Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 404 St. Johannis 1562

Beschreibung

Epitaph des Stephan Gerke. Stein, farbig gefasst. Der hochrechteckige Stein mit bogenförmigem oberen Abschluss ist rechts an der Südwand der Turmvorhalle angebracht.1) Das Epitaph zeigt in einer Bogennische oben die Verklärung Christi im Relief. Zu Füßen Christi die Jünger Petrus, Jakobus und Johannes, links oben in den Wolken Elia, rechts Moses mit den Gesetzestafeln, darauf eingehauen die Nummern der Gebote (A). Darunter zwei von einem Putto gehaltene Vollwappen, außen links in Bethaltung der Ehemann, rechts die Ehefrau. In dem bekrönenden Bogen ein Relief der Erschaffung Evas zwischen einer Sanduhr und einem Totenkopf. Den unteren Abschluss des Epitaphs bildet eine von Rollwerk umgebene Tafel mit der erhaben gehauenen Inschrift B, an beiden Seiten sind kleine Felder ausgespart, darauf die eingehauene Inschrift C. Unten rechts neben der letzten Zeile der Inschrift B die eingehauene Jahreszahl D.

Maße: H.: 298 cm; B.: 143 cm; Bu.: 2–4 cm (A), 3 cm (B), 2 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis, mit Versalien an den Zeilenanfängen (B).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/2]

  1. A

    1/2/3/4/5 // 6/7/8/9 10

  2. B

    GERKIVS, HIC, DOCTOR STEPHANVS, SVA CONDIDIT OSSAINCOLIT, AETHEREAS, SPIRITVS IPSE, DOMOS.DOCTOR ERAT LEGVM PRAESTANS, ET SYNDICVS HVIVSVRBIS, QVAE PHOEBES INCLYTA NOMEN HABETMAGDEBVRGA VIRV(M) TVLIT HV(N)C PATRE CO(N)SVLE CLARO,EXIMIVM, FRATRES EXIMIOSQ(VE) DVOS.SED STEPHANI PIETAS, VIRTVS, SAPIENTIA SVMMACLARVIT, EXCELLE(N)S INGENIIQ(VE) DECVS.

  3. C

    OBIIT / ANNO / 1546 // IN DIE / CATHA/RINAE2)

  4. D

    1562

Übersetzung:

Hier hat Doktor Stephan Gerke seine Gebeine verborgen, die Seele selbst bewohnt himmlische Wohnungen. Er war ein herausragender Doktor der Rechte und Syndikus dieser berühmten Stadt, die den Namen der Mondgöttin trägt. Magdeburg brachte diesen außerordentlichen Mann (als Sohn) eines angesehen Vaters und Ratsherrn hervor sowie zwei außerordentliche Brüder. Aber Stephans Frömmigkeit, Tugend, höchste Weisheit sowie der herausragende Ruhm seiner Begabung erstrahlte. (B) Er starb im Jahr 1546 am Tag der (heiligen) Katharina. (C)

Versmaß: Elegische Distichen (B).

Wappen:
Gerke3)Fluwerck4)

Kommentar

Die verhältnismäßig breit ausgeführte Kapitalis der Inschrift B zeigt als besondere Merkmale C mit spitz ausgezogenem unteren Bogenende, E mit keilförmigem Mittelbalken und M mit schrägen Hasten und bis zur Grundlinie reichendem Mittelteil. Besonders auffällig ist das unten wie abgeschnitten wirkende G, dessen Bogen als dünner Strich waagerecht auf der Grundlinie verläuft. Die I in der Inschrift B tragen i-Punkte in Form kleiner Dreiecke. Da die Ziffern der Jahreszahl D in derselben Weise gestaltet sind wie die der Inschrift C – ganz besonders die charakteristische 5 mit geschwungenem Deckbalken –, kann es sich bei der Jahreszahl D nur um das Herstellungsdatum des Epitaphs handeln, das demzufolge erst kurz vor dem Tod der Ehefrau Barbara Fluwerck im Jahr 1564 angefertigt wurde (vgl. die Grabplatte für das Ehepaar Nr. 416).

Die Inschrift B zeigt die typischen Versatzstücke der von Lucas Lossius gedichteten Epitaphien, ganz besonders der Bezug auf Phoebe, den Beinamen der Göttin Diana als Mondgöttin, kommt in zahlreichen von Lossius gedichteten Versepitaphien vor (vgl. u. a. Nr. 318, 407, 430, 493, 510).5) Abgesehen von dem familären Bezug zeigt die Versinschrift keine individuellen Elemente. Die Angabe des Todesdatums in Inschrift B enthält noch eine Datierung nach dem Heiligenkalender.

Der aus einer Magdeburger Ratsfamilie stammende Stephan Gerke immatrikulierte sich im Sommersemester 1510 an der Universität Leipzig, wo er im Wintersemester 1511 den Titel eines Baccalaureus und 1515 den Magistertitel erwarb; im Sommersemester 1516 gehörte er zu den Lehrenden der Universität.6) Seit 1519 ist er an der Universität Bologna, wo er 1524 den Doktortitel erwarb, und seit 1517 an der Universität Frankfurt/Oder. nachweisbar.7) An letzterer bekleidete er im Sommersemester 1528 das Rektorat und war als Ordinarius beider Rechte tätig. In seinem im August 1530 abgeschlossenen Dienstvertrag mit der Stadt Lüneburg verpflichtete sich Stephan Gerke ab dem nächsten Weihnachtsfest zunächst auf sechs Jahre als Syndikus der Stadt Lüneburg.8) Im August 1534 heiratete er die Witwe des 1530 verstorbenen Bürgermeisters Dietrich Elver (vgl. Nr. 291), Barbara Fluwerck, die aus einer Lübecker Familie stammte.9) Der am 11. August 1534 abgeschlossene Ehevertrag ist erhalten.10)

Anmerkungen

  1. Nach Rikemann, Beschrivinge, lag Gerke vor dem Chor begraben, eine Aussage, die in der übrigen kopialen Überlieferung stereotyp wiederholt wird. Über den Platz des Epitaphs in der Kirche findet sich in der kopialen Überlieferung keine Aussage. Das Epitaph sollte im Jahr 1856 verkauft werden und steht auf einer entsprechenden Liste (Kirchenarchiv St. Johannis, Akte 51301). Allerdings wurde der Plan offensichtlich nicht durchgeführt.
  2. 25. November.
  3. Wappen Gerke (geteilt, oben wachsender Löwe, unten Rose).
  4. Wappen Fluwerck (gespalten, vorne Weinrebe, hinten Flügel).
  5. Lossius, Epitaphia Principum, S. 57, kennzeichnet die Wiedergabe der Versgrabschrift mit A., um auszudrücken, dass sie vom ihm selbst als Autor des Werkes stammt. Es gibt noch eine weitere, von dem hier edierten Text abweichende literarische Versgrabschrift von Lossius für Stephan Gerke, vgl. Anhang 2.
  6. Matrikel Leipzig, Bd. 1, S. 505; Bd. 2, S. 470,37; Bd. 2, S. 507; Bd. 2, S. 512f.
  7. Gustav Knod, Deutsche Studenten in Bologna (1289–1562), Berlin 1899, S. 153, Nr. 1113; S. 285, 288, 291 u. 342. Matrikel Frankfurt/O., Bd. 1, S. 66.
  8. StA Lüneburg, UA b: 1530, August 1.
  9. Büttner, Genealogiae, Stammtafel Elvern.
  10. StA Lüneburg, UA a: 1534 August 11 I.

Nachweise

  1. Lossius, Epitaphia Principum, S. 57.
  2. Rikemann, Beschrivinge, Ex. Hannover, p. 324f. (B).
  3. Rikemann, Beschrivinge, Ex. Lüneburg, fol. 195v (B).
  4. Rikemann, Beschrivinge, Ex. Göttingen, p. 182f. (B).
  5. Witzendorff, Wegweiser, p. 104f. (B, C).
  6. Sagittarius, Historia, p. 381 (B).
  7. Reinbeck, Chronik, p. 660 (B).
  8. Gebhardi, Collectanea, Bd. 1, p. 485 (B, C, nach Witzendorff).
  9. Krüger/Reinecke, Kunstdenkmale, S. 112 (C).

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 404 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0040409.