Inschriftenkatalog: Stadt Jena

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 33: Stadt Jena (1992)

Nr. 87 Stadtkirche St. Michaelis 1571

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Rahmen um die Grabplatte Martin Luthers, im dritten Joch des nördlichen Seitenschiffes, Nordwand. 1571 wurde die Bronzegrabplatte (Nr. 61) in der Michaeliskirche aufgestellt; dabei erhielt sie einen epitaphartigen Rahmen im Renaissancestil, der die Platte mit zwei Säulen einfaßte. Auf ihnen ruhte das Giebeldreieck mit dem Symbol des Hlg. Geistes, rechts und links Urnen. Unter der Platte stand auf einer volutenverzierten Tafel das Epigramm des Osius (F);1) 1871/75 durch einen neugotischen Rahmen ersetzt.2) Bei der Teilzerstörung der Michaeliskirche 1945 ging dieser verloren und wurde nicht mehr vollständig ersetzt; nur ein Sockel mit Is. (F) wurde unter der Platte angebracht. Holz. – Iss. auf dem ehem. Giebelarchitrav (D) und oberhalb der Grabplatte (E); auf dem Sockel unter der Platte (F)3) in moderner Kopie (wohl von 1956). Schrift 1983 neu vergoldet.

(D) und (E) nach Juncker.

Maße: H.: 71 cm; B.: 70 cm; Bu.: 3 cm.

Schriftart(en): Kapitalis. Ursprünglich wohl auf dem Renaissancerahmen ausgemalt, (D) und (E) Kapitalis, humanistische Minuskel.

Reproduktion nach Junker 1706, 278 [1/2]

  1. D

    [NOS D(EI) G(RATIA) IOHANNES WILHELMUS DVX SAXONIAE LANDGRAVI(VS) DVRINGIAE, MARCHIO MISNIAE HANC LUTHERI EFFIGIEM, NON CULTUS, SED MEMORIAE GRATIA, HUC POSUIMUS ANNO D(OMI)NI MDLXXI.]

  2. Ea)

    [PESTIS ERAM VIVUS, MORIENS ERO MORS TUA, PAPA]

  3. Fb)

    HAEC ERAT EFFIGIES OPEROSE FACTA LUTHERO,POSSET VT AD CINERES EIVS HABERE LOCVM.PASSA FVERE TAMEN NON ILLVC TEMPORA PONI,TVNC QVAE CONCVSSIS ANXIA REBVS ERANT.INCLYTVS HAC SAXO GVLIELMVS IN AEDE LOCARIIVSSIT, ET HVIC VRBI TALE DICAVIT OPVS:NON VT VANA FIDES ALIQVO CELEBRETVR ABVSV,SIGNA SED ADMONEANT HVIVS VT ISTA VIRI:AVSPICE TEVTONICIS QVO FRAVS INNOTVIT ORIS,QVA CHRISTI POPVLOS IMPIA ROMA PREMIT.

    QVI TVLIT AVGVSTOS LATII SEPTEMVIR HONORESIMPERII, MAGNIS IANFRIDERICVS AVIS:ESSET VT HAEC SANCTAE DOCTRINAE STRENVA CVSTOS,CONDIDIT AD SALE PVLCHRA FLVENTA SCHOLAM.QVAE TVMIDOS DOCTO CONFVNDERET ORE SOPHISTAS,NEC SINERET FALSIS DOGMATA VERA PREMI.SED QVIA MOX AETAS MVNDI TRAHET AEGRA RVINAM,PVLLVLAT ERRORVM NVNC NVMEROSA SEGES.CHRISTE TVI NOBIS ERGO DECVS ASSERE VERBIVT SINT QVI VERA TE PIETATE COLANT.

    [H(IERONYMVS) OSIVS F(ECIT)]c)

Übersetzung:

Wir, von Gottes Gnaden Johann Wilhelm, Herzog zu Sachsen, Landgraf zu Thüringen, Markgraf zu Meißen, haben dieses Bildnis Luthers nicht um der Anbetung, sondern um des Angedenkens willen hierher gesetzt im Jahre des Herrn 1571. – Eine Krankheit war ich dir im Leben, im Tod werde ich dein Tod werden, Papst! – Dieses Bild war kunstreich für Luther geschaffen worden, damit es über seiner Asche seinen Platz erhielte; aber die Zeiten, die damals unsicher waren, weil alle Dinge in Aufruhr standen, haben es nicht erlaubt, daß es dorthin gebracht würde. Der berühmte sächsische Herzog Johann Wilhelm befahl, es hier in dieser Kirche aufzustellen, und bestimmte ein solch kostbares Werk für diese Stadt: Nicht, damit eitler Glaube durch diese Zweckentfremdung gefeiert würde, sondern damit die Züge jenes Mannes selbst gemahnen, unter dessen Führung den deutschen Gestaden der Betrug bekannt wurde, mit dem das ruchlose Rom die Völker Christi unterdrückt. Johann Friedrich, der als einer der sieben Männer (= Kurfürsten) die kaiserlichen Ehren des Latinischen Reiches trug und großen Vorfahren entstammte, gründete, damit sie eine gestrenge Beschützerin der heiligen Lehre sei, an der schönen Strömung der Saale eine Universität, die mit gelehrtem Mund die aufgeblasenen Sophisten zerstreuen und es nicht zulassen sollte, daß wahre von falschen Lehren unterdrückt werden. Aber weil eine kranke Zeit bald den Untergang der Welt mit sich bringen wird, sprießt jetzt eine zahllose Saat von Irrlehren hervor. Pflanze, Christus, deshalb in uns die Zier deines Wortes, damit es noch Menschen gibt, die dich mit wahrer Frömmigkeit verehren. Hieronymus Osius hat (das Epigramm) gedichtet.

Kommentar

Aus unbekanntem Anlaß schenkte Herzog Johann Wilhelm im Jahre 1571 die bis dahin in Weimar ausgelagerte Grabplatte Martin Luthers der Jenaer Universität. Da die Kollegienkirche nicht verfügbar war,4) wurde die Platte im Juli 1571 in der Michaeliskirche aufgestellt.5) Dabei erhielt sie einen epitaphartigen Rahmen mit zahlreichen Iss. Die Distichen, die auf die bei Nr. 61 dargelegten historischen Ereignisse anspielen und die Gründung der Hohen Schule 1548 in Jena erwähnen, verfaßte der zwischen 1568 und 1572 in Jena als Prof. eloqu. wirkende Hieronymus Osius;6) seine Unterschrift befand sich bis 1945 unter den Versen. Der mitunter sehr scharfe Ton des Gedichtes reflektiert den gnesiolutherischen Kurs des seit 1567 allein regierenden Herzogs Johann Wilhelm. Jena wurde 1569/73 unter massivem persönlichen Einfluß des Fürsten gegen die Wittenberger Universität zu einem Zentrum der strengen lutherischen Orthodoxie ausgebaut.7)

Textkritischer Apparat

  1. ein Hexameter; zu diesem Ausspruch Luthers, vgl. Nr. 63.
  2. zehn elegische Distichen.
  3. fehlt in der Kopie von 1956.

Anmerkungen

  1. Vgl. Koch 1934a, 19 und die Abb. bei Juncker.
  2. Vgl. BuKTh Jena, Taf. nach S. 98.
  3. Die Zählung der Iss. schließt an Nr. 61 an.
  4. Die Kollegienkirche war von 1559 bis 1592 umgebaut zu einer Studentenburse. Es hat trotzdem Bemühungen gegeben, die Platte im Collegium Jenense unterzubringen, wie ein Rechnungseintrag über „D. Martin Luthers bildnuß und desselben halben angestellten bau in der Kirchen des Collegii, und vor fertigung eines gegitters darüber, Ao. 1571“ belegt (vgl. Wahl 1985, 647).
  5. In den Kirchenrechnungen 1571 finden sich Ausgaben für den Glaser „vor zwei Stucken scheiben fenster uber Doctor Luters biltnis“, für Kleinschmied, Zimmermann, Maler und Tischler, insgesamt 5 Schock, 42 Groschen und 7 Pfennige; die Zahlungen erfolgten zwischen dem 29. Juni und 27. Juli 1571; vgl. Koch 1929a, 259–260; ders. 1936c, 159–160.
  6. Hieronymus Osius, geboren in Schlotheim/Thüringen; 1552 Mag. phil. Wittenberg; 1565 Rektor der Poetenschule Regensburg; 1568 Prof. eloqu. Jena; 1568 poeta laureatus und Comes Palatinus Caesareus; 1574 Rektor der Landesstiftsschule Graz; dort 1574 ermordet.
  7. Vgl. Geschichte der Universität Jena, 1, 42–45.

Nachweise

  1. Beier, q. 15, 567–568.
  2. Beier 1681, 275.
  3. Juncker 1706, 279–280 m. Abb. S. 278 (Kupferstich).
  4. Wette 1756, 37–40.
  5. Förstemann (s. Nr. 61, Anm. 8), 176 Anm.
  6. Schreiber/Färber 1858, 123–126.
  7. Koch 1933, 23–24.
  8. Vgl. BuKThJena, 1888, Taf. nach S. 98.
  9. Ignasiak 1985, 8.
  10. Wahl 1985, 646–647.
  11. Luther, Dokumentation 164.
Addenda & Corrigenda (Stand: 14. April 2023):

87†Stadtkirche, St. Michael1571

Rahmen der Grabplatte Martin Luthers (Nr. 61). Holz. Als 1571 Herzog Johann Wilhelm die Grabplatte der Universität Jena übergab, erhielt diese eine „epithaphartige Rahmung“, die heute nur noch aus Kupferstichen und Kirchenbüchern rekonstruierbar ist. Die Lutherplatte wurde von zwei Säulen eingefasst, die einen Architrav mit Stiftervermerk (A) und einen Dreiecksgiebel trugen. Im Tympanon war die Darstellung des Heiligen Geistes zu sehen. Zwischen Grabplatte und Architrav Devise (B). Beide Säulen ruhten auf Sockeln, die Rechte zeigte Christus im römischen Brustpanzer, der mit seiner linken Hand ein Kreuz und in der rechten ein Schriftband (C) hielt. Der Linke Sockel zeigte Simson mit der Keule. Unter der antikisierten Rahmung war das Epigramm (D) von Hieronymus Orsius angebracht. Das neue Ensemble wurde links vom Hochaltar im nördlichen Chorraum von St. Michael aufgestellt und verglast.1) Um 1871 erfolgte eine neue hölzerne Rahmung, die vor allem gotische Formelemente aufnahm.2) Bei der Teilzerstörung von St. Michael 1945 wurde der Rahmen zerstört und die Grabplatte ausgelagert. Seit 1958 befindet sich die Grabplatte wieder in St. Michaelis und erhielt eine schlichte hölzerne Rahmung, die auf einem Sockel steht, der das Epigramm des Orsius in einer Kopie von 1956 wiedergibt.

A–C nach Kurfürstenbibel 1641; D nach Kopie von 1956.

  1. A

    NOS D(EI) G(RATIA) JOAHNNES WILHELMUSa) DUX SAXONIAE LANDGRAVIUS DURINGIAEb) MARCHIO MISNIAE HANC LUTHERI EFFIGIEM NON CULTUS SED MEMORIAE GRATIA HUC POSUIMUS A(NN)O D(OMI)NIc) M D LXXId)

  2. B

    PESTIS ERAM VIVUS : MORIENS ERO MORS TUA, PAPA

  3. C

    I(HESUS) N(AZARENUS) R(EX) I(UDICORUM)

  4. D

    HAEC ERAT EFFIGIES OPEROSE FACTA LVTHERO, POSSET VT AD CINERES EIVS HABERE LOCVM. PASSA FVERE TAMEN NON ILLVC TEMPORA PONI, TVNC QVAE CONCVSSIS ANIXA REBVS ERANT. INCLYTVS HAC SAXO GVLIELMVS IN AEDE LOCARI IVSSIT, ET HVIC VRBI TALE DICAVIT OPVS: NON VT VANA FIDES ALIQVO CELEBRETVR ABVSV, SIGNA SED ADMONEANT HVIVS VT ISTA VIRI: AVSPICE TEVTONICIS QVO FRAVS INNOTVIT ORIS, QVA CHRISTI POPVLOS IMPIA ROMA PREMIT.

    QVI TVLIT AVGVSTOS LATII SEPTEMVIR HONORES IMPERII, MAGNIS IANFRIDERICVSe) AVIS: ESSET VT HAEC SANCTAE DOCTRINAE STRENVA CVSTOS, CONDIDIT AD SALĘf) PVLCRA FLVENTA SCHOLAM. QVAE TVMIDOS DOCTO CONFVNDERET ORE SOPHISTAS, NEC SINERET FALSIS DOGMATA VERA PREMI. SED QUIA MOXg) AETAS MVNDI TRAHETh) AEGRAi) RVINAM, PVLLVLAT ERRORVM NVNC NVMEROSA SEGES. CHRISTE TVI NOBIS ERGO DECVS ASSERE VERBI VT SINT QVI VERA TE PIETATE COLANT.

    H(IERONYMVS) OSIUS F(ECIT)k)

Kommentar

Die Art der Ausführungen der Is. A–C lässt sich heute nicht mehr sicher rekonstruieren. Jedoch liegt die Vermutung nahe, dass sie, wie auf dem Kupferstich der Kurfürstenbibel von 1641 dargestellt, in einer Kapitalis ausgeführt waren. Die Is. D wird durch M. Johann Gottlieb Walter beschrieben, der „von großen Buchstaben“ spricht.3) Daher ist doch eher zu vermuten, dass auch dieses Epigramm in Kapitalis ausgeführt war. Diese Schrift ist vielleicht sogar an der heutigen Kopie imitiert.

Textkritischer Apparat

  1. WILHELMUS] Wilhelmus, Wette 1756; Guilielmus, Beier, q. 15, Sagittarius 1739, Walther 1749, Schwabe 1817, Schwarz 1846.
  2. DURINGIAE] Thuringiae, Beier, q. 15, Wette 1756.
  3. DOMINI] nicht bei Beier, q. 15, Sagittarius 1729, Walther 1749, Wette 1756, Schwabe 1817, Schwarz 1846.
  4. nach Walter 1753, S. 52 war die Inschrift in zwei Zeilen ausgeführt.
  5. IANFRIDERICVS] Jan Fridericus, Beier, q. 15, Kurfürstenbibel 1641, Walter 1753, Schwabe 1817, Schwarz 1846.
  6. SALĘ] Salae, Beier, q. 15, Walter 1753, Schwarz 1846.
  7. MOX] amor, Schwabe 1817.
  8. TRAHET] trahit, Schwabe 1817.
  9. AEGRA] aecra, Schwabe 1817.
  10. nicht auf die Kopie von 1956 übertragen.

Anmerkungen

  1. 1.Beier, 1681*, S. 548 sowie Slenczka 2010, S. 4. Von einer Verglasung findet sich in den Beschreibungen des Monuments in der Literatur des 18./19. Jh. keine Hinweise.
  2. 2.Vgl. dazu Raschzok 2004, S. 290, Abb. 2. Die Innenansicht stammt aus dem Jahr 1873 und zeigt bereits den typischen neugotischen Rahmen.
  3. 3.Vgl. Walter 1753, S. 52.

Nachweise

  1. Beier q 15, fol. 286r–286v (S. 567f.).
  2. Sagittarius 1739, 12.
  3. Walter 1753, 52.
  4. Wette 1756, 37–40.
  5. Schwabe 1817, 91–94.
  6. Schwarz 1846, 22–24.

Zitierhinweis:
DI 33, Stadt Jena, Nr. 87 (Luise und Klaus Hallof), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di033b005k0008700.