Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 675 Rathaus 1598

Beschreibung

Kamineinfassung in der Großen Kommissionsstube. Stein. Im Fries ein Relief, das die Verleumdung des Apelles und den Triumph der guten Mächte darstellt, hier wie in dem Gemälde Nr. 695 in Kombination mit dem Thema Gesetz und Gnade, symbolisiert durch den halb kahlen, halb belaubten Baum in der Bildmitte. Im linken Teil oben schwere Wolken, aus denen es regnet, über der Gerichtsszene, die den von bösen Mächten denunzierten Maler auf dem Boden vor dem Richterthron zeigt, im rechten Teil der im Baum hängende Ehrenschild und der von einem Engel mit aufgeschlagenem Buch angeführte Triumphzug, im Hintergrund neben der Figur des Engels, nach dem Gemälde Nr. 695 die Wahrheit, eine von einem Strahlenkranz umgebene Figur, die dem Gemälde Nr. 695 zufolge die Unschuld symbolisiert. Eingerahmt wird das Relief von zwei quadratischen Rollwerktafeln, darin in einer rechteckigen Kartusche links das Wappenbild des Fürstentums Lüneburg, rechts das Wappenbild der Stadt. Auf einer querrechteckigen Rollwerktafel mit der erhaben gehauenen Inschrift A, die über dem Fries angebracht ist, wird der Bildinhalt erläutert. Auf den mit Köpfen besetzten Konsolen, die den Fries tragen, die eingehauene Jahresangabe B. Ein Foto der Großen Kommissionsstube aus dem Jahr 1897 zeigt an der Stelle, wo der Fries heute angebracht ist, einen großen Kachelofen, ein weiteres 1916 aufgenommenes Foto zeigt den Fries samt Schrifttafel bereits in der Großen Kommissionsstube.1) Über die Herkunft ist nichts bekannt; auf eine ursprüngliche Anbringung in einem öffentlichen Gebäude lassen nur die beiden Wappenmotive schließen.2) Dass sich in der älteren Literatur kein Hinweis auf die Kamineinfassung findet und Albers in der Großen Kommissionsstube noch den auf 1583 datierten Kamin antraf (A1,61), erklärt sich daraus, dass die Kamineinfassung erst um 1900 in die Große Kommissionsstube versetzt wurde.

Maße: H.: 97 cm; B.: 146 cm; Bu.: 2 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/1]

  1. A

    HIC TYPVS EST . DVBIVM QVO DOCTE PINXIT APELLES /IVDICIVM . ET PRESSI IVSTA TROPHAEA VIRI . /SVSPICIO . RVDITAS . DISa) IRA . CALVMNIA . NVGAE /PRAETENTANT PECTVS IVDICIS . ORA . MANVS . /AT SVBIT A LONGE VERVM . ET PATIENTIA CONSTANS /FERT SERTVM . ET CLYPEO SVBTER HONORIS OVAT .

  2. B

    ANNO // 1598

Übersetzung:

Dies ist ein Bild, auf dem Apelles kunstvoll die gefährliche Gerichtsverhandlung und  den gerechten Sieg des bedrängten Mannes gemalt hat: Argwohn, Dummheit, Streit, Zorn, Verleumdung und Narretei behelligen Herz, Mund und Hände des Richters, aber in der Ferne taucht die Wahrheit auf, und die unerschütterliche Geduld trägt den Kranz davon und feiert unter dem Schild der Ehre ihren Triumph. (A)

Versmaß: Elegische Distichen (A).

Kommentar

Auffallend sind die in Form kleiner Dreiecke auf der Grundlinie gestalteten Satzzeichen in der Inschrift A.

Die als Ekphrasis formulierte Versinschrift A konzentriert sich vor allem auf das Thema der Verleumdung des Apelles in der linken Bildhälfte, der halb kahle, halb belaubte Baum als Symbol für Gesetz und Gnade in der Bildmitte ist allenfalls durch die Erwähnung der Wahrheit Gegenstand der Verse. Anders als im Relief schildert die Inschrift den Triumph der guten Mächte im letzten Distichon als in der Ferne erscheinend.

Gross nimmt ohne Angabe von Gründen an, dass das Relief auf eine unbekannte und verschollene Zeichnung Daniel Freses zurückgeht.3) Diese Annahme stützt sich lediglich auf den Umstand, dass das bisher Daniel Frese und seiner Werkstatt zugeschriebene Gemälde, das jedoch ein Werk des Lucas up dem Born ist (vgl. Nr. 695), dieselben Bildmotive umsetzt und dass man in Daniel Frese gerne den Urheber aller ikonographischen Ideen in Lüneburg um 1600 sieht.

Angesichts der Entstehungsdaten 1598 für den Kamin und 1600 für das Gemälde ist es allerdings durchaus denkbar, dass umgekehrt das – in seiner Ausführung eher schlichte – Relief Anlass bot, das Bildthema auch in ein Gemälde umzusetzen. Es handelt sich bei der in der linken Bildhälfte dargestellten Verleumdung des Apelles um ein in der Renaissance sehr beliebtes Bildthema, das auf eine Ekphrasis Lukians zurückgeht und u. a. von Sandro Botticelli, Mantegna und Albrecht Dürer umgesetzt wurde.4) Anders als hier auf dem Kamin und in dem Gemälde Nr. 695 ist der Richter sonst jedoch mit großen Eselsohren ausgestattet und damit entsprechend abgewertet. Bemerkenswert an dem in dem Relief und auch in dem Gemälde umgesetzten Bild ist die Komposition der Bildthemen, die in dem Triumph der Wahrheit eine Verbindung zwischen dem antiken Bildmotiv und dem Kerngedanken der lutherischen Lehre von Gesetz und Gnade herstellt. Für diese Verknüpfung der beiden verbreiteten Bildthemen ließ sich – zumindest bisher – keine druckgraphische Vorlage ermitteln; sie scheint daher eine Lüneburger Schöpfung zu sein.

Textkritischer Apparat

  1. Gemeint sein dürfte LIS, das D wohl irrtümlich anstelle des L gehauen. DIS kommt zwar als Bezeichnung für den Gott der Unterwelt vor, passt aber nicht in die Aufzählung negativer Eigenschaften.

Anmerkungen

  1. Fotosammlung Museum Lüneburg (R257, R901).
  2. In den Kämmereiregistern StA Lüneburg, AB 56/6 u. 56/7 findet sich in den Jahren 1598 und 1599 kein Eintrag, der sich auf einen Kamin bezieht.
  3. Gross, Gerechtigkeit, S. 63.
  4. Lukian, Περὶ τοῦ μὴ ῥᾳδίως πιστεύειν Διαβολῇ / Calumniae non temere credendum 5 (in der Übersetzung von August Friedrich Pauly, Lukians Werke, Bd. 12. Stuttgart 1831, S. 1441–1459). Vgl. zu dem Bildthema ausführlich Gross, Gerechtigkeit, passim. Abb. der Federzeichnung Dürers ebd. Vgl. a. Richard Förster, Die Verleumdung des Apelles in der Renaissance. In: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen, Bd. 15, 1894, S. 27–40.

Nachweise

  1. Gross, Gerechtigkeit, S. 63f., Abb. S. 64.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 675 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0067508.