Die Inschriften der Stadt Stralsund

4. Zur Überlieferung der Inschriften

Von 454 im Katalog behandelten Inschriftenträgern sind 354 erhalten, 54 und damit ein Anteil von etwa 12 % vollständig verloren; die übrigen 46, ungefähr 10 % des Gesamtbestandes, wurden entweder in unterschiedlichem Maße erneuert oder sind stark beschädigt bzw. gegenwärtig nicht zugänglich. Bis 1500 entstanden etwa 125 Objekte (knapp 28 %), im 16. Jahrhundert 129 Inschriftenträger (gut 28 %). In die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts oder auch pauschal ins 17. Jahrhundert wurden schließlich knapp 200 Objekte datiert (44 %). Dabei ist zu beachten, dass der Inschriftenkatalog am [Druckseite 24] Ende der genannten einzelnen Zeiträume jeweils eine größere Anzahl von Objekten aufweist, bei denen es sich in der Regel um nicht datierte Grabplatten(-fragmente) handelt, die sich aufgrund paläografischer Kriterien lediglich einem weit gefassten Entstehungszeitraum zuordnen lassen.

Unter den Autoren der frühen Neuzeit, die sich für Stralsunder Inschriften interessierten, kommt dem bereits 1623-1625 von dem Lüneburger Bürgermeistersohn Heinrich Witzendorff angefertigten deutsch-lateinischen Reisebericht Wegweiser etzlicher fürnehmen Strassen durch Deutschlandt vndt anderswo (...), den er während einer 1623 mit Familie und Lehrer unternommenen Reise nach Greifswald zur Immatrikulation an der dortigen Universität angefertigt hatte, eine besondere Bedeutung zu.47) In Stralsund besichtigte er St. Marien, St. Nikolai und das Rathaus und zeichnete die Inschriften einiger Objekte auf (S. 61–64), je dreier Epitaphien in St. Nikolai (Kat.-Nr. 177, 222, 232) und dreier Schrifttafeln im Rathaus und in St. Marien (Kat.-Nr. 307, 308, 309).

Seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden in Stralsund selbst verschiedene handschriftliche Inschriftensammlungen, welche die Wertschätzung des eigenen kulturellen Erbes in besonderem Maße belegen. Ein namentlich nicht bekannter Autor erstellte 1732 oder wenig später auf der Basis eigener Beobachtungen die mehr als 160 Seiten umfassende Sammlung Memorabilia Sundensia (StA Stralsund, Hs. 245). Inschriften an und in öffentlichen Bauwerken der Stadt (Kirchen, Hospitäler und ehem. Klöster, Rathaus, Gymnasium, Stadttore) mit Ausnahme der Grabplatten werden darin wiedergegeben; allerdings fehlen in vielen Fällen Angaben zum Anbringungsort, zur Entstehungszeit sowie zur Gestalt eines Denkmals oder einer Inschrift. Für mittelalterliche Denkmäler interessierte sich der Verfasser nicht. Von 44 Inschriftenträgern, die im vorliegenden Band behandelt werden, sind die Inschriften von 19 Objekten ausschließlich kopial überliefert. In allen Fällen bieten die Memorabilia die älteste, in fünf Fällen die einzige Überlieferung (Kat.-Nr. 238, 287, 373, 384, 396). Der Verfasser schreckte auch nicht davor zurück, besonders lange lateinische Epitaphientexte (Kat.-Nr. 179) abzuschreiben. In solchen Fällen, aber auch in einigen deutschen Abschriften unterliefen ihm gelegentlich Fehler (vgl. Kat.-Nr. 263, 287). i/j- und u/v-Schreibungen werden in normalisierter Form wiedergegeben, Kürzungen meist stillschweigend aufgelöst.

Sowohl die Memorabilia Sundensia als auch der etwa zwanzig Jahre später von Johann Carl Dähnert publizierte Beitrag Pommersche Denkmale berühmter und verdienter Männer. Erstes Stück: Aus denen Stralsundischen Kirchen (1754)48) ermöglichen die Rekonstruktion einiger gänzlich verlorener oder erneuerter, unbefriedigend erhaltener Inschriftenpassagen (vgl. Kat.-Nr. 345). Dieses Beispiel verdeutlicht auch, dass Dähnert sich oft auf die Wiedergabe biografisch relevanter Inschriften beschränkte, weshalb die Memorabilia Sundensia in nahezu allen Fällen die umfangreichere Überlieferung bieten. i/j- und u/v-Schreibungen sind hier normalisiert, Interpunktionszeichen ergänzt, Satzanfänge großgeschrieben.

Johann Albert Dinnies (1727-1801),49) Bürgermeister von Stralsund seit 1778, tat sich auch durch Forschungen zur Geschichte seiner Stadt hervor, die nie im Druck erschienen, aber bis heute unentbehrlich sind. Sein Interesse galt vor allem den Familien und Personen der städtischen Führungsschicht, der er selbst angehörte. Aus dieser Perspektive und größtenteils aus eigener Anschauung gab er in den zweiteiligen, mehr als tausend Seiten umfassenden, handschriftlichen Nachrichten die Rathspersonen der Stadt Stralsund betreffend, Verzeichnis der sämtlichen Rathspersonen der Stadt Stralsund, mit beigefügten gesammelten Nachrichten von ihren Lebensumständen (1779; StA Stralsund, Hs. 359, 360) einzelne, heute nicht mehr erhaltene Inschriften wieder. In vier Fällen stellt Dinnies die einzige Quelle dar (Kat.-Nr. 131, 161, 183, 205).

Ebenfalls im 18. Jahrhundert entstand das anonyme Verzeichnis der Epitaphien in den Kirchen der Stadt Stralsund (in: StA Stralsund, Hs. 341, Studien zur Geschichte des Rates der Stadt Stralsund, der Ratskanzlei sowie zu den städtischen Angestellten, Bl. 106r–113v), in dem acht Epitaphien in St. Nikolai und eines in St. Jakobi behandelt werden.

[Druckseite 25] In dem 1839 von Arnold Ludwig Weinreich zusammengetragenen Verzeichnis der Kunst- und Altertumsgegenstände in der St. Nikolai-Kirche zu Stralsund (StA Stralsund, Hs. 303)50) werden die Inschriften von 28 Objekten wiedergegeben, von denen sieben nicht erhalten sind. Grabplatten wurden mit Ausnahme derjenigen für Gerwin Storkow und Albert Hovener (Kat.-Nr. 6, 23) nicht berücksichtigt. Weinreichs Schwerpunkt liegt auf Epitaphien und Leuchtern, deren Standort und Gestaltung häufig genauer beschrieben werden. Im Bemühen, alle Inschriften eines Denkmals möglichst originalnah aufzunehmen, unterliefen ihm gerade in lateinischen Texten Fehler. Gelegentlich bietet er dennoch eine wichtige, weil vollständige und überdies die einzige Überlieferung (Kat.-Nr. 305, 367). Abkürzungen sowie u- und v-Schreibungen werden häufig beibehalten, Zeilenumbrüche markiert. Dem Verzeichnis Weinreichs liegt schließlich ein Auszug zugrunde, der im späteren 19. Jahrhundert wahrscheinlich von dem Superintendenten Fretzdorff angefertigt wurde (in: StA Stralsund, Hs. 628: Sundensia. Sammlung von Nachrichten zur Geschichte Stralsunds und Vorpommerns).

Die kopiale handschriftliche Überlieferung in Stralsund bietet den Wortlaut vieler Inschriften auf Objekten, die zum einen nicht erhalten, zum anderen weder genau beschrieben noch datiert werden, sodass deren zeitliche Einordnung nicht möglich ist. In besonderem Maße trifft dies für die anonyme Sammlung StA Stralsund, Hs. 245, in geringerem Umfang auch für Hs. 303 zu. Für den vorliegenden Inschriftenkatalog gilt daher: Wenn sich aus den Handschriften selbst oder auf anderer Grundlage keine Hinweise ergaben, dass die darin behandelten Inschriften oder Inschriftenträger vor dem Jahr 1651 entstanden, wurden sie für diesen Band nicht berücksichtigt.


Die wichtigsten gedruckten Quellen der Inschriftenüberlieferung sind Johann Carl Dähnert, Pommersche Denkmale berühmter und verdienter Männer. Erstes Stück: Aus denen Stralsundischen Kirchen (1754) sowie Ernst von Haselberg, Die Baudenkmäler des Regierungsbezirks Stralsund, H. 5: Der Stadtkreis Stralsund (1902).

In gewissem Sinn sind beide Zusammenstellungen komplementär zu sehen. Das bereits im Kontext der handschriftlichen Überlieferung des 18. Jahrhunderts genannte Werk Dähnerts konzentriert sich auf den Wortlaut von Sterbe- und Gedenkinschriften auf Epitaphien; Angaben zur Gestaltung und zum Standort von Denkmälern im Kirchenraum fehlen. Ernst von Haselberg, Stralsunder Stadtbaumeister 1857–1899, publizierte 1902 als letztes Heft der ‚Baudenkmäler des Regierungs-Bezirks Stralsund‘ die Baudenkmäler des Stadtkreises Stralsund.51) Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Kat.-Nr. 185, 198, 223) verzichtete er auf die Wiedergabe längerer Inschriften. Offenbar interessierte er sich aber besonders für Grabplatten(-fragmente), die er auch dann behandelte, wenn sie keine lesbaren Inschriften mehr trugen.52) Dass Haselberg vor allem nach Autopsie arbeitete, belegt sein Bemühen um buchstaben- und zeilengetreue Lesungen, die Wiedergabe von Kürzungen und die typografische Auszeichnung von Fehlstellen. Seine Verweise auf gedruckte und handschriftliche Quellen – so „Dinnies Manuscript“ oder „Dinnies Manuscripte in der Rathsbibliothek“ – sind indes nicht immer nachvollziehbar.

Von drei in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts an der Universität Greifswald eingereichten Abschlussarbeiten sei im Hinblick auf die Berücksichtigung von Inschriften besonders auf Brigitte Oltmanns, Abendmahlsgerät im ehemaligen Vorpommern vom 13. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts53) (1957) hingewiesen.

Zitationshinweis:

DI 102, Stralsund, Einleitung, 4. Zur Überlieferung der Inschriften (Christine Magin), in: inschriften.net, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0238-di102g018e009.

  1. Heinrich Witzendorff, Wegweiser etzlicher fürnehmen Strassen durch Deutschlandt vndt anderswo (...), Ratsbücherei Lüneburg, Ms. Lune 4° 13. Vgl. zu Heinrich Witzendorff sowie zu seinem Reisebericht künftig den Band Die Inschriften der Stadt Lüneburg, ges. und bearb. von Sabine Wehking (in Vorbereitung). »
  2. Vgl. unten. Zu dem mehrteiligen Beitrag Dähnerts vgl. auch DI 77 (Greifswald), S. 23»
  3. Vgl. zur Person Curschmann, Johann Albert Dinnies; auch Brandenburg, Johann Albert Dinnies. »
  4. Zu dieser Sammlung vgl. auch Weitzel, St. Nikolai, S. 35. »
  5. Zur Person vgl. Ewe, Persönlichkeiten, S. 65–68; zur Arbeitsweise Haselbergs siehe auch DI 77 (Greifswald), S. 24»
  6. Vgl. Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 411, 498f. »
  7. Daneben sind zu nennen: Berckenhagen, Wandmalereien; Schumann, Epitaph. »