Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 351 Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe 1545

Beschreibung

Brauttruhe der Anna Semmelbecker.1) Holz mit Resten der farbigen Fassung. Die Vorderseite der Stollentruhe ist mit Reliefs bedeckt, die in vier Bogennischen Szenen aus dem apokryphen Buch Tobias Kap. 4–9 darstellen: Abschied des Tobias von seinen Eltern im Beisein Raphaels; Werbung um Sara im Beisein Raphaels (oben), Ausnehmen des im Tigris gefangenen Fisches (unten); Hochzeit mit Sara im Beisein Raphaels (oben) und Vertreibung des bösen Geistes (unten); Rückkehr mit Sara nach Ninive (oben), Hochzeitsfeier (unten). Die dargestellten Szenen sind durch die Inschrift A bezeichnet, die unterhalb der Reliefs zwischen den Stollenfüßen der Truhe eingeschnitzt ist. Die Worttrenner in Form von Quadrangeln mit vier Zierhäkchen. Die Jahreszahl B steht in plastischen Ziffern auf dem eisernen Schließbügel des Schlosses, die erste Ziffer fehlt heute. Oben in den Zwickeln der Bogennischen vier Männerköpfe. Die heute verkürzten Stollenfüße tragen zwei nur in den oberen Hälften fragmentarisch erhaltene Vollwappen. Auf dem oberen Rand der Frontseite eine ebenfalls nur fragmentarisch erhaltene, in roter Farbe gemalte Inschrift aus jüngerer Zeit.2)

Maße: H.: 101 cm; B.: 212 cm; T.: 94 cm; Bu.: 3,3 cm (A), 3,5 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/2]

  1. A

    · DAT · BOCK · TOBIAE · AN · DEM · I · VNDE · IX · CAPI(TEL) ·

  2. B

    [1]545

Wappen:
Töbing3) Semmelbecker4)

Kommentar

Die in der Inschrift enthaltene Kapitelangabe, die nicht sehr präzise ist, dürfte wohl so zu verstehen sein, dass auf der Truhe Szenen aus dem Buch Tobias bis zum Kapitel 9 dargestellt sind. Die Auswahl des Bildthemas für die Brauttruhe erscheint zunächst ungewöhnlich, da das Buch Tobias von der vom Dämon besessenen Braut Sara handelt, die durch den Dämon bereits sieben Männer in der Hochzeitsnacht verloren hat und erst mit Hilfe des Erzengels Raphael durch Tobias von dem Dämon befreit wird. Die Erklärung für die Wahl des Bildthemas findet sich in der Vorrede Luthers zum Buch Tobias: Also zeigt das Buch Tobias an / wie es einem fromen Bawr oder Bürger auch vbel gehet / vnd viel leidens im Ehestand sey / Aber Gott jmer gnediglich helffe / vnd zu letzt das ende mit freuden beschliesse. Auff das die Eheleute sollen lernen gedult haben / vnd allerley leiden / auff künfftig hoffnung gerne tragen / in rechter furcht Gottes vnd festem glauben.5)

Die Zuordnung der Truhe zu der Lüneburger Bürgerstochter Anna Semmelbecker ergibt sich aus den beiden Wappen Töbing und Semmelbecker. Anna Semmelbecker war die Tochter des Ratsherrn Ludolph Semmelbecker und der Dorothea Stöterogge (vgl. Nr. 392). Sie heiratete am 5. Juli 1546 den späteren Bürgermeister Georg III. Töbing (zu dem Ehepaar vgl. Nr. 607).6) Da die Truhe die Jahreszahl 1545 trägt, müsste sie zur Verlobung des Paars angefertigt worden sein, solange sich keine andere passende Eheschließung zwischen den beiden großen Lüneburger Ratsfamilien nachweisen lässt.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. 1898, 209.
  2. A[ – – – ] 1685 [ – – – ]. Inschrift weitgehend zerstört.
  3. Wappen Töbing (Maulbeerbaum auf Hügel). Vgl. Büttner, Genealogiae. Weitgehend zerstört, nur noch Reste des Maulbeerbaums und eine der beiden Turnierstangen der Helmzier andeutungsweise erhalten.
  4. Von dem eigentlichen Wappeninhalt (Balken mit drei Schnallen belegt) ist nichts erhalten, lediglich die beiden mit einem Balken mit Schnalle darauf belegten Hörner der Helmzier sind noch vorhanden. Zum Wappen vgl. Büttner, Genealogiae.
  5. Lutherbibel 1545, Bd. 2, S. 1731, Z. 26–33.
  6. Vgl. Witzendorff, Stammtafeln, S. 117 (ohne Beleg). Kat. Stadt im Wandel, Bd. 1, Nr. 275, S. 351.

Nachweise

  1. Kat. Stadt im Wandel, Bd. 1, Nr. 275, S. 351–353 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 351 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0035104.