Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 502 Rathaus 1576

Beschreibung

Gemälde, die Allegorie einer gottesfürchtigen Stadt und ihrer Feinde darstellend. Öl auf Leinwand. Das Gemälde hängt rechts an der Südwand der Großen Ratsstube. In der Mitte ist eine von vier Mauerringen umgebene Stadt dargestellt, um sie herum vier personifizierte Plagen, die von Engeln vertrieben werden. Auf einem großen Turm inmitten der Stadt steht die Inschrift A, links und rechts davon ein Schriftband mit der Inschrift B. Die beiden anderen großen Türme des äußeren Mauerrings sind mit den Tituli C versehen. Auf den vier Mauerringen stehen von außen nach innen die Inschriften D–G. Hinter der ersten und zweiten Mauer Soldaten bzw. Ratsherren, hinter der dritten Mauer Bettler, die durch die Tituli H bezeichnet sind. Die kleineren Türme tragen die Tituli I. Vor dem Tor des äußeren Mauerrings steht die Inschrift J. Die erste Plage unten rechts, ein türkischer Reiter mit Pfeil und Bogen trägt die Überschrift K, der sie vertreibende Engel die Inschrift L; der Darstellung der zweiten Plage, einem reitenden Soldaten, sind entsprechend die Inschriften M und N zugeordnet; die dritte Plage links oben, ein Reiter mit einer Waage und den Inschriften O und P; die vierten Plage, der als Skelett dargestellte Pesttod rechts oben mit den Inschriften Q und R. Unten in der Bildmitte die Inschrift S. Oben über der Stadt in den Wolken links Fortitudo und ein bekrönter Adler mit den Tituli T, rechts Unitas und eine Taube mit den Tituli U, in der Mitte ragt der Arm Gottes aus dem aufreißenden Himmel, die Hand ist schützend über die Stadt gehalten. Unterhalb der Darstellung verläuft über die ganze Bildbreite die Inschrift V in Gold auf schwarzem Grund.

Maße: H.: 169 cm; B.: 232 cm; Bu.: 1,5–3 cm (A–U), 3 u. 2,5 cm (V).

Schriftart(en): Kapitalis (A, C, H–U), teilweise mit Versalien, Fraktur (B, D–G), Fraktur mit Frakturversalien und Kapitalis (V).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/5]

  1. A

    GOTTES/FVRCHT

  2. B

    iiii mavren hadt eÿn yeder bestendich reich oder stadt: 1576.

  3. C

    LIEBE // ERNST

  4. D

    Die erste maver // is die rechtferdickeit:

  5. E

    Die 2. mauer so geneigeta) is die vberkeit den / vnterdanen vnd dieselben liebet: // Vnd das volck sich vbetb) Zu halte(n) enikeit mith recht /das die eine des andren borde drecht.

  6. F

    Die 3 maver einem Reich viel nvttzet. So man witwen / vnd weisen beschvtzet:

  7. G

    Die virde mav(er) so me(n) nicht nach//lest.vnd straffet die boesen, strenge vnde // vest, vorschonet damit weder // bvrger noch gest

  8. H

    KRIEGES LEVTE // RAHTSHERREN // ALTE BETEL(N)DE LEVTE

  9. I

    SCH/AM // EIN/FAL/T // WAR=/HEIT // TRVW // DIEN/MVTH // KEVS/HAIT // RECHT // MAS // ZVCHT

  10. J

    DENNOCHc) SOL DIE / STAD GOTTES FEI(N) / LVSTIG BLEIBEN: / PSAL(M). 45.1)

  11. K

    DIE ERSTE PLAGE DIE / VORFOLGVNG.

  12. L

    DAS DV DICH NICHT FRVCHTE(N) DARFFEST FVR / PLOTZLICHE(N) SCHRECKE(N) NOCH FVR DEM STVRM / DER GOTTLOSE(N) WE(NN) ER KOMET DE(NN) DER HERE IST / MIT DIR. SPRVCH SALO. 3.2)

  13. M

    DIE 2. PLA/GE. KRIEG.

  14. N

    OB TAVSENT FALLEN ZV DEINER SEITEN / VND ZEHEN TAVSENT ZV DEINER RECHTEN / SO WIRD ES DOCH DICH NICHT TREFFEN. PSAL(M). 91.3)

  15. O

    DIE 3. PLAGE. / THEWRVNG.

  16. P

    DER HERR SETTIGET DICH MIT / DEM BESTE(N) WEITZEN. / PSAL(M). 1464)

  17. Q

    DIE 4, PLAG / PESTILENT(Z)d)

  18. R

    PSAL(M). 91. / DENN ER ERRETTET MICH VOM / STRICK DES IEGERSe) VND VON DER SCHR(ECK)/LICHE(N)f) PESTILENTZ.5)

  19. S

    DANIEL . F(RESE) . INVENTVRg) / ET FECIT.

  20. T

    FORTITVDO: // PAX MVNDANA:

  21. U

    VNITAS: // PAX SPIRITVALIS

  22. V

    Preise Jerusalem den HERRN lobe Zion deinen Gott. Denn er macht feste die Riegel deiner Thor vnd segenet deine Kinder drinnen. / ER schaffet deinen grentzen friede vnd settiget dich mit den besten Weitzen. Psal: . CXLVII .6) / Wol dem Volck dem es also gehet Aber wol dem Volck des der HERR ein Gott ist. Psal. CXLIIII.7) ANNO. D(O)M(IN)I. 1576.

Übersetzung:

Daniel Frese hat (dies) entworfen und ausgeführt. (S) Die Tapferkeit. Der weltliche Frieden. (T) Die Einigkeit. Der geistliche Frieden. (U)

Versmaß: Deutscher Reimvers (E–G).

Kommentar

Zu dem Maler Daniel Frese vgl. Nr. 436 u. 466, allgemein zu den Gemälden in der Großen Ratsstube sowie zu ihren Schriftformen vgl. Nr. 494. Zu den möglichen Vorlagen, die Daniel Frese für die Komposition des Gemäldes nutzte, vgl. Haupt.8)

Auch hier vereinigte Frese wieder verschiedene Themen zu einem Bild. Die Besonderheit des Gemäldes – vermutlich auch die Eigenleistung Freses und seiner Auftraggeber – liegt aber darin, dass hier vor allem durch den Einsatz der Inschriften das Bild einer idealen Stadt entworfen wird, deren Stadtkern nicht zufällig Ähnlichkeit zu den Lüneburger Patrizierhäusern am Markt erkennen lässt. Die in den Gemälden der Ratsstube sonst als Frauenfiguren mit lateinischen Tituli dargestellten Tugenden nehmen hier die Gestalt von inschriftlich in deutscher Sprache bezeichneten Türmen (I) an, die um den größten Turm, die Gottesfurcht (A), in der Mitte herum in den Mauerringen angeordnet sind. Auch die Bedeutung der vier die Stadt beschützenden Mauern wird inschriftlich erklärt, die Inschriften E–G der drei inneren Mauern erläutern in deutschen Versen die Aufgaben der Obrigkeit, die zugleich darin bestehen zu schützen und zu bestrafen. Eingefasst werden diese Aufgaben von dem äußeren Mauerring der rechtferdickeit (D), einer Entsprechung des lateinischen Begriffs iustitia, also der Gerechtigkeit im gerichtlichen Sinne.9) Eine auf diese Werte gegründete Stadt ist nach Aussage des Gemäldes in der Lage, die zeitgenössischen Plagen der konfessionellen Konflikte (K, L), des Krieges (M, N), der Teuerung bzw. des Geldverfalls (O, P) und der Pest (Q, R) zu vertreiben. Gegen die Furcht vor diesen Plagen sind hier vier thematisch passende Zitate aus den Psalmen bzw. aus den Sprüchen Salomonis gesetzt (L, N, P, R), die den Bewohnern der Stadt göttlichen Schutz zusichern. Dass außer den vor den Patrizierhäusern im Stadtkern flanierenden Bürgern vor dem inneren Mauerring auch durch die Beischrift ALTE BETELNDE LEVTE (H) besonders gekennzeichnete Arme dargestellt sind, betont die Wichtigkeit der sozialen Fürsorge in einer idealen Stadt, für deren Sicherheit auf unterschiedliche Weise auch die inschriftlich bezeichneten Soldaten und Ratsherren (H) sorgen. Für alle diese Inschriften wählte man die deutsche Sprache; lediglich die im Himmel angesiedelten weiblichen Figuren der Fortitudo und der Unitas mit den sie begleitenden Friedenstauben sind durch lateinische Tituli (T, U) ausgewiesen.

Textkritischer Apparat

  1. geneige Tipton, gezeiget Haupt, Uppenkamp.
  2. Lücke bei Tipton, liebet Haupt, libet Uppenkamp.
  3. H in C eingestellt.
  4. Es lässt sich nicht feststellen, ob sich am Bildrand noch ein durch den Rahmen verdecktes Z befindet.
  5. SIEGERS Haupt.
  6. Es lässt sich nicht feststellen, ob sich am Bildrand noch durch den Rahmen verdeckt die Buchstaben ECK oder EK befinden.
  7. Statt INVENTOR, INVENITVR Tipton.

Anmerkungen

  1. Ps. 46,5. Abweichende Zählung in der Inschrift.
  2. Spr. 3,25f.
  3. Ps. 91,7.
  4. Ps. 147,14. Abweichende Zählung in der Inschrift.
  5. Ps. 91,3.
  6. Ps. 147,13f.
  7. Ps. 144,15.
  8. Haupt, Große Ratsstube, S. 157–159.
  9. Vgl. DWB, Bd. 14, Sp. 415.

Nachweise

  1. Albers, Rathaus, S. 35f. (unvollständig).
  2. Tipton, Res publica, S. 355f. (mit Abweichungen und Lücken).
  3. Haupt, Ratsstube, S. 155–157 mit Abb.
  4. Uppenkamp, Ikonographie, S. 315–317 mit Abb. 73.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 502 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0050209.