Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 384 St. Michaelis 1555

Beschreibung

Epitaph des Abts von St. Michaelis Herbord von Holle. Stein, ehemals farbig gefasst. Das Epitaph, bestehend aus einem hochrechteckigen Stein und einem oben rundbogig abgeschlossenen Aufsatz, befand sich nach Behncke früher in einer der nördlichen Seitenkapellen. Das Epitaph ist heute im südlichen Seitenschiff aufgestellt. Es ist insgesamt in einem schlechten Erhaltungszustand, da die Oberfläche stark abgewittert ist. Auf dem hochrechteckigen Stein über einer querrechteckigen Tafel mit der erhaben gehauenen Inschrift A ein Relief, das in einem perspektivisch angedeuteten Raum den Abt im Gebet unter dem Kruzifix zeigt, links unten das Abtswappen. Auf der Kniebank daneben die Inschrift B. Über der Figur des Abts ein Schriftband mit der Inschrift C. Die Nische wird an beiden Seiten durch Pilaster eingefasst, darauf oben und unten auf jeder Seite Vollwappen, dazwischen jeweils drei heute stark abgewitterte Medaillons mit männlichen Köpfen im Relief darin, die nach Gebhardis wenig überzeugender Meinung Melanchthon, Bugenhagen und Justus Jonas sowie Luther, Veit Dietrich und Matthias Flacius (Illyricus) darstellen sollen.1) In dem Aufsatz, der nach der Zeichnung bei Gebhardi ehemals in Form einer Ädikula gestaltet war, ein Relief der Auferstehung und der Überwindung des Todes durch Christus, im Bogen darüber die Inschrift D. Die manierierte Christusfigur, deren Locken im Wind wehen, trägt einen vom Wind aufgebauschten Umhang und ist von neun Puttenköpfen umgeben. Heute ist die hölzerne architektonische Rahmung des Aufsatzes entfernt, so dass nur noch eine hochrechteckige, oben rundbogig abgeschlossene Tafel übriggeblieben ist, die in dieser Form ohne Ädikula und seitliche Bögen nicht recht zu dem Epitaph zu passen scheint. Es handelt sich aber zweifelsfrei um das in der Zeichnung wiedergegebene Relief. Alle Inschriften sind erhaben gehauen, nach Gebhardi waren alle in Gold gefasst. Die Zeichnung des Epitaphs bei Gebhardi zeigt oben auf der Ädikula noch einen Giebelaufsatz, in dem eine Art Wassermann(?) abgebildet war; nach Gebhardi handelte es sich dabei um ein Gemälde.2)

Inschrift A ergänzt nach der Zeichnung bei Gebhardi.

Maße: H.: ca. 360 cm (mit Aufsatz); B.: 142 cm; Bu.: 3 cm (A), 2 cm (B), 3,5 cm (C), 4 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis, mit Versalien am Zeilenbeginn (A).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/6]

  1. A

    CORPORE TALIS ERAT VVLTVQVE HERBORDVS AB· HOLLE /ET GENERE ET MVLTA VIR PIETATE GRAVIS /QVI NON TAM TITVLO QVAM RE DIGNISSIMVS ABBAS /IN VERA ANTISTES RELIGIONE FVIT /HANCQ(VE) DEO GRATA CO(N)STA(N)TE[Q(VE)] VOCEa) PROFESSVS /SE [DIGN]VM TALI TEMPO[RE] FEC[I]T OPVS . /NVNC [IGI]TVR CO[EL]O POST [F]ATA P(ER)ACTA RECEP[T]VS /[HIC Q]VO[QVE] P[RAE]SE[NTI SER]VITb) VT [AN]TE DEO . /

  2. B

    OB(IIT) AN(NO) 1555 / 12 DECEMB(RIS) / AETAT(IS) SVAE 63 / SEDITQ(VE) AN(NOS) 23 / MINVS VNO / DIE

  3. C

    AGN(VS) DEI Q(VI) TOLLIS P(EC)C(A)TA MV(N)DI MISERERE MEI3)

  4. D

    ICH : BIN : DIE AVFERSTEHVNG VND DAS LEBEN4)

Übersetzung:

Von seinem Körper und Antlitz war Herbord von Holle so und durch seine Herkunft und große Frömmigkeit ein bedeutender Mann, der, nicht so sehr dem Titel als der Sache nach ein sehr würdiger Abt, ein Verfechter des wahren Glaubens war. Indem er diesen Gott mit dankbarer und beständiger Stimme bekannte, tat er in einer solchen Zeit ein ihm würdiges Werk. Nun also im Himmel nach vollendetem Leben aufgenommen dient er auch hier dem gegenwärtigen Gott wie zuvor. (A)

Er starb im Jahr 1555 am 12. Dezember im Alter von 63 Jahren und ist 23 Jahre weniger einen Tag im Amt gewesen. (B)

Lamm Gottes, das du die Sünden der Welt hinwegnimmst, erbarme dich meiner. (C)

Versmaß: Elegische Distichen (A).

Wappen:
Holle, Abt von St. Michaelis5)
Holle6)Mandelsloh7)
Saldern8)Landsberg9)

Kommentar

Nach Gebhardi war dieses Epitaph seit dem Jahr 1792 – nach der Umgestaltung des Kircheninneren durch den Landschaftsdirektor von Bülow (vgl. Einleitung, Kap. 3.2.) – das einzige erhaltene Epitaph für einen Abt von St. Michaelis.10) Die ursprüngliche bildhauerische Qualität des Epitaphs lässt sich aufgrund des schlechten Erhaltungszustands nur noch erahnen bzw. an den detaillierten Zeichnungen bei Gebhardi erkennen. Behncke weist das Denkmal wegen seiner Ähnlichkeit zum Schomakerschen Epitaph im Dom zu Bardowick, das allerdings einen völlig anderen Bildaufbau und keine Übereinstimmungen in der figürlichen Gestaltung aufweist, Albert von Soest zu.11) Die Inschriften des Holle-Epitaphs zeigen keine Übereinstimmung mit den charakteristischen Buchstabenformen des Albert von Soest, und die Gestaltung der Figuren, sowohl des Abts als auch des auferstehenden Christus, ähneln stark der Figur auf der Grabplatte Gule (Nr. 393), so dass beide Stücke demselben unbekannten Bildhauer zuzuschreiben sind. Dessen hier verwendete Kapitalis zeigt abgesehen von einer linksgeneigten Schattenachse der O und Q wenig signifikante Merkmale. Michael12) weist das Epitaph dem vermutlich historisch niemals existenten Braunschweiger Bildhauer Jürgen Spinnrad (vgl. dazu DI 56, Nr. 475) zu, einer vermutlich im 18. Jahrhundert konstruierten Figur, die auch das Spinnrad nachhaltig verbessert haben soll, was sich aber ebensowenig nachweisen lässt wie die Tätigkeit als Bildhauer. Die Zuweisung von Michael ist abgesehen von dem Namen des Bildhauers insofern richtig, als das Epitaph große Übereinstimmungen mit dem aus demselben Jahr stammenden Braunschweiger Epitaph des Gerhard Pawel (DI 56, Nr. 475) und damit auch mit einem Halberstädter Epitaph für Matthias von Veltheim aus dem Jahr 1553 (DI 75, Nr. 200) zeigt. Zu der Werkstatt vgl. Einleitung, Kap. 7.5.

Herbord von Holle wurde 1492 als Sohn des Johann von Holle, Drost von Bokeloh und Ricklingen, und der Gesa von Mandelsloh geboren.13) Er besuchte die Klosterschule St. Michaelis und immatrikulierte sich am 20. Juni 1514 als Benediktinermönch an der Universität Rostock, wo er im Wintersemester 1515/16 zum Baccalaureus promoviert wurde.14) Danach kehrte er in das Michaeliskloster zurück und wurde dort 1525 zum Prior gewählt und nach dem Tod des letzten katholischen Abts von St. Michaelis, Balduin von Mahrenholtz, im Dezember 1532 zu dessen Nachfolger. Zuvor soll er als Prior bereits eine lutherische Abendmahlsfeier im Kloster abgehalten haben, ein Vorgang, der den alten Abt der Überlieferung zufolge dermaßen entsetzte, dass ihn der Schlag traf und er kurz darauf am 11. Dezember verstarb.15) Sofort nach seiner Wahl zum Abt Ende 1532 führte Herbord von Holle in St. Michaelis die Reformation ein, setzte aber im Spannungsfeld zwischen dem Landesherrn Herzog Ernst, dem Erzbischof von Bremen und Administrator von Verden sowie der Stadt Lüneburg durch, dass das Kloster als evangelisches Stift weitgehend im Besitz seiner Güter und Rechte blieb. Allerdings konnte er nicht verhindern, dass Herzog Ernst die außerhalb der Stadt gelegenen Güter des Klosters beschlagnahmte.16) Herbord von Holle fungierte 23 Jahre lang als erster evangelischer Abt des Klosters St. Michaelis, das in dieser Zeit immer wieder von Auflösung bedroht war. Erst 1548 wurden durch einen Vertrag mit dem Landesherrn Herzog Franz Otto die eingezogenen Güter wieder zurückgegeben und der Fortbestand des Klosters St. Michaelis als evangelisches Stift garantiert.17) Inschriften wie Bildprogramm des Epitaphs, das für den am 12. Dezember 1555 verstorbenen Abt gesetzt wurde, bezeugen dessen tiefe Verankerung im lutherischen Glauben, besonders auch dadurch, dass er hier umgeben von sechs Reformatoren dargestellt ist.

Textkritischer Apparat

  1. mente Lossius, Rikemann, Beschrivinge, alle Ex.
  2. vixit Lossius, Rikemann, Beschrivinge, alle Ex.

Anmerkungen

  1. Gebhardi, Collectanea, Bd. 14, p. 593. Michael, St. Michaelis, S. 18, identifiziert die Köpfe als Urbanus Rhegius, Anton Corvinus und Stefan Kempe auf der linken Seite sowie Martin Luther, Johann Bugenhagen und Martin Chemnitz auf der rechten Seite. Diese Unterschiede in der Identifizierung zeigen, wie unsicher die Zuweisungen sind. Lediglich bei dem Bildnis Luthers rechts oben kann man von einer sicheren Identifizierung sprechen. Ein Vergleich mit den Reformatorenporträts der zeitgenössischen Druckgraphik lässt keine der beiden Interpretationen als besonders überzeugend erscheinen, sondern eröffnet eher noch weitere mögliche Identifizierungen.
  2. Gebhardi, Collectanea, Bd. 6, p. 425.
  3. Nach dem Agnus Dei des Canon Missae. Cantus Database, ID 509505.
  4. Jh. 11,25.
  5. Wappen Holle, Abt von St. Michaelis (viergeteilt: 1 u. 3 thronender Abt, 2. u. 3. drei Zipfelmützen).
  6. Wappen Holle (drei Zipfelmützen). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 9, S. 9 u. Tafel 10.
  7. Wappen Mandelsloh (siebenmal umwundenes Jagdhorn). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 3, Abt. 2, S. 253 u. Tafel 303.
  8. Wappen Saldern (Rose). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 6, Abt. 11, S. 50 u. Tafel 29.
  9. Wappen Landsberg (geteilt, oben Fuchs, unten schräges Gitter). Vgl. Spießen, Wappenbuch, Bd. 1, S. 78; Bd. 2 u. Tafel 190.
  10. Gebhardi, Collectanea, Bd. 14, p. 593.
  11. Behncke, Albert von Soest, S. 79–82.
  12. Michael, St. Michaelis, S. 18.
  13. Weyhe-Eimke, Äbte, S. 145.
  14. Matrikel Rostock, Bd. 2, S. 57 u. 63.
  15. Weyhe-Eimke, Äbte, S. 141f. Fabricius, Kontroversen, S. 140.
  16. Vgl. dazu ausführlich Fabricius, Kontroversen, S. 143–145.
  17. Weyhe-Eimke, Äbte, S. 146–156. Dieter Brosius, Die lüneburgischen Klöster in der Reformation. In: Reformation vor 450 Jahren – Eine Lüneburgische Gedenkschrift, hg. v. Museumsverein für das Fürstentum Lüneburg. Lüneburg 1980, S. 104f.

Nachweise

  1. Gebhardi, Collectanea, Bd. 6, p. 425–427 (Zeichnungen); Bd. 14, p. 593f. (A, B).
  2. Rikemann, Beschrivinge, Ex. Hannover, p. 355f. (A).
  3. Rikemann, Beschrivinge, Ex. Göttingen, p. 195f. (A).
  4. Rikemann, Beschrivinge, Ex. Lüneburg, [fol. 210v] (A).
  5. Rikemann, Libellus, fol. 14v (B).
  6. Sagittarius, Historia, p. 388f. (A, B).
  7. Lossius, Epitaphia Principum, S. 24f. (A).
  8. Reinbeck, Chronik, p. 678 (A, B).
  9. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 167 (A–C, A nach Gebhardi).
  10. Behncke, Albert von Soest, S. 79–82 (A nach Gebhardi, Abb. 32, 33).
  11. Krüger/Reinecke, Kunstdenkmale, S. 51 (B).

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 384 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0038409.