Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 309 Berlin, Kunstgewerbemuseum 1533

Beschreibung

Pokal.1) Silber, vergoldet. Der Buckelpokal gehört zum Ratssilber und wurde 1874 an den preußischen Staat verkauft. Der gebuckelte Deckel ist umgeben von plastischem Blattwerk und bekrönt von der Figur des Jona, der vom Wal ausgespien wird. Oben um den Rand der Kuppa verläuft ein glatter Fries mit der zwischen zwei Linien eingravierten Inschrift, die Worttrenner in Form von Sternchen. Innen im Deckel in einem runden Medaillon in Email drei Wappenschilde in einem Dreipass. Das Lüneburger Beschauzeichen und die Meistermarke des Cord Obrecht unter dem Fuß.2)

Maße: H.: 62 cm; Dm.: 22,5 cm; Bu.: 0,6 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/4]

  1. SPECTABILIS · VIR · D(OMI)NEa) · CONRADVS · LA(N)GE · PRECO(N)SVL · LVNEBORGE(N)SIS · QVI · OBIIT · IN · DIE · PRISSE · VIRGINIS3) · A(N)NO · D(OMI)NI · 156b) DONAVIT · HOC · CLENODIV(M) · CVIVS · ANIMEc) · REQVIESCAT · IN · PACE ·

Übersetzung:

Der angesehene Mann Herr Cord Lange, Lüneburger Bürgermeister, der am Tag der Jungfrau Prisca im Jahr des Herrn 1506 gestorben ist, hat dieses Kleinod gestiftet. Seine Seele ruhe in Frieden.

Wappen:
Lange4)Schomaker5)Lange4)

Kommentar

Die Inschrift ist in einer frühhumanistischen Kapitalis ausgeführt und zeigt epsilonförmiges E, A mit Deckbalken nach links oder rechts, aber geradem Mittelbalken, spitzovales O, oben offenes spiegelverkehrt zum G gestaltetes D, H mit ausgebuchtetem Balken, M mit an den Mittelteil angehängtem Schaft, spiegelverkehrtes N mit ausgebuchteter Schräghaste und P mit großem, fast auf die Grundlinie reichendem Bogen, dem spiegelverkehrt das Q entspricht, R aus gerundet in den Bogen übergehender Haste und kleinem eingerollten Bogen, aus dem sich die geschwungene Cauda entwickelt. Die Buchstabenenden gegabelt, die Kürzungsstriche ausgebuchtet. Das P mit dem großen Bogen kann als besonderes Schriftmerkmal der Werkstatt Cord Obrechts gelten (vgl. a. Nr. 284.)

Die Wappen beziehen sich auf den Bürgermeister Cord Lange (vgl. Nr. 153) und seine Ehefrau Ghebeke Schomaker.6) Der Pokal wurde 1533 von Cord Obrecht (vgl. Nr. 284) im Auftrag des Rats angefertigt, der dafür 276 Mark an den Goldschmied bezahlte.7) Er diente als Ersatz für einen Pokal, der ursprünglich nach Ausweis der Inschrift von dem 15058) verstorbenen Cord Lange wohl testamentarisch für das Ratssilber gestiftet,9) dann aber 1519 Herzog Heinrich I. von Braunschweig-Lüneburg zur Huldigung überreicht worden war. Ein bereits damals von Hinrick Grabow gefertigter Ersatzpokal wurde 1533 Herzog Heinrich V. von Mecklenburg überreicht, was eine erneute Neuanfertigung erforderlich machte (vgl. dazu Einleitung, Kap. 5.6.2.).10)

Bei der zweifachen Übernahme der Inschrift auf neue Pokale wurde der Text offenbar fehlerhaft ausgeführt. Dem Inhalt nach handelt es sich hierbei nicht nur um eine Stifterinschrift, sondern gleichzeitig auch um einen Sterbevermerk mit Fürbitte für das Seelenheil des Stifters. Diese Form der Memoria – in diesem Fall durch die Inschrift auf einem Gegenstand zum weltlichen Gebrauch – macht den Zweck der Stiftungen für das Ratssilber in besonderer Weise anschaulich. Dass man trotzdem keinerlei Skrupel hatte, diese Stücke – doch wohl gegen die Intention des Stifters – zu verschenken, solange nur Ersatzstücke angefertigt wurden, zeigt, dass der Gedanke des ‚Originals‘, dem eine besondere Bedeutung anhaftet, offenbar erst neueren Datums ist.

Textkritischer Apparat

  1. Irrtümlich anstelle von D(OMI)N(VS), möglicherweise bei der Neuausführung der Inschrift aus einem missverstandenen us-Kürzel entstanden.
  2. 1560 Albers, Mithoff. Offenbar wurde das Todesjahr 1505 bei einer der Neuausführungen der Inschrift falsch übernommen, was auch die eigenartige Schreibung erklärt.
  3. Irrtümlich anstelle von ANIMA.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. 1874,386.
  2. Meistermarke K des Cord Obrecht: Rosenberg, Merkzeichen, Nr. 3261b (dort Hermann Kolmann?). Scheffler, Goldschmiede, Nr. 74, S. 900f., Marke Nr. 1719. Vgl. Nr. 284, Anm. 2. Zu dem Goldschmied Cord Obrecht vgl. Schröder, Ratssilber, Meister, [S. 15] u. Werke (o. S.), Nr. 9.
  3. 18. Januar.
  4. Wappen Lange (halber Bär vor geteiltem Schild). Vgl. Büttner, Genealogiae, Langen mit dem halben Bären.
  5. Wappen Schomaker (geteilt, oben Bärenkopf mit Halswunde). Vgl. Büttner, Genealogiae.
  6. Büttner, Genealogiae, Stammtafel Langen mit dem halben Bären.
  7. StA Lüneburg, AB 56/3, p. 713. Zit. bei Schröder, Ratssilber, Werke Nr. 9 (o. S.) und bei Bursche, Ratssilber, Nr. 18, S. 128.
  8. Büttner, Genealogiae, Stammtafel Langen mit dem halben Bären.
  9. Ein Testament des Cord Lange ist nicht erhalten.
  10. Schröder, Werke (o. S.), Nr. 9, mit Auszügen aus den Kämmereiregistern. Bursche, Ratssilber, Nr. 18, S. 127–129.

Nachweise

  1. Gebhardi, Collectanea, Bd. 2, p. 197.
  2. Albers, Rathaus, S. 46.
  3. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 192 (nach Albers).
  4. Krüger/Reinecke, Kunstdenkmale, S. 294.
  5. Schröder, Ratssilber, Werke (o. S.), Nr. 9.
  6. Appuhn, Ratssilber, Nr. 17, S. 19.
  7. Kat. Stadt im Wandel, Bd. 2, Nr. 869i, S. 996.
  8. Bursche, Ratssilber, Nr. 18, S. 127–129, hier S. 128 mit Abb.
  9. Netzer, Ratssilber, Nr. 18, Abb. S. 85.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 309 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0030905.