Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 503† St. Johannis 1577

Beschreibung

Epitaph des Franz Witzendorff. Rikemann lokalisiert das Epitaph wie auch die Grabplatte für das Ehepaar Witzendorff (Nr. 479) innerhalb der Kirche im Schuddemantel (vgl. dazu Nr. 129); Witzendorff lokalisiert es bei dem Epitaph des Leonhard Töbing in der Familienkapelle der Töbing auf der Südseite des Turms. Nach der Beschreibung von Witzendorff wurde das Epitaph oben durch ein Kruzifix abgeschlossen, darunter befand sich ein Fries mit acht Wappen sowie eine Darstellung der Auferstehung nach Ez. 37,1–13, auf die die Verse der Inschrift D bezogen waren. Unter dieser Darstellung ein weiterer Fries, auf dem das Ehepaar Witzendorff mit zwei Söhnen als kniende Figuren dargestellt war. Vor dem Epitaph befand sich laut Witzendorff ein Gitter mit den Wappen der Familie Witzendorff und Garlop darauf.1)

Inschriften nach Rikemann.2)

  1. A

    Epitaphium Clariss(imi) et Ampliss(imi) quondam Viri D(omini) Francisci Witzendorphÿ Consulis / Lunaebur(gensis) qui pie in Christo obdormivit A(nno) D(omini) 1574 25 Jan(uarÿ) Annum aetatis ingressus 54

  2. B

    Quem Deus eximÿs ornarata) dotibus unoQuales vix alibi pectore reperiasb)Vir sapiens animo prudens in rebus agendisConsilio praestans eloquioque gravis5Relligionis apex iuris decus arbiter aequiIusticiae vindex et bonitatis amansDoctrina celebris studiorum fautor asylumAfflicti columen patriae et urbis honosCuria cui curae cui templa scholaeque fuere10Cordi cui virtus cui pietatis amorPublica qui vigili quaesiuit commoda menteOfficÿs precibus consilÿs opibusConsul obit immo patriae pater inclita famaWitzendorphiacae stirpis et urbis amor15Curia collegam flent Templa Scholaeque patronumDeplorat patriae publica resque patremEt commune suae lugent decus urbis ademptumCum patribus populus cum populoque patresIlle decusc) patriae terris ereptus in aula20Caelesti decorat regna beata poli

  3. C

    M I Md)

  4. D

    Ossa quid haec? mirum tumulis excita resurguntIsraeliacae Germina pulchra domusCunctorum exurgent tumulis sic ossa piorumCum dabit horrendum buzina magna sonumEzechielis 373)

Übersetzung:

Epitaph des einst hochberühmten und hochangesehenen Mannes Herrn Franz Witzendorff, Bürgermeister in Lüneburg, der fromm in Christus entschlief im Jahr des Herrn 1574 am 25. Januar, nachdem er sein 54. Lebensjahr begonnen hatte. (A) Den Gott mit hervorragenden Gaben geschmückt hat, wie du sie in einem einzigen Geist kaum anderswo finden kannst, ein Mann, weise in (seinem) Sinn, klug in (seinen) Unternehmungen, durch (seine) Entscheidungskraft herausragend, durch (seine) Beredsamkeit gewichtig, [5] eine Spitze des Glaubens, eine Zierde des Rechts, ein Schiedsrichter des Rechten, ein Beschützer der Gerechtigkeit und Liebhaber der Güte, durch seine Gelehrsamkeit berühmt, ein Förderer der Studien, eine Zuflucht für den Bedrängten, eine Stütze des Vaterlandes und Zierde der Stadt, der sich um das Rathaus, um die Kirchen und Schulen kümmerte, [10] dem die Tugend, dem die Liebe zur Frömmigkeit am Herzen lagen, der den gemeinen Nutzen mit wachsamem Geist suchte, mit Dienstgeschäften, Gebeten, Ratschlägen (und) Geldmitteln. Als Bürgermeister starb er, nein vielmehr als Vater des Vaterlandes, der vielgenannte Ruhm des Witzendorffschen Geschlechts und die Liebe der Stadt. [15] Der Rat beweint den Kollegen, die Kirchen und Schulen den Förderer, und das Gemeinwesen beklagt den Vater des Vaterlandes. Und mit den (Stadt)vätern betrauert das Volk, mit dem Volk betrauern die (Stadt)väter die gemeinsame hinweggeraffte Zierde ihrer Stadt. Er, die Zierde des Vaterlandes, der Erde entrissen, ziert im Himmelspalast das selige Reich des Himmelsgewölbes. (B) Was für Gebeine sind dies? In wunderbarer Weise werden sie aus ihren Gräbern hervorgerufen auferstehen, die herrlichen Sprösslinge des Hauses Israel. So werden die Gebeine aller Frommen aus den Gräbern auferstehen, wenn die große Posaune den schrecklichen Klang ertönen lassen wird. (D)

Versmaß: Elegische Distichen (B, D).

Kommentar

Franz Witzendorff, der Sohn des Hieronymus Witzendorff und der Anna Stöterogge (vgl. Nr. 459), wurde am 19. Januar 1520 geboren.4) Nach dem Schulbesuch in Lüneburg immatrikulierte er sich bereits im Wintersemester 1533 an der Universität Wittenberg und 1534 zusammen mit seinen Brüdern Johannes und Hartwig an der Universität Frankfurt/Oder.5) Seit 1546 ist er als Sülfmeister nachweisbar, seit 1554 als Barmeister. Im Jahr 1550 heiratete er Ursula Garlop, die Tochter des Heinrich Garlop (vgl. Nr. 380). Für seinen 1553 verstorbenen Schwiegervater erbaute Franz Witzendorff die Garlopenhäuser (Nr. 383). Im Jahr 1557 wurde er in den Rat gewählt, im Jahr 1561 zum Bürgermeister; dem regierenden Rat gehörte er letztmalig 1573 an.6) Er starb am 25. Januar 1574, einen Tag nachdem ein schwerer Sturm die Turmspitze von St. Lamberti zerstört hatte (vgl. Nr. 485).

In den Inschriften der Stadt Lüneburg ist Franz Witzendorff nicht nur durch die Texte seines verlorenen Grabdenkmals präsent, sondern auch durch die Inschriften der bereits erwähnten Garlopenhäuser Nr. 385 und 386, als Auftraggeber der Kaiserdecke Nr. 436 im von ihm errichteten Haus Am Markt 7, als derjenige, der 1570 den Maler Daniel Frese nach Lüneburg holte und schließlich als Auftraggeber des Kurfürstenpokals für das Ratssilber (Nr. 458) und des Interimspokals (Nr. 381), den sein Sohn Heinrich dem Ratssilber der Stadt vermachte. Nicht nur seine Versgrabschrift B sondern auch zahlreiche Publikationen zu Lüneburg bis in die jüngste Zeit rühmen den Lüneburger Bürgermeister als hochgebildeten Mann, überzeugten Protestanten, der bei Luther und Melanchthon studiert hatte – bei genauerer Betrachtung allerdings nur als 13jähriger (s. o.) –, und Förderer der Kunst,7) den man gerne als geistigen Vater besonders der Bildprogramme der Großen Ratsstube ansieht (vgl. dazu Nr. 447 u. 494).

Textkritischer Apparat

  1. ornavit Witzendorff, ornaverat bei Büttner metrisch nicht korrekt.
  2. invenias bei Büttner.
  3. DEus Büttner.
  4. Die Bedeutung der Initialen ist unklar.

Anmerkungen

  1. Witzendorff, Wegweiser, p. 95f.
  2. Für Franz Witzendorff sind auch zwei von Lucas Lossius verfasste literarische Versgrabschriften sowie eine weitere von Albert Lenicerus verfasste Versgrabschrift überliefert, vgl. Anhang 2.
  3. Nach Ez. 37,1–13.
  4. Die biographischen Daten bei Büttner, Stammtafel Witzendorff II.
  5. Matrikel Wittenberg, Bd. 1, S. 149a. Matrikel Frankfurt/O., Bd. 1, S. 72. Beides erscheint für einen erst 13- bzw. 14jährigen relativ jung. Die Immatrikulation an der Universität kann jedoch auch schon längere Zeit vor der tatsächlichen Aufnahme des Studiums erfolgt sein.
  6. Stahl, Ratslinie, Nr. 292, S. 181.
  7. Zuletzt Heintzmann, Balkendecke, S. 103–105. Haupt, Ratsstube, S. 189–191.

Nachweise

  1. Rikemann, Libellus, fol. 36r/v.
  2. Witzendorff, Wegweiser, p. 95f.
  3. Sagittarius, Historia, p. 371f.
  4. Büttner, Genealogiae, Stammtafel Witzendorff II (A–C).

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 503† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0050307.