Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 73 St. Johannis 1436

Beschreibung

Glocke, ‚Apostelglocke‘. Bronze. Um den Glockenhals verlaufen zwischen Stegen unter einem Rankenfries oben die Inschrift A, unten die Inschrift B. Am unteren Steg abhängendes Blattornament. Auf dem Glockenmantel einander gegenüberliegend die gekrönte Maria mit Kind und Johannes Baptista im Relief, im Nimbus der Maria die Inschrift C, unter der Figur ein Glöckchen, das Gießerzeichen des Gerd Klinge, im Nimbus des Johannes die Inschrift D. Die Worttrenner in den Inschriften A und B in Form von Rosetten, in den Inschriften C und D in Form von Kreuzen. Alle Inschriften sind erhaben gegossen.

Maße: H.: 162 cm (ohne Krone), 189 cm (mit Krone); Dm.: 192 cm; Bu.: 6 cm (A), 2,6 cm (B), 3 cm (C, D).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/5]

  1. A

    + anno · d(omi)ni · m° · cccc° · xxxvia) ·ynde · ere · godes · vn(de) · vnser · leven · vrowen · bin · ik · ghe·ghoten ·yohannes · vnde · georgius · des · hebbe · gi · ge·not(en)

  2. B

    + help · god · vth · aller · noet ·we · en · weten · nicht · wissers · wan · den · doet · maria · is · de · name · min · to · ludende · wil · ik · be·reit · sin ·meister · gherd · klinghe · de · mi · ge·goten · haet ·ghot · gheve · siner · sele · raet ·iaspar · melchior · balthasar · et · sancte · petre

  3. C

    ave · maria · gracia plen(a)1)

  4. D

    · sancte · ioha(nn)es · ora · pro2)

Übersetzung:

Zur Ehre Gottes und unserer lieben Frau bin ich gegossen, Johannes und Georg, dadurch habe ich euch als Genossen. (A).

Hilf Gott aus aller Not, wir kennen nichts Gewisseres als den Tod. Maria ist mein Name, ich will bereit sein zu läuten. Meister Gerd Klinge ist es, der mich gegossen hat. Gott helfe seiner Seele. Kaspar, Melchior, Balthasar und heiliger Petrus! (B)

Sei gegrüßt, Maria, Gnadenreiche. (C)

Heiliger Johannes, bitte für (uns). (D)

Versmaß: Deutscher Reimvers (A, B).

Kommentar

Der sehr gute Erhaltungszustand der Apostelglocke hat zur Folge, dass die erhabenen Buchstaben der gotischen Minuskel – anders als bei der ‚Großen Schelle‘ (vgl. Nr. 74) – nach wie vor eine sehr exakte Konturierung aufweisen und die sehr fein gegossenen Zierstriche, die sich besonders an den x der Jahreszahl finden, als Schmuckelement auffallen. Die x sind darüber hinaus durch einen weit nach unten verschobenen Mittelbalken charakterisiert.

Gerd Klinge ist einer der bedeutendsten niedersächsischen Glockengießer. Er fertigte in der Zeit von 1433 bis 1474 zahlreiche Glocken und Taufkessel in Norddeutschland,3) darunter wohl auch die ebenfalls 1436 gegossene ‚Große Schelle‘ in St. Johannis (Nr. 74), die aus St. Lamberti stammende Katharinenglocke, die heute in St. Nicolai hängt (Nr. 89) sowie die 1437 gegossene Glocke in Walsrode, die ebenfalls die beiden ersten Verse der Inschrift B und die Bitte um Gottes Hilfe für das Seelenheil des Gießers trägt (DI 76, Nr. 40). Warum diese Glocke, die nach Ausweis ihrer Inschriften eindeutig der Jungfrau Maria geweiht ist, in Lüneburg – mindestens seit der Zeit der Reformation – als ‚Apostelglocke‘ bezeichnet wird, ist nicht bekannt.

Textkritischer Apparat

  1. 1416 Gebhardi, Collectanea, Bd. 2.

Anmerkungen

  1. Mariengebet nach Lc. 1,28. CAO, Nr. 1041, u. Cantus Database, u. a. ID 001041, 001042, 001539.
  2. Vgl. Cantus Database, ID 008164. Zu ergänzen nobis, die Inschrift wird imaginär von der Figur verdeckt.
  3. Vgl. Walter, Glocken, S. 797, u. Hellwig, Klinghe, passim.

Nachweise

  1. Dithmers, Chronik, p. 117.
  2. Reinbeck, Chronik, p. 392.
  3. Gebhardi, Collectanea, Bd. 2, p. 171 (nach Reinbeck).
  4. Gebhardi, Collectanea, Bd. 3, p. 105 (nach Dithmers?).
  5. Bellmann, Chronica, p. 116 (unvollständig).
  6. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 147.
  7. Wrede, Glocken, S. 5 u. 8.
  8. Hellwig, Klinghe, Nr. 3, S. 167.
  9. Wiesenfeldt, Glockengeschichte, S. 42f. (nach Wehking).

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 73 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0007306.