Epigraphik 14 f. »
  30. Vgl. Koch, Inschriftenpaläographie 113 ff. u. oben bei Anm. 912. »
  31. Vergleich möglich bei Koch, Inschriftenpaläographie, Abb. 1 u. 85, die Beobachtung ebd. 104. »
  32. Vgl. ebd. 102–105. »
  33. Die bekannteste Ausnahme ist mittlerweile die gemalte Inschrift in der Lorscher Torhalle, vgl. DI 39 (Bergstraße) Nr. 2, die auch in vielen einschlägigen Publikationen von Scholz behandelt wird. Das Phänomen tritt in Handschriften meist entgegen; denen steht die Lorscher Inschrift auch von der Herstellungsweise näher als viele andere. »
  34. Vgl. oben bei Anm. 911. »
  35. Vgl. Koch, Inschriftenpaläographie 105, 107. »
  36. Festzustellen sind die Neigung zu A ohne die charakteristische Spitze mit Sporn, weniger breitem M mit kurzem Mittelteil, Verkürzung der immer noch stachelförmigen Cauda des R und Stauchung des S»
  37. Wegen der prekären Erhaltung der getriebenen und mit Stegen gebildeten Schriften bleiben diese hier unberücksichtigt. »
  38. Die Varianz thematisiert bei Koch, Inschriftenpaläographie 118 f., 148 f. »
  39. DI 2 (Mainz) Nr. 5. Ein weiteres Exemplar ist die Stifterinschrift am Fischtor, vgl. ebd. Nr. 653»
  40. Die dreifache Wurzel und Ausprägung der monumentalen Schrift vor der Romanischen Majuskel schon bei Fuchs in DI 29 (Worms) LVIII f. Ohne das Modell zu einer Strukturierung zu nutzen, hat Walter Koch, Weg zur Gotischen Majuskel 231–237 die Hauptkriterien als mögliche Wege zur Majuskel benannt. »
  41. Auf den von Wilhelm Berges anhand gut zugänglicher Hildesheimer Inschriften unternommenen Versuch, die Majuskel mittels objektivierbarer, da gemessener, Proportionen zu erschließen, wird hier verzichtet, weil das Verfahren nicht überall durchführbar und schon gar nicht auf nicht autopsierte Inschriften anzuwenden ist, vgl. Berges/Rieckenberg, Älteste Hildesheimer Inschriften 15 ff. Die Kritik zusammengefaßt bei Koch, Wege zur Gotischen Majuskel 230 f.; im einzelnen W. Arnold, Anmerkungen zu Wilhelm Berges’ Edition der Hildesheimer Inschriften, in: Deutsche Inschriften 1984 (1986) 49 f. »
  42. Die Merkmalliste folgt größtenteils zitierend Koch, Wege zur Gotischen Majuskel 231. »
  43. Diesem Wechsel des Duktus unterliegen auch die unterschiedlich dicht gefüllten Zeilen der Willigistür, vgl. DI 2 (Mainz) Nr. 5»
  44. In einer langen Reihe von Siegeln von Herrschern und rheinischen Bischöfsstädten kann man nur wenige mit einer stärkeren Integration von Unzialvarianten herausfiltern, nämlich außer häufigem unzialem E nur unziales A (Irmintrud von Essen 1140–1154, Heinrich I. von Mainz 1143, vgl. Drös, Siegelepigraphik 192 Nr. 25, 194 Nr. 38), unziales H (Arnold II. von Köln 1151, Fälschungen auf Dietrich I. und Liutwin von Trier, vgl. ebd. 191 Nr. 13, 197 Nr. 55 f.), unziales M – symmetrisch oder linksgeschlossen – (Markulf von Mainz 1142, Stadt Mainz, Hillin von Trier 1152 u. 1154, vgl. ebd. 194 Nr. 37, 195 Nr. 40, 197 Nr. 51, 195 Nr. 42), rundes T (Meginher von Trier 1129, vgl. ebd. 196 Nr. 47). »
  45. Zu bedenken ist, daß ab der Mitte des 12. Jahrhunderts die Überlieferung dünn und schlecht erhalten ist und daß davor über zwei Generationen Inschriften aus St. Paulinus dominierten. »
  46. Die beiden unzialen D des Modoaldreliquiars (Nr. 115) wurden hier nicht berücksichtigt. Angesichts dieser Diskrepanz könnte man annehmen, daß es als einziges Objekt nicht in St. Paulinus hergestellt wurde. Auch der Altarstein (Nr. 126) mit unzialem E und rundem T könnte leicht älter sein und dürfte sogar von außen stammen. »
  47. Koch, Wege zur Gotischen Majuskel 240 ff. und ders., Inschriftenpaläographie 204 ff. bleiben auf dem „Weg“ zur Gotischen Majuskel, ohne deren reife Formen zu diskutieren. Koch, Inschriftenpaläographie 211 zeigt anschaulich Entwicklungsschritte in einem Mikrokosmos des Klosters Heiligenkreuz bei Wien. »
  48. Selbst wenn man nicht von „Goldschmiedeepigraphik“, vgl. Neumüllers-Klauser, Fragen der epigraphischen Schriftentwicklung 80, sprechen möchte, dürfte die frühe Öffnung der Hersteller für neue Formen außer Frage stehen, vgl. auch Koch, Wege zur Gotischen Majuskel 240. »
  49. Vgl. Fuchs, in: DI 29 (Worms) LXII. »
  50. Einschlägig Neumüllers-Klauser, Epigraphische Schriften (1990); Fuchs, Übergangsschriften (1990) und vor allem Koch, Sogenannte frühhumanistische Kapitalis (1990) und ders., Epigraphische Vielfalt (2000). »
  51. Der Altar aus den Spanischen Niederlanden ist teilweise mit Majuskeln und Kapitalis in wilder Mischung und daher nicht unverdächtigen Buchstaben beschrieben. »
  52. Nicht berücksichtigt werden hier kurze und prekär erhaltene Inschriften (Nr. 279, 351). »
  53. Vgl. Stefan Heinz, Konkurrenz 157 f. und ders., Der Bildhauer Jakob Kerre und die Kunst der Frührenaissance unter dem Episkopat Richards von Greiffenklau im Erzbistum Trier und seinen angrenzenden Gebieten, Phil. Diss. Trier, siehe jetzt Heinz, Erzbischof Richard von Greiffenklau 161–189 m. diversen Detailabbildungen. »
  54. Vgl. DI 79 (Rhein-Hunsrück-Kreis II) Nr. 66 u. Heinz, Erzbischof Richard von Greiffenklau 104–129 m. diversen Detailabbildungen. »
  55. Einer eigenen Betrachtung sind Ziffern, hebräische und griechische Buchstaben sowie die Minuskel zuzuführen, jeweils am ausführlichsten in der Katalognummer. »
  56. Das für die Werkstatt namengebende Werk, das Metzenhausen-Epitaph im Trierer Dom (Nr. 429), ist keine geeignete Grundlage der Schriftbeschreibung, weil die Hauptinschrift erneuert ist; zu vgl. ist vielmehr hier Nr. 439 und das Epitaph Eltz in Boppard, DI 60 (Rhein-Hunsrück-Kreis I) Nr. 196»
  57. DI 60 (Rhein-Hunsrück-Kreis I) Nr. 196, vgl. vor allem Abb. 187 zur Schüssel des Johannes. »
  58. Die vorliegende Inschrift (Nr. 453) weist geringere Strichstärke auf, die Längenunterschiede der Balken des E sind nicht so ausgeprägt, der untere Balken nicht keilförmig, der I-Punkt ist nicht zu sehen, die Achse des O nicht eindeutig, der Bogen des R ist breiter. Zusammengenommen deuten die Merkmale der Inschrift eher auf die Zeit vor der Metzenhausen-Werkstatt, denn der tiefgezogene Mittelteil des M kommt eher auf älteren Inschriften, etwa der Tafel des Greiffenklau-Altars (Nr. 396) von 1531, vor und ein vergleichbares M und spitzes A finden sich auf dem etwa gleichzeitigen Epitaph Selheim (Nr. 412). Allerdings sind genau diese Merkmale Bestandteil der freilich nur in Kopie überlieferten Bauinschrift von der Kurie Metzenhausen (Nr. 408). Vielleicht sind sie Merkmale einer frühen Entwicklungsstufe der Metzenhausen-Werkstatt oder ihrer Vorgängerin. »
  59. So Kahle, Mittelrhein. Plastik 98–100. »
  60. Die Kapitalis mit ansprechender Proportion, Linksschrägenverstärkungen und R mit kleinem Bogen und geschwungener Cauda stellt ein typisches Beispiel für die Trierer Schriftformen vor Hoffmann dar. Obgleich das erwähnte R und auch die symmetrischen Sporen am T-Balken mit charakteristischen Merkmalen der Werkstätten um Hans von Trier übereinstimmen, fehlen doch für eine schlüssige Zuschreibung konisches M mit tief heruntergezogenem Mittelteil (es ist kein M im Text vorhanden), gebogene und verlängerte Schrägschäfte etwa bei V und die überschlanke Proportion, die vor allem bei A und V zusammen mit der höhergradigen Linksschrägenverstärkung zu charakteristischen Buchstaben bei Hans von Trier führte. »
  61. Man kennt auch keine Glocken aus der Zwischenzeit – die Barbaraglocke (Nr. 400) könnte etwa älter sein. »
  62. Kdm. Bernkastel 39; Autopsie und Schriftdokumentation des Bearbeiters (2002). »
  63. Zu den übrigen Denkmälern vgl. in Kap. 4.6. »
  64. Das folgende im Wesentlichen nach Fuchs, Kapitalis-Inschriften 22 f. »
  65. Eine zusammenfassende Würdigung bei Gebel, Meister Hans Bildhauer 100. »
  66. Für Generalisierungen ist also Fuchs, Hoffmann (1999) nicht mehr aktuell. »
  67. Vgl. die Hinweise bei Nr. 561, Anm. 4. »
  68. Verlängerungen unter die Grundlinie und Schlingen kamen schon bei Hans von Trier vor, freilich nicht in der bei Hoffmann vorliegenden Art. Das Phänomen ist weit verbreitet und gilt selbst im Rhein-Moselraum nur zusammen mit anderen Erscheinungen als Indiz der Hoffmann-Werkstatt, vgl. schon Fuchs, Kapitalis-Inschriften 20, dort auch zum folgenden. »
  69. Vgl. Fuchs, Kapitalis-Inschriften 24. »
  70. Vgl. Fuchs, Kapitalis-Inschriften 27 f. »
  71. Diesem Merkmal wurde früher keine Beachtung geschenkt, vgl. Fuchs, Kapitalis-Inschriften 19. »
  72. Vgl. ebd. 19 u. DI 29 (Worms) Nr. 514»
  73. Vgl. Fuchs, Kapitalis-Inschriften 28 f. auch zu folgenden. »
  74. So Balke, Hoffmann 64. »
  75. Vgl. Fuchs, Fuchs, Kapitalis-Inschriften 26, auch zum folgenden; Weiner, Trierer Bildhauer 299 f. u. 313. »
  76. Vgl. Fuchs, Fuchs, Kapitalis-Inschriften 29, auch zum folgenden; Weiner, Manternach. »
  77. So erstmals angedacht bei Nr. 429, bei Anm. 15. »
  78. Vgl. Fuchs, Kapitalis-Inschriften 30. »
  79. Vgl. Bischoff, Paläographie 163 ff.; Crous/Kirchner, Gotische Schriftarten; M. Steinmann, Textualis formata, in: AfD 25 (1979) 301–327; K. Schneider, Gotische Schriften in deutscher Sprache I. Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300. Wiesbaden 1987, 163 hält den Begriff Textualis formata für unzulänglich angesichts des eigenständigen Charakters der Schrift. »
  80. Vgl. Deutsche Inschriften – Terminologie 46 (mit Beispielzeichnungen). »
  81. Vgl. Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache 63–66. »
  82. Zu den neuen Datierungen der Grabmäler Aspelt und Bucheck vgl. Inschriften Mainzer Dom I, Nr. 7 f. »
  83. Vgl zu Minuskeln in Eberbach DI 43 (Rhein-Taunus-Kreis) LXX f. »
  84. Bisher gibt es nur wenige und vor allem nicht immer abgesicherte Belege vor 1340: 1338, Wandmalerei Burg Neuhaus (Tschechien, Jindřichův Hradec), vgl. Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache 64 m. Abb. 1; 1320/30 Glasmalerei Wienhausen, vgl. ebd. 64 m. Abb. 2, auch DI 76 (Lüneburger Klöster) Nr. 18 zu 2. D. 14. Jh.; 1309–1316 Wandmalerei Wienhausen, vgl. ebd. Nr. 3; 1314(?) Glocke Goslar, vgl. DI 45 (Goslar) Nr. 20; 1314–1317 Lübeck, vgl. Krüger, Corpus mittelalterliche Grabdenkmäler 100, 106; 1312 Grabstein des Steinmetzen Matthias von Köln in Trondheim, vgl. M. Syrett, The Roman-alphabet Inscriptions of Medieval Trondheim. 2 Bde. (Senter for middelalderstudier, Skrifter Nr. 13) Trondheim 2002, Nr. 99, kritisch hinterfragt bei R. Fuchs, in: Collegium medievale 17 (2004) 135; 1324 Grabstein in Mainz-St. Christoph, vgl. DI 2 (Mainz) Nr. 706»
  85. Vgl. DI 77 (Greifswald) 42, nur angedeutet. Vgl. auch Ch. Wulf, Epigraphische Schriften des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit in Niedersachsen, in: W. Koch, G. Mras, A. Zajic (Hgg.), Epigraphische Schriften zwischen Mittelalter und Neuzeit (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters) Wien, in: AfD 63 (2017) 393–419. »
  86. Über die oben skizzierten Frühbelege hinaus ist festzuhalten, daß die Überlieferungssituation zu oft ungleichmäßig ist, um wirklich die erste Umsetzung von Monumentalschrift in Minuskeln zu erkennen. In einigen Beständen, nämlich ab Oppenheim rheinaufwärts muß man mit einer merklichen Verzögerung oder wenigstens Ausdünnung rechnen, vgl. DI 23 (Oppenheim), DI 29 (Worms), pfälzische und nordelsässische Bestände. »
  87. Eine Paläographie der Produktion Nikolaus Gerhaerts wurde noch nicht versucht, ist angesichts der wenigen sicheren Werke und des Wechsels zu einer Kapitalis wenige Jahre nach dem Trierer Engagement, vgl. DI 48 (Wiener-Neustadt) Nr. 98, auch kaum aussichtsreich; siehe auch bei Nr. 272»
  88. Zu vergleichen sind etwa Formen des M nach Haeblers Typenrepertorium der Wiegendrucke. »
  89. Diese wurden im Rahmen der 12. Internationalen Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik (Inschriften zwischen Realität und Fiktion) am 6. Mai 2010 in Mainz kontrovers diskutiert, der Verdacht aber nicht ausgeräumt, siehe Fuchs/Koch, Paläographisches Zwiegespräch 87–89. »
  90. Vgl. Fuchs, Entdeckungen des Epigraphikers. »
  91. Aus einer Werkstatt stammen auch die beiden Platten Cochem (Anhang Nr. 39 f.). »
  92. Auch das wäre ein über eine größere Region und innerhalb der Orden zu verfolgendes Thema. Die so ins Auge gefaßte Studie müßte außer Schriftformen auch andere Parameter umfassen, nämlich Kunst, Buchdruck, Sprache von Inschriften und Dichtung. »
  93. Kloos, Einführung 142. »
  94. Vgl. ebd. 141–143; Deutsche Inschriften – Terminologie 48. »
  95. Diese Kombination gefiel offenbar besser als die älteren mit Majuskeln und der Kapitalis entnommenen Versalien. »
  96. Vgl. die Schriftanalysen in DI 79 (Rhein-Hunsrück-Kreis II) 49–51. »
  97. Vgl. M. Steinmann, Die humanistische Schrift und die Anfänge des Humanismus in Basel, in: AfD 22 (1976) 376–437; Kloos, Einführung 143–153; Deutsche Inschriften – Terminologie 48; mit vielen Schriftbeispielen schon B.L. Ullmann, The Origin and Development of Humanistic Script (Storia e Letteratura, Raccolta di Studi e Testi) Rom 1960. »
  98. Dazu zählen wohl die Denkmäler Sachsen und Strohhut in Mainz, die richtigerweise in die Nähe der Gotico-Antiqua gerückt wurden, und einige andere, die mehr zur Rotunda hinneigen, vgl. R. Fuchs, Tastende Modernisierung der Schrift am Mittelrhein – neue Minuskeln in der Sackgasse (Vortrag in Wien, Okt. 2006), in Druckvorbereitung. »
  99. Kloos, Einführung 143. »
  100. Vgl. Deutsche Inschriften – Terminologie 48–50. »
  101. In nach rechts liegenden Schriften reichen die Schäfte von f und langem s unter die Grundlinie, ebenso das rechte Bogenende des h»
  102. Vgl. DI 60 (Rhein-Hunsrück-Kreis I) LXIV f. u. DI 79 (Rhein-Hunsrück-Kreis II) S. 51 f. »
  103. Vgl. DI 59 (Stadt Lemgo) S. 21. »
  104. Vgl. DI 12 (Heidelberg) XXII. In ebd. Nr. 293 sind auch einstöckiges a und h mit unter die Grundlinie gezogenem Bogen benutzt, was regelhaft nur rechts geneigten Varianten eigen ist. »
  105. Die Reißnadel der Goldschmiede tritt natürlich bei den modernen Renovierungsinschriften entgegen, vgl. Nr. 285, 313»
  106. Es gibt nur wenige Zusammenstellungen unterschiedlicher Zuverlässigkeit, vgl. Georges Ifrah, Histoire universelle des chiffres. Paris 1981, dt. Universalgeschichte der Zahlen. Frankfurt-New York 2. Aufl. 1987; [Fr.] Mauch, Ueber den Gebrauch arabischer Ziffern und die Veränderung derselben, in: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 8 (1861) Sp. 46–50, 81–86, 115–119, 151–153, 189–192, 229–232, und eine Berichtigung von J. Marmor, ebd. Sp. 268 f.; Hill, Arabic Numerals; Topitz, Alte Ziffer-Jahreszahlen. »
  107. Vgl. Mauch (wie Anm. 1009) Sp. 49; Topitz, Alte Ziffer-Jahreszahlen 142. »
  108. Die Zahl 1490 auf der Baden-Tumba (Nr. 291/F2A) und die Zahl 1498 auf der Bleitafel zur Indulgenz an St. Martin (Nr. 323) sind modern, die Zahlen 1479 auf zwei Fenstern der Andreaskapelle (Nr. 293/H, 293/I) sind höchst verdächtig. »
  109. Die aufgerichtete 7 zum Beispiel – willkürlich herausgegriffen – 1527 in Baden-Baden, vgl. DI 78 (Baden-Baden u. Rastatt) Nr. 230»
  110. Zugrundegelegt wurde nur der intensiver edierte Ausschnitt bei Gauthier, vgl. RICG I Nr. 10, 93, 112, 168, 172, 211, 235a, 236i. »
  111. Vgl. ebd. S. 78. »
  112. Vgl. Embach, Trierer Literaturgeschichte 121–150. »
  113. Die Kombination von Chrismon und Apokalyptischen Buchstaben ist selten (Nr. 6, 140). »
  114. Vgl. stellvertretend Meyer, Einführung 36 f. »
  115. Vgl. willkürlich herausgegriffen RICG I Nr. 6, 194. »
  116. Vgl. ebd. Nr. 170. »
  117. Vgl. DI 29 (Worms) Nr. 4»
  118. Vgl. dazu die entsprechenden Lemmata im Register 9 sub Sinn, Vers- und Worttrenner. »
  119. Das heißt nicht, daß es keine anderen Bilder gegeben hätte, so etwa in Beständen mit vielen Glocken. »
  120. Vgl. DI 2 (Mainz) Nr. 33 u. 37, jetzt in neuer Beurteilung Rüdiger Fuchs, Britta Hedtke, Susanne Kern: Mainz, Nr. 38, in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di002mz00k0003800 und 3900. »
  121. Vgl. DI 2 (Mainz) Nr. 36, neu bei Rüdiger Fuchs, Britta Hedtke, Susanne Kern: Mainz, Nr. 37, in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di002mz00k0003702»
  122. Vgl. DI 60 (Rhein-Hunsrück-Kreis I) Nr. 3235»
  123. Rauten und Quadrangel sind insbesondere bei Steinmetzarbeiten nicht immer zu unterscheiden. »
  124. Dreiecke schon bei Minuskel-Inschriften (Nr. 354). »
  125. Quadrangel ausschließlich zur Abtrennung von Zahlen. »
  126. Hier mit Dreiecken und Rauten. »
  127. Nicht behandelt werden hier die seit dem Spätmittelalter benutzten Worttrennstriche am Zeilenende. »