Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 435 Rathaus 1566, 1567

Beschreibung

Zwei Gestühlswangen. Eichenholz. Holzschnitzereien. Die Gestühlswangen in der Großen Ratsstube sind mit Reliefs und bekrönenden Figuren geschmückt, die heute unvollständig sind. Die nördliche Wange weist noch drei der ehemals fünf bekrönenden alttestamentlichen Figuren auf, oben in der Mitte auf dem Giebel Moses mit den Gesetzestafeln, darauf die eingeschnitzte Inschrift A. Von der hierher von der südlichen Wange versetzten Figur des Mutius Scaevola außen rechts sind nur die Füße und das Postament des Kohlebeckens erhalten, in das er seine Hand legte. Oben auf der südlichen Wange nur noch drei leere Sockel, auf den beiden äußeren oben auf dem Giebel noch die eingeschnitzten Tituli B und C. Alte Aufnahmen zeigen, dass die südliche Wange in der Mitte des Giebels ursprünglich von der Figur des heiligen Georg zu Pferd bekrönt wurde. Auf der Außenseite der nördlichen Wange unten in einem von zwei Hermenpilastern begrenzten Feld ein von Putten gehaltener Wappenschild mit dem Wappen der Stadt Lüneburg, in der Zone darüber ebenfalls von Hermenpilastern begrenzt ein Relief mit der Darstellung des Salomonischen Urteils, auf dem Fries darüber eine Rollwerktafel mit der erhaben geschnitzten Jahreszahl D. Darüber in einem dreiteiligen architektonischen Aufbau eine Reliefdarstellung der durch König Josias veranlassten Verlesung des Gesetzes, links auf einer Tafel die Angabe der entsprechenden Bibelstelle E in eingeschnitzten Buchstaben. Im Fries des mittleren Giebels die eingeschnitzte Jahreszahl F. Auf der Innenseite der südlichen Wange ab der Höhe der Sitzbank in einem Rundbogen das Relief der sitzenden Justitia, über ihr im Bogenfeld eine Darstellung des Jüngsten Gerichts. In dem rahmenden inneren Bogen links die Marke des Bildhauers Albert von Soest (H3)1) mit dessen Initialen (G), rechts die aus den Initialen H bestehende Marke des Bildhauers Gert Suttmeier. Im äußeren Bogen verläuft die eingeschnitzte Inschrift I. Auf dem Fries darüber eine Rollwerktafel mit der eingeschnitzten Inschrift J. Oben als Bekrönung in architektonischem Rahmen sitzend Moses, der seinem Volk Undankbarkeit gegen Gott vorwirft (5. Mo. 1), auf den Knien ein aufgeschlagenes Buch, mit der linken Hand weist er auf die in ein Podest eingeschnitzte Inschrift K.2) Nach Albers war die Figur der Justitia durch den Titulus L bezeichnet; es ist nicht auszuschließen, dass sich dieser auf dem heute glatten Fries über dem Relief befand.

Inschrift L nach Albers.

Maße: H.: 178 cm; B.: 54 cm; Bu.: 0,4 cm (A, K, G), 0,5 cm (B), 0,4–0,8 (C), 2,5 (D, J), 1 cm (F), 0,4 u. 1 cm (E), 1,5 (I), 1 cm (H).

Schriftart(en): Kapitalis (B, C, G–K), gotische Minuskel und Kapitalis (E).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/4]

  1. A

    I / II / III // IV / V / VI / VII / VIII / IX / X

  2. B

    MVTIVS · / SCEVOLVS

  3. C

    MARCVS / CVRTIVS

  4. D

    · 1 · 5 · 6 · 6 ·

  5. E

    Josias . lest / des . bunds / . buch . / . 4 . REG . 23

  6. F

    1567

  7. G

    A(LBERT) V(ON) S(OEST)

  8. H

    G(ERT) S(VTTMEIER)

  9. I

    TVNC . VIDEBVNT . FILIV(M) . HO(MIN)IS . VENIE(N)TE(M) . I(N) NVBE . CV(M) . POTESTATE . MAGNA .3)

  10. J

    ANNO . DO(MI)NI . 1 . 5 . 6 . 7 .

  11. K

    DEVT / . I .a)

  12. L†

    IVSTITIA

Übersetzung:

Dann werden sie des Menschen Sohn kommen sehen in der Wolke mit großer Macht. (I) Gerechtigkeit. (L)

Kommentar

Die erhabenen Ziffern der Jahreszahl D sind mit aufwendigen Schlingen verziert, die 1 unten gespalten und nach links mit einem Dorn besetzt. Die Inschrift I ist in schmalen linksgeneigten Buchstaben eingeschnitzt, die linke Haste der V jeweils senkrecht, ein charakteristisches Schriftmerkmal der von Albert von Soest gestalteten Inschriften. Die N der Inschrift I mit Nodi an der Schräghaste bzw. mit einer ausgebuchteten Schräghaste, ebenso die N und das I der Inschrift J, das A in Inschrift J links oben und unten mit weit ausgezogenen Schnörkeln, die linke Schräghaste mit einem Dorn besetzt, der Deck- und Mittelbalken entsprechend spitz gebrochen.

Zu Albert von Soest vgl. a. Nr. 378. Am 26. Juli 1573 heiratete er in St. Johannis Ursula Piperhoeving.4) Das Lüneburger Bürgerecht erwarb der bereits kurz vor 1590 wohl verhältnismäßig jung gestorbene Bildhauer erst im Jahr 1583.5) Genauso wie Albert von Soest, der im wesentlichen nur in den von ihm geschaffenen Werken bzw. in den darauf bezogenen Einträgen in den Kämmereirechnungen als Bildhauer Gestalt annimmt, ist auch über den snittker Gert Suttmeier nichts weiter bekannt. Er starb wohl im Jahr 1567, da 1568 seine Witwe in den Kämmereirechnungen genannt ist.6) Die Inschriften auf dem Gestühl markieren den Beginn der ausgesprochen aufwendigen und erst 1584 abgeschlossenen Ausgestaltung der Großen Ratsstube, dem inschriftenreichsten Raum des Lüneburger Rathauses.

Textkritischer Apparat

  1. DEUT.V.I Haupt und Uppenkamp.

Anmerkungen

  1. Behncke, Albert von Soest, S. 15, wie auch Haupt, Ratsstube, S. 60, missverstehen die Hausmarke und versuchen sämtliche ihrer Bestandteile als Buchstabenbestandteile zu deuten, was die Lesung AVS sowie N ergibt. Haupt vermutet hinter dem angenommenen N den Familiennamen des Künstlers. Es handelt sich aber vielmehr um eine Hausmarke, in die die Initialen AVS integriert sind.
  2. Die abweichende Deutung der Szene bei Haupt, Ratsstube, S. 60, ergibt sich aus der falschen Lesung der Inschrift K (vgl. Anm. a).
  3. Lc. 21,27.
  4. KBA Lüneburg, Kirchenbuch St. Johannis 1, fol. 3r.
  5. StA Lüneburg, AB 2 (Donat), p. 148.
  6. Vgl. Haupt, Ratsstube, S. 42–44 mit Quellenbelegen, S. 43.

Nachweise

  1. Albers, Rathaus, S. 26 (D, I, L).
  2. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 181f. (D, I).
  3. Behncke, Albert von Soest, S. 12–14.
  4. Krüger/Reinecke, Kunstdenkmale, S. 265 (B, C, J), Abb. S. 267.
  5. Reinecke, Rathaus, S. 85 (D, E, F).
  6. Haupt, Ratsstube, S. 56–60 mit Abb.
  7. Uppenkamp, Ikonographie, S. 328 (I–K) mit Abb. 83 u. 84, S. 327.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 435 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0043508.