Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 743 London, Schroder Collection; Berlin, Kunstgewerbemuseum 1602

Beschreibung

Pokal, ‚Töbing-Pokal‘, der ehemals zum Ratssilber gehörte. Silber, vergoldet. Der Pokal, der 1706 aus dem Ratssilber entnommen und an den Kurfürsten Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg überreicht wurde, gehörte seit dieser Zeit zum Besitz der Welfen und wurde 1929 von der Sammlung Schroder in London erworben. Der Pokal erinnert in seiner Gestaltung an den Kurfürstenpokal Nr. 458. An der Wandung der Kuppa sind hier – durch Karyatiden getrennt – sechs Medaillons mit den Brustbildern europäischer Fürsten angebracht, die auf Schriftbändern (A–F) namentlich bezeichnet sind. Die Beischriften sind wenig sorgfältig einpunziert.1) Auf dem Deckel drei sitzende, emaillierte Figuren der Tugenden Temperantia, Prudentia und Fortitudo, als Bekrönung die Figur der Justitia. Hamburger Beschauzeichen und Meistermarke.2)

Das Allianzwappen, das sich heute im Kunstgewerbemuseum Berlin befindet,3) war ursprünglich am Fuß des Pokals angebracht, wurde aber im Jahr 1706 abgenommen und durch das Wappen der Stadt Lüneburg ersetzt, als die Stadt den Pokal dem Kurfürsten Georg Ludwig als Huldigungsgeschenk überreichte. Das abgenommene Wappen verblieb im Ratssilber und wurde mit diesem 1874 an den preußischen Staat verkauft. Unterhalb der beiden Wappenschilde ein Schriftband mit den eingravierten und schwarz ausgefüllten Buchstaben der Inschrift.

Maße: H.: 75,7 cm; Bu.: 0,2–0,3 cm (Pokal, A–F). H.: 9,6 cm; B.: 7,3 cm; Bu.: 0,4 cm (Wappen, G).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/1]

  1. A

    K(ÖNIG)a) · E(RICH) · Z(V) · SVEDEN

  2. B

    K(ÖNIG) · SI(GISMVND) · Z(V) · POL(EN) ·

  3. C

    K(ÖNIG) · H(EINRICH) · Z(V) · FRAN(K)R(EICH)

  4. D

    H(ERZOG) · H(EINRICH) · Z(V) · BRVNS(WICH) ·

  5. E

    L(AND)·G(RAF) · Z(V) · HESSEN

  6. F

    G(RAF) · A(LBRECHT) · Z(V) · BRANDE(NBVRG)

  7. G

    H(ERRN) : LENERT : THOBING : B(VRGERMESTER) : S(INE)b) : ARBEN

Übersetzung:

Die Erben des Herrn Bürgermeisters Leonhard Töbing. (G)

Wappen:
Töbing4)/Garlop5)

Kommentar

Zu dem aus Lüneburg stammenden und später in Hamburg tätigen Goldschmied Dirick Utermarke vgl. Nr. 578. Drei der Bildmedaillons und die ihnen zugeordneten Beischriften beziehen sich auf europäische Herrscher. Es handelt sich um Heinrich II. von Frankreich (reg. 1547–1559), der sich mit den protestantischen Reichsfürsten gegen den Kaiser verbündete, den katholischen Sigismund II. August von Polen (reg. 1530–1572)6) und Erik XIV. von Schweden (reg. 1560–1568). Letzterer wurde allerdings wohl nur als Repräsentant einer protestantischen Macht um die Mitte des 16. Jahrhunderts ausgewählt, da der in geistiger Umnachtung gestorbene König, dessen Verfolgungswahn etliche seiner Untertanen zum Opfer fielen, nicht gerade als vorbildliche Herrscherfigur gelten kann. Bei den drei protestantischen deutschen Fürsten handelt es sich um Albrecht II. Alkibiades von Brandenburg (reg. 1541–1554), den Landgrafen Philipp von Hessen (reg. 1518–1567) und Heinrich von Braunschweig-Lüneburg (reg. ab 1559, seit 1569 nur noch in Dannenberg, † 1592).7) Angesichts dieser nur durch die Tituli unter den Büsten bestimmten Auswahl an Fürsten, die eher willkürlich erscheint, und angesichts der unsorgfältigen Ausführungsart der einpunzierten Beischriften ist zu fragen, ob hier wirklich ein durchdachtes Konzept dahinterstand oder ob man die Namen – teilweise vermeintlicher – fürstlicher Repräsentanten des Protestantismus für die Schriftbänder eher wahllos zusammenstellte.

Das heute noch in Berlin befindliche Allianzwappen bezieht sich auf den bereits 1591 verstorbenen Bürgermeister Leonhard II. Töbing und seine Ehefrau Anna Garlop (vgl. Nr. 678). Die Stiftung des Pokals durch die Erben des Bürgermeisters ist in einem Nachtrag aus dem Jahr 1602 in dem Inventar des Ratssilbers von 1598 belegt.8)

Textkritischer Apparat

  1. K über G korrigiert.
  2. Auch B(VRGERMEISTER) S(EINE) als Auflösung denkbar.

Anmerkungen

  1. Der Kuratorin der Schroder Collection London, Deborah Lambert, danke ich herzlich für die Anfertigung und Übersendung von Detailfotos, nach denen die Inschriften A–F ediert werden konnten.
  2. Marke des zunächst in Lüneburg, seit 1599 in Hamburg tätigen Goldschmieds Dirick Utermarke. Vgl. Bursche, Ratssilber, Nr. 36, S. 175.
  3. Inv. Nr. 1931,18.
  4. Wappen Töbing (Maulbeerbaum auf Hügel). Vgl. Büttner, Genealogiae.
  5. Wappen Garlop (Hundekopf mit einer Schelle am Halsband). Vgl. Büttner, Genealogiae.
  6. Sigismund I. von Polen, wie Netzer (Ratssilber, Nr. 36, S. 132) meint, kommt hier wohl eher nicht in Frage. Für Sigismund II. August spricht immerhin, dass er dem deutsch-baltischen Adel die Ausübung des Protestantismus garantierte und sich dadurch als tolerant erwies.
  7. Dass hier Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel gemeint ist, wie Netzer (Ratssilber, Nr. 36, S. 132) vermutet, ist eher unwahrscheinlich, da dieser bis zu seinem Tod am katholischen Glauben festhielt.
  8. Gedr. bei Bursche, Ratssilber, S. 187. Bursche geht in Unkenntnis der Inschriften A–F davon aus, dass es sich auf dem Pokal nur um Bildnisse deutscher Fürsten handelt. Ebd., S. 175.

Nachweise

  1. Bursche, Ratssilber, Nr. 36, Abb. S. 176.
  2. Netzer, Ratssilber, Nr. 36, Abb. S. 132.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 743 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0074307.