Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 967 Auf der Altstadt 37 1. H. 17. Jh.

Beschreibung

Bemalte Holzbalkendecke im ersten Obergeschoss des Hauses.1) Vor den fünf Trägerbalken der Decke im Wechsel längliche Beschlagwerkkartuschen und Medaillons mit Engelsköpfen, auf den drei mittleren Balken beidseitig, jeweils über einer gekehlten Leiste. Die in schwarzer Farbe in den Kartuschen stehenden Inschriften sind nur teilweise erhalten, die meisten eher fragmentarisch. Auf jeder Balkenseite (A–H) befinden sich drei Schriftkartuschen. In den Deckenfeldern zwischen den Balken Reste dekorativer Malerei mit gemalten Quadern und Kartuschen, die früher mit Holzknöpfen und -platten besetzt waren (vgl. dazu den Kommentar). Die Wiedergabe der Inschriften beginnt auf der Fensterseite.

Maße: Bu.: 2–2,5 cm.

Schriftart(en): Fraktur mit Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/3]

  1. A

    Se[lig si]nt die di[e] mein Wort horen / vnd bewar[en] LVC · 112)So iemant mein Wort wirt halten der / wirt den Todt nicht sehen ewigklich / IOH · 8 ·3)[ – – – ] / [...] mein[ – – – ]

  2. B

    [ – – – ]Das ist ye gewißlich war, vnd ein thewr wer/des Wort, das Jesus Christus kom(m)en ist in die welta) / die sunder Selich zu machen: 1 · Timo : 1 ·4)Deß Menschen Son ist kommen [ – – – ] / [ – – – ]5)

  3. C

    Er beweiset seine Weisheitb) herlich vnd / er ist von ewigkeit bis in ewigkeit , / SIRA : 43 :6)GEN : 2 : / Vnd Godt sach an alles was [er] gemacht / hatte vnd sie da, es war sehr gut ,7)[ – – – ]

  4. D

    [ – – – ][ – – – ] / [ – – – ] Erden8)[ – – – ] / Den[n] der [Herr hat] / Wolgefallen [an] seine[m volck]c)9)

  5. E

    [Vnd das] weib schauet an das vo(n) de(m) baum gut zu / [essen were vnd nam von der]d) frvchte vnd ass10)Da wor[ – – – ] /de(n) gewar d[ – – – ]11)[ – – – ]

  6. F

    [ – – – ]sunde die ve[ – – – ] / [.....]he(n) ko(m)men ist [.....] auch durch [ – – – ] / [ – – – des] lebe(n)s vber alle [ – – – ]12)Vo(n) dem [ – – – ] / soltu nicht [essen – – – ] tages [du da von]e)13)[ – – – ]

  7. G

    We[r da gleubet] vnd getauft wirt / [der wirt] selig werdend)14)Wer aber [ – – – ] der / w[ – – – ]8 ·15)[ – – – ]

  8. H

    [Aber er] ist mitten vnter euch getreten den / ir nicht kennet. IOH · 1 ·16)Dis ist mein gelibter Son an dem ich / wolgefallen hab, de(n) solt ir horen17)Der heilige geist fur [ – – – ]/licher gestalt [ – – – ]18)

Kommentar

Die Datierung erfolgt aufgrund des ausnahmslos hochdeutschen Sprachstands der Bibelzitate, der eine Entstehung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sehr unwahrscheinlich macht – es sei denn, dem Inschriftenprogramm der Decke hätte man bewusst eine hochdeutsche Lutherbibel zugrundegelegt.

Das Deckenprogramm stellt aufgrund der Menge an Inschriften auf verhältnismäßig engem Raum unter den Lüneburger Balkendecken eine Besonderheit dar. Nimmt man die bloßen Texte, so ergibt sich ein eher ungewöhnliches Inschriftenprogramm, das aus einer Kombination von gängigen Bibelzitaten mit sehr speziellen Texten besteht. Dies dürfte dadurch zu erklären sein, dass sich die Inschriften auf szenische Darstellungen auf Bildtafeln bezogen, die den Deckenfeldern in der Mitte vorgesetzt waren. Darauf lassen vor allem die sonst sehr zusammenhanglos erscheinenden Sündenfallzitate (E, F) schließen. Wenn diese Theorie stimmt, dann hätten die Inschriften A und B eine Darstellung Christi als Erlöser begleiten können, die Inschriften C und D eine Schöpfungsdarstellung, E und F eine Darstellung des Sündenfalls, G und H eine Darstellung der Taufe. Der Umstand, dass sich die gegenüberliegenden Balkenseiten paarweise einem Thema zuordnen lassen, spricht für entsprechende Darstellungen in den Deckenfeldern dazwischen.

Das Haus Auf der Altstadt 37 ist unter den Lüneburger Backhäusern aufgeführt, d. h. an seinem Besitz hing die – nicht immer unbedingt genutzte – Berechtigung, als Bäcker tätig zu werden. Als Urheber eines so ausgefeilten Text-/Bildprogramms in einem Bürgerhaus würde man aber weniger einen Bäcker als eher einen Theologen vermuten. Borstelmann führt in der Liste der Hausbesitzer in der einschlägigen Zeit von 1576 bis 1650 allerdings nur Namen (Bruns, Wichelmann, Snobbel) auf, die nicht unbedingt auf einen höheren Bildungsstand der Bewohner hindeuten.19)

Textkritischer Apparat

  1. Bei den letzten drei Wörtern nur die unteren Buchstabenenden erhalten.
  2. Das Wort ist übermalt und in den letzten Buchstaben unstimmig, Reste der ursprünglichen Fassung unter der Übermalung erkennbar.
  3. Die in Klammern gesetzten Buchstaben nur noch sehr fragmentarisch erhalten.
  4. Die in Klammern gesetzten Wörter nur noch sehr fragmentarisch erhalten, Ergänzung nach der Lutherbibel 1545.
  5. Da es in dieser Kartusche keinen Hinweis auf eine ehemals ausgeführte dritte Zeile gibt, das Bibelzitat aber unvollständig ist, setzte es sich möglicherweise auf der nächsten, heute vollständig zerstörten Kartusche fort.

Anmerkungen

  1. Mein herzlicher Dank gilt dem Hausbesitzer Harald Blancke, der mich auf die Existenz dieser Balkendecke aufmerksam gemacht hat. Die Balkendecke ist weder im Katalog Raumkunst noch in der Topographie bei Böker verzeichnet.
  2. Nach Lk. 11,28.
  3. Jh. 8,51.
  4. 1. Ti. 1,15.
  5. Vermutlich Lk. 19,10, zu ergänzen zu: zu suchen vnd selig zu machen, das verloren ist.
  6. Sir. 43,21.
  7. 1. Mo. 1,31. Die Angabe der Bibelstelle ist so nicht korrekt, die 2 aber zweifelsfrei zu lesen.
  8. Vermutlich Ps. 104,30, nach der Lutherbibel 1545: Du lessest aus deinen Odem / so werden sie geschaffen / Vnd vernewest die gestalt der Erden. Hieran knüpft die Inschrift der folgenden Kartusche an.
  9. Ps. 104,31. Vermutlich stand die Angabe der Bibelstelle in der ersten Zeile.
  10. Nach 1. Mo. 3,6.
  11. 1. Mo. 3,7, nach der Lutherbibel 1545: Da wurden jr beider Augen auffgethan / vnd wurden gewar / das sie nacket waren.
  12. Rö. 5,18, nach der Lutherbibel 1545: Wie nu durch eines Sünde die verdamnis vber alle Menschen komen ist / Also ist auch durch eines Gerechtigkeit die rechtfertigung des Lebens vber alle Menschen komen.
  13. 1. Mo. 2,17, nach der Lutherbibel 1545: Aber von dem Bawm des Erkentnis gutes vnd böses soltu nicht essen Denn welches tages du da von isset / wirstu des Todes sterben.
  14. Mk. 16,16.
  15. Zu vermuten wäre hier die Fortsetzung des vorherigen Zitats Mk. 16,16, nach der Lutherbibel 1545: Wer aber nicht gleubet / Der wird verdampt werden. Vom zur Verfügung stehenden Platz her käme dies in Betracht, passt aber nicht zu der deutlich lesbaren Ziffer der Bibelstellenangabe am Ende. Möglicherweise Jh. 3,18, nach der Lutherbibel 1545: Wer aber nicht gleubet / der ist schon gerichtet.
  16. Jh. 1,26.
  17. Mt. 17,5.
  18. Lk. 3,22, nach der Lutherbibel 1545: Der heilige Geist fuhr hernieder in leiblicher Gestalt auf ihn wie eine Taube.
  19. Borstelmann, Backhäuser, S. 27.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 967 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0096702.