Inschrift im Fokus

Rhein-Hunsrück-Kreis: Tafelmalerei der Heiligen Sippe

Das Gemälde in Öl auf Holz zeigt die Heilige Sippe. Um das Jesuskind herum ist seine weltliche Familie gruppiert. Die Männer sind im Gegensatz zu ihren Frau nicht nimbiert und wesentlich altmodischer gekleidert. Alle Personen sind mit Namensbeischriften (Tituli) versehen und daher leicht zu identifizieren. Die Tafel wurde Ende des 19. Jahrhunderts und zwischen 1979 und 1981 jeweils restauiert.

Werfen Sie einen Blick auf die Inschriften und die Abbildung:

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 123 Oberwesel, Kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau

Beschreibung

Gemälde der Heiligen Sippe mit Namensbeischriften. Noch 1854 als Antependium des Altars im südlichen Nebenchor1) verwendet, hängt es heute an der Nordwand des nördlichen Nebenchors. Querrechteckige Tafel aus Holz mit profiliertem Rahmen. Im Zentrum des in Ölmalerei ausgeführten Bildes steht auf einer langen, durchgehenden Bank das mit Kreuznimbus ausgezeichnete Jesuskind (A), zur Rechten sitzen seine Mutter Maria (B) und deren Halbschwester Maria Salomae (D) mit ihren beiden Kindern (F und G), dahinter stehen die zugehörigen Ehemänner (C und E). Zur Linken des Kindes sitzen seine dreimal verheiratete Großmutter Anna (H) und ihre Tochter Maria Cleophae (M) mit ihren vier Kindern (O, P, Q, R), dahinter stehen wiederum die zugehörigen Ehemänner (I, K, L und N). Im Unterschied zu den Frauen und Kindern sind die Männer nicht nimbiert. Sie sind in edlen, aber altertümlichen Gewändern dargestellt, die beiden älteren Marien tragen dagegen modische Brokatkleider. Die Kinder sind je nach Alter entweder mit Hemdchen oder kurzen Kragenmänteln bekleidet. Über allen Figuren befinden sich Schriftbänder mit in schwarz auf Weiß ausgeführten Namensbeischriften; Josephus Justus hat zudem ein mit dem Alphabet in fünf Zeilen beschriftetes Schreibtäfelchen (S) in der Hand. Die Tafel wurde Ende des letzten Jahrhunderts erstmals restauriert, 1960 gereinigt und 1979-81 nochmals restauriert2).

Maße: H. 91,5, B. 194, Bu. 1,5 (A-R), 0,3 (S) cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

  1. A

    Ih(esu)sa)

  2. B

    Maria virgo

  3. C

    Ioseph

  4. D

    Maria · Salome

  5. E

    Zebedeus

  6. F

    Iacob(us) ma(ior)

  7. G

    Iohannsb) ewan(gelista)

  8. H

    anna

  9. I

    Ioachim

  10. K

    Cleophas

  11. L

    Salomec)

  12. M

    maria · cleophe

  13. N

    Alpheus

  14. O

    Iacob(us) minor

  15. P

    Simon

  16. Q

    Iudas

  17. R

    Iosep iust(us)

  18. S

    A b c d e f g / h i k l m / n o p q r / rd) se) s t u v / x y zf)

Kommentar

Bei den präzis gemalten Minuskeln erscheint i mit Punkt, u mit überschriebenem Häkchen. Die Anfangsbuchstaben der Namen werden teils durch vergrößerte, teils durch konturierte (c und z) oder auch durch gelegentlich mit gerundeten Hasten ausgeführte Minuskelbuchstaben (m und v) hervorgehoben; zweimal auch durch der zeitgenössischen Schreib- oder Druckschrift (A) bzw. der gotischen Majuskel (I) entlehnte Versalien. Beide Bögen des runden s sind durchweg gebrochen, der Mittelteil ist leicht geschwungen. Als Worttrenner dienen vereinzelt punktiert ausgeführte Rosetten.

Das Bildthema der heiligen Sippe geht auf die im Mittelalter literarisch und bildlich weit verbreitete Trinubiumslegende3) zurück. Wohl in der Funktion eines klar gegliederten, erbaulichen Andachtsbildes4) wird die hier insgesamt 17 Personen5) umfassende Heilige Sippe bzw. die Verwandtschaft Jesu in der weiblichen Linie dargestellt: seine Großmutter Anna mit ihren drei Töchtern aus drei verschiedenen Ehen, den jeweiligen Ehemännern und den Kindern. Die beiden Halbschwestern Marias erhielten ihre Beinamen nach ihren jeweiligen Vätern. Die vornehmlich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts stark angewachsene Verehrung Annas und ihrer Familie6) mag auch damit zusammengehangen haben, daß die sechs dargestellten Kinder Vettern Jesu waren, von denen er später fünf7) als Apostel berufen sollte. Zudem galt Cleophas, der zweite Mann Annas, als ein Bruder von Josef, dem Nährvater Jesu.

Als Auftraggeber der wohl gegen Ende des 15. Jahrhunderts8) entstandenen Tafelmalerei9) kommt vermutlich ein unbekannter Angehöriger der Stiftsgeistlichkeit in Frage, der sich tonsuriert in zeitgenössischer Priesterkleidung und mit vermutlich individuellen Gesichtszügen als Salome - der dritte Mann Annas - darstellen ließ. Die Besonderheit der vorliegenden Konzeption liegt überdies in der isolierten, hervorgehobenen Stellung des Jesuskindes in der Mitte des Bildes, die sonst von Anna oder der Gottesmutter (mit dem Kind im Arm) eingenommen wird10).

Textkritischer Apparat

  1. Zeitgenössische griechisch-lateinische Mischform, bei h gleich griechischem Eta ist allerdings auch eine Ergänzung I(esu)s denkbar; vgl. dazu Traube, Nomina Sacra 151 und 156ff. - Der als Kürzungszeichen verwendete Balken durchschneidet das obere Hastenende des h und bildet so ein Kreuz, das neben dem Ihs an sich als ein weiteres christologisches Symbol verstanden werden kann.
  2. Sic!
  3. Der Name läßt sich nicht nur als "Salomas", sondern auch in der vorliegenden Form in der mittelalterlichen Überlieferung öfters nachweisen (vgl. etwa de Voragine, Legenda aurea 678), daher vermerkt Kdm. 297 wohl zu Unrecht "vermutlich falsch restauriert".
  4. Bogen-r.
  5. Langes s.
  6. Folgt eine Schluß-Vignette.

Anmerkungen

  1. So Kugler, Kleine Schriften 314. - Ob dies der ursprüngliche Standort war, bleibt dennoch unsicher: Laut Pauly, Stifte 326 handelte es sich hier um den früheren Pfarrchor von Liebfrauen, der ehemals mit einem der Maria bzw. den Aposteln Philipp und Jakob geweihten Altar versehen war; Darstellungen der hl. Sippe findet man dagegen in der Regel in Zusammenhang mit Anna-Altären; vgl. dazu Esser, Sippen 42f.
  2. Kdm. 297.
  3. Die Legende von den drei Ehen Annas und ihrer Nachkommenschaft speist sich aus wenigen biblischen Hinweisen (wie "fratres domini"), die zu erstmals seit der Mitte des 9. Jahrhunderts nachweisbaren (den genealogischen Sachverhalt bereits voraussetzenden) theologischen Kommentaren und zu zahlreichen weiteren liturgischen und auch erbaulichen Schriften führten; vgl. dazu und zum Folgenden ausführlich Esser, Sippe 15ff.
  4. Nach Esser 28 sollten Kompositionsaufbau und Namensbeischriften dem Betrachter helfen, sich in der Figurenmenge zurechtzufinden und die verschiedenen Heiligen der Reihe nach fürbittend anzurufen.
  5. Vgl. zu den verschiedenen Gruppen Lechner, Sippe 163ff. und vor allem Esser, Sippe 164ff.
  6. Vgl. dazu ausführlich Dörfler-Dierken, Verehrung pass.
  7. Johannes Evangelist, Jakobus der Ältere, Jakobus der Jüngere, Simon Zelotes, Judas Thaddäus, die hier - bis auf Simon - vielleicht als Zeichen ihrer späteren Stellung Bücher in den Händen halten. Selbst das sechste Kind, Josephus Justus (gen. Barnabas), gehört in diesen weiteren Umkreis: Er hatte die Wahl als Nachfolger des Apostels Judas Iskariot gegen Matthias verloren, war dann aber zusammen mit Paulus mit Missionsaufgaben betraut worden. Die ihm beigegebene Schrifttafel - bei der es sich um eine sogenannte Buchstabiertafel (vgl. dazu Boockmann, Belehrung 10 mit Anm. 42) handeln könnte - scheint sein spezielles Attribut zu sein.
  8. Die Datierung orientiert sich an paläographischen wie stilistischen Kriterien - etwa an der kleinteiligen Fältelung der Gewandenden. Gorissen, Jupan 133 nimmt unter (einem nicht nachvollziehbaren) Verweis auf einen als Vorlage dienenden Holzschnitt eine Entstehung um 1510 an; Kdm. sieht die Tafel zwar in der Nachfolge des Martha-Altars um 1500 (vgl. Nr. 151), datiert sie aber dennoch in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts.
  9. Am Rahmen sind keine Scharniere feststellbar, auch sonst liegen keine Hinweise auf eine ursprüngliche Verwendung der Tafel etwa als Mittelteil eines dreiflügeligen Altarretabels vor. Da allerdings die Innenkante der oberen Rahmenleiste Teile der Inschriften beschneidet, ist nicht ausgeschlossen, daß es sich nicht um den originalen Rahmen handelt.
  10. So etwa auf dem 1501 datierten Mainzer Sippenteppich; vgl. dazu DI 2 (Mainz) Nr. 268. Aus diesem Grund sprechen die diesbezüglichen mittelalterlichen Quellen in der Regel vom "hayligen geschlechte", von "Mariae geschlecht" oder von "sanct Annen geslecht"; vgl. dazu Esser, Sippe 8 (Zitate), 32 und 97ff. sowie als Beispiel die wie in Oberwesel konzipierte Mitteltafel des um 1430 von einem mittelrheinischen Meister gefertigten Ortenberger Altars (Abb. bei Woelk, Jenseits Taf. 5).

Nachweise

  1. Kdm. Rhein-Hunsrück 2.2, 297ff. mit Abb. 174.
  2. Terminologie (Titelbild) (R).

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 123 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0012301.