Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 495 Rathaus 1575

Beschreibung

Gemälde des Staatsschiffs. Öl auf Leinwand. Das querrechteckige, in der Mitte für einen Deckenbalken ausgeschnittene Gemälde hängt in der Mitte an der Westwand der Großen Ratsstube. Das Schiff, vor dessen Heck ein Wappenschild mit dem doppelköpfigen Reichsadler angebracht ist, wird durch vier Herrscherpaare gerudert, die durch Wappenschilde mit den vier apokalyptischen Tieren sowie den Tituli A darauf bezeichnet sind; die Ruder tragen die Inschriften B, die Buchstaben jeweils untereinander angeordnet. Zwischen den beiden rechten Rudern die Inschrift C. In dem Schiff stehen biblische und allegorische Figuren. Von links nach rechts: am Heck des Schiffs auf einer Fahne ein Kranich mit einem Stein in der Kralle und der Beischrift D. Neben der Fahne sitzt ein Herrscher auf einer Kugel mit der Inschrift E, dem der durch die Inschrift F bezeichnete Christus einen Apfel reicht. Der Herrscher hält eine Fahne mit der Inschrift G, über seinem Kopf die Inschrift H. Christus wird begleitet durch die Apostel Petrus und Paulus, die durch den Titulus I über ihnen bezeichnet sind, darüber die Inschrift J. Der Mast des Schiffs in der Bildmitte ist ebenso wie die beiden sich davor umarmenden Tugenden Concordia und Pax mit einem Titulus bezeichnet (K, L). Vorne im Schiff David, Moses mit den Gesetzestafeln sowie Janus, dem Gottvater aus den Wolken ein Schwert überreicht. Alle drei sind durch die Tituli M bezeichnet. Der Titulus N mit der Nennung von Noah rechts oberhalb des Janus kann sich nur auf die ganz vorne auf dem Bug des Schiffs sitzende Taube mit dem Ölzweig beziehen. Die Schiffswand ist im hinteren Teil bedeckt mit den Inschriften O–S, im Wasser vor dem Schiff ein enthaupteter Kopf mit der Inschrift T. Rechts neben den Rudern untereinander die Bezeichnungen einzelner Tugenden U sowie zum Bug hin an der Schiffswand die Inschriften V–X. Im Wasser um das Schiff herum untergehende Laster, die durch die Tituli Y und unten rechts mit der Beischrift Z bezeichnet sind. Eines der Laster hält ein Buch in die Höhe, darin die Inschrift AA. Unter der Darstellung verläuft über die ganze Breite des Gemäldes die Inschrift BB in Gold auf schwarzem Grund.

Maße: H.: 171 cm; B.: 232 cm; Bu.: 1,5–3 cm (A–AA), 3 cm (BB).

Schriftart(en): Kapitalis (A–C, E, F, H, I, K–AA), teilweise mit Versalien, Fraktur (D, G, J, BB).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/6]

  1. A

    ROMEREN. // GREKEN. // PERSEN. // ASSI[R]EN

  2. B

    TEMPERANTIA. // FORTITVDO. // IVSTICIA. // PRVDENTIA.

  3. C

    DANIEL INVENTOR / ET FECIT / 1575

  4. D

    Wacht / hab: / acht.

  5. E

    SO GEBET NV IEDER MA(N) / WAS IR SCHVLDIG SEID, SCHOS / DEM DER SCHOSS GEBVRT, ZOL / DEM DER ZOL GEBVRT. ROM. 13.a)1)

  6. F

    CHRISTVS REMIGER

  7. G

    Gebt dem Kei/ser was des / Keisers ist. / vnd gotte / was gottes / ist. Matth. am 22.2)

  8. H

    DIE KONIGE / SOLLEN DEIN / ERNERER SEIN / ESAI: AM. 49.3)

  9. I

    CONFIRMATORES.

  10. J

    Sirach. 10. / das regiment avf erde(n) stehet in gottes hende(n).4)

  11. K

    DER BAWM. / DANIELIS. 4.5)

  12. L

    CON:/CORDIA. // PAX.

  13. M

    DAVID // MOISES. // IANVS.

  14. N

    NOAH

  15. O

    WO DER HERE NICHT DAS HAVS BAWET, SO / ARBEITE VMBSONST DIE DRA(N) BAWEN // WO DER HERE NICHT DIE STAD / BEHVTET, SO WACHET DER WECH=/TER VMBSONST. PSALM. 127a)6)

  16. P

    ES SCHEME SICH DIE GE=/MEINE VND VOLCK / DES VNGEHORSAMSb). SIRAc) / 107)

  17. Q

    DIE GOTT FVRCHTEN HAL/TEN IREN REGENTE(N) IN EHREN. / SIRACHc). 108)

  18. R

    WER EIN TREW HERTZS VND LIEB=/LIECH REDE HAT. DES FRVNT IST DER KONIG PROV. 22.9)

  19. S

    DIE ZVM FRIEDE(N) RAHTEN, WERDEN SICK / FREWEN. PROV. 12.a)10)

  20. T

    MATTH. 26. / WER DAS SCHWERT NIMET, DER / SOL DVRCH SCHWERT.d) VMBKOME(N)11)

  21. U

    GEHORSA(M). / EHERE / TRWE / FREDSA(M)

  22. V

    DIE VBELTHETER SOLTV / NICHT LEBE(N) LASSEN. 2 MOS. 2212)

  23. W

    DIE BLVTGIRIGE(N) WERDE(N) IR LEBEN / NICHT ZVR HELFTE BRI(N)GE(N). PSA. 55.13)

  24. X

    WER MINSCHEN BLVT VERGEVST // DES BLVT SOL AVCH DVRCH MENSCHEN / VERGOSSEN WERDEN. GENES. 9.14)

  25. Y

    ODIVM. // AVIDITAS. // IRA.c) // SVPERBIA. // INOBEDENTIA

  26. Z

    SIE SIND NIDERSTVR/ZTe) / VND GEFALLE(N). / PSALM. 20.15)

  27. AA

    INOBEDI/ENTIA / ET / INIMICI/TIA. // HERE/SIS. / 1575

  28. BB

    Ein Weiser Regent ist strenge vnd Wo ein verstendige Oberkeit Jst da Gehet es Ordenlich Zu Wie der Regent ist so sind Auch seine Amptleute / Wie der Rat ist So sind Auch die Burger. Syrach . X .16) Gott verwirft die Mechtigen nicht denn Er ist Auch / Mechtig von Krafft des Hertzens. Den Gottlosen erhelt er nicht sondern Hilfft den Elenden Zum Rechten. Job. 36.17)

Übersetzung:

Mäßigung. Tapferkeit. Gerechtigkeit. Klugheit. (B)

Daniel hat dies entworfen und ausgeführt. (C)

Der Steuermann Christus. (F)

Die Bürgen. (I)

Eintracht. Friede. (L)

Hass. Habsucht. Zorn. Hochmut. Ungehorsam. (Y)

Ungehorsam und Feindschaft. Häresie. (AA)

Kommentar

Zu dem Maler Daniel Frese vgl. Nr. 436 u. 466, allgemein zu den Gemälden in der Großen Ratsstube sowie zu ihren Schriftformen vgl. Nr. 494 u. Einleitung, Kap. 3.3.7.3. u. 7.4./7.5.

Auch für diese Bildkomposition konnte Haupt keine direkte Vorlage nachweisen, sondern nur eine Reihe sinnbildlicher Schiffsdarstellungen, die das ‚Schiff Christi‘ oder das ‚Staatsschiff‘ zeigen.18) Im Bild Freses, der sich auch hier als INVENTOR (C) bezeichnet (vgl. dazu Nr. 494), sind beide Motive miteinander kombiniert; in diesem Gemälde findet sich wiederum ein Verweis auf die vier Weltreiche und die apokalyptischen Tiere, im Mittelpunkt des Bildes steht erneut Pax, hier zusammen mit Concordia (vgl. Nr. 494). Der komplizierte Bildaufbau wird für den Betrachter erst durch die verschiedenen erläuternden und ausdeutenden Inschriften verständlicher.19) Das Schiff ist durch die zahlreichen auf ihm befindlichen allegorischen und biblischen Figuren sowie die auf jedem freien Platz angebrachten Inschriften geradezu überfrachtet.

Textkritischer Apparat

  1. Die Virgeln in der Inschrift hier durch Kommata wiedergegeben.
  2. Das erste S über verschränktem RA.
  3. R und A verschränkt.
  4. Das T hochgestellt. Der Artikel DAS fehlt.
  5. ZT aus Platzgründen in der Zeile darüber.

Anmerkungen

  1. Rö. 13,7.
  2. Mt. 22,21.
  3. Jes. 49,23.
  4. Sir. 10,4.
  5. Bezogen auf die Vision Daniel 4,7–9, nach der Lutherbibel 1545: Dis ist aber das gesicht / das ich gesehen habe auff meinem Bette / Sihe / es stund ein Bawm mitten im Lande / der war seer hoch / gros vnd dicke / seine höhe reichet bis in Himel / vnd breitet sich aus bis ans ende des gantzen Landes. Seine Este waren schön / vnd trugen viel Früchte / dauon alles zu essen hatte / Alle Thiere auff dem felde funden schatten vnter jm / vnd die Vogel vnter dem Himel sassen auff seinen Esten / vnd alles Fleisch neeret sich von jm.
  6. Ps. 127,1.
  7. Sir. 41,21. Die Angabe der Bibelstelle in der Inschrift ist falsch.
  8. Sir. 10,24.
  9. Spr. 22,11.
  10. Spr. 12,20.
  11. Mt. 26,52.
  12. Nach 2. Mo. 22,17.
  13. Ps. 55,24.
  14. 1. Mo. 9,6.
  15. Ps. 20,9.
  16. Sir. 10,1f.
  17. Nach Hi. 36,5f.
  18. Hierzu und zu den druckgraphischen Vorlagen der anderen auf dem Schiff versammelten Darstellungen Haupt, Ratsstube, S. 145–150.
  19. Zur Deutung der Einzelmotive ausführlich Koch, Gemälde, S. 150–155.

Nachweise

  1. Albers, Rathaus, S. 37f. (unvollständig).
  2. Tipton, Res publica, S. 354f. (mit Abweichungen).
  3. Haupt, Ratsstube, S. 143–145.
  4. Uppenkamp, Ikonographie, S. 319–321 (C, D, G, I, J, O, P, R–V, X, Y, AA) mit Abb. 75.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 495 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0049503.