Inschriftenkatalog: Stadt Trier I
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 70: Stadt Trier I (2006)
Nr. 1 Rhein. Landesmuseum, aus St. Maximin bzw. vom nördlichen Gräberfeld(?) E. 6.-A. 8. Jh.
Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]
Beschreibung
Grabstein des Flodericus/Floderich bzw. Hlodericus/Hloderich, 1817 im Inneren der St. Maximinkirche gefunden; der Stein stammt also aus dem alten Coemeterialbau, kaum vom weiteren nördlichen Gräberfeld. Er hängt heute im 2. Untergeschoß des Museums im Flur bei den Steinen des nördlichen Gräberfeldes (Inv. d. Sammlung d. kgl. Regierung C 96, Verzeichnis der in der Porta Nigra ... aufbewahrten ... Skulpturen Nr. 189). Die Platte aus grauem Marmor umlief ein nach innen mit einer Linie abgegrenztes Wellenmuster, das heute noch oben und rechts vorhanden ist; die Platte ist mit sechs Inschriftzeilen beschrieben, im freien Feld darunter von links drei Tiere, ein Kelch und ein weiteres Tier, das erste vielleicht ein Krokodil oder gar ein Fisch oder vielmehr eine Eidechse (jedenfalls vierfüßig, mit dem Kopf eines Reptils, dem Schwanz eines Fischs und einer Rückenflosse),1) zweitens ein Fisch, den Krater oder Kantharos (keinesfalls einen Lebensbaum, so Böhner) flankierend zwei Vögel, gemeinhin als Tauben angesehen, aber vielleicht auch Pfaue(?). Die Platte ist aus sechs Teilen zusammengesetzt, im rechten Viertel ist ein alle Zeilen schneidendes Stück der Platte ausgefallen und mehr oder weniger kunstvoll mit Nachempfindung der Buchstaben geflickt worden. Heute greift die Ausbesserung über ihre in älteren Abbildungen erkennbare Grenze hinaus.
Maße: H. 22, B. 48, Bu. 1-2 cm.
Schriftart(en): Vorkarolingische Kapitalis.
+a) HIC REQVIES DATA FLODERICIb) MEMBRAc) SEPV[L]CRVMd) /QVI CAPVSe) IN NOMERO VICARII NOMINE SVMSITf) /FVIT IN PVPVLO GRATVS ET IN SVO GENERE PR[I]MVS /CVI VXOR NOBELIS PRO AMORE TETOLVM FIE[RI] IVSSIT /QVI VIXIT IN SAECVLO ANNVS PLVS MENVS [..]Lg) / CVI DEPOSICIO FVIT IN SAECVLO VII [KAL(ENDAS) AVG]VSTAS
Übersetzung:
Hier ist den Gliedern des Flodericus/Hlodericus Ruhe und Grab gegeben. Er nahm die Spitze in der Rangfolge durch den Namen eines Vicarius ein, beim Volk war er beliebt und erster in seinem Geschlecht; ihm ließ die edle Gattin aus Liebe den Grabstein stellen. Er lebte in der Welt ungefähr .. Jahre, sein Begräbnis in der Welt fand statt am 7. Tag vor den Kalenden des August (26. Juli).
Versmaß: Zwei Hexameter (Z. 1-2), zwei akzentuierende Hexameter (Z. 3-4).2)
Textkritischer Apparat
- Monogrammatisches Kreuz.
- Gegen ältere Lesungen des Wortanfangs als Nexus von H und L, so etwa bei Hettner und Kraus, warf Gose ein, diese Stelle besäße dann den einzigen Nexus der Inschrift, außerdem sei der Balken des L hier singulär nicht nach oben gebogen. Gose weist weiter auf unten umgebogene Schaftenden beim zweiten N in NOMINE und T hin, aber das sind andere Phänomene und bei dem H nicht anzunehmen; HODERICI schon in CIL. Gauthier lehnte in RICG die Überlegungen Goses kategorisch ab und ging von einer sicheren Lesung des Nexus HL aus. Dem ist aber nicht so: Festzuhalten ist der geringe Abstand der beiden Schäfte und das Fehlen eines durchgezogenen Balkens; an dessen Stelle findet sich ein verstümmelter Balken, der keine Verbindung zum rechten Schaft aufweist, jedoch etwas näher an dem linken sitzt und, wie schon Le Blant bemerkte, auf ein gebohrtes Loch reduziert scheint. Dieses Phänomen ist allerdings hier nur typisch für die Buchstaben E und F. Wie sonst auch bei F scheint der Schaft etwas nach unten verlängert, hier freilich nur wenig gegenüber dem L. Auch knapp rechts oben am oberen Ende des linken Schafts existiert eine Vertiefung, die man als oberen Balken eines F ansehen könnte; wie die oberen Enden anderer Buchstaben reicht diese Vertiefung in die Lineatur des Schmuckbandes hinein. Auch sieht das H am Beginn der Inschrift ganz anders aus. Die Lesung FL wurde bisher überhaupt nicht erwogen.
- Sic statt MEMBRIS.
- Nach Gose wohl Apposition, nach RICG vielleicht metrisch bedingt statt IN SEPVLCRO.
- Sic für CAPVT, vgl. RICG mit dem Hinweis auf CIL VI Nr. 29849a: ROMA CAPVS MVNDI; nicht CARVS wie Lersch und Le Blant.
- Sic, nicht SVM[P]SIT wie RICG und ältere wie Kraus; beide Buchstaben am Riß sind teilweise erhalten, ein P ist im knappen Raum nicht nachzuweisen.
- Vielleicht auch I, so Le Blant und nicht ausgeschlossen bei RICG, wegen der sonst bei I durchaus vorkommenden Balkenansätze bzw. Knicke am Schaft. Im Falle des ausgehenden L, müßte man X ergänzen, was den Platz aber nicht ausfüllt. Die Ergänzungsversuche sind alle nicht überzeugend: lxxIx v. Florencourt zu 71, LXXI Schmitt, LXI Hettner, LX Diehl, RICG erwägt sogar XXL für XXX.
Anmerkungen
- Ein zweiter Fisch nach RICG, ein Krokodil nach Hettner u. a., denen Böhner, Fränkische Altertümer I 242 folgte und hier wie sonst noch mehrfach ägyptische Einflüsse in Trier feststellen wollte – angesichts der Spätdatierung des Steins ist das abwegig. Andere Interpretationen, der christliche Fisch würde von einem feindlichen Tier bedroht, sind mit RICG gleichfalls abzulehnen. Es handelt sich auch nicht nur um eine späte, d. h. germanische, Wiederbelebung des frühchristlichen Symbols, sondern um die Darstellung der „tria genera animantium“ aus Gen 1, 20-28, vgl. Elbern 151, der darauf hinweist, daß Paulus (1 Kor 15,39 ff.) die Auferstehung reflektierend neben dem Menschen drei Arten von Lebewesen aufführt, nämlich Vieh, Vögel und Fische. Elbern kannte nicht das Metzer Steinchen (RICG I Nr. 254), das rechts ein Monogramm flankierend Hirsch und Fisch zeigt – die linke Seite ist leider verloren. Es wird gleichfalls ins 7. Jahrhundert datiert, wie Elbern für den Flodericus/Hlodericus-Stein forderte.
- Gegen Hettner und Gose, die die ersten vier Zeilen als Hexameter ansprachen, wovon nur die ersten beiden prosodisch akzeptabel sind, meinte Gauthier in RICG, daß der Text ab der dritten Zeile in die Prosa wechsele; Lersch und Klinkenberg hatten dort noch rhythmische Verse mit je sechs Hebungen gesehen, ohne Gauthier zu überzeugen; es handelt sich annähernd um akzentuierende Hexameter.
- Vgl. Foerster, Latein. Paläographie Abb. 4, 8.
- Vgl. Förstemann, Personennamen Sp. 854; Morlet, Noms de personne I 132 ff.
- Vgl. Gregor von Tours, Hist. Franc. II, 37 u. II, 40.
- Vgl. RICG nach einer Urkunde wohl Childeberts III. von (694), d. i. MGH DMerov. 143, u. H. d’Arbois de Jubainville, Études sur la langue des Francs à l’époque mérovingienne. Paris 1900, *164-*168. Wenige Jahre davor wurde derselbe Abt von St-Denis Chaino bzw. Chaeno genannt, und das alles in Originalen, vgl. MGH DDMerov. 121, 131, 136-138, 142. Der Stein eines HARI- (Nr. 11) wurde ebenfalls spät datiert, der eines Burgunders HARIVLFVS dagegen noch in die Spätantike, vgl. RICG I Nr. 5* – die germanische Lautung muß nochmals überprüft werden.
- Vgl. RICG nach einer Urkunde Childeberts III. (709), d. i. MGH DMerov. 155: Leodefridus neben Leodfridus und Leudfridus. In Gregor von Tours, Hist. Franc. II, 37, ed. Krusch/Levison, MGH SS rer. Merov. I, 87 Chlodericus in Hs. B (Cambrai 624 = 7. Jh., Brüssel 9403 = 8. Jh. oder wie Krusch Ende 7. Jh.).
- Vgl. Gregor von Tours, Hist. Franc. X, 5. Belege für die Nachordnung zum Grafen schon seit dem Guntram-Edikt von 585 bis weit in die späte Karolingerzeit, vgl. Mediae latinitatis lexicon minus Sp. 11090.
- Vgl. Chantraine, Rezension 838 f.; ähnlich vorsichtig Krämer, Titel 22.
- Vgl. Ament, Epigraphische Selbstzeugnisse 771 f. Die alte Meinung Le Blants, IN SVO GENERE PRIMVS stelle den Spitzenrang der VICARII dar, gilt heute nicht mehr.
- Vgl. definitiv adlig Ludubertus (Nr. 22), herausgehoben auch Modoald (Nr. 6), vielleicht auch Hari- (Nr. 11) und Ebraharius (Nr. 10), gewiß später auch Gozmar (Nr. 39).
- Vgl. RICG I Nr. 126.
- Vgl. zur Lebensformel mit zahlreichen Vulgarismen Vogel, Merowingische Funde, Katalog der Grabsteine Nr. 1, 2, 17?, 27, 28, 32, 33, 35-37, 44, 52, 53, 56-58, 66, einmal sogar, Nr. 29, in der Sterbeformel mit DISCESSIT DI SECOLO; alle 6.-7. Jh. nach Vogel. Siehe zur Formel auch DI 111 (Lkrs. Mayen Koblenz I) Nr. 10, 11, 13, 15, 19, 21, 23, …, 58, 59, 60 und ebd. S. 31.
- Alle nachfolgenden Erklärungen und Belege werden der freundlichen Hilfe von Prof. Dr. Wolfgang Haubrichs, Saarbrücken, verdankt, briefliche Mitteilung vom 12. Nov. 2004.
- Vgl. W. Haubrichs, Fränkische Lehnwörter, Ortsnamen und Personennamen im Nordosten der Gallia, in: Die Franken und Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich“ (496/97), hg. von D. Geuenich (Erg.bd. zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 19) Berlin-New York 1998, 102-129, hier 114 f.
- Wolfgang Haubrichs verweist hierzu auf (in Auswahl): 1. Marii episcopi Aventicensis Chronica (455-581), ed. Th. Mommsen, MGH AA 11, 2, Berlin 1894, 235 (ad a. 524): „flodomerem“ für Chlodomer in Ms. London BM 16974, Quellenzeit 581, Kopie 10. Jh.; 2. Isidor von Sevilla, Hist. Gothorum etc. Recensio prolixior, ed. MGH AA 11, Berlin 1894, 281: „Fludvicus“ bzw. „Fludivius“, Quellenzeit 624, Kopie 9. Jh. – da alle Hss. FL haben, geht diese Schreibung wohl auf den Archetyp zurück; 3. Königsurkunde Sigiberts III. für Stablo, MGH DMerov. 81: „Flodulfi“, Quellenzeit 643/648, Kopie 10. Jh., was wegen vielfältiger Romanisierungen auf die originale Schreibweise der Stabloer Vorlage zurückgehen dürfte.
- Haubrichs (wie Anm. 14) nach Felder, Personennamen 155 f.
- Vgl. Krämer, Frühchristliche Grabinschriften 120 ff.
- Vgl. RICG I Nr. 38, 61, 170, 174, 175, 216; davon wurde in RICG nur I Nr. 170 (Ursinianus) spät datiert, und zwar gegen die gesamte ältere Forschung.
- Hinweis von Prof. Dr. Sebastian Scholz (Zürich) vom 26. Mai 2010.
Nachweise
- M. F. J. Müller, in: Trier. Wochenblatt 44 (29. Okt. 1820).
- Lersch, Centralmuseum III Nr. 55.
- W. Ch. v. Florencourt, Epigraphische Mittheilungen aus Trier, in: Bonner Jbb. 5/6 (1844) 331-335, hier 331-335 Nr. 111.
- Schmitt, Kirche des hl. Paulinus 368.
- Steiner, Sammlung u. Erklärung Rheingebiet Nr. 5.
- Steiner, Sammlung u. Erklärung Donau u. Rhein Nr. 5.
- F. Becker, Die Darstellung Jesu Christi unter dem Bilde des Fischs auf den Monumenten der Kirche der Katakomben. Gera 1876, 72 m. Abb.
- Le Blant, Inscriptions chrétiennes I Nr. 261 u. Abb. 163.
- Kraus, Christliche Inschriften I 78 Nr. 153 u. Taf. X, 31 u. XVII, 2.
- Hettner, Steindenkmäler Nr. 393.
- Buecheler, Carmina Nr. 792.
- CIL XIII Nr. 3683.
- Riese, Rhein. Germanien Nr. 2546.
- Diehl, ILCV 444.
- H. Leclercq, Art. ΙXΘΥΣ, in: DACL VII,2 (1927) Sp. 1990-2086, hier 2044 Nr. 86 m. Abb. 6097.
- Leclercq, Art. Trèves Sp. 2747 Nr. 40 m. Abb. 11171.
- Gose, Katalog Nr. 440 m. Abb.
- Förster, Katalog frühchristliche Abteilung 41 f. Nr. 33.
- V. H. Elbern, Der Grabstein des Vicarius Hlodericus, in: Aachener Kunstbll. 43 (1972) 143-153, 153 Anm. 2 u. Abb. 1.
- RICG I Nr. 135 m. Abb.
- Ament, Epigraphische Selbstzeugnisse 771.
Addenda & Corrigenda (Stand: 01. Oktober 2024):
Hinweis zur Datierung: Die Spätdatierung lässt sich auch durch die Verwendung des Wortes NOBILIS beim fränkischen Adel seit dem 7. Jahrhundert wahrscheinlich machen (Freundlicher Hinweis von Prof. Dr. Sebastian Scholz, Zürich, mail vom 26.5.2010).
Hinweis zum Kommentar: Der letzte Satz mit Anm. 20 wurde hinzugefügt, ebenso wie der zweite Satz in Anm. 13.
Nachweise
- Steiner, Codex inscriptionum romanarum Danubii et Rheni (= Codex inscript. III) Nr. 1755.
Zitierhinweis:
DI 70, Stadt Trier I, Nr. 1 (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di070mz10k0000101.
Kommentar
Die kurzen Zeilen 2, 3 und 5 sind jeweils mit einem Haken abgeschlossen. Die Schrift weist im Duktus und Niveau sowie bei den Einzelformen bemerkenswerte Besonderheiten auf, mit denen trotz Abweichungen zu anderen Steinen eine relative Spätdatierung gestützt werden kann: Die schlanken und gedrängt stehenden Buchstaben zeigen häufig Abweichungen von der Grundlinie und der Senkrechten, sodann Unregelmäßigkeiten in Buchstabengröße und Spatien, auch eine nachlässig bis unkundige Behandlung der Kerbe und des Strichs überhaupt (nach v. Florencourt eine „cacographische Form“), aber insgesamt keine germanisierende Schaftverlängerung, sondern die höchst unvollkommene Nachahmung der römisch-christlichen Schrift. Festzuhalten sind allerdings A mit geknicktem Mittelbalken, einmal offenes B (NOBELIS), teils fast eckiges C (FLODERICI, CAPVS, VICARII, SAECVLO), allerdings auch ein sich der Kursive näherndes (4. Zeile CVI), extrem schmales E, dessen Balken gelegentlich auf Punkte reduziert erscheinen, F mit kurzem, tief ansetzendem Mittelbalken und oben nach links umgebogenem (bes. in 3. Zeile FVIT), unten unter die Grundlinie reichendem Schaft (bes. in 6. Zeile FVIT), I mit mehrfach oben nach links, unten nach rechts umgebogenem Schaft; L mit hoch- oder sogar eingebogenem Balkenende (NOBELIS, SAECVLO), in NOBELIS, TETOLVM, SAECVLO, KALENDAS das obere Schaftende nach links gebogen, M mit schrägen Außenschäften und bis zur Grundlinie heruntergezogenem Mittelteil, N teilweise mit rechts eingezogenem Schrägbalken, O mit unregelmäßiger Rundung, offenes P, Q einmal mit aus dem offenen unteren Bogenende herausgeführter Cauda, offenes R, die Cauda meist gerade, S mit mehrfach scharf gekrümmten Bögen und langem geradem Mittelteil, was einem umgekehrten Z nahekommt, T mehrfach mit geschwungenem Balken und unten umgebogenem Schaft, verjüngtes X mit kurzem Schräglinksschaft und weit oben geschnittenem und leicht gewölbtem Schrägrechtsschaft. Etliche dieser Besonderheiten sind nicht bloß Degenerationen der spätantiken Kapitalis, sondern können hier stärker als bei anderen Inschriften auf Einflüsse geschriebener Schriften zurückgeführt werden, wenngleich die Ausführungsqualität nur gering ist. Während die Typen von E, S und T schon in der Capitalis rustica vorkommen, scheinen die umgebogenen Schäfte bzw. balkenartigen Ansätze oben links den Anstrichen der Unzialalphabete zu gleichen; in jenen finden sich dann auch die offenen Buchstaben, die S, die T, die ungleich gewichteten X, die auch Eingang in die Gebrauchsschriften fanden. Das Q ist etwa sehr ähnlich im vatikanischen Vergil, das lange F so gut wie identisch in der Veroneser Handschrift des Hilarius von Poitiers.3) Kreuz, Verse und vornehmlich germanischer Name legen eine Spätdatierung nahe, die auch paläographisch gestützt werden kann, da die meisten der genannten Phänomene auf jüngeren Steinen wiederzufinden sind: die schmalen E auf Steinen mit germanischen Namen (Nr. 10, 19, 26), ebenso offene Buchstaben, Vereckungen und die S, bei dem der Lancinda (Nr. 19) T mit geschwungenem Balken, leitbuchstabenartiges X. Diese Indizien genügen zwar nicht für eine zwingende Datierung nach 700, für eine tendenzielle schon.
Hlodericus (auch Flodericus) ist ein germanischer Name aus der Wurzel *hluda- (laut, berühmt, ruhmvoll) und *rīk- (mächtig);4) Chloderich/Chlodericus hieß etwa der Sohn Sigeberts des Lahmen, zunächst Kampfgefährte Chlodwigs, später sein Mordopfer.5) Die Bildungsweise des Namens noch mit HL und nicht mehr mit CHL deutet nach Gauthier in RICG auf das 8. Jahrhundert, da die erste Schreibweise von H statt CH angeblich erst in einer Originalurkunde von 695 gefunden wurde6) und auch die Auslautung des ersten Namensteils auf -E statt -O, also der Fugenvokal -e-, angeblich erst nach 700 nachgewiesen werden kann.7)
Dieser Flodericus/Hlodericus war Vicarius, also der Stellvertreter des Grafen, und, wie Gregor von Tours in einer Episode berichtet, als solcher unter anderem mit der Ausübung der Gerichtsgewalt betraut.8) Die Überlegungen in RICG, der Verstorbene habe an der Spitze einer militärischen Einheit NUMERVS gestanden und den Rang VICARIVS getragen, sind, wie Nancy Gauthier zugeben mußte, durchaus hypothetisch und wurden mit Recht als nicht zur frühmittelalterlichen Datierung passend kritisiert.9) Gewiß nahm Flodericus/Hlodericus eine herausragende gesellschaftliche Stellung in Trier ein und stand an der Spitze eines durch Verwandtschaft oder gar Ethnos begründeten Personenverbandes; seine Gattin wird explizit als adelig bezeichnet. Besonderes Gewicht liegt auf seiner Beliebtheit bzw. Akzeptanz in der Bevölkerung; das muß kein Topos sein, sondern könnte darauf hinweisen, daß seine Amtsführung von Konsens abhängig war.10) Jedenfalls gehörte Flodericus/Hlodericus zu jenen bedeutenden Laien, die in spätmerowingischer Zeit oder später Grabinschriften erhielten.11) Die Formel der Lebenszeit QVI VIXIT IN SAECVLO kommt so nur noch einmal in Trier vor, und zwar spätantik,12) in jüngeren Inschriften in Andernach jedoch mehrfach.13)
Die Datierung des lange bekannten Steins reicht vom 5. bis ins 8. Jahrhundert. Der frühe Ansatz bei v. Florencourt (Landnahme der Franken) wurde schnell zugunsten der größeren fränkischen Epoche aufgegeben, in der mit 6. (Gose, Förster), Ende 6. bis Anfang 7. (Le Blant, Kraus), Ende 7. bis Anfang 8. (Leclercq), unentschieden 6.-8. Jahrhundert (Krämer) die unterschiedlichsten Ansätze gesucht wurden. Die relative Spätdatierung speist sich aus dem Dekor, dem monogrammatischen Kreuz des Eingangs, den Vulgarismen, den Formeln FIERI IVSSIT, IN SAECVLO und der Deposition. Seit Nancy Gauthier (RICG) gilt die Datierung ins 8. Jahrhundert nach der Namensform, die ihrer Ansicht nach früher so nicht belegt werden könne. Tatsächlich jedoch können sowohl die Lesung HLODERICVS als auch das wahrscheinlichere FLODERICVS mit älteren Belegen gestützt werden:14) Die Verschriftung von germanisch [h] + [l] durch HL ist nur in Regionen mit lebendiger germanischer Sprache zu erwarten, also kaum in Trier, während die Verschriftung durch im Lautsystem benachbarten Frikativ, also FL, die eher populäre romanische Lautersatzlösung bietet.15) Diese ist in den Schriftzeugnissen des Frühmittelalters kaum zu belegen, wenngleich man ursprüngliches FL auch aus kopialen Schreibweisen jüngerer Handschriften erschließen kann;16) unzweideutig jedoch ist die Schreibweise der Münzmeister FLODOALDO, um 600/610-630 in Rivarennes (Dép. Indre) und Chitry-les-Mines (Dép. Nièvre), und FLODOALDOS, Anfang 8. Jahrhundert in Clermont-Ferrand.17) Auch kann der Fugenvokal -e- statt -a- bzw. romanisiert -o- in anderen Namensstämmen nachgewiesen werden. Die Schreibung des Namens ist also ab dem ausgehenden 6. Jahrhundert möglich, eine absolute Spätdatierung aus dem Namen daher nicht zwingend.
Einige Buchstabenkombinationen, etwa A mit geknicktem Balken, L mit hochgebogenem Balken, T mit geschwungenem Balken, sind nach den Krämerschen Kombinationstabellen eher frühen Inschriften zuzuordnen;18) die übrigen Buchstabenformen sind hier jedoch anders gestaltet, auch stimmen die L und T in ihrer unzureichenden Durchbildung nicht wirklich mit den Krämerschen Kategorien überein. Auch die Kombination von zwei eine kesselartige Vase (Krater?) flankierenden Tauben kommt im Trierer Bestand eher bei älteren Inschriften vor.19) Es existiert also kein formaler Beweis für eine Datierung nach 650, wenngleich man sich die Imitation älterer Usancen der Trierer Grabinschriften durchaus vorstellen kann – sie wurde auch für den Modoald-Stein (Nr. 6) beobachtet. Sind Teile der Paläographie und Lautung durchaus ambivalent und gegen RICG nicht eindeutig Merkmale des 8. Jahrhunderts, so kann doch anhand der besonderen Form des X zumindest eine Spätdatierung wahrscheinlich gemacht werden. Dem entspräche auch die Verwendung von NOBILIS beim fränkischen Adel ab dem 7. Jahrhundert.20)