Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 776 St. Johannis vor 1606

Beschreibung

Teile des Epitaphs für Heinrich Rodewolt und seine Ehefrau Anna Schütte. Stein, farbig gefasst. Das Epitaph, dessen einer erhaltener Teil heute im äußeren nördlichen Seitenschiff in der dritten Kapelle von Westen angebracht ist, der andere im oberen Turmraum, hing nach Witzendorff ursprünglich am Chor nach der Rechten handt neben dem Epitaph des Fabian Ludich (Nr. 489).1) Wie das Epitaph ursprünglich ausgesehen hat, das Mitte des 19. Jahrhunderts offenbar noch komplett erhalten war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.2) Es handelt sich im heutigen Zustand um eine als Baumaterial zweitverwendete und daher in zwei Teile geschnittene hochrechteckige Tafel, der schmale linke Teil fügt sich nahtlos an den breiteren rechten an, so dass die Inschriften vollständig erhalten sind. Oben auf dem Stein in vier Zeilen die Inschrift A, für deren Vervollständigung eine Zeile freigelassen wurde. Darunter in kleineren Buchstaben die Inschrift B. Beide Inschriften erhaben gehauen und in Gold auf ursprünglich schwarzem Grund gefasst, von dem sich nur noch Reste erhalten haben. Darunter in einem querrechteckigen Feld ein schlichtes Beschlagwerkornament. Eine weitere zu dem Epitaph gehörende Steintafel befindet sich heute im oberen Turmraum und ist an der Wand angebracht. Sie trägt die Inschrift C ebenfalls in erhabenen Buchstaben, Reste der ehemaligen Vergoldung und des schwarzen Grundes sind noch erkennbar.

Maße: H.: 89,5 cm; B.: 61,8 cm (A/B). H.: 18 cm; B.: 85 cm (C). Bu.: 4 cm (A), 2,8–3 cm (B), 3–2 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/2]

  1. A

    MEMORIAE, CLARISSIMI DOC/TISSIMI AC CONSVLTISSIMI VI/RI. D(OMINI). HENRICI RHODEWOLDI / SENATORIS LVNEBVRG(ENSIS)a) PIE DENATI < – – – >

  2. B

    HANC MIHI DELEGI CVM CONIVGE CORPORIS VRNA(M) /HENRICVS VIVVS DVM RODEVVOLDVS ERAM /LVNAEBVRGA DEDIT MIHI VITAM LEVCORIS ARTES /IVS VIADRVS: CVRAS CVRIA:3) SVADA DECVS: /QVANDO SENATOREM ME VOTO ET VOCE CREAVITb) /PVBLICA RES EPHORVM CONSTITVITQVE SCHOLAE /ET SEPTEM SVMMI FASCES MIHI IVDICIS ANNOS /ACTAQVE COMMISIT DISCVTIENDA FORI · /CAETERA PRAETEREO SED CEDANT MVNERA MVNDI, /VIVIDA FVNEREIS SVNT POTIORA BONIS · /SORS IGITVR MIHI CERTA FIDES: MORS PORTA SALVTIS /VRNA QVIES; COELVM PATRIA; VITA DEVS ·

  3. C

    EGO SVM RESVRRECTIO ET [VITA] / QVI CREDIT IN ME ETIAM SI MORTVVS / FVERIT VIVET, ET OMNIS QVI CREDIT IN / ME NON MORIETVR IN AETERNVM / IOH AM 114)

Übersetzung:

Zur Erinnerung an den hochberühmten, hochgelehrten und sehr kundigen Mann, Herrn Heinrich Rodewolt, Lüneburger Ratsherrn, der fromm gestorben ist ... . (A)

Dieses Grab habe ich mir zusammen mit meiner Ehefrau für meinen Körper gewählt, während ich, Heinrich Rodewolt, noch am Leben war. Lüneburg gab mir das Leben, Wittenberg die Bildung, das Recht Frankfurt an der Oder, die Verwaltungsaufgaben der Rat, die Beredsamkeit das Ansehen, da mich ja die Stadt durch Wahl und Stimme zum Ratsherrn machte und zum Aufseher der Schulen bestimmte und mir sieben Jahre lang das Amt des höchsten Richters und die Prüfung der Handelsgeschäfte anvertraute. Das Übrige lasse ich beiseite, aber die weltlichen Ämter sollen jetzt keine Rolle mehr spielen, denn die Leistungen, die das (ewige) Leben bringen, sind wertvoller als die vergänglichen Güter. Mein Los ist also der sichere Glaube, mein Tod die Pforte zum Heil, das Grab die Ruhe, der Himmel die Heimat, das Leben Gott. (B)

Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist. Und jeder, der an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben. (C)

Versmaß: Elegische Distichen (B).

Kommentar

Das zu Lebzeiten des Heinrich Rodewolt von ihm selbst gesetzte Epitaph zeigt in der Versinschrift B für diesen Texttyp verhältnismäßig detaillierte biographische Angaben. Möglicherweise stammt der Text von Rodewolt selbst. Dieser immatrikulierte sich im April 1571 an der Universität Wittenberg, im Jahr 1576 an der Universität Frankfurt/Oder, als Herkunftsort ist in beiden Matrikeln Lüneburg angegeben.5) Im Jahr 1592 wurde er in den Rat gewählt.6) Im Jahr 1598 schloss die Stadt einen Anstellungsvertrag auf zehn Jahre mit Heinrich Rodewolt. Danach erhielt er jährlich 100 Lübische Mark dafür, dass er die Stadt beriet Es sei in oder außerhalb Luneburgk, auch mith Urtheilen zu faßen, Missiven zu stellen, oder wohr zu man seiner sonst bedarven muchte. Die im Vergleich zu anderen Gehältern der Zeit verhältnismäßig geringe Summe zeigt, dass Rodewolt wohl nicht nur als Syndikus der Stadt, sondern offenbar auch als Rechtsberater für andere Institutionen und Personen tätig war.7) Für Heinrich Rodewolt gab es auch eine Grabplatte, die vor dem Chor in St. Johannis lag (vgl. Nr. 794).8) Diese Grabstelle für sich und seine Ehefrau in dem gange furm Chore hatte Heinrich Rodewolt bereits im Jahr 1601 erworben und dafür 60 Mark an die Kirchenkasse gezahlt.9) Heinrich Rodewolt starb im August 1606.10) Nach Hein heiratete seine Witwe Anna Schütte, mit der Rodewolt seit 1584 verheiratet war, in zweiter Ehe Hans Wobben.11)

Textkritischer Apparat

  1. Irrtümlich ein I anstelle des ersten V gehauen, das in der farbigen Fassung zu einem V korrigiert wurde, indem nach links eine noch schwach erkennbare goldene Schräghaste angesetzt wurde.
  2. vocavit alle kopialen Überlieferungen.

Anmerkungen

  1. Witzendorff, Wegweiser, p. 102.
  2. Das gesamte Epitaph ist in einer Liste aus dem März 1856 unter den Einrichtungsstücken aufgeführt, die zum Materialwert an den Meistbietenden verkauft werden sollten. Es dürfte kurz darauf in Einzelteile zerlegt worden sein. SKA Lüneburg, Nr. 51301.
  3. Zu dem sprichwörtlichen Curia dat curas vgl. DI 96 (Landkreis Northeim), Nr. 204.
  4. Io. 11,25.
  5. Matrikel Wittenberg, Bd. 2, S. 189a,11. Matrikel Frankfurt, Bd. 1, S. 250b,32.
  6. Stahl, Ratslinie, Nr. 320, S. 185.
  7. StA Lüneburg, AA A7a Nr. 10gg.
  8. Ein entsprechender Verweis bei Rikemann, Libellus, fol. 38v geht in die Leere und lässt darauf schließen, dass Seiten in dem Konvolut fehlen.
  9. SKA Lüneburg, Kirchenrechnung St. Johannis I,4, fol. 358r.
  10. Vermerk im Album Curiae, StA Lüneburg, AB 44, fol. 181v.
  11. Hein, Genealogie, Bd. 1, S. 420.

Nachweise

  1. Witzendorff, Wegweiser, p. 102 (B).
  2. Sagittarius, Ex. Wolfenbüttel, fol. 135r (B).
  3. Gebhardi, Collectanea, Bd. 1, p. 485 (B, nach Witzendorff).

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 776 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0077602.