Inschriftenkatalog: Stadt Trier I
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 70: Stadt Trier I (2006)
Nr. 101† Trier-Pfalzel, ehem. Stift St. Maria 11. Jh.?
Beschreibung
Grabinschrift der Adela. Wahrscheinlich in der Wand der Evangelienseite des Chores, spätestens in der Säkularisation verschwunden.1) Zum Testament der Adela wurde in der Handschrift 1678, einer bunten Mischung von Pfalzeler Zeugnissen zum Salbuch des 16. Jahrhunderts, nach der Überschrift „Fundatio ecclesie beate Marie Pallatioli per sanctam Adelam filiam Dagoberti regis Francorum“ ein Text überliefert, der nach Heyen zumindest im ersten Teil eine Grabinschrift darstellt. Man wird aber angesichts ähnlich erweiterter Grabbezeugungen des 11. Jahrhunderts für gleichfalls lange verstorbene Trierer Bischöfe den gesamten oder wenigstens größeren Teil des Textes als Inschrift ansehen dürfen. Vielleicht ist der Träger identisch mit dem von Brouwer geschilderten Grab von sieben Fuß Länge und drei Fuß Höhe (elatum), das nach Liehs2) mit der Aufhebung des Stifts 1802 verschwand – er wäre also groß genug gewesen. Über die Verarbeitung des ursprünglichen Inschrifttextes kann man nur Mutmaßungen anstellen; man weiß nicht, was von dem wie eine frühmittelalterliche Grabinschrift aussehenden Text aus einer solchen bzw. einer Nachschaffung stammt und was der Kompilator sozusagen aus dem nachfolgenden Testament regestierend eingebaut hat. Die Inschrift könnte auch raffend und damit kürzer gefaßt gewesen sein.
Nach Handschrift 1678/343.
Hic requiescit beatissima virgo Adela filia quondam illustrissimi principis Dagoberti regis Francorum fundatrix huius monasterii quae postquam praesens monasterium Palatiolense construxerat illud quoque praediisa) et ornamentis ecclesiasticis copiose ditaverat consilio et petitione totius quam ibi adunaverat congregationis ipsum monasterium et quicquid ad illud pertinere videbatur per testamenti paginam ecclesiae Trevirensi sanctoque Petro tradiditb)
Übersetzung:
Hier ruht die allerseligste Jungfrau Adela, Tochter des höchstvornehmen Fürsten Dagobert, Königs der Franken, Gründerin dieses Klosters, die, nachdem sie dieses Pfalzeler Kloster errichtet und jenes mit Gütern und kirchlichem Zierat reich ausgestattet hatte, auf Rat und Bitten des ganzen Konvents, den sie dort versammelt hatte, dieses Kloster und alles, was dazuzugehören schien, durch testamentarische Urkunde der Trierer Kirche und dem heiligen Petrus übergeben hatte.
Textkritischer Apparat
- Danach in eckigen Klammern Treverensi tradidit bei Heyen in der Ms.fassung (2003) zu ders., St. Marien-Stift Pfalzel 39, anscheinend durch ein Mißverständnis aus Wampach, UB Luxemburg.
- contradidit Libellus de rebus Trev. cap. 16, ed. Waitz, MGH SS 14, 105 Z. 41. Es folgt in Hs. 1678 u. Libellus „quod videlicet testamentum subscribere non piguit“, was wie ein sich distanzierender Vermerk zum nachfolgend abgeschriebenen Testament Adelas aussieht, vgl. auch bei Anm 4.
Anmerkungen
- So vermutet bei Heyen.
- Vgl. Liehs, Leben und Thaten d. Hll., Fortsetzung II, 307 Anm. **.
- Anscheinend eine typische Grabbezeugung an Heiligengräbern, vgl. Komm, Heiligengräber 136.
- Vgl. die Urkunde bei Wampach, der die Passage „Ideo placuit ... et pontificum ipsius ecclesie“ zu den verderbten Stellen rechnete, vgl. ebd. S. 26 Anm. 29.
- Vgl. Heyen, Pfalzel 1966, 67.
- So schon Kraus, Fragment 122-125, ihm folgend Heyen, Pfalzel (1966) 71 gegen Waitz in der Edition des Libellus (wie Anm. b) Anm. 1, der den Libellus nach 1016 datierte, weil die im Kapitel über Äbtissin Ruothildis gemachten Aussagen über „canonissae“ schon die Einsetzung von „monachi“ voraussetzten, was nicht stimmig ist, siehe Heyen, Pfalzel (1966) 18 f. u. Nr. 71. Noch Poensgen, Geschichtskonstruktionen 135 ff., bes. 138, datierte so früh, allerdings weniger aus formalen, als aus Gründen der Interpretation – dieser Ansatz wurde bei aller Kritik von H. Thomas, in: Rhvjbll. 41 (1977) 364-366 nicht in Frage gestellt. Ewig, Trier im Merowingerreich 123 f. hatte auf Ende 11. Jh., Gauthier, L’évangélisation 331 hatte auf 1. H. 11. Jh. datiert.
- Vgl. Werner, Anfänge 10 ff.; ders., Adelsfamilien 180. Kölzer, Urkundenfälschungen St. Maximin 255 konzedierte, daß der Libellus jünger ist als die Vita, bezweifelt aber den Nachweis ihrer Benutzung.
- Vgl. Kölzer, Urkundenfälschungen St. Maximin 252 ff. Dieses Ergebnis wurde etwa in den Rezensionen von E. Hlawitschka, in: Rhvjbll. 57 (1993) 389, und von L. Morelle, in: Francia 19/1 (1992) 300 f. hervorgehoben.
- Vgl. Kölzer in MGH DMerov. II 872.
- Vgl. Diehl, ILCV III 442 f.
- MGH DDMerov. I †70 u. †132.
- Vgl. MGH DH IV. 354. Im Übrigen sind Superlative wie „illustrissima prosapia“ oder ein „nobilissimus dux Hugobert“, Vater der Plektrud, hochmittelalterliche Praxis der Vita s. Irminae, vgl. bei Chronicon Epternacense auctore Theoderico monacho 1 u. 6, ed. G.H. Pertz, MGH SS, 23, 48 f., oder mit „Childebertus gloriosissimus rex“ der Vita Willibrordi auctore Thiofrido monacho 12, ebd. 23.
- MGH DMerov. I †33.
- Durchaus vergleichbar ist die Beschriftung des Grabmals der heiligen Christina in Sainte-Christie (Dép. Gers) mit HIC REQVIESCET BEATA CHR(IST)INA VIRGO ... von 989, vgl. CIFM 6 (Gers) 69, vgl. auch Anm. 3.
Nachweise
- StB Trier, Hs. 1678/343, fol. 166r-v, neu fol. 87r.
- Wampach, UB Luxemburg I Nr. 19, S. 20 Anm. 12.
- Heyen, St. Marien-Stift Pfalzel 39.
Zitierhinweis:
DI 70, Stadt Trier I, Nr. 101† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di070mz10k0010107.
Kommentar
Weil der Text noch keinen Bezug zum Männerstift Erzbischof Poppos erkennen läßt, soll er nach Meinung Heyens noch zu Zeiten des Frauenkonvents entstanden sein, vielleicht während der Kontroverse um seine Aufhebung; er wäre dann mit der Translation 1207 (Nr. 167 f.) an die Chorwand der Evangelienseite übertragen worden. Diese Frühdatierung ging einher mit dem frühen Ansatz des Libellus de rebus Trevirensibus, der noch zu diskutieren sein wird und nicht haltbar ist. Entstand der Text später, unterstreicht er vor allem die Unterordnung des Konventes unter den Erzbischof – dann muß der neue Konvent nicht ausdrücklich genannt sein.
Unter der Voraussetzung, daß die Inschrift wirklich die Übertragung des Klosters an die Trierer Kirche beinhaltet, könnte man sich die Inschrift auch in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts oder gar gegen dessen Ende vorstellen, als mit eben derselben Eingangsformel Hic requiescit3) – oder einer ähnlichen – Grabinschriften von Trierer Bischöfen der Spätantike und des Frühmittelalters nachgeschaffen wurden und zwei davon über besondere Ereignisse der Lebenszeit Auskunft geben: Die Inschrift von Bischof Felix I. (Nr. 106) berichtet über den Bau der Marienkirche, später St. Paulinus, über den Gräbern der Trierer Märtyrer und die Überführung der Gebeine des Paulinus; die des Modoald (Nr. 112) erinnert an die Schenkung König Dagoberts I., die im Domstift kurz vor 1000 gefälscht worden war. Beiden Inschriften fehlt übrigens wie hier die Angabe des Todestages, so daß die Ausrichtung nicht auf die Memoria der verstorbenen Person zielt, sondern auf die Fixierung der erinnernswerten Leistung. Der vorliegende Text könnte also von Fälschungen zum Komplex Oeren-Pfalzel inspiriert worden sein. Auch dürfte die Interpolation in die Adela-Urkunde bzw. die Verfälschung ihres Testaments vor allem den letzten Passus betreffen, wo es in inhaltlicher und teils wörtlicher Übereinstimmung sowohl mit dem scheinbaren Inschrifttext als auch mit einer Passage des Libellus de rebus Trevirensibus heißt: „Ideo placuit nobis cum consilio supradictae congregationis ut ipsum monasterium et quicquid ad ipsum monasterium pertinere videtur sit sub regimine pontificum ecclesiae Trevericae catholicae sancti Petri subditum omni tempore et sit sub defensione et mundiburgio prefate ecclesiae publicae Trevericae et pontificum ipsius ecclesie“.4) Der Libellus hat einen zur angenommenen Inschrift noch näheren Text, der ohne Grabformel und Erwähnung des Vaters Dagobert mit „Beatissima ... Adela postquam ... piguit“ nur noch eine einzige weitere Variante in „contradidit“ aufweist; dieser Text steht unmittelbar vor dem Testament. Unabhängig von der Zeitstellung des Libellus kann es eine historische Reflexion gegeben haben, die freilich einen klaren Anstoß im von der Fälschungsaktion begünstigten Hochstift hatte. Das wäre nur der Fall nach der Umwandlung in ein Männerstift, das klar vom Trierer Hochstift kontrolliert wurde. Auch von dieser Seite verdichten sich die Indizien für eine relative Spätdatierung. Die ist ohnehin nicht auszuschließen, wenn man die „Erfindung“ der Dagobert-Tradition einem Lesefehler des Kompilators des Libellus zuschreibt, da andere Belege zur Dagobert-Filiation der Irmina von Oeren nach der Mitte des 11. Jahrhunderts liegen.5)
Als maßgebliches Hindernis für eine Spätdatierung der Inschrift könnte sich die fast wortgleiche Passage im Libellus de rebus Trevirensibus erweisen, sofern man ihn noch zu Beginn des 11. Jahrhunderts, jedenfalls vor die Schließung des Pfalzeler Konvents durch Erzbischof Poppo 1016, ansetzt.6) Dieses Hindernis wurde jedoch gleich zweifach mit formalen Argumenten ausgeräumt: Matthias Werner setzte voraus, daß der Libellus die Vita s. Irminae des Thiofried von Echternach benutzte, die vor 1081 entstand, aber nicht vor der Mitte des 11. Jahrhunderts.7) Theo Kölzer präzisierte Zweifel hinsichtlich der Entstehung des DO. III 368 für Oeren, indem er es per Schriftvergleich als Fälschung noch unter Erzbischof Eberhard um 1065 erweisen konnte; da es in den Libellus kopiert worden war, kann dieser nur danach entstanden sein.8)
Was spricht noch für eine Entstehung einer Inschrift in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts? Anders als im Testament und an anderer Stelle im Libellus ist König Dagobert nur in der angenommenen Inschrift mit einem Epitheton geschmückt. Zwar kennt man in vielen Spuria auf die Merowingerkönige Begriffe wie „vir inluster / illuster / illustris“9), auch kommt das Epitheton in frühchristlichen Inschriften vor10), „rex invictissimus“ kennt man aber nur aus zwei Spurien auf Merowinger11), ein Begriff, der im 11. Jahrhundert durchaus vorkommt und einmal sogar zu „rex illustrissimus“ verlesen wurde12). Bezeichnenderweise redete das Trierer Dagobert-Spurium für Modoald13) die Empfänger als „viris illustribus, ducibus, comitibus ...“ an. Sollte König Dagobert in der Inschrift ein Epitheton erhalten, mußte das natürlich eine Steigerung erfahren und da bot sich der Superlativ zum Epitheton seiner Männer in seiner angeblichen Urkunde geradezu an. Mit ditaverat wurde außerdem derselbe Wortstamm wie in der Modoald-Inschrift (Nr. 112) benutzt, die ja gleichfalls an eine Schenkung der Dagobert-Zeit erinnert. Auch die Grabbezeugungsformel am Anfang einer hochmittelalterlichen Inschrift scheint ein relativ spätes Phänomen zu sein: Bei den Bleitäfelchen der Bischöfe im Dom setzt sie mit Udo (†1078, Nr. 93) ein, und bei den Gräbern von Bischöfen in St. Paulinus, also bei Bonosus (Nr. 104), Felix (Nr. 106) und Abrunculus (Nr. 103), muß man ebenfalls von einer Herstellung nach der Mitte des 11. Jahrhunderts, vorzugsweise nach 1072, ausgehen. Die einzige Ausnahme in Trier, die Inschrift für Simeon (Nr. 73), wird zwar nahe seinem Tod 1035 bzw. vor seiner Heiligsprechung 1035/36 zu datieren sein, betrifft aber wie die Inschrift Adelas ein Heiligengrab.14)
Bedenken gegen die Existenz des Textes als Inschrift bestehen freilich fort, weil er nicht als solche bezeichnet und nicht bei Brouwer aufgenommen ist, der mehrere Inschriften im Stift Pfalzel gesehen hatte, das erst in der Säkularisation stark verändert wurde. Ungeklärt ist auch die Beziehung des Textes zur Grabplatte der Adela (Nr. 167), die mit der Translation von 1207 zusammengesehen wird.