Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 387† Berlin, Kunstgewerbemuseum 1556

Beschreibung

Becken, ‚Großes Gießbecken‘. Silber. Das Becken gehörte zum Lüneburger Ratssilber und wurde 1874 an den preußischen Staat verkauft; es ist seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen.1) In der Mitte des Beckens ein Medaillon, darin zwei große Vollwappen sowie links und rechts darüber zwei Allianzwappen in je einem gespaltenen Schild, auf dem Rand des Medaillons läuft die gravierte Inschrift A um. In einem weiten Kreis um das Medaillon herum ist zwischen Linien die Inschrift B in dem glatten Boden eingraviert. Auf dem breiten erhöhten Rand des Beckens im Relief acht Szenen mit Helden der römischen Geschichte, die durch die Inschriften C–J auf kleinen von Rankenwerk umgebenen Kartuschen erläutert werden. Dazwischen vier Medaillons mit Allianzwappen in je einem gespaltenen Schild. Lüneburger Beschauzeichen und das Meisterzeichen des Jochim Gripeswoldt.2)

Inschriften nach Fotos im Kunstgewerbemuseum Berlin und im Museum Lüneburg.

Maße: Dm.: 60,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. A

    LIBERTATEM · QVAM · PEPEREa) · MAIORES · SVMMA · CVRA · STVDEANT · RETINERE · MINORESb)

  2. B

    HIERONIMVS WITZENDORP IN REPVB(LICA) LVNEBVRGEN(SI) SENATORIO MVNERE XVI CONSVLARI XXIII ANNOSc) FVNGENS AETATIS SVAE LXIII DIE VIII MENS(IS) IVNII AN(N)O D(OMI)NI MDLVI AB HAC · MORTALI · VITA · PIE · DECEDE(N)S · AMORIS · RE(I)PVB(LICAE) · ERGOd) · HOC · FIERI · VOLVI/Te)

  3. C

    SEX(TVS) TARQVINI / REGIS TARQ(VINIVS) FILI(VS) / LVCRETIAM VI / STVPRATf)

  4. D

    LVCRETIA OB ST/VPRVM ILLATVM / P(RAESEN)TIB(VS) SVIS VITA/M GLADIO FINIT

  5. E

    BRVTVS AD FV/NVS LVCRET(IAE) POR/RO PRO LIBERT/ATE CONVOCAT

  6. F

    TARQVIN(IVS) REX / CVM SVIS OB / FACINVS FILII / ROMA EXVLAT

  7. G

    PORSENA HETRV/R(VS) ILLATO ROMA(NIS) / BELLO TARQ(VINIVM) RE/DVC(E)RE CONATVR

  8. H

    HORATIVS COCL(ES) / PONTE(M) DVM DEIIC/ERETVR DEFENDE(N)S / PER TIBERI(M) · RO ADg)

  9. I

    M(VCIVS) SCEVOLA POR/SE(NNAM) RO(MANORUM) HOSTE(M) CO/NFOSSVRVS ERR/ORE · IN SCRIBAM INCI/DIT

  10. J

    SCEVOLA CAPTVS P(RAESE)/NTE REGE OB COMIS/SV(M) IN CEDE ERRORE(M)h) DE/XTRA(M) SIBI ADVRIT

Übersetzung:

Die Freiheit, die die Vorfahren errungen haben, mögen die Nachfahren mit größtem Eifer zu erhalten trachten. (A) Hieronymus Witzendorff, der in der Stadt Lüneburg das Amt des Ratsherrn 16 Jahre, das des Bürgermeisters 23 Jahre lang ausübte und im 63. Lebensjahr/im Alter von 63. Jahren am 8. Tag des Monats Juni im Jahr des Herrn 1556 aus diesem sterblichen Leben fromm verschied, hat aus Liebe zur Stadt dies herzustellen bestimmt. (B) Sextus Tarquinius, der Sohn des Königs Tarquinius, schändet Lucretia mit Gewalt. (C) Lucretia beendet wegen der ihr angetanen Schändung im Beisein der Ihrigen ihr Leben mit dem Schwert. (D) Brutus ruft (die Leute) zur Beerdigung Lucretias und für die Freiheit zusammen. (E) König Tarquinius ist mit den Seinen wegen der Untat seines Sohnes aus Rom verbannt. (F) Der Etrusker Porsenna versucht, indem er mit Rom einen Krieg beginnt, Tarquinius zurückzuführen. (G) Horatius Cocles, die Brücke verteidigend, bis sie abgerissen wird, ... durch den Tiber ... . (H) Mucius Scaevola, im Begriff, Porsenna, den Feind der Römer, niederzustechen, trifft irrtümlich den Schreiber. (I) Scaevola, in Gegenwart des Königs gefangen wegen des beim Mord verschuldeten Irrtums, verbrennt sich die rechte Hand. (J)

Wappen:
Witzendorff3)Stöterogge4)
Witzendorff/Lange5)Stöterogge/Stoketo6) 
Witzendorff/Urden7)Stöterogge/Hoyemann8)
Stoketo/Elver9)Lange/Sanckenstede10)

Kommentar

Zu der Zuschreibung des Beckens an Jochim Gripeswoldt vgl. Nr. 313. In den Inschriften ist – wie auch schon auf den anderen Stücken mit derselben Meistermarke – durchgängig das charakteristische oben leicht offene D mit der abgeschrägten Haste verwendet.

Das Becken wurde laut Inschrift B offenbar aufgrund einer testamentarischen Verfügung des Hieronymus Witzendorff für das Ratssilber angefertigt (zur Person vgl. das Epitaph Nr. 459). Das Testament ist jedoch heute nicht mehr auffindbar. Die Wappen auf dem Becken stellen die Ahnenprobe des Stifters und seiner Ehefrau Anna Stöterogge dar. Bei den Inschriften C–J handelt es sich um reine Erläuterungen der szenischen Darstellungen aus der römischen Antike. Gedeutet wird die Anbringung dieser Motive nur durch die als eine Art Devise des Stifters um das Wappenmedaillon verlaufende Inschrift A.

Textkritischer Apparat

  1. Richtig peperere, so Mithoff.
  2. studeat retinere posteritas Mithoff.
  3. anno Alpers.
  4. O in G eingestellt.
  5. T aus Platzgründen unterhalb der Zeile.
  6. vituperat Mithoff.
  7. Es ist unklar, wie die Buchstaben aufzulösen sind.
  8. Das letzte E klein eingefügt.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. 1874,392. Beschreibung nach Fotos und detaillierter Beschreibung bei Bursche, Ratssilber, Nr. 26, S. 145f.
  2. Meistermarke: Wappenschild, darin ein Greif mit Flügeln sowie einem wie bei einem Meerwesen gespaltenen Schwanz. Vgl. dazu Nr. 313, Anm. 3.
  3. Wappen Witzendorff (zwei gekreuzte Rechen). Vgl. Büttner, Genealogiae. Bezogen auf Hieronymus I. Witzendorff.
  4. Wappen Stöterogge (gestümmelter eingerollter Zweig mit Kleeblättern). Vgl. Büttner, Genealogiae. Bezogen auf Anna Stöterogge, die Ehefrau Hieronymus’ I.
  5. Wappen Lange (halber Bär vor geteiltem Schild). Vgl. Büttner, Genealogiae, Die Langen mit dem halben Bären. Bezogen auf Ilsabe Lange, die Ehefrau Hans’ III. Witzendorff.
  6. Wappen Stoketo (drei Flammenspitzen). Vgl. Büttner, Genealogiae. Bezogen auf Margaretha Stoketo, Ehefrau Hartwichs I. Stöterogge.
  7. Wappen Urden (Büste eines Mohren). Vgl. Büttner, Genealogiae, Anhang XXXII, Stammtafel Urden. Bezogen auf Tibbeke Urden, die Ehefrau Hans’ II. Witzendorff.
  8. Wappen Hoyemann (gespalten, vorne und hinten ein Sparren). Vgl. Büttner, Genealogiae. Bezogen auf Gesche Hoyemann, Ehefrau Ludolphs III. Stöterogge.
  9. Wappen Elver (Sparren, darüber zwei Adlerköpfe, darunter ein Adlerkopf). Vgl. Büttner, Genealogiae. Bezogen auf Margaretha Elver, Ehefrau des Nikolaus Stoketo.
  10. Wappen Sanckenstede (Balken mit zwei bekränzten Mohrenköpfen belegt). Vgl. Büttner, Genealogiae. Bezogen auf Ilsabe Sanckenstede, Ehefrau Heinrichs II. Lange.

Nachweise

  1. Fotos im Kunstgewerbemuseum Berlin und im Museum Lüneburg.
  2. Gebhardi, Collectanea, Bd. 2, p. 198.
  3. Albers, Rathaus, S. 48f.
  4. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 192 (nach Albers).
  5. Krüger/Reinecke, Kunstdenkmale, S. 295f.
  6. Schröder, Ratssilber, Werke (o. S.), Nr. 34.
  7. Alpers, Garlopenhäuser, S. 79 (A, B). – Bursche, Ratssilber, Nr. 26, S. 145f. mit Abb.
  8. Netzer, Ratssilber, Nr. 26, Abb. S. 103.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 387† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0038703.