Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 505 Rathaus 1577

Beschreibung

Portal. Eichenholz. Das Portal umgibt die Tür zur Kollektorei in der Südwestecke der Großen Ratsstube, links gerahmt von der Frauenfigur der Veritas, rechts von der Figur der Sapientia, vor deren Sockel das Wappen der Stadt Lüneburg. Über beiden Figuren Engel, der linke mit der Inschrift A auf einer Tafel, rechts zwei Engel mit den Inschriften B und C in Büchern. Auf dem Gesims links und rechts die Apostel Petrus und Paulus mit großen vor ihnen stehenden Tafeln, darauf links die Inschrift D, rechts die Inschrift E. Als Türbekrönung eine von reichem durchbrochenen Schnitzwerk umgebene Ädikula mit einem Relief im Mittelteil, das Noahs Opfer darstellt, unten rechts am Altar die Künstlersignatur F, im Hintergrund die Silhouette der Stadt Lüneburg. Im Giebel ein Engelskopf sowie Fruchtarrangements, als Bekrönung des Giebels die Figur des Moses mit einem Stab und einer Tafel mit der Inschrift G. Zu beiden Seiten vor der Wand Engel mit Wappenschilden, darauf links ein Halbmond, rechts das Wappen der Stadt Lüneburg. Alle Inschriften sind erhaben geschnitzt und in Gold vor schwarzem Hintergrund gefasst.

Maße: Bu.: 1–1,2 cm (A), 0,8 cm (B, C), 1,5–2,5 cm (D, E), 3 cm (F), 2–3 cm (G).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/6]

  1. A

    OLYMP(II) / VERITAS COE=/LI CIVIS EST / ET SOLA FRV=/ITVR CONVIC=/TV DEORVM.1)

  2. B

    OMNIS / SAPIEN/TIA EST / A DEO. SIRA: I2) // CVPIDITAS SAPIENTI/AE AD RE/GNVM P/ERDVCIT. / SAPI: 6.3)

  3. C

    NEMINE(M) DEVS PRAET=/ER SAPIENTIAE STVDIOSV(M) / DILIGIT. NA(M) HAEC SO/LE SPECIOSIOR EST. ET / OMNE(M) ASTRORVM SE/RIE(M) SVPERAT. SAPI: / 7.4)

  4. D

    SVBDITI ES=/TOTE IGITVR / CVIVIS HUMAN AE / CREATVRAE PRO/PTER DOMINV(M). / SIVE REGI. TAN=/QVAM PRAECEL=/LENTI. SIVE PRAESIDIB(VS) VT / QVI PER EV(M) MIT=/TANTVR. AD VI(N)/DICTA(M) QVIDE(M) / NOCENTIV(M). LAV=/DE(M) VERO REC=/TE AGENTIV(M). 1. PET. 2.5)

  5. E

    OMNIS ANIMA POTES/TATIB(VS) SVPEREMINE(N)=/TIB(VS) SVBDITA SIT. / NON ENIM EST PO=/TESTAS NISI A DEO. / QVAE VERO SVNT / POTESTATES A DEO / ORDINATAE SVNT. / ITAQ(VE) QVISQVIS / RESISTIT POTES/TATI. DEI ORDI/NATIONI RESIS/TIT. ROMA. 13.6) / 1577.

  6. F

    A(LBERT) V(ON) S(OEST)a)

  7. G

    QVICVNQ(VE) EF=/FVDERIT SAN=/GVINE(M) HVMA=/NV(M). FVNDETVR / SANGVIS ILLI=/VS. AD IMAGI=/NE(M) DEI QVIP=/PE FACTVS / EST HOMO. / GENE. 97)

Übersetzung:

Die Wahrheit ist eine Bürgerin des olympischen Himmels und genießt allein die Gesellschaft der Götter. (A)

Alle Weisheit kommt von Gott. Das Verlangen nach Weisheit führt zur Herrschaft. (B)

Niemanden liebt Gott außer denjenigen, der sich um Weisheit bemüht. Denn diese ist strahlender als die Sonne und übertrifft die ganze Reihe der Sterne. (C)

Seid also jeglicher menschlicher Ordnung wegen des Herrn untertan, sei es dem König als dem, der an der Spitze steht, sei es den Statthaltern als denen, die von ihm geschickt werden zur Bestrafung der Übeltäter, aber zum Lob der Rechtschaffenen. (D)

Jeder sei den überragenden Gewalten untertan. Es gibt nämlich keine Obrigkeit außer von Gott. Die existierenden Obrigkeiten aber sind von Gott verordnet. Daher widersetzt sich, wer immer sich der Obrigkeit widersetzt, Gottes Ordnung. (E)

Jeder, der Menschenblut vergießt, dessen Blut wird vergossen werden. Zum Bilde Gottes ist nämlich der Mensch geschaffen worden. (G)

Kommentar

Das Portal wurde von dem Bildhauer Albert von Soest (vgl. u. a. Nr. 378) angefertigt.8) Die Inschriften zeigen die typischen Buchstabenformen dieses Künstlers: die O mit Bogenverstärkungen und stark rechtsgeneigter Schattenachse im Gegensatz zu den gegengleich gestalteten Q mit linksgeneigter Schattenachse, gerade M mit bis zur Grundlinie herabgezogenem Mittelteil sowie insgesamt der betonte Wechsel zwischen Haar- und Schattenstrichen (vgl. Nr. 447).

Die den Aposteln Petrus und Paulus jeweils aus ihren Briefen zugeordneten Inschriften D und E enthalten Kernsätze, auf die sich das Obrigkeitsverständnis Luthers gründet (vgl. dazu Einleitung, Kap. 3.3.7.3.). Da die Bibeltexte auch hier mehr oder weniger stark vom Text der Vulgata abweichen (vgl. a. Nr. 447), ist es wahrscheinlich, dass man für die lateinischen Inschriftentexte nicht auf die Vulgata, sondern auf die Texte der Lutherbibel zurückgegriffen und diese übersetzt hat. Allerdings liegen die lateinische und die deutsche Version hier so eng beieinander, dass man dies nicht eindeutig entscheiden kann.

Textkritischer Apparat

  1. A und V ligiert, S mit V verschränkt.

Anmerkungen

  1. Reusner, Opera, Pars 4, S. 252.
  2. Nach Sir. 1,1.
  3. Nach Sap. 6,20 mit Abweichung vom Text der Vulgata (Concupiscentia itaque sapientiae deducit ad regnum perpetuum.) Hier dürfte es sich um eine Übertragung des Luthertextes ins Lateinische handeln. Nach der Lutherbibel 1545: Wer nu lust hat zur Weisheit / den macht sie zum Herrn.
  4. Nach Sap. 7,28f. mit starker Abweichung vom Text der Vulgata (Nihil enim diligit Deus,nisi eum, qui cum sapientia inhabitat. Est enim haec speciosior soleet super omnem dispositionem stellarum, luci comparata invenitur splendidior ...) Nach der Lutherbibel 1545: Denn Gott liebet niemand / er bleibe denn bei der Weisheit. Sie gehet einher herrlicher denn die Sonne vnd alle Sterne / vnd gegen das Liecht gerechnet gehet sie weit vor.
  5. Nach 1. Pt. 2,13f. mit starker Abweichung vom Text der Vulgata (Subiecti estote omni humanae creaturae propter Dominum: sive regi quasi praecellenti sive ducibus tamquam ab eo missis ad vindictam malefactorum, laudem vero bonorum ... ). Nach der Lutherbibel 1545: Seid vnterthan aller menschlicher Ordnung / vmb des HErrn willen / Es sey dem Könige als dem Obersten oder den Heubtleuten als den gesandten von jm / Zur rache vber die Vbeltheter / vnd zu lobe den Frumen.
  6. Nach Rm. 13,1f., im ersten Teil mit Abweichung vom Text der Vulgata: Omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit. Non est enim potestas nisi a Deo; quae autem sunt, a Deo ordinatae sunt. Nach der Lutherbibel 1545: Jederman sey vnterthan der Oberkeit / die gewalt vber jn hat. Denn es ist keine Oberkeit / on von Gott / Wo aber Oberkeit ist / die ist von Gott verordnet.
  7. Gn. 9,6.
  8. Vgl. dazu Behncke, Albert von Soest, S. 22–25, sowie Haupt, Ratsstube, S. 74–83.

Nachweise

  1. Albers, Rathaus, S. 31f.
  2. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 182f. (nach Albers).
  3. Behncke, Albert von Soest, S. 22–24.
  4. Krüger/Reinecke, Kunstdenkmale, S. 266–270.
  5. Tipton, Res publica, S. 360f.
  6. Haupt, Ratsstube, S. 75–82 mit Abb. S. 75.
  7. Uppenkamp, Ikonographie, S. 333f. mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 505 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0050503.