Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 956† St. Johannis 1648

Beschreibung

Epitaph der Brüder Hans und Heinrich Stern. Über den Verbleib des Epitaphs, das in einem Kupferstich überliefert ist, ist nichts bekannt.1) Der Kupferstich trägt den Titel EPITAPHIUM Der Herren Gebrüdere Johann und Heinrich Sternen zu Lüneburg, So sie noch beÿ dero Lebens Zeit in Messing gegossen neben dem Ort ihres Grabes und Ruhekämmerleins in der Kirche zu St. Johannis daselbst setzen lassen. Montags nach Misericordias Domini A° 1648. Er zeigt ein sehr aufwendiges, mehrteiliges Epitaph mit eingesetzten Messingtafeln. Auf einer Volutenkartusche im Mittelteil die zentriert gesetzte Inschrift A. Links davon zwei Frauengestalten mit einem Buch, die neben einer Buchpresse stehen, darüber die Inschrift B, darunter die Inschrift C; rechts davon eine Frauengestalt mit einem Herzen im Korb und mit einer Fackel, in deren Flamme ein Stern schwebt, sie tritt eine Gestalt mit einer Fratze nieder, darüber die Inschrift D, darunter die Inschrift E. Im oberen Teil des Epitaphs eine von drei Putten umgebene Kartusche mit der Darstellung der Auferstehung, links und rechts davon jeweils eine kleinere Kartusche mit einer sich zur einen Seite senkenden Waagschale. Links ein Buch oder Gesetzestafeln in der tieferen Waagschale, ein Herz in der höheren, rechts ebenfalls ein Buch oder Gesetzestafeln in der höheren Waagschale, ein Kreuz in der tieferen, über der linken Kartusche die Inschrift F, über der rechten die Inschrift G. Im unteren Teil des Epitaphs gerahmt von zwei geflügelten weiblichen Gestalten eine Kartusche mit einer Darstellung von zwei Männern, die in einer Landschaft knien, über dem rechten Mann ein Unwetter mit Blitzen. Um die Kartusche herum links die Inschrift H, rechts die Inschrift I. Darunter ein Vollwappen sowie als unterer Abschluss eine Kartusche mit der Inschrift J.

Inschrift nach dem Kupferstich.

  1. A

    VIATOR / Sta paulisper et audi, / IOHANNES et HEINRICUS STELLAE / Lunaeburgi Nobiles Typographi / postquam / in / Patriae, Ecclesiae et Literarum Sphaeris, / Fide, Industria et Labore incredibilibus, / evidente Rei Christianae fructu /Annos totos <..>L<......> claruissent, / Viatores / Terris occidentes / per / IESUM CHRISTUM / Coelis orientes / Luce inextinguibili radiant / Comprehensores2) / IOHANNES nat(us) A(nno) Ch(risti) MDLXXXIIa) D(ie) Oct(obris) XXXI. / Decessit A(nno) Ch(risti) MDCa)<......> / HEINRICUS nat(us) A(nno) C(hristi) MDXCIIa) D(ie) Ian(uarii) XVII / Decessit A(nno) Ch(risti) MDC<......>a) / Ponebatur ipsis viventibus A(nno) 1648 / Qui duo corporibus mentibus / unus erant.

  2. B

    LABOR

  3. C

    ADIUTA RESPVBLICA

  4. D

    CANDOR

  5. E

    CALCATA INVIDIA

  6. F

    PRAEPONDERO

  7. G

    PRAEPONDEROR ·

  8. H

    Evolemus! e Tenebris ad Lucem

  9. I

    Evolemus! e Turbine ad Serenitatem

  10. J

    Memento Itineris / extremi.

Übersetzung:

Wanderer, halte ein wenig ein und höre: Hans und Heinrich Stern, die angesehenen Lüneburger Drucker erstrahlen, nachdem sie sich im Bereich der Angelegenheiten ihrer Vaterstadt, der Kirche und Literatur durch unglaubliche Glaubenstreue, Fleiß und Anstrengung mit erkennbarem Erfolg für die christliche Sache insgesamt .. Jahre ausgezeichnet hatten, als Pilger für die Erde untergehend, durch Jesus Christus für den Himmel aufgehend, erglänzen im unauslöschlichen Licht als Besitzer (der Seligkeit).2) Hans, im Jahr Christi 1582 am 31. Tag des Oktober geboren, starb im Jahr Christi 16.. . Heinrich, im Jahr Christi 1592 geboren, starb im Jahr Christi 16.. . Ihnen wurde (dies) von ihnen selbst zu ihren Lebzeiten im Jahr 1648 gesetzt, die körperlich zwei, geistig eine Person waren. (A)

Die Arbeit. (B)

Das unterstützte Gemeinwesen. (C)

Die Aufrichtigkeit. (D)

Der mit Füßen getretene Neid. (E)

Ich ziehe vor. (F)

Ich werde vorgezogen. (G)

Lasst uns herausfliegen aus der Finsternis ans Licht. (H)

Lasst uns herausfliegen aus dem Unwetter in das schöne Wetter. (I)

Bedenke den letzten Weg. (J)

Wappen:
Stern3)

Kommentar

Die beiden Brüder Hans und Heinrich Stern übernahmen von ihrem Vater Hans Stern (vgl. Nr. 768) die Buchbinderei und den Verlag und erweiterten den Betrieb um eine Druckerei.4) Hans Stern wurde 1630 in den Ausschuss gewählt, der die unter den Zwängen des Dreißigjährigen Kriegs erforderliche Defensionskasse der Stadt verwaltete. Zudem gehörte er der Getreuen Bruderschaft an und verfügte über enge Verbindungen zu den Lüneburger Herzögen. Dies war ausschlaggebend dafür, dass er in dem Interimsrat 1638/39 vorübergehend das Amt des Bürgermeisters bekleidete, was sein Ansehen in den etablierten Kreisen der Stadt nicht gerade beförderte. Zusätzlich problematisch wurde seine Position durch seine Behauptung, die vorübergehende Übergabe der Stadt an die Schweden sei unnötig gewesen. All dies trug dazu bei, dass der Drucker besonders nach Wiedereinsetzung des Alten Rats innerhalb der Stadt keinen guten Stand hatte, die gegen ihn wegen Steuerschulden vor dem Reichskammergericht prozessierte. Der Prozess wurde erst nach dem Tod des Hans Stern durch seinen Bruder Heinrich beigelegt. Dass es Hans Stern vor seinem Tod noch gelang, Salinenanteile zu erwerben, führt seine Rolle als Vertreter der nicht-patrizischen Kräfte in der Stadt letztlich ad absurdum. Hans starb am 15. Januar 1656, Heinrich am 10. November 1665. Hans Stern gelang es, seine Familie von Kaiser Ferdinand III. 1645 in den erblichen Adelsstand erheben zu lassen. In der Inschrift A wurde der Adelstitel aber nicht verwendet. Im Gegensatz zu seinem Bruder Hans blieb Heinrich Stern immer im Hintergrund tätig. Wie wichtig seine Tätigkeit zumindest für seinen um eine herausragende öffentliche Position bemühten Bruder war, zeigt die gleichberechtigte Stellung, die dieser seinem Bruder Heinrich auf dem zu Lebzeiten errichteten Epitaph einräumte. Schon im März 1646 kauften die beiden Brüder vier Begräbnisstätten in St. Johannis für sich und ihre Ehefrauen und zahlten dafür 120 Mark an die Kirchenkasse sowie weitere 40 Mark für die Legung zweier Grabplatten.5) Anlässlich der Errichtung des Epitaphs im Februar 1648 stifteten die beiden Brüder der Kirche St. Johannis 200 Mark.6) Die durch die Inschriften B–J knapp erläuterten emblematischen Darstellungen des Epitaphs dürften auf Vorbilder der zeitgenössischen Druckgraphik zurückzuführen sein. Sie betonen wie die Inschrift A die Rolle, in der sich vor allem Hans Stern als wichtige Persönlichkeit innerhalb der Stadt Lüneburg sah.

Textkritischer Apparat

  1. Neulateinische Zahlzeichen.

Anmerkungen

  1. Foto des Kupferstichs Museum Lüneburg, Fotosammlung J259Joh300. Gedr. bei Dumrese, Offizin, S. 78.
  2. Die Inschrift spielt mit der Bezeichnung der Brüder als viatores und comprehensores auf die Summa Theologia des Thomas von Aquin (III, q. 15,10) an: Praeterea, sancti, quorum animae sunt in caelo et corpora in sepulcris, fruuntur quidem beatitudine secundum animam, quamvis eorum corpora morti subiaceant, et tamen non dicuntur viatores, sed solum comprehensores. Ergo, pari ratione, licet corpus Christi fuerit mortale, quia tamen mens eius Deo fruebatur, videtur quod fuerit purus comprehensor, et nullo modo viator ... Respondeo dicendum quod aliquis dicitur viator ex eo quod tendit in beatitudinem, comprehensor autem dicitur ex hoc quod iam beatitudinem obtinet. Auch Christus wird zugleich als viator (auf Erden) und als comprehensor bezeichnet: ... simul erat comprehensor, inquantum habebat beatitudinem animae propriam, et simul viator, inquantum tendebat in beatitudinem secundum id quod ei de beatitudine deerat.
  3. Wappen Stern (drei mit Sternen besetzte Spitzen).
  4. Hierzu und zum folgenden Dumrese, Offizin, S. 16–78.
  5. SKA Lüneburg, Kirchenrechnung St. Johannis I,6, fol. 370r.
  6. Ebd., fol. 409r.

Nachweise

  1. Fotosammlung Museum Lüneburg, J259Joh300 (Foto des Kupferstichs).

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 956† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0095605.